Die Auswirkungen von Stress auf das Gehirn: Eine umfassende Analyse

Stress ist heutzutage ein weit verbreitetes Phänomen und hat ein Imageproblem. Er wird oft als schädlich für die Gesundheit und als Belastung für unsere mentalen Kräfte angesehen. Es wird angenommen, dass Konzentration, Denk- und Urteilsvermögen unter Stress stark leiden. Entgegen dieser Ansicht sind die Folgen psychischer Belastung jedoch nicht immer eindeutig negativ. Tatsächlich deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass Stress bestimmte geistige Leistungen sogar fördern kann.

Die natürliche Stressreaktion des Körpers

Die natürliche Stressreaktion des Körpers ist ein sinnvolles Produkt der Evolution. In bedrohlichen Situationen reagiert der Organismus mit zwei bewährten Programmen. Erstens setzt die Nebenniere, angeregt durch das sympathische Nervensystem, vermehrt Adrenalin und Noradrenalin in die Blutbahn frei. Zweitens kurbelt die sogenannte Stresshormonachse - bestehend aus Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde - die Ausschüttung von Glucocorticoiden wie dem Stresshormon Cortisol an. Infolgedessen steigen Herzfrequenz und Blutdruck, wodurch mehr Nährstoffe zu den Muskeln gelangen. Dies liefert Energie für Kampf oder Flucht.

Diese archaischen Programme laufen im menschlichen Organismus immer noch genauso ab wie vor Tausenden von Jahren, obwohl uns heute selten echte Lebensgefahr droht. Belastungen am Arbeitsplatz, Spannungen in der Familie, finanzielle oder gesundheitliche Probleme - jeder Mensch erlebt stressige Phasen. Stress ist an sich nichts Negatives. Er hilft uns, belastende Situationen zu bewältigen und uns an Veränderungen anzupassen. Heutzutage wird Stress jedoch oft zum ständigen Begleiter. Wenn Stress über lange Zeit oder sehr häufig auftritt, gerät unser Körper aus seinem natürlichen Gleichgewicht.

Wie Stress das Gehirn beeinflusst

Eine wichtige Hirnregion für unser Stresserleben ist die Amygdala, das Angstzentrum unseres Gehirns. Sie spielt eine große Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und ist vor allem für die Entstehung von Wut und Angstgefühlen verantwortlich. Die Amygdala wird aktiv, sobald unser Gehirn eine Situation als neu oder potenziell gefährlich interpretiert. Als Folge wird das Stresshormon Cortisol freigesetzt, und unser Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt. Der Blutdruck steigt, die Atmung wird schneller und die Muskeln spannen sich an. Unser Körper ist bereit zu handeln, was uns hilft, schneller auf potenzielle Gefahren zu reagieren. Wir sind aufmerksamer und leistungsfähiger. Sobald die Situation vorbei ist, entspannt sich unser Körper wieder. Diese Erholungsphase ist wichtig, um gesund zu bleiben. Wenn diese Erholungsphasen ausbleiben und Stress über eine lange Zeit bestehen bleibt, hat dies Auswirkungen auf unser körperliches und psychisches Wohlbefinden.

Auswirkungen von anhaltendem Stress auf die Amygdala

Anhaltender Stress führt dazu, dass sich bestimmte Zellen in der Amygdala stärker vermehren und die neuronalen Verbindungen zu anderen Hirnregionen gestärkt werden. Die Amygdala wird dann schneller überstimuliert, was zu Gefühlen der Überforderung und Hilflosigkeit führt. Wir werden nervös und reizbar, und immer mehr Erinnerungen werden mit Angst und Gefahr verbunden. Dadurch bleibt der Cortisolspiegel konstant hoch. Wenn der Körper dauerhaft auf Gefahr eingestellt ist, hemmt das Gehirn Funktionen, die bei akuter Gefahr nicht notwendig sind.

Lesen Sie auch: Resilienz gegenüber Stress: So schützen Sie Ihr Gehirn

Auswirkungen von Stress auf den Hippocampus

Wenn die Amygdala durch dauerhaften Stress überstimuliert wird, beeinträchtigt das auch die Funktion anderer Bereiche im Gehirn. Im Hippocampus, der unter anderem für Lernen und Erinnern zuständig ist, werden dadurch weniger Gehirnzellen produziert. Das wirkt sich negativ auf unser Gedächtnis aus.

Auswirkungen von Stress auf den präfrontalen Kortex

Die Amygdala ist auch mit dem präfrontalen Kortex eng verbunden. Er ist wichtig für die Kontrolle von Emotionen und beeinflusst unser Verhalten. Dauerstress führt dazu, dass hier Nervenverbindungen verloren gehen. Unser Urteilsvermögen ist beeinträchtigt, und durch die Überaktivierung der Amygdala werden Situationen emotionaler bewertet als üblich.

Langanhaltender Stress bringt unser neuronales Netzwerk aus dem Gleichgewicht und kann zu dauerhaften Veränderungen in unserer Hirnstruktur führen. Die Amygdala wird größer, der Hippocampus und der präfrontale Kortex schrumpfen. Das ebnet den Weg für eine Reihe an körperlichen und psychischen Beschwerden. Wir fühlen uns erschöpft, gereizt und überfordert. Wir schlafen schlecht und werden vergesslich.

Die gute Nachricht: Stressbedingte Schäden sind oft umkehrbar

Die schädlichen Wirkungen von Stress auf unseren Körper und Geist scheinen weitgehend umkehrbar zu sein. Körperliche Aktivität, ausreichend Schlaf, eine ausgewogene Lebensweise und gezielte Entspannung durch progressive Muskelentspannung oder autogenes Training bringen deinen Hippocampus wieder in Schwung.

Die Stressreaktion und ihre Auswirkungen auf den Körper

Die Stressreaktion entsteht im Gehirn und wird durch die innere Bewertung äußerer Reize ausgelöst. Im Falle einer Aktivierung wird der Organismus „bis zur letzten Zelle“ über das Nerven- und Hormonsystem in einen Alarmzustand versetzt. Die Stressreaktion wurde vom Begründer des Stresskonzepts, Prof. Hans Selye, erforscht und erstmals beschrieben. Selye setzte Versuchstiere unterschiedlichen Extrembelastungen aus, darunter Infektionen, Vergiftungen, Traumata, nervöse Beanspruchung, Hitze, Kälte, Muskelanstrengung oder Röntgenstrahlung.

Lesen Sie auch: Gehirn und Stressreaktion

Seit der Erstbeschreibung der Stressreaktion von Selye in den 1950er Jahren wurde die Pathophysiologie der Stressreaktion immer weiter erforscht. Allerdings wurden Selyes Untersuchungen vorwiegend an Versuchstieren durchgeführt, und die Befunde sind aus heutiger Sicht relativ grob.

Die Entstehung von Stress im Gehirn

Der Einfluss von Stress auf körperliche und psychische Prozesse ist erheblich. Stress entsteht im Gehirn, wenn die vorhandenen Bewältigungsmechanismen subjektiv nicht der anstehenden Herausforderung entsprechen. So kann ein und derselbe Reiz für die eine Person eine angenehme Herausforderung darstellen und für eine andere Person eine Bedrohung. Ein fremdsprachiger Vortrag vor einem Fachpublikum würde bei vielen Menschen Angst und damit Stress auslösen. Es gibt aber Menschen, für die ein derartiger Vortrag keine relevante Belastung darstellt, dafür graut es diesen Menschen möglicherweise vor dem abendlichen Gespräch mit der Ehefrau. Ein Gespräch mit der Ehefrau würde für einen anderen Menschen aber wiederum keine relevante Belastung darstellen.

Körperliche und psychische Auswirkungen von Stress

Unabhängig davon, wie der Stress im Gehirn entsteht, führt Stress auf körperlicher Ebene zu verschiedensten Veränderungen. Letztlich ist Stress ein Ganzkörperphänomen, von welchem die verschiedensten körperlichen und psychischen Prozesse beeinflusst werden. Auf psychischer Ebene führt Stress zu typischen Symptomen und Verhaltensänderungen. Auf körperlicher Ebene beeinflusst Stress vorwiegend das Hormonsystem, das vegetative Nervensystem und das Immunsystem. Über die Beeinflussung der verschiedenen Systeme führt Stress zu den unterschiedlichsten körperlichen und psychischen Symptomen. Oft wird der Zusammenhang zu Stress übersehen, und es erfolgt gar keine oder nur eine symptomatische Behandlung. Unbehandelter Stress kann auf Dauer zu verschiedenen körperlichen und psychischen Erkrankungen führen. Auf körperlicher Ebene führt Stress bei entsprechender Anlage oft zu Magengeschwüren, Bluthochdruck und Zuckerkrankheit.

Das vegetative Nervensystem und Stress

Das vegetative Nervensystem durchzieht den ganzen Körper und beeinflusst verschiedene Organe wie das Herz, den Darm und die Haut. Das vegetative Nervensystem ist durch den Willen nicht beeinflussbar und heißt deshalb auch „autonomes Nervensystem“. Das vegetative Nervensystem besteht aus zwei Komponenten, welche gleichzeitig aktiv sind. Ein Teil (der sogenannte Sympathikus) sorgt für Anspannung, der andere Teil (Parasympathikus) für Entspannung. Stress führt zu Anspannung, und bei dauerhafter Anspannung „kippt“ das vegetative Nervensystem hierdurch in einen Modus der Überaktivierung des Sympathikus. Hierdurch kommt es zu Herzrasen, Blutdruckanstieg, beschleunigter Atmung, gereiztem Magen oder Durchfall.

Auf psychischer Ebene geht ein derartiger Erregungszustand mit einer Fokussierung der Aufmerksamkeit, einer erhöhten Reizbarkeit und Wachheit einher. Dies ist die Vorbereitung für einen bevorstehenden Kampf oder eine Flucht. Diese übermäßige Aktivierung ist für Körper und Psyche nur kurzfristig ohne Schaden. Auf Dauer führt die Überaktivierung zu verschiedensten körperlichen und psychischen Symptomen und Erkrankungen. In der Evolution war eine Stresssituation aber üblicherweise nur vorübergehend und hierdurch auch nicht schädlich. Heute halten Stresssituationen oft an. So kann sich eine Arbeitsplatzbelastung oder ein Beziehungskonflikt jeden Tag wiederholen.

Lesen Sie auch: Hirnentzündung: Auslöser Stress

Messung der Herzschlagvariabilität

Früher konnten Ärzte auf die Aktivierung des vegetativen Nervensystems nur anhand der Symptome schließen. Seit wenigen Jahren ist es mit Hilfe der Bestimmung der Herzschlagvariabilität möglich, den Aktivierungsgrad des vegetativen Nervensystems direkt zu messen. Das Verfahren ist jedoch technisch durchaus anspruchsvoll. Messungen per App oder mit einfachen Brustgurten sind nicht aussagefähig. Die Ableitung muss immer mit mehreren Elektroden erfolgen, da nur ein einzelner falsch gemessener Herzschlag (Artefakt) das Ergebnis um 450 % verändert.

Stress und das Hormonsystem

Stress hat erhebliche Auswirkungen auf das Hormonsystem. Über einen komplexen Regelmechanismus des Gehirns führt Stress zu einer Ausschüttung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Unter hoher Stressbelastung kommt es zunächst zu einer vermehrten Freisetzung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Cortisol führt als Hormon zu zahlreichen körperlichen und psychischen Veränderungen wie Gewichtszunahme, Anstieg des Blutzuckers, Schlafstörungen und Reizbarkeit. Bei längerer Erhöhung von Cortisol kann es zu einer eingeschränkten Empfindlichkeit der Cortisol-Rezeptoren im ganzen Körper kommen. Zudem ist es möglich, dass die Nebennierenrinden nur eingeschränkt Cortisol produzieren. Dies nennt man Nebenniereninsuffizienz oder Morbus Addison. Die Nebenniereninsuffizienz kommt jedoch äußerst selten vor, und ein Zusammenhang mit übermäßiger Stressbelastung wird in der Literatur nicht beschrieben. Das von Alternativmedizinern oft propagierte und mit fraglichen Methoden laborchemisch nachgewiesene Konzept der „adrenal fatigue“ ist deshalb beim heutigen Stand des Wissens nicht zielführend.

Die Störungen der sogenannten HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse) sind deutlich komplexer. Es handelt sich in der Regel nicht einfach um eine „Schwäche der Nebennierenrinde“, sondern um eine komplexe Störung des hormonellen Regelkreises. Für eine Messung des Regelkreises muss am Vorabend eine kleine Dosis Cortison eingenommen und am nächsten Morgen die Cortisol-Aufwachreaktion gemessen werden (Dexamethason-Hemmtest). Insgesamt ist die Messung von Dysfunktionen der HPA-Achse mit heutigen Methoden zwar möglich, aber durchaus aufwendig. Die meisten vorgelegten Laborbefunde sind Einzelmesswerte mit fraglichen Normbereichen. Für eine belastbare Messung müssen mindestens sechs Messungen pro Tag über zwei Tage durchgeführt werden. Die Ergebnisse sind dann auf qualitativ hochwertige Normwerte zu beziehen (Cortisol-Tagesprofil). Die Messung von Cortisol ist aufgrund der eingeschränkten Aussagekraft jedoch nur in Ausnahmefällen empfehlenswert. So empfehle ich die Messung von Cortisol meist nur bei diagnostisch unklaren Erschöpfungszuständen („chronic fatigue syndrome“).

Neben der HPA-Achse beeinflusst Stress auch Wachstums- und Geschlechtshormone. So sinkt bei Affen im Tierversuch bei zunehmendem Stress durch zu hohe Dichte im Käfig das Testosteron mit resultierender Einschränkung der Fruchtbarkeit. Dies ist evolutionär ja für die Gruppe auch sinnvoll, da bei zu hoher Populationsdichte zusätzliche Nachkommen für Knappheit und zusätzlichen Stress sorgen würden. Bei Frauen verschiebt oder verändert sich bei Stress oft die Regelblutung. Bei extremer Stressbelastung kann die Regelblutung auch ganz ausbleiben. Auch bei der Frau sinkt unter Stress die Fruchtbarkeit. Auch die Veränderungen der Geschlechtshormone lassen sich mit heutigen Methoden messen.

Stress und das Immunsystem

Die Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem sind erheblich. Nicht umsonst setzt man das Stresshormon Cortisol in Form von Cortison medizinisch zur Unterdrückung des Immunsystems ein. Die Zusammenhänge zwischen Stress und Immunsystem wurden Jahrzehnte von der Medizin gar nicht gesehen. Erst in den letzten 10 Jahren hat sich hier ein erhebliches Wissen angesammelt und sich das neue Spezialgebiet der Psychoneuroimmunologie entwickelt. Unter Berücksichtigung der heutigen Forschungsergebnisse sind Nervensystem und Immunsystem eigentlich gar nicht voneinander zu trennen. Das Immunsystem reagiert bei psychischen Veränderungen unmittelbar mit. So unterdrückt das Immunsystem unter Belastung üblicherweise die Immunantwort auf Krankheitserreger wie Viren und Bakterien. Es ist ja auch nicht sinnvoll, unter Fieber und Krankheitsgefühl zu leiden, während man mit einem Säbelzahntiger kämpft. Die Immunantwort kommt erst nach Ende der Stressbelastung in der Phase der Erholung. So wundern sich zahlreiche Patienten, dass sie nicht während der Stressbelastung, sondern erst im anschließenden Urlaub krank wurden.

Dauerhafter Stress kann aber noch deutlich bedrohlichere Folgen haben als Infektionskrankheiten in Phasen der Erholung. Auf Dauer kann Stress zu einer übermäßigen Immunantwort oder einer fehlerhaften Immunantwort führen. So kann Stress bei entsprechender Anlage zu Autoimmunkrankheiten, Allergien und Krebserkrankungen führen. Diese Zusammenhänge sind vielen genau beobachtenden Ärzten seit Jahrzehnten und Jahrhunderten bekannt. Die Psychoneuroimmunologie entschlüsselt nun aber den dahinterstehenden Mechanismus.

Heilung von Stressbedingten Symptomen und Erkrankungen

Bereits eingetretene körperliche Erkrankungen wie ein manifester Bluthochdruck oder eine Zuckerkrankheit lassen sich oft nicht mehr im Sinne einer Heilung beeinflussen. Hier besteht die Zielsetzung, das Fortschreiten der Erkrankung und das Auftreten von anderen Erkrankungen zu verhindern. Auch bei Allergien und Autoimmunerkrankungen gibt es nicht wirklich „einen Rückwärtsgang“. Symptome wie Herzrasen, Atemnot, Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen bilden sich jedoch regelhaft nach erfolgreichem Stressabbau auch tatsächlich vollständig zurück. Eine Heilung ist also am ehesten möglich, solange es sich noch um Symptome und nicht um Erkrankungen handelt. Ähnlich verhält es sich mit den mit Stress in Verbindung stehenden psychischen Erkrankungen. So heilt ein durch Stress verursachter Erschöpfungszustand nach erfolgreichem Stressabbau meist folgenlos aus. Eine durch Stress ausgelöste Depression ist hingegen deutlich schwerer und langwieriger zu behandeln. Bei stressbedingten Symptomen und Erkrankungen sollte deshalb möglichst früh und möglichst ursächlich in den Krankheitsprozess eingegriffen werden.

Forschung zu Stress und psychischen Störungen

Welche genetischen und neuronalen Veränderungen verursacht Stress während der Entwicklung? Und wie können diese Veränderungen psychische Störungen auslösen? Diesen Fragen geht die Fulbright-Stipendiatin Nella Christie Delva im Forschungsteam von Annette Hammes-Lewin nach. Trennt man ein Mäusebaby in einem kritischen Stadium seiner frühen Entwicklung von seiner Mutter, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es als ausgewachsenes Tier Anzeichen von Angst und Depression zeigt. Solche Studien faszinieren Nella Christie Delva seit jeher. Für ihre Doktorarbeit an der Florida State University hat sie sich die Frage ausgesucht, wie genetische und neuronale Veränderungen bei Mäusen dazu führen können, dass sie eher depressiv verhalten, wenn sie in ihrer Umgebung Stress ausgesetzt sind. Sie will mit ihrer Forschung zu einem besseren Verständnis beitragen, warum manche Menschen widerstandsfähig sind, obwohl sie durchaus Stress ausgesetzt sind, während andere emotionale Störungen entwickeln.

Ihr Schwerpunkt ist die Rolle von Dopaminrezeptoren in einem Subtyp von Neuronen. Sie hat herausgefunden, dass Mäuse, denen Dopaminrezeptoren (D1) fehlen, weniger anfällig für depressive Verhaltensweisen sind. Ihre Daten deuten auf einen neuen Mechanismus hin, der möglicherweise zur Behandlung von Depressionen, Angstzuständen und posttraumatischer Belastungsstörung bei Menschen eingesetzt werden könnte.

Delva, die derzeit mit einem Fulbright-Stipendium am Max Delbrück Center ist, steht kurz vor dem Abschluss ihrer Dissertation und wird im Labor von Professorin Annette Hammes-Lewin, Leiterin der Arbeitsgruppe „Molekulare Signalwege in der kortikalen Entwicklung“, forschen. Hammes-Lewin entwickelt aus humanen induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnene neuronale Vorläuferzellen und Neuronen. Diese spezialisierten Zellen können menschliches Gewebe nachahmen. Delva sieht in der Methode die Möglichkeit, die Auswirkungen von Stress auf Nervenbahnen in einem Modell zu erforschen, das der menschlichen Biologie näherkommt.

„Die Expertise des hiesigen Labors, die für Stressreaktionen spezifischen menschlichen Zellpopulationen nachzubilden, ist einzigartig. Es bietet eine Basis, um die molekularen Auswirkungen von Stress auf eine Art und Weise zu testen und zu verstehen, die mit herkömmlichen Tiermodellen nicht vollständig erfasst werden kann“, erklärt Delva. Sie freut sich darauf, ihre Experimente in einem neuen Umfeld zu beginnen. „In einer Umgebung zu sein, in der alle frei ihre Ideen austauschen, hat mir geholfen, kritisch und kreativ zu denken.

Chronischer Stress und das Immunsystem

Chronischer Stress wirkt sich auf das Immunsystem und das Gehirn aus. Forschende der Universität Zürich (UZH) zeigen, dass unter Stress ein bestimmtes Enzym aus Immunzellen ins Gehirn gelangt. Bei Mäusen bewirkt es, dass sie sich zurückziehen und soziale Kontakte meiden, als ob sie depressiv seien. Chronischer Stress hat tiefgreifende Auswirkungen auf den Körper. So gehen zum Beispiel viele stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen mit Veränderungen des Immunsystems einher. Einen zentralen Mechanismus hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich (UZH), der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) und der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, nun entschlüsselt.

„Wir konnten zeigen, dass Stress die Menge des Enzyms Matrixmetalloproteinase 8 - kurz MMP8 - im Blut von Mäusen erhöht. Dieselbe Veränderung fanden wir auch in Patientinnen und Patienten mit einer Depression“, berichtet Erstautor Flurin Cathomas. Vom Blut gelangt MMP8 ins Gehirn und verändert dort die Funktionstüchtigkeit bestimmter Nervenzellen. Im Tiermodell konnten die Forschenden zeigen, dass bei Stress vermehrt Monozyten - eine bestimmte Art weißer Blutkörperchen - ins Gefäßsystem des Gehirns wandern, besonders in die Regionen des Belohnungszentrums. Diese Immunzellen produzieren das Enzym MMP8. Es ist am Umbau und der Regulation des netzartigen Gerüsts beteiligt, das die Nervenzellen im Gehirn umgibt - die sogenannte extrazelluläre Matrix.

„Dringt das Protein aus dem Blut ins Hirngewebe ein, verändert es das Zellgerüst und stört so die Funktion der Nervenzellen. Um nachzuweisen, dass tatsächlich MMP8 für die Verhaltensänderungen verantwortlich ist, entfernten die Forschenden bei einem Teil der Mäuse das MMP8-Gen. Diese Tiere waren im Vergleich zu Kontroll-Mäusen vor den negativen stressbedingten Verhaltensänderungen geschützt. „Dass die in den Mäusen gefundenen Ergebnisse auch für Menschen relevant sind, zeigen unsere Analysen im Blut von depressiven Patienten. Bevor die Ergebnisse in die klinische Praxis implementiert werden können, braucht es noch viele weitere Studien.

„Unsere Arbeit zeigt aber einmal mehr auf, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen dem Immunsystem und dem Gehirn bei der Entstehung von psychiatrischen Erkrankungen ist. Diese Erkenntnisse fließen schon heute in die psychiatrische Behandlung mit ein“, resumiert Cathomas. Das Forscherteam plant nun klinische Studien, um zu untersuchen, inwieweit das Immunsystem durch die Stimulation gewisser Gehirnareale beeinflusst werden kann.

Dynamische Reaktion des Gehirns auf Stress

Haben Mathematikaufgaben Sie in der Schule unter Stress gesetzt? So erging es Probanden einer Studie zur Reaktion des Gehirns auf Stress. Forscher betrachteten darin erstmals die gesamte Dauer einer solchen Situation. Sie fanden nicht nur Veränderungen in der Kommunikation von Hirnregionen, sondern einen dynamischen Prozess: Verschiedene Netzwerke agierten unterschiedlich im Lauf der akuten Belastung. Bisher wussten Experten wenig über die dynamischen Prozesse im Gehirn bei akutem Stress. Im Vordergrund ihrer Forschung stand meist, welche Areale zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv sind. Jetzt aber haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPI) und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen über den gesamten Zeitraum einer belastenden Situation, wie dem Lösen einer kniffligen Rechenaufgabe, beobachtet, was im Gehirn geschieht.

„Unsere Studie zeigt nicht nur, wo Veränderungen auftreten, sondern wie verschiedene Hirnregionen zusammenspielen und wie sich ihre Kommunikation im Lauf der Situation verändert“, fasst Erstautorin Anne Kühnel vom MPI zusammen. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Biological Psychiatry veröffentlicht. Die Probanden sollten im Magnetresonanztomographen unter Zeitdruck Matheaufgaben lösen. Und egal, wie gut sie das machten, sie bekamen negatives Feedback - eine Stresssituation!

Die dynamische Reaktion der Netzwerke im Gehirn der Studienteilnehmer fiel unterschiedlich aus. Die Wissenschaftler konnten sie damit in Verbindung bringen, wie ängstlich oder niedergeschlagen ihre Teilnehmer waren. Bekannt ist: Je ängstlicher, zurückhaltender oder depressiver, je negativer die Grundstimmung eines Menschen, desto höher ist das Risiko einer psychischen Erkrankung.

„Die veränderte Kommunikation zwischen den Gehirnarealen stützt die These, dass psychische Störungen Netzwerk-Erkrankungen sind, bei denen das Zusammenwirken von neuronalen Einheiten gestört ist“, sagt MPI-Direktorin Elisabeth Binder und fährt fort: „Die neuen Erkenntnisse sind wichtig für die Entwicklung individuellerer Diagnosen und personalisierter Therapien.“

Gerade für individualisierte Ansätze in der Behandlung von stressbedingten Erkrankungen sieht Nils Kroemer, der die Arbeitsgruppe Computational Psychiatry in Tübingen leitet, großes Potenzial durch die neue Studie: „Wir konnten erstmals zeigen, wie wichtig individuelle Muster der Stressantwort im Gehirn sind, um das Erleben von Stress - einschließlich ungünstiger Nachwirkungen der Belastung - besser zu verstehen. In der Zukunft könnten wir unsere dynamischen Modelle der Hirnantwort einsetzen, um beispielsweise die gezielte Wirkung von Medikamenten zu untersuchen, die die Stressantwort bei Personen mit einem hohen Risiko verbessern könnten.“

Die Wissenschaftler bezogen Menschen mit und ohne affektive Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen in ihre Studie ein. Neben Aufnahmen im Magnetresonanztomographen maßen sie das Stresshormon Cortisol und die Herzfrequenz.

Resilienz entwickeln

Resilienz ist die Fähigkeit, auf die kleinen und großen Belastungen des Lebens schnell, anpassungsfähig und flexibel zu reagieren. Resilienz ist von Natur aus in uns allen! Unsere inneren Stärken und Ressourcen bilden die Grundlage für unsere psychische Widerstandskraft. Wie schnell wir uns von bestimmten Dingen stressen lassen, hängt von unseren erlernten Mustern des Reagierens auf andere Menschen und Ereignisse ab. Negative Muster können sich mit der Zeit selbst verstärken, wenn wir uns oft Gedanken hingeben wie Ärger, Getriebensein, Enttäuschung, Sorgen, Hilflosigkeit, Misserfolge, Unbehagen, Fehler. Stehen wir unter Stress, sind wir besonders empfänglich für negative Eindrücke und Bewertungen, denn unser körpereigenes Alarmzentrum im Gehirn - die Amygdala - ist aktiv.

Es ist wichtig, uns auf positive Erfahrungen in schwierigen Situationen zu besinnen, wie Erfolge, Mut, Zufriedenheit, Ruhe, Freude, Sicherheit, Vertrauen, Mitgefühl, Anpassungsfähigkeit, Offenheit, Zuversicht, Kompetenz. Wir können nicht immer die äußere Situation ändern, aber mehr mentale Ressourcen und Stärken in uns identifizieren, die uns helfen, mit schwierigen Situationen besser umzugehen, so dass sie weniger belastend sind.

Stress und Gedächtnis

Fast jeder Mensch hat zu einem gewissen Grad mit Stress zu kämpfen. Dass Stress sich negativ auf unsere Gesundheit auswirkt, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass Stress auch Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen auslösen kann, die uns im Alltag massiv beeinträchtigen, z.B. Vergessen von Vorhaben, Terminen, Aufträgen, Störungen der Merkfähigkeit und der Konzentration, Wortfindungsstörungen, Blockaden beim Abruf von Gedächtnisinhalten (z.B. Die Betroffenen denken häufig zunächst an eine beginnende Alzheimer-Krankheit und suchen uns auf. Wir stellen in solchen Fällen aber keine organische Erkrankung des Gehirns fest. Bei sehr großem, aber auch bei chronischem Stress können Stresshormone die Gedächtniszentrale im Gehirn überlasten, und es kommt zu Blockaden und Aussetzern. Außerdem neigen Menschen im Stress dazu, innerlich abgelenkt zu sein: Sie grübeln über vergangene Konfliktsituationen und zukünftige Schwierigkeiten. Wenn man nun diese Gedächtnisaussetzer an sich bemerkt, setzt manchmal ein psychischer Prozess ein, der in einen „Teufelskreis" einmündet: Man bemerkt die Gedächtnisfehler und macht sich Sorgen darüber, dass etwas mit einem nicht stimmen könnte. Nun schenkt man den Gedächtnisfehlern wiederum mehr Beachtung. So entsteht wieder neuer Stress, und der Teufelskreis schließt sich.

tags: #gehirn #und #stress #auswirkungen