Schildkröten sind faszinierende Reptilien, die seit Millionen von Jahren auf der Erde leben. Ihre Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit haben es ihnen ermöglicht, in einer Vielzahl von Umgebungen zu überleben. Ein wichtiger Aspekt ihrer Biologie ist ihr Gehirn, das zwar klein, aber dennoch komplex genug ist, um ihre Verhaltensweisen und Interaktionen mit der Umwelt zu steuern. Dieser Artikel befasst sich mit der Anatomie des Schildkrötengehirns, seinen Funktionen und wie es sich im Laufe der Zeit entwickelt hat.
Überblick über das Gehirn der Schildkröte
Obwohl oft angenommen wird, dass Reptilien einfache Gehirne haben, zeigen neuere Forschungen, dass das Gehirn von Schildkröten und anderen Reptilien komplexer ist als bisher angenommen. Das Gehirn der Schildkröte ist im Vergleich zu anderen Tieren relativ klein, aber es enthält alle wichtigen Gehirnbereiche, die für das Überleben notwendig sind.
Anatomie des Schildkrötengehirns
Das Gehirn der Schildkröte besteht aus mehreren Hauptteilen:
- Großhirn (Cerebrum): Der größte Teil des Gehirns, der für höhere kognitive Funktionen wie Lernen, Gedächtnis und Entscheidungsfindung verantwortlich ist.
- Kleinhirn (Cerebellum): Zuständig für die Koordination von Bewegungen und das Gleichgewicht.
- Zwischenhirn (Diencephalon): Enthält Thalamus und Hypothalamus, die wichtige Rollen bei der sensorischen Verarbeitung und der Regulation von Körperfunktionen spielen.
- Mittelhirn (Mesencephalon): Beteiligt an der Verarbeitung visueller und auditorischer Informationen.
- Hirnstamm (Truncus encephali): Verbindet das Gehirn mit dem Rückenmark und steuert lebenswichtige Funktionen wie Atmung und Herzfrequenz.
Sinnesorgane und ihre Verbindung zum Gehirn
Schildkröten nutzen ihre Sinnesorgane, um äußere Reize aus der Umwelt aufzunehmen. Diese Reize werden in elektrische Impulse umgewandelt und an das Gehirn weitergeleitet, wo sie verarbeitet und bewusst werden.
Augen (Visuelle Wahrnehmung)
Schildkröten nehmen mit ihren Augen ausgesandte oder reflektierte Lichtstrahlen auf. Da sich die Augen seitlich am Kopf befinden, haben sie fast einen Rundumblick. Ihr Sehvermögen ist vorwiegend auf weites Sehen eingestellt, wodurch sie besonders leuchtende Farben (besonders Rottöne) selbst aus großer Entfernung erkennen können.
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Funktionsweise des Auges:
- Hornhaut (Cornea): Lichtstrahlen gelangen durch die Hornhaut.
- Pupille: Die Pupille ist die kreisförmige Öffnung in der dunkel gefärbten Regenbogenhaut (Iris) bei Landschildkröten.
- Iris: Durch die Muskelfasern der Iris kann die Pupille vergrößert und verkleinert werden, um das Auge an die Umgebung anzupassen (Adaptation).
- Augenlinse: Hinter der Iris ist die elastische Augenlinse an Bändern aufgehängt, die zum ringförmigen Ziliarmuskel verlaufen.
- Netzhaut (Retina): Die ins Augeninnere eingedrungenen Strahlen werden spiegelverkehrt auf der Netzhaut abgebildet. Die Zäpfchen (für farbige Wahrnehmung) und Stäbchen (für Sehen bei Nacht) sind Rezeptoren für das Sehvermögen. Der "gelbe Fleck" ist der Punkt auf der Netzhaut mit den meisten Sehzellen und ist für das schärfste Sehen bei Tag verantwortlich.
Ohr (Auditive Wahrnehmung)
Über das Ohr werden Schallwellen aufgenommen und in Bewegung umgewandelt, die dann als Nervenimpulse in Richtung Gehirn gesendet werden. Da Schildkröten keinen äußeren Gehörgang haben, können sie ausgesandte Schallwellen nur bedingt wahrnehmen. Das Innenohr besteht aus der Gehörschnecke (für die Umwandlung von Schall in Nervenimpulse) und dem Labyrinth (Bogengänge), das als Gleichgewichtsorgan dient. Gehörschnecke und Labyrinth sind mit einer Flüssigkeit, der Endolymphe, gefüllt.
Nase (Geruchssinn)
Der Geruchssinn stellt den komplexesten chemischen Sinn dar. Geruch und Geschmack beeinflussen sich gegenseitig. Die Nase dient vor allem dem Aufspüren von Nahrung und Partnern. Landschildkröten haben keine Nasenflügel; die Luft strömt direkt über die zwei Nasenlöcher, die mittig zwischen den Augen liegen, in die Nasenhöhle. Die Nasenmuscheln im Inneren beherbergen das Riechorgan.
Zunge (Geschmackssinn)
Chemische Sinnesreize werden mit Hilfe der Knospen der Zungenpapillen aufgenommen, die den Geschmack vermitteln.
Haut (Tastsinn)
Im Vergleich zu anderen Tierarten ist die Haut der Reptilien drüsenarm und trocken. Sie wird regelmäßig abgestoßen und durch neue Haut ersetzt, da sie nicht mitwachsen kann. Dieser regelmäßige Austausch der Haut wird als Häutung (Ecdysis) bezeichnet.
Weitere Körperfunktionen und ihre Systeme
Neben den Sinnesorganen und dem Gehirn spielen auch andere Systeme eine wichtige Rolle im Körper der Schildkröte:
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Atmungsapparat (Apparatus respiratorius)
Der Atmungsapparat erstreckt sich von den vorderen Atemwegen (Nase, Nasenhöhle und Rachenhöhle) bis zu den hinteren Atemwegen (Luftröhre, Bronchien und Lunge) und endet in den Lungenbläschen (Alveoli). Er dient der Aufnahme von gasförmigen Stoffen (v.a. Sauerstoff) und der Abgabe von gasförmigen Stoffwechselprodukten (v.a. Kohlendioxid).
Verdauungsapparat (Apparatus digestorius)
Der Verdauungsapparat beginnt an der Maulhöhle und reicht bei Reptilien bis zur Kloake.
Harn- und Geschlechtsapparat (Apparatus urogenitalis)
Der Harn- und Geschlechtsapparat fasst die Harnorgane (Nieren, Harnleiter, Harnblase) und Geschlechtsorgane (Hoden/Eierstöcke, Eileiter, Klitoris) zusammen.
Endokrines System
Das endokrine System besteht aus spezialisierten Organen, Geweben und Zellgruppen, die die Steuerung komplexer Körperfunktionen mit Hilfe von Botenstoffen (Hormonen) vollziehen. Bei Schildkröten hat das Hormonsystem besonderen Einfluss auf periodisch wiederkehrende Erscheinungen.
Herz-Kreislauf-System (Systema cardiovasculare)
Das Herz-Kreislauf-System besteht aus dem Herz (Cor) und den Blutgefäßen. Seine Hauptaufgabe ist die Versorgung des Organismus mit Sauerstoff, Nährstoffen und Hormonen sowie die Entsorgung von Kohlendioxid und anderen Abbauprodukten. Schildkröten besitzen ein typisches Reptilienherz.
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Evolutionäre Aspekte des Gehirns
Die Erforschung der Gehirne ausgestorbener Reptilien, wie der Therapsiden, kann Aufschluss über die Evolution des Gehirns geben. Paläontologen spekulieren seit über 100 Jahren über die sogenannte „nicht-verknöcherte Zone“ im Hinterkopf der Therapsiden. Vermutungen reichen von einer Vergrößerung von Teilen des Kleinhirns über funktionslose Nebenhöhlen bis hin zu einem blutgefüllten Hohlraum.
Eine Studie von Michael Laaß von der Universität Duisburg-Essen untersuchte den Schädel des ca. 255 Millionen Jahre alten Therapsiden Diictodon feliceps mit Hilfe von Neutronenmessungen an der Radiografie- und Tomografieanlage ANTARES des MLZ. Die Neutronenradiographie ermöglichte es, das Innere des Schädels sichtbar zu machen.
Bisher war über die Form und das Blutgefäßsystem des Therapsidengehirns nur wenig bekannt, da Weichteile nicht erhalten sind. Rückschlüsse auf den Bau des Gehirns wurden anhand der Form der umschließenden Hirnkapsel gezogen, die jedoch bei den meisten Therapsiden nur unvollständig verknöchert ist. Zudem füllte das Gehirn vermutlich, ähnlich wie bei heutigen Schildkröten, die Hirnkapsel nicht vollständig aus.
Interessanterweise füllte das Gehirn von Diictodon die Hirnkapsel weitestgehend aus, sodass dessen äußere Form und die Blutgefäße deutliche Abdrücke in der Hirnkapsel hinterließen. Diese Ergebnisse ermöglichten es, den Bau des Therapsidengehirns besser zu verstehen und einen vollständigeren Bauplan der Blutgefäße zu rekonstruieren.
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