Glycin: Neurotransmitter, Baustein und Multitalent für Körper und Psyche

Glycin ist eine bemerkenswerte Aminosäure mit vielfältigen Funktionen im menschlichen Körper. Lange Zeit wurde Glycin als nicht-essentielle Aminosäure betrachtet, doch neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die körpereigene Synthese möglicherweise nicht immer ausreichend ist. Glycin ist nicht nur ein wichtiger Baustein von Proteinen, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle als Neurotransmitter im zentralen Nervensystem.

Glycin: Definition und allgemeiner Aufbau

Glycin ist die kleinste der 21 proteinogenen Aminosäuren und eine von zwanzig standardisierten Aminosäuren, die zur Herstellung von Proteinen beim Menschen benötigt werden. Die molekulare Formel von Glycin lautet [C2H5NO_2]. In ihrer Struktur ist Glycin einfach und unpolar. Es ist die einzige Aminosäure, die kein Chiralitätszentrum besitzt und somit achiral ist. Mehr noch, es ist die kleinste Aminosäure mit einer Wasserstoffatomen-Seitenkette, die es ermöglicht, flexibel in Proteinstrukturen zu operieren.

Symbol: GlyStrukturformel: H2N-CH2-COOH

Wo findet man Glycin?

Glycin findet sich in vielen tierischen und pflanzlichen Proteinen. Insbesondere tierische Produkte wie Fleisch, Fisch und Milchprodukte enthalten hohe Mengen an Glycin. Aber auch pflanzliche Lebensmittel wie Bohnen, Nüsse und bestimmte Gemüsesorten sind gute Quellen für Glycin. Ein Gramm Gelatine enthält fast 2-3 % Glycin. Es ist auch in hohen Mengen in der Haut und im Bindegewebe von Tieren vorhanden.

L-Glycin vs. Glycin: Gibt es einen Unterschied?

Es gibt keinen Unterschied zwischen L-Glycin und Glycin. In der Biologie und Biochemie wird das "L-" oder "D-" vor einer Aminosäure oft verwendet, um die Konfiguration um das alpha Kohlenstoffatom zu kennzeichnen. Bei den meisten Aminosäuren gibt es sowohl eine L- als auch eine D-Konfiguration. Glycin ist jedoch eine Ausnahme, da es keinen Seitengruppen-Substituenten besitzt, der eine Räumlichkeit um das zentrale Kohlenstoffatom erzeugen könnte, sodass es weder L- noch D-Konfiguration hat. Daher ist L-Glycin eigentlich nur ein anderes Wort für Glycin.

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Glycin als Neurotransmitter

Eine der wichtigsten Funktionen von Glycin ist seine Rolle als Neurotransmitter. Das sind chemische Botenstoffe, die die Weiterleitung von Reizen von einem Nerv zum anderen ermöglichen. Jeder Neurotransmitter hat bestimmte „Andockstellen“ (Rezeptoren), an die er binden kann. Neben den Glycinrezeptoren gibt es andere Rezeptoren (NMDA-Rezeptoren), die durch Glycin mitaktiviert werden. Sie kommen hauptsächlich im zentralen Nervensystem vor.

Die Bedeutung von Glycin in der Neurobiologie liegt in seiner Rolle als hemmender Neurotransmitter. Es hat die Fähigkeit, die Aktivität von Neuronen zu reduzieren und hilft dadurch, die neuronale Aktivität zu regulieren. Dies ist besonders wichtig zur Verhinderung von übermäßiger neuronaler Erregung, die zu neurologischen Störungen wie Epilepsie führen kann.

Glycin Wirkung: Erläuterungen und Beispiele

Strukturell ist Glycin ein einfaches und unpolares Molekül, das als hemmender Neurotransmitter im Zentralnervensystem wirkt, was bedeutet, dass es dazu beiträgt, die Nervenaktivität zu dämpfen oder zu verringern. Es erfüllt diese Funktion, indem es nach seiner Freisetzung an spezifische Rezeptoren auf der Zelloberfläche bindet und dadurch die Durchlässigkeit der Zelle für negative Chlorid-Ionen erhöht. Dies hat zur Folge, dass das innere Potential der Nervenzelle abnimmt, wodurch die Erregbarkeit des Neurons reduziert wird. Oder einfacher ausgedrückt: Glycin beruhigt das Gehirn.

Ein klassisches Beispiel für die Wirkung von Glycin ist seine Rolle bei der Regulation von Schlaf und Wachheit. Es wurde gefunden, dass Glycin die Qualität des Schlafes verbessert, indem es die Körpertemperatur senkt und die Schlafzyklen normalisiert. Darüber hinaus steigert es auch die Produktion von Serotonin, einem wichtigen Neurotransmitter, der bei der Regulierung des Schlaf-Wach-Zyklus eine wesentliche Rolle spielt. Hohe abendliche Dosen an Glycin wirken überdies sehr gut schlaffördernd und -verlängernd. Ferner gibt es Evidenz, dass Glycin die Ausschüttung des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn erhöht, was in einer Verbesserung der Schlafqualität resultiert.

Im zentralen Nervensystem wirkt Glycin zusätzlich als Botenstoff mit GABAähnlicher inhibitorischer (dämpfender) Wirkung, beziehungsweise als Koaktivator von NMDARezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor) auch als exzitatorischer Transmitter. Glycin besitzt zudem angstlösende und leicht antidepressive Eigenschaften. Der Wirkmechanismus von Glycin beruhe wahrscheinlich auf einem Antagonismus zu Noradrenalin. Glycin könne die Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus coeruleus hemmen, wodurch die Entstehung von Ängstlichkeit sowie eine Übererregbarkeit gedämpft würden.

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Schlüsselrollen von Glycin in der Neurotransmission

Wie bereits betont, hat Glycin als hemmender Neurotransmitter tiefgreifende Auswirkungen auf die Neurotransmission - den Prozess der Signalübertragung zwischen Neuronen. Insbesondere bestehen die Schlüsselrollen, die Glycin in dieser Hinsicht spielt, in der Regulierung von Erregbarkeit und Aktivität unserer Neuronen.

Erstens kann Glycin als Neurotransmitter die Erregung von Neuronen dämpfen und so die Wahrscheinlichkeit verringern, dass ein Aktionspotential erzeugt wird. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass unsere neuronalen Netzwerke nicht überaktiviert werden, was zu Störungen wie Epilepsie führen kann.

Zweitens beinhaltet die Freisetzung von Glycin in den synaptischen Spalt - dem Raum zwischen Neuronen -, dass es an bestimmte Rezeptoren auf der postsynaptischen Zelle (dem zur Synapse hin gerichteten Teil des Neurons) binden kann. Im speziellen Fall von Glycin handelt es sich bei diesen Rezeptoren um die sogenannten Glycinrezeptoren, die zur Familie der Cys-Loop-Rezeptoren gehören.

Diese spezialisierten Rezeptoren haben eine ionotrope Funktion, d.h., sie fungieren als Ionenkanäle: Wenn sie durch das Andocken von Glycin aktiviert werden, öffnen sie sich und lassen Chlorid-Ionenfluss zu, was wie bereits beschrieben die Hyperpolarisation und damit die Reduktion der neuronalen Erregbarkeit bewirkt.

Glycinergic Neurotransmission und Chloride Homeostasis

In der Neurotransmission ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Signalen für eine gesunde Funktion des Nervensystems notwendig. Glycin, das an den Glycinrezeptor bindet, hat eine entscheidende Funktion in dieser Balance. Es verursacht eine Erhöhung der negativ geladenen Chloridionen im Inneren der Neuronen, was zu einer Verringerung der neuronalen Erregbarkeit führt. Daher wird es als hemmender Neurotransmitter klassifiziert.

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Gleichzeitig spielt Glycin jedoch auch eine Rolle in der Chlorid-Homöostase. Dies bezieht sich auf das Gleichgewicht, das im Körper aufrechterhalten wird, um die richtige Konzentration von Chloridionen zu gewährleisten. Chloridionen sind essentiell für viele Körperfunktionen, einschließlich der Flüssigkeitsbalance und der Funktion des Nervensystems. Daher ist eine korrekte Chlorid-Homöostase von entscheidender Bedeutung für unsere Gesundheit.

Im Kontext der Glycinergen Neurotransmission hat die Chlorid-Homöostase besondere Konsequenzen. Da Glycin-Rezeptoren Chloridionenkanäle sind, ist ihr ordnungsgemäße Funktion davon abhängig, dass die Chloridkonzentration auf beiden Seiten der neuronalen Membran korrekt geregelt ist.

Weitere Funktionen von Glycin im Körper

Glycin ist nicht nur ein Neurotransmitter, sondern auch an vielen anderen wichtigen Prozessen im Körper beteiligt:

  • Baustein von Proteinen: Glycin ist ein wichtiger Baustein nahezu aller Körperproteine, unter anderem von Kollagen und Hämoglobin. Im Bindegewebsprotein Kollagen kommt die Aminosäure jedoch weitaus häufiger vor: Kollagen besteht zu ca.
  • Bestandteil von Acetylcholin: Glycin ist zudem ein Bestandteil von Acetylcholin, einem bedeutenden Neurotransmitter im vegetativen Nervensystem, dessen Ausschüttung es stimuliert.
  • Immunabwehr: Studien belegen, dass Glycin die Immunabwehr anregt.
  • Antioxidative Wirkung: Als Komponente von Glutathion ist Glycin antioxidativ und zytoprotektiv wirksam. Glutathion besteht aus den Aminosäuren Glycin, Cystein und Glutaminsäure.
  • Schmerzempfinden, Lernen und Gedächtnis: Glycin hat eine modulierende Wirkung auf das Schmerzempfinden, Lernen und Gedächtnis.
  • Hämoglobinbildung: Eine weitere Aufgabe von Glycin besteht darin, sich an der Bildung von Hämoglobin zu beteiligen, dem roten Blutfarbstoff.
  • Entgiftung: Glycin weist darüber hinaus eine Wirkung bei der Entgiftung des Körpers durch die Leber auf.
  • Kreatinsynthese: Glycin wird außerdem gebraucht, um Kreatin herzustellen (zu synthetisieren). Diese Substanz ist wichtig für die Energieversorgung der Muskulatur.
  • Gallensäuresynthese: Auch für die Gallensäuresynthese wird die Aminosäure benötigt.
  • Blutzuckerregulation: Bei Bedarf können manche Aminosäuren (u. a. Glycin, Alanin und Glutamin) in Zucker (Glucose) umgewandelt werden. Dieser Prozess ist als Gluconeogenese bekannt. Die Aminosäure ist zudem an der Mobilisierung von Glucagon beteiligt und fördert den Abbau des in der Leber gespeicherten Glykogens.
  • Blutdrucksenkung: Glycin wirkt der Entstehung von freien Radikalen entgegen, wodurch die Verfügbarkeit von Stickstoffmonoxid erhöht wird. Außerdem kann die Aminosäure durch die Förderung der Elastinsynthese die Elastizität der Gefäße verbessern, was ebenfalls zur Blutdrucksenkung beiträgt.

Glycin und Schlaf

Glycin kann die Schlafqualität verbessern, indem es die Körpertemperatur senkt und die Schlafzyklen normalisiert. Es steigert auch die Produktion von Serotonin, einem wichtigen Neurotransmitter, der bei der Regulierung des Schlaf-Wach-Zyklus eine wesentliche Rolle spielt. Hohe abendliche Dosen an Glycin wirken überdies sehr gut schlaffördernd und -verlängernd.

Glycin bei Schizophrenie

Schizophrenie ist durch eine Unterfunktion der NDMA-Rezeptoren gekennzeichnet. Tatsächlich lässt sich in Studien eine positive Wirkung bei Schizophrenie bestätigen. Glycin kann vor allem das Auftreten von Negativsymptomen beeinflussen.

Glycin und Kollagensynthese

Glycin ist in großen Mengen in den Kollagenmolekülen enthalten, jede dritte Aminosäure ist Glycin. Eine unzureichende Glycinverfügbarkeit kann also die Bildung der Kollagene beeinträchtigen. Eine Studie der Universität Teneriffa konnte nachweisen, dass eine Glycinsupplementierung zu einer deutlichen Besserung von Arthrosebeschwerden führte. Die gleiche Forschergruppe hatte bereits 2009 veröffentlicht, dass die endogene Glycinsynthese nicht den Glycinbedarf für die Kollagensynthese decken könne.

Glycin und Stoffwechselerkrankungen

Bei Übergewicht/ Adipositas, Typ-2-Diabetes und nichtalkoholischer Fettlebererkrankung wurden häufig verminderte Glycinkonzentrationen im Plasma nachgewiesen. Es gibt erste Hinweise, dass eine Glycinsupplementierung bei ausgewählten Patienten mit Übergewicht oder Prädiabetes die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes vermindern könnte.

Ist Glycin schädlich?

In der Regel wird Glycin gut vertragen und gilt als sicher und ungiftig, auch in höheren Dosen. Es ist ein natürliches Produkt des menschlichen Körpers und als solches spielt es eine wichtige Rolle in vielen physischen Prozessen. Allerdings gibt es einige Berichte über mögliche Nebenwirkungen von Glycin, insbesondere wenn es als Nahrungsergänzungsmittel in hohen Dosen eingenommen wird. Dazu könnten gehören:

  • Magendarmbeschwerden
  • Übelkeit
  • Erbrechen

Es gibt auch Berichte, die auf einen möglichen Zusammenhang zwischen hohen Glycin-Spiegeln im Körper und bestimmten Erkrankungen hinweisen, einschließlich bestimmter Stoffwechselkrankheiten, neurologischen Störungen und Nierenschäden. Allerdings ist zu beachten, dass diese Effekte normalerweise nur bei Menschen auftreten, die ungewöhnlich hohe Mengen an Glycin zu sich nehmen, und für die meisten Menschen ist dies kein Anliegen.

Obwohl die Nebenwirkungen in der Regel mild und vorübergehend sind, ist es immer ratsam, vor Beginn einer Nahrungsergänzung mit Glycin oder einer anderen Substanz einen Arzt zu konsultieren. Dies gilt insbesondere, wenn du andere Medikamente einnimmst oder eine bestehende Gesundheitsbedingung hast.

Glycin als Nahrungsergänzungsmittel

Für Aminosäuren wie Glycin, die der Körper selbst herstellt, gibt es keine Referenzwerte für eine Zufuhr der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die DGE nennt lediglich Empfehlungen für die tägliche Proteinzufuhr von Erwachsenen im Alter von 19 bis 65 Jahren. Neuere Studien haben allerdings gezeigt, dass die frühere Annahme, der Körper stelle nicht-essenzielle Aminosäuren wie Glycin ausreichend selbst her, nicht zutrifft. Der genaue Bedarf ist unklar, es scheint jedoch festzustehen, dass die körpereigene Synthese dafür nicht ausreicht.

Als Nahrungsergänzungsmittel wird Glycin mit 1-10 g täglich dosiert. Die Aminosäure ist sehr vielseitig einnehmbar, weil sie sich gut in Flüssigkeiten löst und einen mild süßlichen Geschmack hat. Sie kann sowohl in Getränken (löst sich in warmen besser als in kalten) als auch in Speisen verwendet werden, z. B. Beim Backen als Teilersatz für Zucker verwenden (max. Glycin ist hitzestabil und kann problemlos auch zum Backen verwendet werden. Die Aminosäure eignet sich auch gut als Süßungsmittel in Kaffee oder Tee. Allerdings ist Glycin maximal so süß wie Zucker, eher weniger süß.

In üblichen Dosierungen von 1-10 g täglich (als Nahrungsergänzung, also zusätzlich zur Nahrung) verursacht Glycin in der Regel keine Nebenwirkungen. Solche Nebenwirkungen sind aber sehr selten und treten in der Regel erst bei sehr hoher Dosierung auf. Bei bestimmten Personengruppen, wie schwangeren und stillenden Frauen sowie Kindern, ist man jedoch besonders vorsichtig.

Ein hochwertiges Präparat enthält keine weiteren Zusatzstoffe. Es gibt die Aminosäure als Pulver, aber auch in Kapseln. Die Aminosäure kann synthetisch hergestellt werden oder mit Hilfe von Fermentation.

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