Migräne und Epilepsie sind zwei unterschiedliche neurologische Erkrankungen, die jedoch einige Gemeinsamkeiten aufweisen und in manchen Fällen schwer voneinander zu unterscheiden sind. Beide Erkrankungen zeichnen sich durch episodische Manifestationen aus, das heißt, sie treten in Form von Anfällen auf, die von beschwerdefreien Intervallen unterbrochen werden.
Epidemiologie: Häufigkeit und Auftreten
Die Inzidenz, also die Anzahl der Neuerkrankungen, unterscheidet sich bei Migräne und Epilepsie deutlich. Migräne ist mit einer Prävalenz von etwa 12 Prozent deutlich häufiger als Epilepsie, die bei etwa 0,7 Prozent der Bevölkerung vorkommt. Dies bedeutet, dass Migräne etwa 20-mal häufiger auftritt als Epilepsie.
Der Krankheitsbeginn und die Aktivitätsmuster der Erkrankung unterscheiden sich ebenfalls. Bei Migräne steigt die Inzidenz von Kopfschmerzen ab der Pubertät an und fällt mit dem 60. Lebensjahr wieder ab. Bei Epilepsie ist die Inzidenz in den ersten Lebensjahren besonders hoch, sinkt dann bis zum 60. Lebensjahr und steigt danach wieder an.
Symptome und Diagnose
Sowohl Migräne als auch Epilepsie können mit Empfindungsstörungen und Stimmungsschwankungen einhergehen. Migräneattacken entwickeln sich oftmals langsam, das heißt, Vorboten wie Müdigkeit oder Gereiztheit kündigen den Anfall an, bis dann gegebenenfalls eine Aura entsteht und schließlich die Kopfschmerzen beginnen.
Migräne
Als Migräne werden wiederkehrende, meist einseitige, Kopfschmerzen bezeichnet, die mit Beschwerden wie Übelkeit, Sensibilitätsstörungen und Sinnesstörungen, beispielsweise Lichtblitzen im Blickfeld (Auren), einhergehen. Betroffene haben ganz unterschiedliche und persönliche Auslöser, sogenannte Trigger, die Migräneattacken verursachen. Die Diagnose einer Migräne wird in der Regel anhand der klinischen Kriterien gestellt. Bildgebende Verfahren können bei der Migräne-Diagnostik helfen, sind aber nicht immer erforderlich.
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Epilepsie
Unter Epilepsie werden Erkrankungen zusammengefasst, die sich in wiederkehrenden epileptischen Anfällen äußern. Bei einer Epilepsie kommt es durch unterschiedlichste Ursachen und Auslöser zu einer übermäßigen elektrischen Entladung von Nervenzellen im Gehirn. So können zum Beispiel Stoffwechselstörungen, genetische Faktoren, Kopfverletzungen, gutartige und bösartige Tumore, Hirnhautentzündungen oder Schlaganfälle entsprechende Veränderungen im Gehirn verursachen, welche solche übermäßigen Entladungen der Neuronen begünstigen. Dann kommt es zu Symptome wie Muskelkrämpfen, Stürzen und Bewusstlosigkeit, aber auch zu durchaus subtileren Anfallsformen. Oft ist die genaue Ursache jedoch unbekannt. Die Diagnose einer Epilepsie wird in der Regel anhand der Anamnese, der klinischen Untersuchung und des EEGs gestellt. In manchen Fällen sind auch bildgebende Verfahren erforderlich.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Migräne und Epilepsie haben einige Berührungspunkte: Beide Erkrankungen entstehen im Kopf, haben ähnliche Symptome und treten anfallsweise auf. Sie können sich gegenseitig bedingen und sind für Mediziner manchmal schwierig zu unterscheiden. Ein weiterer Zusammenhang zwischen Migräne und Epilepsie besteht darin, dass sich die beiden Erkrankungen gegenseitig auslösen können. So ist es möglich, dass nach einem epileptischen Anfall eine Migräneattacke entsteht. Generell ist eine Migräne bei einer Epilepsie nichts Seltenes. Bestimmte Migänearten wie beispielsweise die Basilarismigräne sind besonders schwer von einer Epilepsie zu trennen.
Migralepsie
Eine Komplikation der Migräne ist die Migralepsie. Tatsächlich wird unter Fachärzten der Zusammenhang zwischen Migräne und Epilepsie in letzter Zeit intensiv diskutiert. Die seltene Migralepsie bezeichnet einen epileptischen Anfall, der innerhalb einer Stunde nach einer Migräne mit Aura auftritt. Dabei entstehen Krämpfe im Gehirn, Betroffene entwickeln dadurch Symptome eines epileptischen Anfalls: Bewusstseinsverlust und verkrampfte Muskeln am ganzen Körper, die zum Sturz führen können. In der International Classification of Headache Disorders (IHS) ist die Migralepsie per se nicht klassifiziert, wohl aber der zerebrale Krampfanfall, der durch eine Migräneaura getriggert wurde.
Fokale Epilepsie
Fokale Anfälle werden auch als partielle oder lokalisationsbezogene epileptische Anfälle bezeichnet. Diese Anfälle gehen immer von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen in der Regel nur eine Gehirnhälfte. Man unterscheidet fokale Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung (früher auch komplex-fokal genannt) und fokale Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung (früher einfach fokale Anfälle). Fokale epileptische Anfälle, vor allem solche mit Bewusstseinsstörung, können in einen sogenannten sekundär generalisierten Anfall (auch bilateral tonisch-klonischer Anfall) übergehen, der dann beide Gehirnhälften betrifft.
Generalisierte Epilepsie
Bei generalisierten Anfällen lässt sich keine bestimmte Hirnregion zuordnen, in der der epileptische Anfall entsteht. Während eines Anfalls kann die Ausbreitung unterschiedlich verlaufen und das gesamte Hirnareal betreffen. Ein myoklonischer Anfall verursacht keine Bewusstseinsstörungen, sondern äußert sich mit Muskelzuckungen. Der tonisch-klonische Anfall oder auch Grand-mal-Anfall ist die Anfallsform, die am häufigsten mit der Krankheit Epilepsie in Verbindung gebracht wird.
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Komorbidität
Epilepsiepatienten leiden überdurchschnittlich häufig unter Kopfschmerzen. Dies gilt insbesondere für Patienten mit idiopathisch generalisierten und parietookzipitalen Epilepsien. Die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von Kopfschmerzen und Epilepsie überschreitet dabei die rechnerische Koinzidenz, sodass von einer Komorbidität beider Syndrome auszugehen ist. Bestärkt wird diese Hypothese durch überlappende genetische Veränderungen sowie gemeinsame pathophysiologische Mechanismen.
Pathophysiologie
Pathophysiologisch unterliegen sowohl Epilepsie als auch Migräne einer neuronalen Hyperexzitabilität. Die Migräne-Aura zeichnet sich durch die "spreading depolarisation" aus. Dieser Prozess, sowie das Auftreten der Aura, dauert üblicherweise 15 bis 20 Minuten an. Normalerweise beginnt der Prozess der neuronalen Depolarisation occipital und wandert mit einer Geschwindigkeit von drei Millimeter pro Minute nach vorne. Der Migräne-Kopfschmerz an sich stellt ein anderes Phänomen dar. Er ist mit einer Aktivierung des trigemino-vaskulären Systems assoziiert.
Der Zusammenhang von Epilepsie und Migräne begründet sich durch deren pathophysiologische Parallelen: Es wird angenommen, dass „cortical spreading depression“ (CSD), sprich eine sich langsam ausbreitende kortikale Depolarisationswelle (2-6 mm/min), durch Aktivierung des trigeminovaskulären Systems zu den typischen Migränekopfschmerzen führt. CSD erhöht die neuronale Erregbarkeit, sodass CSD das Auftreten epileptischer Anfälle begünstigen könnte.
Differenzialdiagnose
Ein paroxysmales Auftreten neurologischer Ausfallsymptome zusammen mit Kopfschmerzen sowie z. T. visueller und vegetativer Symptomatik lässt ätiologisch neben der Epilepsie an eine Migräne oder kardiovaskuläre Ereignisse denken. Als wichtigste Differenzialdiagnosen sind hierbei neben der Migräne Synkopen, eine transiente globale Amnesie (TGA) und Blutungen bzw. Ischämien im Bereich der hinteren Strombahn zu nennen.
Therapie
Ziel der Behandlung chronischer Erkrankungen mit episodischen Manifestationen, wie Epilepsie oder Migräne, ist die Aufrechterhaltung eines möglichst normalen Lebensstils für die Patienten. Dazu gehört eine bestmögliche Symptomkontrolle. Bei der Behandlung der Migräne steht die Pharmakotherapie im Vordergrund. Begleitend, nicht nachgeordnet, sollen Verhaltenstherapie und aerober Ausdauersport betrieben werden. Zur Pharmakotherapie der Epilepsie sind in der Monotherapie zahlreiche Medikamente zugelassen.
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