Wenn ein Mensch stirbt, stellt sein Gehirn nicht abrupt seine Funktion ein. Vielmehr durchläuft es eine Reihe komplexer physiologischer Prozesse. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass diese Prozesse verblüffende Parallelen zu neurologischen Zuständen wie Migräne aufweisen. Dieser Artikel untersucht die Ursachen und Mechanismen des langsamen Absterbens des Gehirns und beleuchtet die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema.
Nahtoderfahrungen und physiologische Prozesse
Was Menschen erleben, wenn sie sterben, ist seit langem Gegenstand von Spekulationen. Wissenschaftler haben sich jedoch darauf konzentriert, die physiologischen Vorgänge zu untersuchen, die im Gehirn kurz vor dem Tod ablaufen. Interviews mit Menschen, die dem Tod nahe waren, beispielsweise durch Wiederbelebung, liefern Einblicke in Nahtoderfahrungen. Diese Erfahrungen umfassen oft Gefühle, sich in verschiedenen Epochen und an verschiedenen Orten gleichzeitig zu befinden, abstrakte Sinneseindrücke wie ein helles Licht oder eine Tunnelvision sowie außerkörperliche Erfahrungen.
Obwohl Nahtoderfahrungen in verschiedenen Kontexten auftreten können, treten sie bei Reanimationen häufiger auf. Die Fülle an Berichten über ähnliche Erfahrungen in verschiedenen Kulturen und Religionen deutet darauf hin, dass diese Erlebnisse real sind.
Physiologische Prozesse während des Sterbens
Die physiologischen Prozesse, die während des Sterbens im Gehirn ablaufen, sind besser untersucht worden. Im einfachsten Fall eines Herz-Kreislauf-Stillstands sinkt die Sauerstoffkonzentration im Gehirn innerhalb weniger Sekunden nach dem Herzstillstand. Nervenzellen schalten in einen Sparmodus, wodurch die neuronale Aktivität stark reduziert wird. Das Bewusstsein geht nach etwa sieben bis acht Sekunden verloren, und nach 30 bis 40 Sekunden ist die gesamte Hirnaktivität erloschen. Der genaue Zeitpunkt hängt jedoch vom Ausmaß der Restdurchblutung ab.
In dieser Phase sterben die Nervenzellen jedoch noch nicht ab. Stattdessen treten sie in eine Phase ohne Aktivität ein, in der sie gehemmt, aber noch lebendig sind. Wenn die Durchblutung wieder einsetzt, können sie wieder normal funktionieren. Dieser Zustand wird als Hyperpolarisation bezeichnet, bei dem die Innenseite der Zellmembran negativer wird als im Ruhezustand, wodurch die Zellen nicht mehr erregbar sind, obwohl sie noch geladen sind.
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Um die Hyperpolarisation aufrechtzuerhalten, benötigt die Zelle weiterhin etwas Energie, die normalerweise aus Glukose und Sauerstoff gewonnen wird. Wenn diese Stoffe nicht mehr ausreichend vorhanden sind, können die Membranpumpen, die das Spannungsgefälle erzeugen, nicht mehr arbeiten. Nach einigen Minuten entsteht eine riesige Depolarisationswelle, die als "terminal spreading depolarization" bezeichnet wird und bei der sich die Nervenzellen nacheinander entladen, ähnlich wie bei einem Kurzschluss. Diese Welle breitet sich mit einer Geschwindigkeit von etwa drei Millimetern pro Minute über das gesamte Gehirn aus und durchläuft alle Bereiche, in denen sich die Nervenzellkörper befinden, einschließlich der Hirnrinde, der Basalganglien, des Kleinhirns und sogar Strukturen im Rückenmark.
Die Todeswelle und der Hirntod
Die terminale Streudepolarisation, auch Todeswelle genannt, bewirkt massive Veränderungen im Inneren der Nervenzellen, wodurch Moleküle durcheinander geraten und die Kalziumkonzentration stark ansteigt. Wenn dieser Zustand zu lange anhält, werden die Neuronen vergiftet und sterben. Die Zellen können diesen Zustand jedoch für eine gewisse Zeit aushalten und überleben, wenn die Membranpumpen wieder einsetzen und alles, was nicht ins Innere gehört, herausbefördern.
Der Zeitpunkt, bis zu dem spätestens mit der Reanimation begonnen werden muss, damit die Pumpen wieder anspringen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. Temperatur und Lebensalter. Bei einem sonst gesunden jungen Menschen bei Zimmertemperatur dauert es schätzungsweise fünf Minuten vom Herzstillstand bis zum Einsetzen des Nervenzelltods. Die riesige Welle setzt sich bereits nach etwa drei Minuten in Gang. Durch die Reanimation wird der Körper und das Gehirn leicht durchblutet, wodurch die Nervenzellen deutlich länger durchhalten.
Depolarisationswellen bei Schlaganfällen und Migräne
Depolarisationswellen treten nicht nur beim Sterben auf, sondern auch bei Schlaganfällen. Bei einer Subarachnoidalblutung, die durch das Platzen einer Aussackung eines Hirngefäßes entsteht, können verzögerte Schlaganfälle durch eine Mangeldurchblutung auftreten. Die Erfassung der neuronalen Aktivität mit Elektroden auf der Hirnoberfläche ermöglicht es, anhand der Wellen zu erkennen, wann ein Schlaganfall auftritt, um rechtzeitig therapeutisch eingreifen zu können.
Die "spreading depolarization" folgt bei einem Schlaganfall ähnlichen Prinzipien wie kurz vor dem Tod. Ein wichtiger Unterschied ist, dass der Energiemangel beim Schlaganfall nur lokal auftritt, während er beim Sterben global ist. Ähnlich wie Nahtoderfahrungen tritt die Depolarisationswelle auch in Situationen auf, die nicht lebensbedrohlich sind, wie z. B. bei einer Migräneaura.
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Bei einer Migräneaura breitet sich die Welle im Gehirn aus und ist viel größer als jeder epileptische Anfall. Während sie bei der Migräneaura fast nie Folgeschäden hinterlässt, kann sie beim Sterben massive Veränderungen in den Nervenzellen verursachen. Der Energiemangel beim Sterben führt dazu, dass die Membranpumpen das Spannungsgefälle nicht mehr aufrechterhalten können, wodurch die "spreading depolarization" entsteht. Bei Migräne kann ein kleines Blutgerinnsel ein Gefäß verschließen und die Welle auslösen, die sich jedoch wieder von allein auflöst und keinen Schaden anrichtet.
Verbindung zwischen Migräne und Nahtoderfahrungen
Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit Migräneauren eher zu Nahtoderfahrungen neigen. Substanzen wie Ketamin und Dimethyltryptamin (DMT), die Nahtoderfahrungen auslösen können, hemmen die Depolarisationswellen. Es wird spekuliert, dass der Körper in Notsituationen ähnliche Stoffe freisetzen könnte, um die "spreading depolarization" zu verhindern oder hinauszuzögern. Die Nahtoderlebnisse könnten auf die Wirkung der "inneren Drogen" zurückgehen und nicht auf die Welle selbst.
Hypoxischer Hirnschaden
Ein hypoxischer Hirnschaden ist eine Schädigung von Teilen des Gehirns, die durch eine Sauerstoffunterversorgung verursacht wird. Diese Unterversorgung kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, wie z. B. Schlaganfall, Kreislaufstillstand oder Komplikationen während der Geburt. Die Symptome eines hypoxischen Hirnschadens hängen vom Ausmaß der Schädigung und dem betroffenen Areal ab und können sowohl die intellektuellen Fähigkeiten als auch die Motorik beeinträchtigen.
Die Therapie des hypoxischen Hirnschadens zielt darauf ab, die Sauerstoffversorgung wiederherzustellen und die Folgeschäden zu behandeln. Die Behandlung kann sowohl ambulant als auch stationär im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme erfolgen und umfasst physiotherapeutische, logopädische, ergotherapeutische und psychotherapeutische Ansätze.
Neurodegenerative Erkrankungen
Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Huntington sind durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet. Diese Erkrankungen sind eng mit den Alterungsprozessen verbunden und stellen eine wichtige medizinische Herausforderung dar. Die Ursachen der Neurodegeneration sind je nach Krankheit unterschiedlich und oft nur teilweise bekannt.
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Charakteristisch für neurodegenerative Erkrankungen ist, dass meist nicht das ganze Gehirn betroffen ist, sondern unterschiedliche, oft sehr genau umschriebene Bereiche beziehungsweise Zelltypen. Die Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung von Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege bei diesen Erkrankungen.
Vaskuläre Demenz
Die vaskuläre Demenz ist nach der Alzheimer-Krankheit die häufigste Demenzerkrankung. Sie wird durch eine Schädigung der Blutgefäße im Gehirn verursacht, wodurch die Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen und Sauerstoff eingeschränkt wird. Die Symptome können je nach Art der Schädigung im Gehirn sehr unterschiedlich sein und plötzlich, schleichend oder schrittweise auftreten.
Die Therapie der vaskulären Demenz zielt darauf ab, weiteren Schäden vorzubeugen und eine Verschlimmerung der Beschwerden aufzuhalten oder zu verlangsamen. Die Behandlung umfasst blutverdünnende Medikamente, die Behandlung von Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterinspiegel und erhöhtem Blutzucker sowie nicht-medikamentöse Ansätze wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Musiktherapie und Erinnerungsarbeit.
Huntington-Krankheit
Die Huntington-Krankheit ist eine seltene vererbbare Erkrankung, bei der es zu einem schrittweisen Untergang von Nervenzellen im Gehirn kommt. Neben unkontrollierbaren Bewegungen kommt es zu kognitiven Problemen und psychiatrischen Symptomen. Die Huntington-Krankheit ist bislang nicht heilbar, die Behandlung zielt auf die Linderung der Symptome ab.