Einleitung
Die Neuroplastizität, die Fähigkeit des Gehirns, sich im Laufe des Lebens zu verändern und neu zu organisieren, ist ein Konzept, das in den letzten Jahrzehnten erhebliche Aufmerksamkeit erregt hat. Früher glaubte man, dass das Gehirn nach einer bestimmten Entwicklungsphase im Erwachsenenalter "festgelegt" sei. Heute jedoch, dank fortschrittlicher bildgebender Verfahren und multidisziplinärer Forschung, verstehen wir, dass das Gehirn eine erstaunliche Kapazität zur Anpassung und Veränderung hat. Die Forschung unterscheidet zwischen struktureller und funktioneller Plastizität. Strukturelle Plastizität bezieht sich auf physische Veränderungen im Gehirn, wie das Wachstum neuer Neuronen (Neurogenese) oder die Stärkung von Verbindungen zwischen Neuronen (Synaptogenese). Diese Erkenntnisse haben das Gebiet der Neurowissenschaften revolutioniert und bieten neue Perspektiven für das Verständnis von Lernen, Gedächtnis, Rehabilitation und altersbedingten Veränderungen im Gehirn.
Neuronale Plastizität und Neurogenese im Erwachsenenalter
Nervenzellen im Gehirn (Neuronen) gehören zu den komplexesten Zelltypen in unserem Körper. Grund dafür sind die verzweigten Fortsätze, die sogenannten Dendriten und Axone, und Tausende von Synapsen, die komplexe Netzwerke bilden. Zwar werden die meisten Neuronen während der Embryonalentwicklung gebildet, aber in bestimmten Regionen des Gehirns findet während des gesamten Erwachsenenalters Neurogenese, die Bildung von Nervenzellen, statt. Noch ist unklar, wie diese neu entstandenen Zellen erfolgreich reifen und überleben, um ihre Funktionen innerhalb eines vollständig gebildeten Organs auszuüben. Das Verständnis dieser Prozesse birgt jedoch ein großes Potenzial für regenerative Ansätze bei Erkrankungen.
Die adulte Neurogenese findet im Hippocampus statt, die Region des Gehirns, die kognitive und emotionale Prozesse steuert. Es konnte bestätigt werden, dass Veränderungen der Neurogenese im Hippocampus mit neurodegenerativen und depressiven Störungen korrelieren. Obwohl bekannt ist, dass die neu produzierten Neuronen dort über längere Zeiträume reifen, um eine hohe Plastizität zu gewährleisten, ist unser Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen begrenzt.
Mitochondriale Fusion und neuronale Plastizität
Wissenschaftler*innen des Exzellenzclusters für Alternsforschung CECAD an der Universität zu Köln haben entdeckt, wie Mitochondrien die Zellerneuerung und die neuronale Plastizität im Gehirn der erwachsenen Maus steuern. Die Forschungsgruppe um Professor Dr. Matteo Bergami untersuchte diese Prozesse anhand von Mausmodellen mithilfe von Bildgebung, Signalverfolgung mit Viren, und elektrophysiologischen Techniken. Sie fanden heraus, dass bei der Reifung neuer Neuronen die Mitochondrien (die Kraftwerke der Zellen) entlang der Dendriten sich zunehmend durch Fusion verbinden und dadurch länglichere Formen bilden. Dieser Prozess ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Plastizität neuer Synapsen und die Anpassung bereits bestehender neuronaler Netze als Reaktion auf komplexe Erfahrungen.
Die Ergebnisse von Bergami und seinem Team deuten darauf hin, dass das Tempo der mitochondrialen Fusion in den Dendriten die neuronale Plastizität der neuen Nervenzellen steuert, nicht aber deren Reifung an sich. „Wir waren überrascht, dass sich neue Neuronen ohne mitochondriale Fusion fast perfekt entwickeln, aber ihre Überlebensrate plötzlich abnahm, obwohl es keine offensichtlichen Anzeichen für eine Degeneration gab“, sagt Bergami. „Dies lässt vermuten, dass die Fusion eine wichtige Rolle bei der Regulierung neuer Neuronen an den Synapsen als Teil eines Selektionsprozesses spielt, den neue Neuronen bei ihrer Integration in das Netzwerk durchlaufen.“
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Die Ergebnisse erweitern das Wissen, dass mitochondriale Dysfunktionen (z.B. während der Fusion) neurologische Störungen beim Menschen verursachen. Zudem deuten sie darauf hin, dass die Fusion eine viel komplexere Rolle als bisher angenommen bei der Kontrolle der synaptischen Funktion und ihrer Fehlfunktion bei Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson spielen kann.
Altersbedingte Veränderungen in der Hirnrinde
Vergesslichkeit, schlechtere Wahrnehmung, nachlassende Konzentrationsfähigkeit: Diese Begriffe werden häufig mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht. Der Grund: Die Hirnrinde wird dünner - ein charakteristisches Merkmal des menschlichen Alterns. Erstmals ist es nun Tübinger Forschenden gelungen, mittels innovativen Bildgebungs- und Berechnungsmethoden die verschiedenen Schichten der Hirnrinde separat voneinander zu untersuchen und die Veränderungen der Hirnrindenschichten im Laufe des Alters zu messen. Das Ergebnis: Nicht alle Schichten altern gleich stark.
Die Hirnrinde oder auch Neokortex genannt, ist auch für höhere kognitive Funktionen wie Denken, Planen und Entscheidungsfindung verantwortlich und enthält hauptsächlich die grauen Nervenzellen. Häufig wird in der Alterungsforschung jedoch außer Acht gelassen, dass die Hirnrinde selbst aus sechs verschiedenen Schichten besteht, die jeweils eigene Funktionalitäten und eine eigene Anatomie aufweisen. So werden hereinkommende Signale zunächst in den mittleren Schichten verarbeitet und zur Weiterleitung dann in den oberen Schichten integriert. Die tieferen Schichten spielen insbesondere für die Filterung von Informationen eine Rolle, notwendig bei Konzentration oder Multitasking.
Unter Leitung von Prof. Dr. Esther Kühn, Professorin an der Medizinischen Fakultät Tübingen und Forschungsgruppenleiterin am Hertie Institut für klinische Hirnforschung, ist es Tübinger Forschenden gelungen, die Dicke verschiedener Hirnschichten separat am lebenden Menschen zu messen. Mittels des Einsatzes von Ultrahochfeld Magnetresonanztherapie (MRT) und der Kombination mit neuen Berechnungsmethoden zur Bestimmung der Hirnrindenschichten entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstaunliches: Nur die tieferen Schichten der Hirnrinde nehmen mit dem Altern ab, nicht aber die mittleren und oberflächlichen Schichten.
„Obwohl das Gehirn insgesamt mit dem Alter an Volumen abnimmt, bleiben große Teile der Hirnrinde von diesem Prozess verschont. Dies erklärt möglicherweise die oft bemerkenswerten Fähigkeiten älterer Menschen, die Umgebung um sich herum präzise wahrzunehmen und komplexe kognitive Aufgaben zu lösen“, erläutert Prof. Dr. Esther Kühn. „Weil die tieferen Hirnschichten, die für Signalverarbeitung und Filterfunktionen zuständig sind, im Alter dünner werden, fällt es älteren Menschen hingegen oft schwerer, störende Umgebungsgeräusche auszublenden oder sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren.“, ergänzt sie. Die Daten weisen darüber hinaus darauf hin, dass das Gehirn die Teile der Hirnrinde vor dem Verfall bewahrt, die es auch häufig nutzt.
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Neuronale Kompensation im Alter
Im Alter werden wir geistig langsamer, es fällt uns zunehmend schwer, Neues zu lernen und Bekanntes abzurufen. Wie heißt gleich der neue Kollege? Wo ist die Brille? Das kommt nicht von ungefähr, denn mit den Jahren nehmen Anzahl und Dichte der Neurone ab, Synapsen gehen verloren und im Gehirn sammeln sich schädliche Proteine an. Dadurch gerät die Signalweiterleitung ins Stocken. Das Arbeitsgedächtnis, das heißt die Fähigkeit, Informationen kurzfristig zu behalten und mental damit zu »jonglieren«, verschlechtert sich sogar schon ab dem frühen Erwachsenenalter.
Eine mögliche Antwort auf die Frage, wie geistige Kompetenzen trotz Abbau von Hirnstrukturen erhalten bleiben können, liegt möglicherweise in der »neuronalen Kompensation«: der Fähigkeit des Gehirns, Funktionsverluste auszugleichen, indem es alternative Netzwerke oder Mechanismen nutzt. Hierbei handelt es sich zunächst einmal um ein theoretisches Konzept aus der Psychologie und den kognitiven Neurowissenschaften. Die Idee wird aber zunehmend gestützt durch empirische Arbeiten, in denen man bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) und die Elektroenzephalografie (EEG) mit Verhaltenstests kombiniert und die Daten von jungen (beispielsweise bis 35 Jahre) und älteren Erwachsenen (ab 50 Jahren) miteinander vergleicht. So fand man heraus, dass die Hirnaktivität mit dem Alter eben nicht immer nur ab-, sondern in einigen Teilen des Denkorgans sogar zunimmt.
Es gibt mindesten drei Mechanismen, mit denen das Gehirn dem altersbedingten Leistungsabfall entgegenzuwirken versucht: Hochregulierung, Selektion und Reorganisation. Die Prozesse schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern können auch gemeinsam wirken. Trotz wesentlicher Unterschiede existiert zwischen den drei Mechanismen ein verbindendes Element: Bei einer Neurodegeneration verändert sich die Funktionsweise des Denkorgans und hält so gesundes Verhalten und kognitive Prozesse aufrecht.
Hochregulierung
Bei der Hochregulierung weicht die Stärke der neuronalen Aktivität zwischen jüngeren und älteren Menschen voneinander ab. Mit anderen Worten: Bei einer bestimmten Aufgabe ist dieselbe Hirnregion beteiligt (bei Jung und Alt), bei Senioren ist sie jedoch deutlich aktiver. Dieser Mechanismus ist gut dokumentiert für die Bereiche Wahrnehmung, Gedächtnis und exekutive Funktionen - das heißt für die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu planen und zielgerichtet zu handeln.
Selektion
Die Selektion wiederum beschreibt eine Verschiebung der Hirnaktivität. Ein Beispiel ist das Wiedererkennen, das man in Rekollektion und Familiarität unterteilt. Familiarität meint das subjektive Gefühl, beispielsweise eine Person schon einmal gesehen zu haben, während Rekollektion bewusstes Erinnern impliziert (»Das ist Frau Müller aus dem Supermarkt«). Bei Ersterem sind die Erinnerungen ungenauer, der Vorgang ist aber auch weniger aufwändig. Auf neuronaler Ebene basiert Rekollektion auf dem Hippocampus, Familiarität auf dem Parahippocampus.
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Reorganisation
Bei der Reorganisation schließlich weicht das Gehirn auf alternative Netzwerke aus. Im Gegensatz zur Selektion steht dieser Weg jungen Erwachsenen offenbar nicht zur Verfügung. Das prominenteste Beispiel wurde anfangs bereits erwähnt: Bei leistungsstarken Seniorinnen und Senioren ist der Abruf aus dem Langzeitgedächtnis mit beidseitiger statt einseitiger Beteiligung des PFC verbunden. Ein weiterer Fall von Reorganisation tritt beim Sprachverständnis auf. Es bleibt erstaunlich lange erhalten, obwohl im Alter immer mehr Gewebe in sprachrelevanten Regionen verloren geht. Des Rätsels Lösung liegt in einem Wechsel der beteiligten Hemisphären: Im jungen Gehirn liegt das Sprachzentrum vor allem links. Je stärker es von altersbedingtem Gewebeabbau betroffen ist, desto aktiver wird die rechte Seite.
Einflussfaktoren auf die neuronale Kompensation
Das Nervensystem ist äußerst anpassungsfähig und wird lebenslang von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren geprägt. Besonders wichtige darunter, die in den letzten Jahren immer wieder im Fokus der Forschung standen, sind körperliche und geistige Fitness, Ernährung, Schlafgewohnheiten und soziale Interaktionen. Laut einer Vielzahl an Studien beeinflusst körperliche Aktivität unser Gehirn positiv - in erster Linie den Hippocampus und den Parahippocampus, also Regionen, denen eine zentrale Funktion beim Lernen und Gedächtnis zukommt.
Geringe körperliche Fitness und niedrige kognitive Fähigkeiten im jungen Erwachsenenalter hingegen erhöhen das Risiko für Alzheimer und leichte kognitive Beeinträchtigung in späteren Jahren. In diesem Zusammenhang ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist das Maß an sozialer Interaktion: Isolation lässt die graue Substanz in verschiedenen Hirnregionen schrumpfen (inklusive des Hippocampus) und steigert das Demenzrisiko, wie neuere Studien nahelegen.
Theoretisch betrachtet könnten die genannten Faktoren entweder als »neuronale Ressourcen« oder »neuronale Belastungen« wirken. Während Ressourcen geistige Betätigung, Ernährung, körperliche Fitness oder Schlaf umfassen, gehören zu den Belastungen beispielsweise Stress oder Neurotoxine wie Alkohol oder Nikotin. Inwiefern sie die funktionelle Kompensation beeinflussen, hängt wahrscheinlich stark von der Plastizität des Gehirns ab - der Fähigkeit, sich durch Lernen, Erfahrung oder nach Verletzungen anzupassen und zu verändern. Moleküle, die hier eventuell eine Rolle spielen und sich messtechnisch erfassen lassen, sind drei Wachstumsfaktoren: BDNF, IGF-1 und VEGF (der brain derived neurotrophic factor, der insulinähnliche Wachstumsfaktor Typ 1 sowie der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor). Alle drei Proteine wurden bereits mit körperlicher Fitness, Hirnplastizität und kognitiver Leistung assoziiert. Auch Stoffwechselmarker, die mit körperlicher Gesundheit in Zusammenhang stehen, wie das C-reaktive Protein (CRP, Bestandteil des Immunsystems) und das schilddrüsenstimulierende Hormon TSH, könnten dafür wichtig sein. So werden abnormale CRP- und TSH-Werte mit einer verminderten neuronalen Anpassungsfähigkeit im Alter und einem höheren Risiko für kognitive Beeinträchtigungen in Verbindung gebracht.
Der Einfluss des Darmmikrobioms auf die Hirnplastizität
Neueste Erkenntnisse zeigen einen Einfluss des Mikrobioms im Darm auf die Plastizität des Gehirns. Deshalb sind Analysen des Mikrobioms inzwischen Teil unserer Studien. Die Arbeitsgruppe „Darm-Hirn Interaktion und Alterung“ untersucht Mechanismen, welche bei der Alterung des Gehirns eine Rolle spielen und erforscht inwieweit diese Prozesse - z.B. durch eine Änderung des Lebensstils: mehr Aktivität und Ernährungsumstellung - positiv zu beeinflussen sind. Da uns insbesondere die noch vorhandene Plastizität des alten Gehirns interessiert, werden die Maßnahmen zur Steigerung der Hirnplastizität bei alten Tieren vorgenommen bzw. der älteren Bevölkerung angeboten. Durch die Einbeziehung von tierexperimentellen Studien und Interventionsstudien am Menschen ist auch die Translation „bench to bedside“ im Fokus unserer Untersuchungen.
Neuronale kritische Phasen und miR-29
Neuronale kritische Phasen sind begrenzte Zeitperioden, in denen die Plastizität des Gehirns maximal ist und die Entwicklung des Gehirns an die Umwelt angepasst wird. Forscher der Scuola Normale Superiore in Pisa und des Jenaer Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) haben die Rolle einer kleinen microRNA (miR-29) in diesen lernsensiblen Phasen der Plastizität aufgedeckt. Ein vorzeitiger Anstieg der miR-29-Konzentration in jungen Mäusen blockiert die kortikale Plastizität, wobei die Blockierung von miR-29 in erwachsenen Tieren eine Plastizität induziert, die typisch für jüngere sensible Phasen ist; ein Indiz dafür, dass miR-29 ein altersabhängiger Regulator der Entwicklungsplastizität ist.
Die neuronale Plastizität gibt unserem Gehirn die Möglichkeit, sich das ganze Leben lang an neue Anforderungen anzupassen. Sie ist im erwachsenen Gehirn jedoch oft eingeschränkt, so dass Lernprozesse mühsamer ablaufen. Um zelluläre und molekulare Mechanismen zu identifizieren, die diese sensiblen Phasen öffnen und wieder schließen und im Zusammenhang mit dem Altern stehen, untersuchten Forscher der Scuola Normale Superiore (SNS) in Pisa, Italien, in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena und weiteren Partnern die Plastizität der visuellen Hirnrinde (visueller Kortex) bei Mäusen.
Es gelang der Nachweis der microRNA-Familie miR-29 als einen altersabhängigen Regulator der Entwicklungsplastizität im visuellen Kortex. „Mit einem 30-fachen Anstieg war miR-29a die am stärksten hochregulierte miRNA während der sensiblen Phase“, erklärt Prof. Cellerino vom FLI/SNS. Die Regulation der miR-29-Familie ist in Fischen, Mäusen und Menschen auffallend konserviert. Darüber hinaus wurden mehr als die Hälfte der von miR-29-regulierten Ziele mit dem Alter herunterreguliert, einschließlich der Schlüsselregulatoren der Gehirnplastizität. Ein Hinweis darauf, dass miR-29a ein wichtiger Regulator nachgeschalteter Entwicklungsprozesse im Gehirn ist.
Zusammenfassend weisen die jetzt im Journal „EMBO Reports“ veröffentlichten Daten darauf hin, dass miR-29a ein wichtiger Regulator der Plastizitätsbremsen ist, der die altersabhängige Stabilisierung der visuellen kortikalen Verbindungen fördert. Die Beobachtung, dass miR29a ein Re-Modellierer ausgereifter neuronaler Netze ist, eröffnet neue, hoffnungsvolle therapeutische Perspektiven für miR-29a und andere miR-29-Familienmitglieder, um die Plastizität während des Alterns und die Regeneration von Hirnschädigungen zu fördern.
Studien zur Förderung der Hirnplastizität im Alter
Auch mit 60 Jahren ist das menschliche Gehirn noch in der Lage, mit Wachstum auf das Erlernen einer neuen Aufgabe zu reagieren. Das belegt eine Studie von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und aus Jena, die im „Journal of Neuroscience“ (2008: 28: 7031-5) veröffentlicht wurde. Die Forscher um Priv.-Doz. Dr. Arne May vom Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE hatten erst vor einiger Zeit als Erste nachweisen können, dass das menschliche Gehirn auch nach Abschluss des Reifungsprozesses - also mit etwa 20 Jahren - noch in bestimmten Regionen wachsen kann, wenn eine neue Aufgabe (zum Beispiel das Jonglieren) erlernt wird.
Die Wissenschaftler baten daher 44 Probanden (24 Frauen und 20 Männer) zwischen 50 und 67 Jahren, jonglieren zu lernen. Ihre Hirne wurden vor und nach dem dreimonatigen Training sowie nach einer dreimonatigen Trainingspause mithilfe der 3-Tesla-Kernspintomografie untersucht. Verglichen wurden diese Daten mit denen von 25 untrainierten Personen (17 Frauen und acht Männern) zwischen 55 und 67 Jahren, die an denselben Tagen gescannt wurden. Nach der Trainingsphase ließ sich bei den Jongleuren eine einseitige Vergrößerung der grauen Substanz im „visuellen Assoziationscortex“ erkennen. Diese Gehirnregion ist darauf spezialisiert, Bewegung im Raum wahrzunehmen. Nach der dreimonatigen Trainingspause hatte sich die Erweiterung teilweise wieder zurückgebildet. Die Kontrollgruppe zeigte keinerlei Veränderungen in diesem Bereich. Ausschließlich bei den Jongleuren fanden die Forscher zudem eine Vergrößerung im Hippocampus, der Hirnregion, die für das Lernen wichtig ist, sowie Vergrößerungen im Nucleus accumbens, der zum hirneigenen Belohnungssystem gehört. Gerade für den Hippocampus ist bekannt, dass sich dort neue Hirnzellen bilden können. „Das Ergebnis zeigt“, so May, „dass die Veränderungen nicht nur auf das jugendliche Gehirn beschränkt sind, sondern dass sich die anatomische Struktur des erwachsenen Gehirns selbst im Alter noch signifikant verändern kann.
Herausforderungen und zukünftige Perspektiven
Trotz der Fortschritte in der Erforschung der Neuroplastizität bleiben viele Fragen unbeantwortet. Zum Beispiel ist noch unklar, wie verschiedene Formen der Plastizität miteinander interagieren und wie sie durch genetische sowie umweltbedingte Faktoren beeinflusst werden. Um die Neuroplastizität des menschlichen Gehirns zu erforschen, sind Forschungsansätze nötig, die der nichtlinearen Dynamik von Gehirn und Verhalten Rechnung tragen. Dies erfordert es, stärker auf aktuelle Befunde verwandter Forschungsprogramme Bezug zu nehmen, die Tiermodelle nutzen.
Abgesehen davon, dass sie einen grundlegenden Aspekt der neuronalen Plastizität unter physiologischen Bedingungen aufdecken konnten, hoffen die Wissenschaftler*innen, dass diese Ergebnisse hilfreich für die Entwicklung spezifischer Behandlungsmethoden zur Wiederherstellung der neuronalen Plastizität und der kognitiven Funktionen bei Krankheiten sein werden.