Migräne mit Aura und Epilepsie sind beides neurologische Erkrankungen, die durch episodische Ereignisse gekennzeichnet sind. Obwohl sie unterschiedliche Erkrankungen sind, weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf und können in manchen Fällen schwer zu differenzieren sein. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Migräne mit Aura und Epilepsie, um eine bessere Abgrenzung und ein besseres Verständnis beider Erkrankungen zu ermöglichen.
Einführung
Migräne und Epilepsie sind zwei der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Migräne betrifft etwa 12 % der Bevölkerung, während Epilepsie bei etwa 0,7 % der Bevölkerung vorkommt. Obwohl beide Erkrankungen Anfallsleiden mit episodischen Manifestationen sind, unterscheiden sie sich in ihren Ursachen, Symptomen und Behandlungen. Die Differenzierung der Migräne und der Epilepsie kann aufgrund ihrer klinischen Gemeinsamkeiten und der Komorbidität beider Erkrankungen schwierig sein.
Definitionen
Migräne mit Aura
Eine Migräne mit Aura ist eine Form der Migräne, die von neurologischen Symptomen begleitet wird, die typischerweise vor den Kopfschmerzen auftreten. Diese Symptome werden als Aura bezeichnet und können visuelle, sensorische oder motorische Störungen umfassen. Visuelle Auren sind die häufigsten und können Flimmern, Blitze, Punkte oder Zackenlinien im Gesichtsfeld umfassen. Sensorische Auren können Taubheitsgefühle, Kribbeln oder ein Gefühl von Nadelstichen in den Gliedmaßen oder im Gesicht umfassen. Motorische Auren können Schwäche oder Lähmung einer Körperseite umfassen.
Die Symptome der Migräne-Aura entstehen vermutlich durch eine Erregungswelle, die über die Hirnrinde läuft und zu einer vorübergehenden Störung führt. Eine Migräne-Aura ist eine vorübergehende neurologische Funktionsstörung, die während eines Migräne-Anfalls, aber auch ohne Kopfschmerzen, auftreten kann. Bei der Entstehung einer Migräne-Aura sind vermutlich mehrere Mechanismen beteiligt, die während eines Migräne-Anfalls im Gehirn ablaufen. Über eine Aktivierung der schmerzleitenden Nervenfasern und Schmerzzentren im Gehirn werden verschiedene Botenstoffe, so genannte Neurotransmitter, ausgeschüttet. Diese sogenannte Schmerzkaskade löst wiederum eine Entzündung der Hirngefäße und damit eine vorübergehende Durchblutungsstörung der Hirnrinde aus.
Typische Symptome einer Migräne-Aura sind Sehstörungen in Form von Flimmersehen, die von den Patientinnen als Blitze, Punkte, Zacken- oder wellenförmige Bewegungen wahrgenommen werden und die sich meist langsam über das Gesichtsfeld ausbreiten. Häufig kommt es auch zu fleckförmigen Ausfällen des Gesichtsfeldes, das heißt Patientinnen sehen nur noch einen Teil der Umwelt oder einer Person. Weitere, seltenere Symptome sind vorübergehende Sprachstörungen oder Sensibilitätsstörungen, sehr selten auch Lähmungen einer Körperhälfte.
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Eine typische Migräne-Aura dauert 5 bis 60 Minuten, seltener auch mal etwas länger. Etwa 15 bis 25 Prozent der Patientinnen mit Migräne kennen Aura-Symptome. Die meisten Patientinnen mit einer Migräne mit Aura kennen Migräne-Anfälle mit und ohne Aura-Symptomen. Häufig tritt die Aura vor Beginn der Kopfschmerzen auf, sie kann aber auch währenddessen oder danach auftreten. Bei Vielen tritt die Aura manchmal auch ganz ohne Kopfschmerzen auf. Das nennt man dann eine „isolierte Aura“.
Viele Patient*innen kennen Auslöser, so genannte Trigger, die bei ihnen zu einem Migräne-Anfall führen können. Das sind zum Beispiel: unregelmäßiger Schlaf, längere Phasen ohne ausreichend zu essen und zu trinken, Stress, starke psychische oder körperliche Belastungen, bestimmte Reize wie Flackerlicht oder schlechte Luft in stickigen Räumen, Alkohol, z.B. Rotwein, oder bestimmte Nahrungsmittel. In jedem Fall lohnt es sich herauszufinden, ob es spezielle Trigger für die Migräne bei einem selbst gibt, die man dann vermeiden kann.
Epilepsie
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Epileptische Anfälle sind plötzliche, unkontrollierte Entladungen elektrischer Aktivität im Gehirn, die zu Veränderungen im Bewusstsein, Verhalten oder in der Bewegung führen können.
Bei einer Epilepsie kommt es durch unterschiedlichste Ursachen und Auslöser zu einer übermäßigen elektrischen Entladung von Nervenzellen im Gehirn. So können zum Beispiel Stoffwechselstörungen, genetische Faktoren, Kopfverletzungen, gutartige und bösartige Tumore, Hirnhautentzündungen oder Schlaganfälle entsprechende Veränderungen im Gehirn verursachen, welche solche übermäßigen Entladungen der Neuronen begünstigen. Dann kommt es zu Symptome wie Muskelkrämpfen, Stürzen und Bewusstlosigkeit, aber auch zu durchaus subtileren Anfallsformen. Oft ist die genaue Ursache jedoch unbekannt.
Das „Gewitter im Gehirn“ betrifft entweder Teilbereiche des Gehirns (fokale Epilepsie) oder das gesamte Gehirn (generalisierte Epilepsie). Bestimmte Abläufe, Häufigkeiten und Symptome werden zu sogenannten Epilepsie-Syndromen zusammengefasst, etwa der Juvenilen Absence-Epilepsie, dem Dravet-Syndrom oder der Rolando-Epilepsie. Zudem ist nicht jeder einmalige Krampfanfall gleichbedeutend mit einer Epilepsie.
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Der Begriff „Epilepsie“ beschreibt demnach das Auftreten oder das Risiko für das Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle in bestimmten zeitlichen Abständen, während ein einmaliger epileptischer Anfall nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch eine Epilepsie vorliegt, die mit Anfallssuppressiva behandelt werden muss.
Fokale Anfälle werden auch als partielle oder lokalisationsbezogene epileptische Anfälle bezeichnet. Diese Anfälle gehen immer von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen in der Regel nur eine Gehirnhälfte. Man unterscheidet fokale Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung (früher auch komplex-fokal genannt) und fokale Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung (früher einfach fokale Anfälle). Im ersten Fall nimmt der Patient oder die Patientin den epileptischen Anfall nicht bewusst wahr und kann sich später an nichts erinnern. Bei Erwachsenen ist dies die am häufigsten beobachtete Anfallsform. Fokale epileptische Anfälle, vor allem solche mit Bewusstseinsstörung, können in einen sogenannten sekundär generalisierten Anfall (auch bilateral tonisch-klonischer Anfall) übergehen, der dann beide Gehirnhälften betrifft. Die Symptome fokaler Anfälle richten sich nach dem Ursprungsort im Gehirn.
Bei generalisierten Anfällen lässt sich keine bestimmte Hirnregion zuordnen, in der der epileptische Anfall entsteht. Während eines Anfalls kann die Ausbreitung unterschiedlich verlaufen und das gesamte Hirnareal betreffen. Bei Absencen kommt es zu einer plötzlichen Bewusstseinsstörung, sodass der Patient bzw. die Patientin seine oder ihre momentane Tätigkeit für die Dauer des Anfalls unterbricht. Die Betroffenen starren bei dieser Form eines epileptischen Anfalls oft ins Leere. Diese Anfälle können mehrere Sekunden dauern und sich stark gehäuft über den Tag wiederholen. Betroffene können sich an den Anfall nicht erinnern und fahren mit ihrer Tätigkeit nach dem Anfall wieder fort.
Der tonisch-klonische Anfall oder auch Grand-mal-Anfall ist die Anfallsform, die am häufigsten mit der Krankheit Epilepsie in Verbindung gebracht wird. Die Symptome dieses Anfalls äußern sich meist in einem initialen Schrei des Betroffenen, gefolgt von einer Anspannung der Körpermuskulatur, die dann in Zuckungen des Körpers über geht (siehe oben). Ferner kommt es zu einem Bewusstseinsverlust, sodass sich der Patient bzw. die Patientin im Nachhinein nicht mehr an den Anfall erinnern kann. Auch die Blaufärbung der Lippen ist typisch.
Unterschiede zwischen Migräne mit Aura und Epilepsie
Obwohl Migräne mit Aura und Epilepsie einige Gemeinsamkeiten aufweisen, gibt es auch wichtige Unterschiede:
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- Auslöser: Migräne mit Aura wird häufig durch spezifische Auslöser ausgelöst, wie z. B. Hormonschwankungen, Genussmittel, Wetterumschwünge oder Stress. Epileptische Anfälle können durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, aber oft gibt es keinen klaren Auslöser.
- Prodromi/Aura: Migräne mit Aura ist durch eine Aura gekennzeichnet, die in der Regel visuelle Symptome umfasst. Epileptische Anfälle können von einer Aura begleitet sein, die jedoch vielfältiger sein kann und epigastrische Gefühle, psychische Veränderungen oder vegetative Symptome umfassen kann.
- Klinische Charakteristika: Migräne mit Aura ist typischerweise durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Licht- und Geräuschempfindlichkeit gekennzeichnet. Epileptische Anfälle können sich durch eine Vielzahl von Symptomen äußern, darunter Bewusstseinsverlust, Muskelkrämpfe und Zuckungen.
- Dauer: Migräneattacken dauern in der Regel 4-72 Stunden, während epileptische Anfälle in der Regel nur wenige Minuten dauern.
- EEG: Das EEG ist bei Migräne mit Aura in der Regel normal, kann aber Verlangsamungen oder eine verstärkte Reaktion auf Lichtstimulation zeigen. Bei Epilepsie zeigt das EEG häufig Anfallsmuster oder epilepsietypische Potenziale (ETPs).
- Bildgebung: Die Bildgebung des Gehirns ist bei Migräne mit Aura in der Regel unauffällig, kann aber unspezifische Marklagerläsionen oder subklinische Infarkte zeigen. Bei Epilepsie kann die Bildgebung fokale Läsionen wie Gliosen, Tumore oder Grau-Weiß-Differenzierungsstörungen aufdecken.
Eine detaillierte Übersicht über die Unterschiede bietet die folgende Tabelle:
| Merkmal | Migräne mit Aura | Epilepsie |
|---|---|---|
| Auslöser | Hormonschwankung, Genussmittel, Wetterumschwung, Stress, Schlaf-Wach-Rhythmus | Selten, falls ja stereotyp (z. B. Stroboskoplicht, kognitiver Trigger etc.) |
| Prodromi/Aura | (Visuelle) Aura, Stimmungsschwankung, Inappetenz, Heißhunger, Polydipsie, vermehrtes Gähnen | Epigastrische Aura (aufsteigendes Hitze‑/Übelkeitsgefühl), visuelle/psychische/sensible/sensorische/vertiginöse vegetative Aura |
| Klinische Charakteristika | Visuelle Aura, Skotom, Photopsien, Kopfschmerzen, begleitend Photo‑/Phonophobie, begleitend Übelkeit, Erbrechen; sukzessive Entwicklung neurologischer Symptome | Lateraler Zungenbiss, motorische Entäußerungen, Bewusstseinsstörung |
| Kopfschmerzen | Halbseitige Kopfschmerzen, pulsierend, bohrend, hämmernd, verstärkt bei Bewegung | Prä-/postiktal oder iktal, in der Regel migränetypisch oder Spannungskopfschmerzen |
| Dauer | In der Regel 4-72 h | In der Regel 2-3 min |
| Reorientierung | - | Mehrere Minuten |
| Altersgipfel | Erstmanifestation 15. bis 25. LJ. | Erstmanifestation im Kindesalter und >60. LJ. |
| EEG | In der Regel normales Wach-EEG, z. T. Verlangsamungen, reduzierte Alpha-Power, verstärkte Theta- und Delta-Power, verstärktes „photic driving“ | Anfallsmuster, ETPs, postiktale EEG-Abflachung/Verlangsamung |
| Bildgebung | Z. T. unspezifische Marklagerläsionen, subklinische Infarkte | Z. T. fokale Läsion (z. B. Gliose, Tumor, Grau-Weiß-Differenzierungsstörung) |
Gemeinsamkeiten zwischen Migräne mit Aura und Epilepsie
Trotz der Unterschiede gibt es auch einige Gemeinsamkeiten zwischen Migräne mit Aura und Epilepsie:
- Episodische Natur: Beide Erkrankungen sind durch episodische Ereignisse gekennzeichnet, d. h. sie treten in Anfällen oder Attacken auf.
- Neuronale Hyperexzitabilität: Sowohl bei Migräne als auch bei Epilepsie liegt eine erhöhte Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn vor.
- Komorbidität: Migräne und Epilepsie treten häufig zusammen auf. Patienten mit Epilepsie haben ein höheres Risiko, an Migräne zu erkranken, und umgekehrt.
- Genetische Faktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung beider Erkrankungen spielen können.
- Aura: Sowohl bei Migräne als auch bei Epilepsie kann eine Aura auftreten, die sich in verschiedenen neurologischen Symptomen äußern kann.
Migralepsie: Eine seltene Komplikation
In seltenen Fällen kann es zu einer sogenannten Migralepsie kommen, bei der ein epileptischer Anfall während oder innerhalb einer Stunde nach einer Migräne mit Aura auftritt. Die Diagnose ist erfüllt, wenn a) die Migräne, die Kriterien einer Migräne mit Aura erfüllt und b) sich ein zerebraler Krampfanfall, der die Kriterien eines Epilepsietyps erfüllt, während oder innerhalb von einer Stunde nach einer Migräneaura ereignet.
Pathophysiologische Mechanismen
Sowohl Epilepsie als auch Migräne unterliegen einer neuronalen Hyperexzitabilität. Die Migräne-Aura zeichnet sich durch die "spreading depolarisation" aus. Normalerweise beginnt der Prozess der neuronalen Depolarisation occipital und wandert mit einer Geschwindigkeit von drei Millimeter pro Minute nach vorne. Der Gyrus postcentralis wird nach etwa 10 bis 15 Minuten erreicht. Hinter dieser Front besteht eine Phase der verringerten neuronalen Depolarisation mit einem gleichzeitig verringerten Blutfluss. Dagegen ist der Blutfluss im Bereich der Aurafront erhöht.
Diagnose
Die Diagnose von Migräne mit Aura und Epilepsie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, einer neurologischen Untersuchung und gegebenenfalls zusätzlichen Untersuchungen wie EEG und Bildgebung des Gehirns.
Behandlung
Die Behandlung von Migräne mit Aura und Epilepsie zielt darauf ab, die Anfälle oder Attacken zu reduzieren und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Migräne mit Aura
Zur Behandlung der Migräne mit Aura werden dieselben Medikamente wie bei einer Migräne ohne Aura eingesetzt. Leichte Migräne-Anfälle lassen sich häufig gut mit Paracetamol, Ibuprofen, Aspirin und ähnlichen Schmerzmitteln behandeln. Bei Unwirksamkeit dieser Medikamente kann man spezielle Migränemittel, die so genannten Triptane einsetzen. Wichtig bei einer Migräne mit Aura ist, dass Triptane erst nach Abklingen der Aura-Symptome eingenommen werden sollten.
Außerdem kann man die Migräne mit Aura auch vorbeugend behandeln. Dazu gehören regelmäßiger Ausdauersport wie beispielsweise Joggen, Schwimmen, Radfahren, die Anwendung von Entspannungstechniken wie zum Beispiel Yoga, progressive Muskelrelaxation und autogenes Training oder Biofeedback-Techniken. Auch psychologische, zum Beispiel so genannte verhaltenstherapeutische Verfahren können helfen, insbesondere wenn auch eine Depression oder eine Angststörung bestehen. Wenn diese Maßnahmen nicht reichen, können verschiedene Medikamente zur Vorbeugung von Migräne eingesetzt werden. Dazu gehören Blutdruckmittel wie Betablocker, Antidepressiva und bestimmte Mittel, die eigentlich gegen Epilepsie wirken.
Seit einigen Jahren gibt es eine neue Behandlung mit so genannten Antikörpern gegen einen bestimmten Botenstoff, das so genannte CGRP, das während des Migräne-Anfalls ausgeschüttet wird.
Epilepsie
Die Epilepsie gilt als eine der am besten zu behandelnden neurologischen Erkrankungen der Welt und bis zu zwei Drittel der Patientinnen und Patienten werden durch die medikamentöse Therapie mit Antikonvulsiva anfallsfrei. Da Epilepsie jedoch nicht heilbar ist, gilt die Anfallskontrolle als wichtigstes Ziel. Diese ist oft nur durch eine lebenslange Einnahme der Anfallssuppressiva möglich, welche dann aber oft ein uneingeschränktes und selbstständiges Leben bis ins hohe Alter ermöglicht.