Die Schwangerschaft ist eine Zeit enormer Veränderungen im Körper einer Frau. Neben den offensichtlichen körperlichen Veränderungen, wie dem Wachstum des Bauches und der Anpassung des Körpers an das heranwachsende Baby, gibt es auch weniger bekannte, aber ebenso faszinierende Veränderungen im Gehirn. Eine dieser Veränderungen ist die Verringerung des Hirnvolumens, ein Phänomen, das als Gehirnschrumpfung während der Schwangerschaft bekannt ist. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen und Auswirkungen dieser Gehirnschrumpfung und untersucht, wie sie sich auf die Mutter und ihre Beziehung zum Kind auswirken kann.
Einführung
Die Mutterschaft verändert nicht nur den Körper und die Lebensumstände, sondern auch das Verhalten. Weibliche Tiere, die Nachwuchs zu versorgen haben, weisen oft einen Nestbautrieb und veränderte Fütterungsroutinen auf oder legen erhöhte Wachsamkeit und sogar Aggressivität an den Tag, um ihre Babys zu beschützen. Es ist schon länger klar, dass sich bei Schwangeren nicht nur der Körper, sondern auch das Hirn verändert.
Ursachen der Gehirnschrumpfung während der Schwangerschaft
Hormonelle Veränderungen
Die Schwangerschaft ist mit einer erheblichen Umstellung des Hormonhaushalts verbunden. Der Progesteronspiegel steigt um das 10- bis 15-fache und der Körper der Frau wird mit Östrogenen in einer Menge überflutet, die die gesamte Produktion während des restlichen Lebens übersteigt. Die starken hormonellen Veränderungen während der Schwangerschaft haben Auswirkungen auf das Gehirn. Schon viel geringere Hormonschwankungen können strukturelle und funktionelle Veränderungen im Gehirn auslösen.
Laut einer Studie sind die Hormone Östrogen und Progesteron für die Verhaltensänderung verantwortlich. Östrogen beeinflusst diesen Teil des Gehirns werdender Mütter auf zwei verschiedene Arten: Zum einen hemmt es die Aktivität der Neuronen, zum anderen macht es sie empfindlicher. Progesteron sorgt für eine erhöhte Rekrutierung von Eingängen an den Synapsen, schafft also mehr Punkte, über die die Neuronen miteinander kommunizieren können.
Neuroplastizität und "Feinabstimmung" des Gehirns
Das Gehirn ist nicht statisch, sondern passt sich ständig an neue Erfahrungen und Anforderungen an. Diese Anpassungsfähigkeit wird als Neuroplastizität bezeichnet. Während der Schwangerschaft erfährt das Gehirn eine Art "Feinabstimmung", bei der bestimmte Nervenverbindungen gestärkt und andere abgebaut werden. Dieser Prozess ähnelt dem, was in der Pubertät geschieht, wenn das Gehirn sich spezialisiert und effizienter wird.
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Spezialisierung neuronaler Netzwerke
Die Veränderungen im Gehirn während der Schwangerschaft könnten einer Spezialisierung der neuronalen Netzwerke dienen. Das Gehirn könnte sich darauf konzentrieren, die Funktionen zu optimieren, die für die Aufgaben als Mutter besonders wichtig sind, wie z. B. die Signale des Babys zu deuten und darauf zu reagieren. Es gebe auch Anzeichen dafür, dass die elterliche Bindung zum Baby umso enger ist, je stärker das Gehirn die graue Substanz in entscheidenden Regionen reduziert, schreibt Geo.
Auswirkungen der Gehirnschrumpfung während der Schwangerschaft
Veränderungen in der grauen und weißen Substanz
Studien haben gezeigt, dass während der Schwangerschaft das Volumen der grauen Substanz im Gehirn abnimmt. Die graue Substanz enthält die Zellkörper der Nervenzellen und ist für die Informationsverarbeitung zuständig. Eine Abnahme der grauen Substanz bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die geistigen Fähigkeiten nachlassen. Vielmehr könnte es sich um eine effizientere Nutzung der vorhandenen Nervenzellen handeln.
Neben der Abnahme der grauen Substanz wurde auch eine Zunahme der weißen Substanz beobachtet. Die weiße Substanz besteht aus den Nervenfasern, die die verschiedenen Hirnregionen miteinander verbinden. Eine Zunahme der weißen Substanz könnte darauf hindeuten, dass die Kommunikation zwischen den Hirnregionen verbessert wird.
Veränderungen in Hirnarealen der sozialen Kognition
Während der Schwangerschaft kommt es zu Veränderungen in Hirnarealen der sozialen Kognition, die möglicherweise die spätere Fürsorge der Mutter für das Kind beeinflussen. Die Veränderungen fanden vor allem in Gehirnregionen statt, die für die soziale Kognition zuständig sind. Diese Hirnregionen zeigten nach der Geburt auch die stärksten neuronalen Reaktionen auf das Baby. Außerdem könnten die Veränderungen die Mutter-Kind-Bindung nach der Geburt vorbereiten, indem sie zum Beispiel die Fähigkeit der Mutter fördern, die Bedürfnisse ihres relativ hilflosen Babys zu erkennen.
Auswirkungen auf das mütterliche Verhalten
Die Veränderungen im Gehirn während der Schwangerschaft können sich auf das mütterliche Verhalten auswirken. Studien haben gezeigt, dass Mütter mit stärker ausgeprägten Veränderungen in bestimmten Hirnregionen eine engere Bindung zu ihrem Kind haben. Die Veränderungen im Gehirn könnten es Müttern erleichtern, die Bedürfnisse ihres Babys zu erkennen und darauf einzugehen.
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Vergesslichkeit und "Baby Brain"
Schwangere berichten immer wieder über Vergesslichkeit und ein schlechtes Gedächtnis. Hauptursache für die Schusseligkeit und Vergesslichkeit, die viele Frauen während der Schwangerschaft und Stillzeit beklagen, ist die Umorganisation im Hirn vermutlich nicht. Ob "Baby Brain" überhaupt ein medizinisches Phänomen ist, bleibt umstritten. Einschränkungen des Erinnerungsvermögens sind lediglich während des letzten Trimesters belegt. Aber sie sind gering und vorübergehend. Sicher ist, dass sich vor und mit der Geburt eines Kindes die Prioritäten verschieben und viele neue Aufgaben hinzukommen.
Dauer der Veränderungen
Die Veränderungen im Gehirn während der Schwangerschaft können von unterschiedlicher Dauer sein. Während manche Effekte bis mindestens zwei Jahre nach der Geburt anhalten, sind andere offenbar vorübergehend. Eine Studie aus Amsterdam stellte fest, dass sich das Hirnvolumen der Schwangeren zu großen Teilen wieder in den Zustand von vor der Schwangerschaft ausgedehnt hatte.
Forschungsergebnisse und Studien
Studie der Universität Barcelona
Für eine Studie der Universität Barcelona haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Magnetresonanzbilder von 25 Erstgebärenden vor und nach der Schwangerschaft untersucht. Zum Vergleich wurden 19 erstmalige Väter sowie eine Kontrollgruppe aus 20 Frauen und 17 Männern ohne Kinder untersucht. Das Ergebnis: Das Hirnvolumen nahm bei den schwangeren Teilnehmerinnen ab. "Diese Veränderungen waren so deutlich, dass ein Computeralgorithmus sogar automatisch identifizieren konnte, ob eine Frau zwischen den beiden Untersuchungen schwanger gewesen war oder nicht", sagt die Neurowissenschaftlerin Dr. Erika Barba-Müller, welche die Studie mitverantwortete. Die Ergebnisse der Studie wurden 2016 in "Nature Neuroscience" veröffentlicht. Hauptautorin war Dr. Elseline Hoekzema.
Studie der University of California Santa Barbara
Ein Forschungsteam der University of California Santa Barbara hat eine gesunde Erstgebärende erstmals während der gesamten Schwangerschaft begleitet und ihre Gehirnentwicklung engmaschig untersucht. "Das mütterliche Gehirn durchläuft während der Schwangerschaft eine choreografierte Veränderung, und wir sind endlich in der Lage, diese Entwicklung zu beobachten", sagt Emily Jacobs, leitende Autorin der Forschungsarbeit. So zeigte sich deutlich, dass das Volumen der grauen Substanz abnimmt, wenn die Hormonproduktion während der Schwangerschaft ansteigt. Dies bedeute jedoch keinesfalls, dass die geistigen Fähigkeiten nachlassen, betonten die Wissenschaftler:innen. Vielmehr könnte diese Veränderung auf eine "Feinabstimmung" der Gehirnschaltkreise hindeuten, ähnlich dem, was während der Pubertät passiert, wenn sich das Gehirn spezialisiert.
Studie des Francis Crick Institute in London
Eine aktuelle Studie von Forschenden des Francis Crick Institute in London, England, die in der Fachzeitschrift Science erschienen ist, zeigte, dass ein kleines Areal im Gehirn trächtiger Tiere durch bestimmte Schwangerschaftshormone so beeinflusst wird, dass es zu einer teilweise permanenten Neuverdrahtung der betroffenen Neuronen kommt.
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Übertragbarkeit auf menschliche Mütter
Die Forschenden gehen davon aus, dass sich die Erkenntnisse aus den Studien auf menschliche Mütter übertragen lassen. In Bezug auf das spätere mütterliche Verhalten könnte dieser Vorgang eine ebenso wesentliche Rolle spielen wie beispielsweise das soziale Umfeld. Zudem könnte Kohl zufolge eine natürliche Unempfindlichkeit von MPOA-Neuronen gegenüber Progesteron und Östrogen erklären, warum es manchen Müttern schwerer fällt, sich in ihrer neuen Rolle zurechtzufinden als anderen.
Fazit
Die Gehirnschrumpfung während der Schwangerschaft ist ein faszinierendes Phänomen, das noch nicht vollständig verstanden ist. Es scheint jedoch, dass die Veränderungen im Gehirn eine wichtige Rolle bei der Anpassung der Mutter an ihre neue Rolle spielen. Die Veränderungen könnten es Müttern erleichtern, die Bedürfnisse ihres Babys zu erkennen und darauf einzugehen, und eine engere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen.
Ein kleiner Trost für alle Schwangeren und frisch gebackenen Mütter, die an ihrem Verstand zweifeln: In der Lebensmitte sind die Gehirne von Müttern im Durchschnitt ein wenig jünger und besser vernetzt als die Gehirne kinderloser Frauen.
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