Insekten, oft als einfach strukturierte Lebewesen abgetan, überraschen Wissenschaftler zunehmend mit ihren kognitiven Fähigkeiten. Lange Zeit ging die Mehrheit der Forscher davon aus, dass Insekten nicht zu komplexen Empfindungen oder gar einem Bewusstsein fähig sind. Doch neuere Experimente haben gezeigt, dass dieses Urteil voreilig war. Dieser Artikel beleuchtet die erstaunlichen kognitiven Leistungen von Insekten, insbesondere Käfern, und untersucht, ob und wie sie ein Gehirn besitzen und nutzen.
Intelligente Insekten: Ein Paradigmenwechsel
Die Vorstellung von intelligenten Insekten mag für viele überraschend sein. Doch die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Hummeln, Wespen und Bienen über erstaunliche kognitive Fähigkeiten verfügen, die lange unterschätzt wurden. Diese Erkenntnisse werfen auch ethische Fragen auf, beispielsweise in Bezug auf den Einsatz von Pestiziden oder Tierversuche mit Insekten.
Kognitive Fähigkeiten von Hummeln
Hummeln sind in der Lage, komplexe Aufgaben zu bewältigen, indem sie ihre Artgenossen beobachten. In einem Versuch lernten sie, Plastikscheiben mithilfe von daran befestigten Fäden zu bewegen, um an eine Zuckerlösung zu gelangen. Ein anderes Experiment zeigte, dass sie sogar Spaß am Spiel mit Bällen haben. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass Hummeln zu abstraktem Denken und zur Problemlösung fähig sind.
Die Rolle des Gehirns bei Insekten
Im menschlichen Gehirn sind hundert Milliarden Nervenzellen auf komplizierteste Weise miteinander verknüpft. Auch bei Insekten ist die Vernetzung der Nervenzellen entscheidend für die Gehirnfunktion, obwohl ihr Gehirn "nur" aus Hunderttausend bis einer Million Nervenzellen besteht. Trotz dieser geringen Anzahl an Nervenzellen können Insekten unerwartet kompliziertes Verhalten zeigen.
Das Gehirn der Käferlarve: Eine Baustelle mit Funktion
Ein Forscherteam der Universität Göttingen hat herausgefunden, dass Käferlarven ihr Gehirn bereits nutzen, obwohl es sich noch in der Entwicklung befindet. Die Biologen verglichen die Entwicklung des Gehirns von Fliegen und Käfern und nahmen dabei den sogenannten "Zentralkomplex" ins Visier - eine Struktur im Gehirn, die Insekten für ihre Orientierung in der Umwelt benötigen.
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Die Entwicklung des Zentralkomplexes
Die Wissenschaftler markierten mit gentechnischen Methoden und Genom-Editierung die gleiche kleine Gruppe von Nervenzellen sowohl in der Fruchtfliege als auch im Mehlkäfer. So konnten sie die Entwicklung dieser Zellen vom Embryo bis zum erwachsenen Tier unter dem Mikroskop verfolgen und die Entwicklung zwischen den Tierarten vergleichen.
Es war bereits bekannt, dass sich ein Teil des Zentralkomplexes bereits in der Käferlarve herausbildet, während er in Fliegen erst im erwachsenen Tier entsteht. Die Forscher fanden jedoch heraus, dass dieser Teil des Gehirns in der Käferlarve bereits zu arbeiten beginnt, obwohl er noch nicht so ausgereift ist wie im erwachsenen Tier. Die Struktur entspricht eher einem embryonalen Entwicklungsstadium, das man von anderen Insekten kennt. Der Unterschied besteht darin, dass in der Käferlarve die Nervenzellen dieser Hirn-Baustelle bereits Verbindungen eingehen, womit sich die Larve vermutlich in ihrer Umgebung orientiert.
Sequenz-Heterochronie: Eine veränderte Entwicklungsreihenfolge
Eine weitere Überraschung war, dass sich im Käfer die Reihenfolge der Entwicklungsschritte des Gehirns verändert hatte. Bisher ging man davon aus, dass die Entwicklungsschritte immer in der gleichen Reihenfolge ablaufen und sich lediglich der Zeitpunkt verschieben kann (Heterochronie).
"Wir haben das erste Beispiel einer Veränderung der Entwicklungs-Reihenfolge im Gehirn entdeckt, eine so genannte Sequenz-Heterochronie", erläutert Prof. Dr. Gregor Bucher, Leiter der Abteilung Evolutionäre Entwicklungsgenetik. "Die Entwicklung der Gehirne ist wohl wesentlich variabler, als wir uns das vorstellen konnten."
Haben Insekten ein Gehirn? Die Anatomie des Nervensystems
Insekten haben kein Gehirn, das mit dem von Säugetieren vergleichbar wäre. Stattdessen fungiert ein Nervenknoten als zentrale Steuereinheit. Insekten verfügen über ein sogenanntes Strickleiternervensystem, dessen größter Nervenknoten als Oberschlundganglion bezeichnet wird.
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Das Oberschlundganglion
Das Oberschlundganglion besteht aus drei Teilen:
- Protozerebrum: Zuständig für die Optik und mit den Augen verbunden. Steuert komplexe Verhaltensweisen.
- Deutocerebrum: Verarbeitet Informationen, die das Insekt über die Fühler aufnimmt, und steuert die Muskulatur der Fühler.
- Tritocerebrum: Verbindet das Oberschlundganglion mit anderen wichtigen Körperteilen des Insekts.
Erstaunliche Leistungen trotz geringer Größe
Trotz ihrer geringen Größe vollbringen viele Insektenarten erstaunliche Leistungen. Bienen und Hummeln können Probleme lösen und voneinander lernen. In Experimenten wurde Hummeln beispielsweise gezeigt, wie sie an den Nektar einer Blume gelangen. Die Hummeln schauten sich den Trick voneinander ab und gaben das Wissen so weiter.
Ameisen tun sich als Individuen schwer, Probleme zu lösen. Doch als Kollektiv sind sie sehr effektiv. Dieses Phänomen wird als Schwarmintelligenz bezeichnet. So finden sie einfach den schnellsten Weg zur Futterquelle und bauen verzweigte und belüftete Nester.
Das Hummel-Experiment: Lernen durch Beobachtung
In einem Experiment lernten Hummeln, an einem Faden zu ziehen, um an den Nektar einer unter einer transparenten Platte versteckten Blume zu gelangen. Eine zweite Hummel durfte zusehen, wie die erste an die Blumen gelangte. Sie schaute sich den Trick von ihrer Artgenossin ab und gab ihn schließlich ihrerseits an andere Mitglieder aus ihrem Volk weiter. Dieses Wissen blieb selbst nach dem Tod der beiden Insekten erhalten.
Dieses Experiment zeigt, dass Hummeln offenbar ein völlig neues Verhalten erlernen und weitergeben können - etwas, was man lange Zeit nur Arten mit einem komplexen Gehirn wie Menschen, Primaten, Delfinen oder einigen Vögeln zugetraut hat.
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Können Insekten Schmerz empfinden?
Lange Zeit ging man davon aus, dass Insekten keinen Schmerz empfinden, da ihr Nervensystem als nicht komplex genug dafür galt. Neuere Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass Insekten wahrscheinlich durchaus Schmerzen empfinden können.
Schmerz als subjektive Erfahrung
Schmerz ist eine subjektive Erfahrung, die schwer zu messen ist. Wissenschaftler definieren Schmerz im Rahmen ihrer Forschung als eine negative subjektive Erfahrung, die das Gehirn generiert. In der Regel ist körperlicher Schmerz verbunden mit verletztem oder potenziell verletztem Gewebe.
Indirekte Beweise für Schmerzempfinden bei Insekten
Es gibt Merkmale, die auf ein Schmerzempfinden hindeuten können, wie beispielsweise ein Nervensystem, das Schmerz unterstützen kann, und Verhaltensweisen, die Schmerz potenziell ausgelöst hat. Diese Merkmale treffen auch auf Insekten zu.
Nozizeption: Ein Reflex vor dem Schmerz
Vor dem Schmerzempfinden gibt es die Nozizeption, einen Reflex, mit dem Lebewesen versuchen, unangenehme und schädliche Reize zu vermeiden. Dieser Reflex ist eine notwendige Voraussetzung für das Schmerzempfinden. Einige Insekten haben diesen nozizeptiven Reflex.
Schmerz und Lernen
Schmerz verursacht bleibende Erinnerungen und Veränderungen in der Motivation. Lebewesen können dann in Zukunft ähnliche Situationen vermeiden, die Schmerz verursachen. Insekten können ihre Bedürfnisse priorisieren und beispielsweise eine Wunde erst dann versorgen, wenn sie sich in Sicherheit befinden.
Das komplexe Nervensystem der Insekten
Insekten haben zwar ein anderes Nervensystem als Wirbeltiere, aber es ist nicht unterkomplex. Der größte Nervenknoten übernimmt bei Insekten die Funktionen eines Gehirns. In diesem Gehirn gibt es spezielle Strukturen, die auch für das Lernen zuständig sind, was eine wichtige Voraussetzung für die Schmerzwahrnehmung ist.
Studien zu Schmerzempfinden bei Insekten
Eine Metastudie aus dem Jahr 2022 hat Anzeichen dafür gefunden, dass Insekten Schmerz empfinden könnten. Forscher nutzten verschiedene Kriterien und analysierten mehr als 300 Studien über Insekten. Sie fanden heraus, dass bei Zweiflüglern (Fliegen und Moskitos) und Schaben (Kakerlaken und Termiten) die Wahrscheinlichkeit für Schmerz sehr hoch ist.
Intelligenz ist mehr als nur Hirngröße
Intelligenz hat nichts mit der Größe des Gehirns zu tun. Ein großes Hirn bedeutet nicht automatisch auch mehr Intelligenz. Britische Forscher erklären dieses Phänomen damit, dass Intelligenz nicht entscheidend von der Hirngröße, sondern von der Art der neuronalen Verschaltung abhängt.
Beispiele für Insektenintelligenz
- Ameisen: Organisieren einen eigenen Sanitätsdienst für Verletzte und nutzen Werkzeuge, um Flüssigkeiten ins Nest zu transportieren.
- Bienen: Können rechnen und einfache Matheaufgaben lösen.
- Hummeln: Lernen durch Abgucken und können komplexe Aufgaben bewältigen.
- Wespen: Können logisch schlussfolgern und planen.