In Deutschland leiden etwa eine Million Menschen an Alzheimer. Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer: Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat erstmals grünes Licht für eine Alzheimer-Therapie gegeben, die auf die zugrundeliegenden Krankheitsprozesse abzielt. Der Antikörper Lecanemab könnte den Krankheitsverlauf verlangsamen und somit das Leben vieler Betroffener verbessern.
Die EMA-Empfehlung für Lecanemab
Die EMA empfiehlt die Zulassung des Antikörpers Lecanemab zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung wie Gedächtnis- und Denkstörungen oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Diese Empfehlung ist ein wichtiger Schritt, da bisherige Therapien lediglich die Symptome der Krankheit lindern konnten, nicht aber den Krankheitsverlauf beeinflussen. Lecanemab hingegen zielt darauf ab, das Fortschreiten von Alzheimer zu verlangsamen, indem es Ablagerungen des Proteins Beta-Amyloid im Gehirn reduziert.
Allerdings gibt es bei der EMA-Empfehlung eine Einschränkung: Das Mittel soll nur für Alzheimer-Patienten verwendet werden, die lediglich eine oder keine Kopie von ApoE4 haben, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E. Diese Patienten haben ein geringeres Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen, die mit Schwellungen und möglichen Blutungen im Gehirn einhergehen können.
Die für die Zulassung zuständige EU-Kommission folgt gewöhnlich dem Votum der Behörde. Es wird erwartet, dass sie die Empfehlung der EMA bestätigen und Lecanemab für den europäischen Markt zulassen wird.
Eine Kehrtwende nach anfänglicher Ablehnung
Im Juli hatte die EU-Arzneimittelagentur eine Zulassung von Lecanemab noch abgelehnt. Damals wurde argumentiert, dass das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Antikörpers höher zu bewerten sei als die erwartete positive Wirkung. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA kam nun jedoch zu dem Schluss, dass in der begrenzten Population, die bei der erneuten Prüfung untersucht wurde, der Nutzen von Lecanemab bei der Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheitssymptome größer ist als die Risiken.
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Der CHMP betont in seiner Stellungnahme, dass es zwingend Maßnahmen zur Risikominimierung geben müsse. Dazu gehören eine sorgfältige Auswahl der Patienten, die für die Behandlung in Frage kommen, sowie eine engmaschige Überwachung während der Therapie.
Lecanemab: Wie wirkt das Medikament?
Der Antikörper Lecanemab bessert die Symptomatik der Alzheimer-Krankheit nicht, sondern soll lediglich das Fortschreiten der Krankheit bremsen. Er wirkt, indem er das Proteinfragment beta-Amyloid (Aß) aus dem Gehirn entfernt. Beta-Amyloid lagert sich bei Alzheimer-Patienten in Form von Plaques im Gehirn ab und wird für das Absterben von Nervenzellen verantwortlich gemacht.
Indem Lecanemab diese Plaques reduziert, soll der Krankheitsverlauf verlangsamt werden. Studien haben gezeigt, dass Lecanemab den kognitiven Abbau bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Demenz verlangsamen kann.
Verfügbarkeit und Einführung in Deutschland
Fachleute wie Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Köln gehen davon aus, dass das Mittel relativ schnell in Deutschland verfügbar sein wird. Allerdings dürfte es dann noch eine Weile dauern, bis es an den Fachzentren eine abgestimmte und verantwortungsbewusste Einführung der Therapie gibt. Jessen nimmt an, dass einige Ärzte das Mittel auch schon vorher abgeben.
Ab dem 1. September ist das Medikament Leqembi mit dem Wirkstoff Lecanemab in Deutschland für die Therapie von Alzheimer verfügbar.
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Einschränkungen und Voraussetzungen für die Behandlung
Nicht alle Alzheimer-Patienten können mit Lecanemab behandelt werden. Es gibt eine Reihe von Einschränkungen und Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen:
- Frühes Krankheitsstadium: Lecanemab ist nur für Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Demenz geeignet. Bei Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung ist die Wirksamkeit des Medikaments nicht nachgewiesen.
- ApoE4-Genotyp: Das Mittel soll nur für Alzheimer-Patienten verwendet werden, die nur eine oder keine Kopie von ApoE4 haben, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E. Bei Patienten mit zwei ApoE4-Kopien ist das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen erhöht.
- Alzheimer-Diagnose durch Biomarker-Tests: Bei Patienten muss zunächst Alzheimer gesichert durch Biomarker-Tests nachgewiesen sein.
- Genetischer Test: Ein genetischer Test ist erforderlich, um den ApoE4-Genotyp zu bestimmen.
- MRT-Untersuchungen: Vor Beginn der Behandlung und während der Therapie sind regelmäßige MRT-Untersuchungen erforderlich, um mögliche Nebenwirkungen wie Schwellungen und Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen.
Insgesamt kommt Experten zufolge nur ein kleiner Bruchteil der Alzheimer-Erkrankten für eine Antikörpertherapie infrage.
Mögliche Nebenwirkungen und Risikomanagement
Wie bei allen Medikamenten kann es auch bei der Behandlung mit Lecanemab zu Nebenwirkungen kommen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören:
- Schwellungen im Gehirn (Hirnödeme)
- Mikroblutungen im Gehirn
Diese Nebenwirkungen bleiben überwiegend ohne Symptome und werden zumeist erst durch bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomographie (MRT) bemerkt. Insbesondere bei wiederholtem Auftreten drohen jedoch eine verminderte Gehirnleistung oder Koordinationsschwierigkeiten. Mikroblutungen gelten zudem als Risikofaktor für größere, potenziell lebensbedrohliche Hirnblutungen.
Um das Risiko von Nebenwirkungen zu minimieren, sind engmaschige Kontrollen und ein sorgfältiges Risikomanagement erforderlich. Die EMA betont, dass es zwingend Maßnahmen zur Risikominimierung geben müsse. Vor Beginn der Behandlung und vor der 5., 7. und 14. Lecanemab-Dosis müssen bei den Patienten demnach MRT-Scans durchgeführt werden, zusätzliche Scans bei Warnzeichen wie Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindel.
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Donanemab: Ein weiterer Hoffnungsträger in der Alzheimer-Therapie
Neben Lecanemab gibt es einen weiteren Antikörper, der in der Alzheimer-Therapie vielversprechend ist: Donanemab (Handelsname Kisunla). Auch Donanemab zielt darauf ab, das Proteinfragment beta-Amyloid (Aß) aus dem Gehirn zu entfernen und somit den Krankheitsverlauf zu verlangsamen.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA hat grünes Licht für den Wirkstoff Donanemab gegeben. Die Zulassung soll allerdings auf Erkrankte mit höchstens einer Kopie der Genvariante ApoE4 beschränkt werden. Hintergrund ist, dass Erkrankte mit einer doppelten ApoE4-Kopie ein höheres Risiko auf Nebenwirkungen haben.
Im April hatte die Europäische Kommission den Wirkstoff Lecanemab (Handelsname Leqembi) zugelassen, der ähnlich wirkt wie Kisunla. Nach der Zulassung von Leqembi komme das Votum zu Kisunla nicht überraschend, erläutert Dr. Anne Pfitzer-Bilsing (Leiterin Wissenschaft der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative AFI): „Für Wissenschaft und Forschung ist dies eine gute Entscheidung. Auch für einen kleinen Kreis von Erkrankten ist das eine gute Nachricht. Doch auch Kisunla bringt keine Heilung, sondern kann den Krankheitsverlauf lediglich um einige Monate verzögern.
Donanemab wird alle vier Wochen per Infusion verabreicht und richtet sich gegen ß-Amyloid-Plaques im Gehirn, wo es deren Abbau unterstützen soll. Die Therapie darf nur von Ärztinnen und Ärzten begonnen werden, die Erfahrung mit Alzheimer-Diagnostik und Zugang zu Untersuchungen per Magnetresonanztomografen (MRT) haben.
Laut Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), ist die Wirksamkeit von Donanemab in den Zulassungsstudien etwas höher gewesen als die von Lecanemab. Zu den Risiken beider Medikamente zählen Veränderungen im Gehirn - etwa Ödeme oder Mikroblutungen. Das Risiko sei unter Donanemab höher, sagte Berlit. Zusätzlich habe sich gezeigt, dass bei beiden Substanzen die Wirksamkeit bei Frauen geringer ausfalle als bei Männern.
Kritik und Bedenken
Trotz der positiven Entwicklungen gibt es auch Kritik und Bedenken hinsichtlich der neuen Alzheimer-Medikamente. Im Fachjournal „The BMJ“ äußerten Experten Kritik an den FDA-Entscheidungen. Die Medikamente zeigten nur eine unmerkliche Verlangsamung der Demenz, dagegen jedoch schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen, den Tod eingeschlossen, heißt es.
Fraglich ist, wie alltagsrelevant die messbare leichte Verzögerung des Krankheitsverlaufs überhaupt ist. „Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar“, sagte Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. „Dem müssen die Nebenwirkungen des Medikaments entgegengesetzt werden.“
Erwähnt wird im Fachjournal „The BMJ“ zudem die in den Studien zu den Wirkstoffen gemachte Beobachtung, dass die Anti-Amyloid-Medikamente das Gehirn merklich schrumpfen lassen.
Dr. Anne Pfitzer-Bilsing von der Alzheimer Forschung Initiative sagt: „Auch wenn die Wirkung von Kisunla etwas größer ist als von Leqembi, so sprechen wir immer noch von einem geringen Effekt.“ Der geringen Wirkung stünden potentiell gravierende Nebenwirkungen gegenüber, so die AFI. Bei knapp 37 Prozent der Probandinnen und Probanden traten demnach Hirnschwellungen und Hirnblutungen auf, teilweise mit einem schwerwiegenden Verlauf.
Die Bedeutung der Alzheimer-Forschung
Trotz der Einschränkungen in der praktischen Anwendung bedeute die Entwicklung von Donanemab und Lecanemab einen wichtigen Schritt für die Alzheimer-Forschung, so Pfitzer-Bilsing. Die beiden Wirkstoffe beseitigen die schädlichen Ablagerungen aus Amyloid-beta, die mit dem Absterben der Nervenzellen bei Alzheimer in Verbindung gebracht werden.
Die Zulassung von Lecanemab und Donanemab werde trotzdem nicht reichen, da die Alzheimer-Krankheit sehr komplex sei, so Pfitzer-Bilsing. „Um Alzheimer zu heilen, wird es eine Kombinationstherapie brauchen, die auf das individuelle Krankheitsbild der Erkrankten zugeschnitten ist. Ein weiteres therapeutisches Ziel könnten Ablagerungen aus Tau-Proteinen sein, die ebenfalls zum Absterben von Nervenzellen bei Alzheimer beitragen. Vielversprechende Forschungsansätze sehen wir außerdem bei Entzündungsprozessen im Gehirn, Stoffwechsel- oder Durchblutungsstörungen, genetischen Veränderungen oder beim Mikrobiom des Darms.
Die Rolle der Alzheimer Forschung Initiative
Die Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) ist ein gemeinnütziger Verein, der das Spendenzertifikat des Deutschen Spendenrats e.V. trägt. Seit 1995 fördert die AFI mit Spendengeldern Forschungsprojekte engagierter Alzheimer-Forscherinnen und -forscher stellt kostenloses Informationsmaterial für die Öffentlichkeit bereit. Bis heute konnte der Verein 420 Forschungsaktivitäten mit 17,7 Millionen Euro unterstützen und über 975.000 Ratgeber und Broschüren verteilen. Interessierte und Betroffene können sich auf www.alzheimer-forschung.de fundiert über die Alzheimer-Krankheit informieren und Aufklärungsmaterial anfordern. Ebenso finden sich auf der Webseite Informationen zur Arbeit des Vereins und allen Spendenmöglichkeiten.
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