Migräne-Epilepsie-Syndrom: Eine komplexe neurologische Verbindung

Lange Zeit wurden Zusammenhänge zwischen Epilepsie und Migräne eher als zufällig betrachtet. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass Migräne- und Epilepsiesyndrome in vielen Fällen interagieren. Migräneattacken können epileptische Anfälle auslösen und umgekehrt. Epilepsien finden sich bei Migränepatienten häufiger als in der übrigen Bevölkerung.

Epidemiologie und Prävalenz

Wissenschaftlich betrachtet sind Migräne und Epilepsie chronische Anfallsleiden mit episodischen Manifestationen. Die Inzidenzen beider Erkrankungen unterscheiden sich um den Faktor 20, dennoch ist ihre Komorbidität auffallend hoch. Die Prävalenz der Migräne beträgt etwa 12 Prozent, während Epilepsie nur in etwa 0,7 Prozent der Patienten vorkommt. Migräne ist demnach etwa 20-mal häufiger als Epilepsie. In Europa leiden schätzungsweise 2,6 Millionen Patienten an Epilepsie und etwa 50 Millionen unter Migräne.

Interaktion von Migräne und Epilepsie

Auslöser und Symptome

Migräneattacken können epileptische Anfälle auslösen und umgekehrt - dies vor allem bei Basilarismigräne. Bei Betroffenen mit Temporallappen-Epilepsien tritt Migräne familiär gehäuft auf. Migräne und Epilepsie haben einige Berührungspunkte: Beide Erkrankungen entstehen im Kopf, haben ähnliche Symptome und treten anfallsweise auf. Sie können sich gegenseitig bedingen und sind für Mediziner manchmal schwierig zu unterscheiden.

Migralepsie

Ein weiterer Zusammenhang zwischen Migräne und Epilepsie besteht darin, dass sich die beiden Erkrankungen gegenseitig auslösen können. So ist es möglich, dass nach einem epileptischen Anfall eine Migräneattacke entsteht. Die seltene Migralepsie bezeichnet einen epileptischen Anfall, der innerhalb einer Stunde nach einer Migräne mit Aura auftritt. Dabei entstehen Krämpfe im Gehirn, Betroffene entwickeln dadurch Symptome eines epileptischen Anfalls: Bewusstseinsverlust und verkrampfte Muskeln am ganzen Körper, die zum Sturz führen können. In der International Classification of Headache Disorders (IHS) ist die Migralepsie per se nicht klassifiziert, wohl aber der zerebrale Krampfanfall, der durch eine Migräneaura getriggert wurde.

Die Diagnose ist erfüllt, wenn:

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  • die Migräne die Kriterien einer Migräne mit Aura erfüllt
  • sich ein zerebraler Krampfanfall, der die Kriterien eines Epilepsietyps erfüllt, während oder innerhalb von einer Stunde nach einer Migräneaura ereignet

Periiktale Kopfschmerzen

Im Rahmen einer Studie klagte jeder dritte Epilepsiepatient über einen periiktalen Kopfschmerz. Unter dem Begriff periiktale Kopfschmerzen werden präiktale und postiktale Kopfschmerzen zusammengefasst. Präiktale Kopfschmerzen beginnen innerhalb von 24 Stunden vor dem Anfall, postiktale innerhalb von 24 Stunden nach dem Anfall. In der Regel treten diese Schmerzen zeitlich nahe dem epileptischen Anfall auf. Ein Fünftel der Patienten mit periiktalen Kopfschmerzen hatte einen präiktalen Kopfschmerz, vier Fünftel einen postiktalen. Mehr als ein Viertel der periiktalen Kopfschmerzen waren migränösen Charakters, erfüllten also die Kriterien einer Migräneattacke. 62 % waren Spannungskopfschmerzartig, die restlichen Kopfschmerzformen waren nicht kategorisierbar. Die Schmerzen waren stark ausgeprägt. Patienten mit generalisierten, tonisch-klonischen Anfällen litten sehr häufig an periiktalen Kopfschmerzen.

Pathophysiologie

Pathophysiologisch unterliegen sowohl Epilepsie als auch Migräne einer neuronalen Hyperexzitabilität. Die Migräne-Aura zeichnet sich durch die "spreading depolarisation" aus. Normalerweise beginnt der Prozess der neuronalen Depolarisation occipital und wandert mit einer Geschwindigkeit von drei Millimeter pro Minute nach vorne. Hinter dieser Front besteht eine Phase der verringerten neuronalen Depolarisation mit einem gleichzeitig verringerten Blutfluss. Dagegen ist der Blutfluss im Bereich der Aurafront erhöht. Der Migräne-Kopfschmerz an sich stellt ein anderes Phänomen dar. Er ist mit einer Aktivierung des trigemino-vaskulären Systems assoziiert. Wahrscheinlich werden die Nozizeptoren der betroffenen Gefäße durch einen akuten inflammatorischen Prozess gereizt.

Genetische Aspekte

Die komplexe Interaktion zwischen beiden Entitäten zeichnet sich durch unterschiedliches zeitliches Auftreten, Lateralisation und verschiedenartige genetische Hintergründe aus. Eine niederländische Arbeitsgruppe hat mögliche Gen-Loci identifiziert, die an der Entstehung von Migräne beteiligt sein können. Die Forscher konnten 13 Suszepitbilitäts-Genvarianten identifizieren, die in Clustern auf fünf verschiedene pathophysiologische Pathways hindeuten. Insbesondere für die genetischen Hintergründe der epileptischen Enzephalopathien liegen belastbare Daten vor. 17 Prozent der epileptischen Enzephalopathien sind über genetischen Faktoren erklärbar. Von den genetisch-generalisierten Epilepsien sind hingegen nur fünf Prozent eindeutig gesichert. Es gibt zwar seltene Fälle von autosomal-dominanter Frontallappenepilepsie, insgesamt sind jedoch nur zwei Prozent genetisch erklärbar. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder einzelne Familien, bei denen ein konkreter Gen-Locus identifiziert wurde, der für die Entstehung seltener, familiärer occipitotemporaler Epilepsien und Migränen mit visueller Aura verantwortlich ist.

Ein Beispiel hierfür ist die Familiäre Hemiplegische Migräne (FHM), eine seltene monogen bedingte Form der Migräne. Bisher sind in drei Genen pathogene Varianten im Zusammenhang mit familiärer, hemiplegischer Migräne beschrieben: CACNA1A, ATP1A2 und SCN1A. Die FHM gehört damit zu den Ionenkanalerkrankungen. Pathogene Varianten in den drei ursächlichen Genen sind auch als Ursache von Epilepsien beschrieben, das SCN1A-Gen z.B.

Komorbiditäten

Die Arbeitsgruppe von Josemir Sander aus London hat sich intensiv mit Komorbiditäten von Epilepsie beschäftigt und insgesamt fünf Komorbiditäts-Kategorien gebildet:

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  1. Epilepsie und eine andere Erkrankung treten ohne jeglichen Zusammenhang auf.
  2. Komorbiditäten, die direkt oder indirekt zu Epilepsie führen können.
  3. Die Epilepsie kann dazu führen, dass andere Erkrankungen auftreten, oft Anfalls-assoziiert.
  4. Es gibt gemeinsame Risikofaktoren, die auf der einen Seite Epilepsie auslösen und zusätzlich eine andere Erkrankung hervorrufen, wie beispielsweise Kopfschmerzen oder Migräne.
  5. Bidirektionaler Zusammenhang.

Eine Metaanalyse hat ergeben, dass bei Patienten mit Epilepsie ein 1,52-faches Risiko besteht, eine Migräne zu entwickeln. Die umgekehrte Situation, also das Auftreten von Epilepsie bei Migränepatienten, tritt mit einem Faktor von 1,79 häufiger auf als bei Patienten ohne Migräne.

Weitere Erkrankungen, die häufiger in Verbindung mit Migräne auftreten, sind:

  • Depressionen
  • Angststörungen
  • Schlaganfall
  • Herzkrankheiten
  • Asthma
  • Fettleibigkeit
  • Parkinson-Krankheit
  • Verdauungsprobleme
  • Bellsche Lähmung

Diagnose

Schlussendlich kann nur ein Arzt die treffende Diagnose stellen. Für eine umfassende Diagnose und eine gezielte Behandlung ist der Gang zum Arzt unerlässlich. Bildgebende Verfahren können bei der Migräne-Diagnostik helfen. Wichtig ist, bei der Anamnese auch nach Migräneattacken, Kopfschmerzen und verlängerten migränetypischen Auren zu fragen. Die Verbindung mit der Migräne deute auf einen okzipitotemporal gelegenen Fokus hin, von dem Migräne und epileptische Anfälle gleichermaßen ausgehen.

Therapie

Gemeinsames therapeutisches Ziel ist die Anfallsfreiheit durch geeignete pharmakologische und chirurgische Interventionen. Ziel der Behandlung chronischer Erkrankungen mit episodischen Manifestationen, wie Epilepsie oder Migräne, ist die Aufrechterhaltung eines möglichst normalen Lebensstils für die Patienten. Dazu gehört eine bestmögliche Symptomkontrolle. Im Idealfall hat der Patient unter der Therapie weder epileptische Anfälle noch Migräne-Attacken.

Epilepsie

Erst nachdem Patienten epilepsiechirurgisch evaluiert worden sind, sollten andere therapeutische Konzepte erwogen werden. Dazu gehören Neurostimulation, ketogene Diät und Bio-Feedback-Verfahren. Die beste Evidenz liegt diesbezüglich für die Neurostimulation vor. Zur Pharmakotherapie der Epilepsie sind in der Monotherapie zahlreiche Medikamente zugelassen, ebenso zur Zusatztherapie.

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Migräne

Bei der Behandlung der Migräne steht die Pharmakotherapie im Vordergrund. Begleitend sollen Verhaltenstherapie und aerober Ausdauersport betrieben werden. Medikamente zur Behandlung der Migräneattacken sind nicht in allen Fällen ausreichend, um die Symptome zu unterbinden. Bei einzelnen Patienten sei zusätzlich die Gabe von Antiepileptika erforderlich.

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