Neurodegenerative Erkrankungen: Ursachen und Mechanismen des Gehirnabbaus

Mit zunehmendem Alter kommt es häufig zum Verlust von Nervenzellen und Zellfunktionen. Da der Anteil älterer Menschen in der deutschen Bevölkerung stetig wächst, stellen neurodegenerative Erkrankungen eine wichtige medizinische Herausforderung für die kommenden Jahrzehnte dar. Expertenschätzungen zufolge sind bereits heute rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland von Demenz betroffen. Neben der Parkinson-Krankheit und verschiedenen Demenzformen gibt es eine Reihe weiterer neurodegenerativer Erkrankungen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen und Mechanismen, die zum Abbau des Gehirns bei diesen Erkrankungen führen.

Neurodegeneration: Ein fortschreitender Prozess

Neurodegenerative Erkrankungen sind durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet. Die Nervenzellen des Gehirns sind zwar sehr langlebig, können sich aber bei Verletzungen nur schwer oder gar nicht regenerieren. Die Neurodegeneration führt zum Absterben von Nervenzellen, wobei die genauen Ursachen je nach Krankheit variieren und oft nur teilweise bekannt sind. Letztlich führt dieser Prozess dazu, dass ganze Hirnbereiche ihre Funktionen verlieren. Betroffene verlieren dadurch bestimmte motorische oder mentale Fähigkeiten. Dieser Degenerationsprozess ist unumkehrbar und führt zu einem frühzeitigen Tod. Daher gelten neurodegenerative Erkrankungen nach heutigem Stand als unheilbar.

Ursachen und Mechanismen

Die Ursachen für neurodegenerative Erkrankungen sind vielfältig und komplex. Sie reichen von genetischen Defekten über Umweltfaktoren bis hin zu Autoimmunprozessen.

Genetische Faktoren

Bei bestimmten Formen der Parkinson-Krankheit oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit führt eine genetische Besonderheit zur Zusammenlagerung von Eiweißstoffen in den Nervenzellen des Gehirns. Diese Aggregate beeinträchtigen die Funktion der Zellen und führen schließlich zu ihrem Tod. Bei Menschen mit der Huntington-Krankheit tritt eine bestimmte genetische Sequenz im Erbgut deutlich häufiger auf als bei gesunden Menschen. Die Huntington-Erkrankung geht auf einen Gendefekt zurück und ist damit ausschließlich erblich bedingt. Wie bei Parkinson sind ebenfalls jene Nervenzellen betroffen, die an der Steuerung von Bewegungsabläufen beteiligt sind.

Einige Gefäßerkrankungen, die eine vaskuläre Demenz begünstigen, sind erblich und können, wenn eine genetisch bedingte Erkrankung vermutet wird, über Tests nachgewiesen werden.

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Immunologische Faktoren

Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass auch das Immunsystem Auswirkungen auf die Entstehung und den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen haben kann. Immunzellen, die den Körper eigentlich schützen sollen, könnten im Gehirn Schäden anrichten und so beispielsweise die Alzheimer-Krankheit antreiben. Neuronale Funktionsstörungen können auch durch das körpereigene Immunsystem ausgelöst werden, indem bestimmte Zellen im Gehirn und Nervensystem fälschlicherweise als fremd eingestuft und von den Immunzellen geschädigt werden.

Ein Forschungsteam hat eine neue Art der zerebellären Ataxie entdeckt, bei der ein Autoantikörper namens Anti-DAGLA sich gegen Kleinhirnzellen richtet und so zu einer schweren Entzündung führt.

Umweltfaktoren und Lebensstil

Auch äußere Einflüsse können zu Störungen der Hirnfunktion führen. Infektionen durch Bakterien und Viren können beispielsweise zu einer Entzündung der Hirnhäute führen, die das Gehirn schädigt und sogar tödlich enden kann. Auch Giftstoffe wie Quecksilber und Blei können zu schweren Beeinträchtigungen von Gehirn und Nervensystem führen.

Bewegungsmangel, Rauchen und ungesunde Ernährung können zur Entwicklung einer vaskulären Demenz beitragen.

Vaskuläre Ursachen

Die vaskuläre Demenz entsteht aufgrund von Durchblutungsstörungen im Gehirn, die durch Ablagerungen in Blutgefäßen, Blutgerinnsel oder Hirnblutungen verursacht werden können. Diese Störungen führen zu einer Unterversorgung von Hirnbereichen mit Sauerstoff, was die Schädigung oder das Absterben von Hirnzellen zur Folge haben kann. Risikofaktoren für vaskuläre Demenz sind Beeinträchtigungen des Herz-Kreislauf-Systems, Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes mellitus und Fettstoffwechselstörungen.

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Die häufigste Ursache für eine Schädigung von Gehirn und Nervensystem ist eine mangelnde Durchblutung, da das Gehirn einen hohen Energiebedarf hat und auf eine kontinuierliche Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen angewiesen ist.

Spezifische Krankheitsbilder

Charakteristisch für neurodegenerative Erkrankungen ist, dass meist nicht das ganze Gehirn betroffen ist, sondern unterschiedliche, oft sehr genau umschriebene Bereiche beziehungsweise Zelltypen.

  • Parkinson-Krankheit: Ausschließlich Nervenzellen betroffen, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Dopamin wird für die Bewegungssteuerung benötigt. Die Bewegungsabläufe der Betroffenen wirken steif und verlangsamt, oder sie zeigen Muskelzittern (Tremor).
  • Huntington-Krankheit: Nervenzellen betroffen, die an der Steuerung von Bewegungsabläufen beteiligt sind und den Botenstoff Glutamat produzieren. Die Betroffenen zeigen ausladende Bewegungen, die wie ein Tanz wirken können.
  • Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Selektiv sogenannte Motoneurone zugrunde, die das Gehirn mit der Muskulatur verbinden. Das Gehirn kann die Muskeln nicht mehr „ansteuern“, was zu Lähmungen führt.
  • Alzheimer-Krankheit: Wichtige Teile der Großhirnrinde werden nach und nach zerstört. Die Folge sind Gedächtnisschwund, Sprachstörungen und motorische Störungen. Im Gehirn von Menschen mit Alzheimer sammelt sich übermäßig viel Amyloid-beta zwischen den Gehirnzellen an und bildet Klumpen (Plaques). Außerdem ist das Tau-Protein chemisch verändert und kann seiner Funktion nicht mehr nachkommen.
  • Frontotemporale Demenz (Morbus Pick): Nervenzellen in Stirn- und Schläfenlappen werden zerstört, was zu Veränderungen der Persönlichkeit und Verhaltensweisen führt.
  • Zerebelläre Ataxie: Eine neurologische Störung des Kleinhirns, die zu Schwierigkeiten beim Gehen, Sprechen und Greifen oder auch bei kontrollierten Augenbewegungen führen kann.

Diagnose

Die Diagnose neurodegenerativer Erkrankungen ist oft komplex und erfordert eine sorgfältige Anamnese, neurologische Untersuchungen und bildgebende Verfahren wie MRT des Gehirns. Spezialisierte Ärztinnen und Ärzte können anhand der Symptome erkennen, um welches neurodegenerative Störungsbild es sich handeln könnte. Bildgebende Verfahren wie ein MRT des Gehirns können schon in früheren Phasen anzeigen, in welchen Bereichen die Nervenzellen verloren gehen. Bei Parkinson beginnt der Verfall der Nervenzellen im Mittelhirn, bei Alzheimer ist der Hippocampus betroffen. Zusätzlich kommen bei den unterschiedlichen Formen der Demenz psychologischen Tests, neurologischen Untersuchungen und Bluttests zum Einsatz.

Bei der vaskulären Demenz werden das Herz-Kreislauf-System sowie neurologische Funktionen, zum Beispiel der Gleichgewichtssinn, untersucht. Blutuntersuchungen können Hinweise auf Risikofaktoren für Durchblutungsstörungen geben. Durchblutungsstörungen im Gehirn können mit Medikamenten behandelt werden, ebenso einige Risikofaktoren, wie zum Beispiel Bluthochdruck.

Therapieansätze

Bisher ist keine Heilung für neurodegenerative Erkrankungen möglich. Die Therapie zielt darauf ab, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Symptome zu lindern, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

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  • Medikamentöse Therapie: Bei Parkinson wird eine Form von Dopamin als Medikament verabreicht, um den Dopaminverlust auszugleichen. Auch bei Alzheimer lindern Medikamente die Symptome. Durchblutungsstörungen im Gehirn bei vaskulärer Demenz können mit Medikamenten behandelt werden, ebenso einige Risikofaktoren wie Bluthochdruck.
  • Nicht-medikamentöse Therapie: Psychotherapie, Physiotherapie und Ergotherapie können den Betroffenen helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen und ihre Fähigkeiten zu erhalten. Eine neurologische Rehabilitation zielt darauf ab, geistige Fähigkeiten und Aktivitäten des täglichen Lebens zu fördern. Weitere Therapiemaßnahmen orientieren sich an den individuellen Krankheitsanzeichen, wie Gehhilfen bei Gangstörungen, Toilettentraining oder eine Schlucktherapie.
  • Lebensstiländerungen: Eine gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und geistige Aktivität können dazu beitragen, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt Alltagstipps, um mit vaskulärer Demenz besser und oft auch länger allein leben zu können: Erinnerungshilfen nutzen, die Wohnung sicherer gestalten, den Haushalt übersichtlicher machen, dem Alltag eine feste Struktur geben, Hobbys betreiben und die körperliche Gesundheit pflegen.
  • Autoimmuntherapie: Bei der zerebellären Ataxie, die durch Autoantikörper verursacht wird, kann eine Immuntherapie mit entzündungshemmenden Medikamenten und dem Wirkstoff Rituximab den Gesundheitszustand verbessern.

Forschung und Ausblick

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und viele weitere Einrichtungen in Deutschland und weltweit forschen intensiv an den Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten neurodegenerativer Erkrankungen. Gezielte Investitionen in die biologische und medizinische Forschung sind unerlässlich, um der Erkrankung auf die Spur zu kommen und Heilungsmethoden zu entwickeln.

Ein Forschungsteam arbeitet an der Entwicklung zielgerichteter molekularer Therapien für erbliche Koordinationsstörungen (zerebelläre Ataxie). Eine Therapieidee ist, den Fehler im Gen direkt zu reparieren oder das fehlende Enzym zu ersetzen oder in seiner Wirkung zu unterstützen.

Die Forschung geht davon aus, dass die für Alzheimer typischen molekularen Prozesse im Gehirn Jahre oder Jahrzehnte vor dem Auftreten der ersten Symptome beginnen. Daher ist es wichtig, Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Prävention

Die frühzeitige Behandlung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Adipositas ist ein wichtiger Beitrag zur Demenzvorsorge. Darüber hinaus ist es wichtig, mit seinem persönlichen Lebensstil zur Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems beizutragen: ausgewogene Ernährung, körperliche Bewegung, nicht rauchen und ein geistig und sozial aktives Leben.

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