Migräne und Epilepsie sind beides chronische neurologische Erkrankungen, die durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet sind. Obwohl sie unterschiedliche Ursachen und Symptome haben, weisen sie auch einige Gemeinsamkeiten auf und können in manchen Fällen miteinander interagieren. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Migräne und Epilepsie, die Rolle der Medikamente bei der Behandlung beider Erkrankungen und gibt einen Ausblick auf zukünftige Therapieansätze.
Migräne: Eine häufige Kopfschmerzerkrankung
Migräne ist eine primäre Kopfschmerzerkrankung, die durch wiederkehrende, pulsierende Kopfschmerzen gekennzeichnet ist, die 4 bis 72 Stunden andauern können. Die Kopfschmerzen werden oft von Übelkeit, Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet. Bei etwa 15 % der Patienten tritt eine Migräne mit Aura auf, bei der neurologische Symptome wie visuelle Störungen (z. B. Lichtblitze, gezackte Linien) oder sensible Störungen auftreten.
Die Prävalenz der Migräne liegt bei etwa 14 % bei Frauen und 8 % bei Männern, was sie zur häufigsten neurologischen Erkrankung macht. Es wird zwischen episodischer und chronischer Migräne unterschieden, wobei bei chronischer Migräne an 15 oder mehr Tagen im Monat Kopfschmerzen bestehen, von denen mindestens 8 Tage die Kriterien einer Migräneattacke erfüllen müssen.
Therapie der Migräneattacke
Zur Behandlung von leichten und mittelschweren Migräneattacken können Analgetika wie Acetylsalicylsäure und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac eingesetzt werden. Bei Patienten, bei denen diese Medikamente nicht ausreichend wirksam sind oder bei schweren Migräneattacken, sollten Triptane (5-HT1B/1D-Agonisten) eingesetzt werden. Die sieben verfügbaren Triptane (Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan) sind alle in großen placebokontrollierten Studien untersucht worden, wobei Eletriptan und Rizatriptan die beste Wirksamkeit gezeigt haben. Bei Patienten, die auf orale Therapie nicht ansprechen, bei frühem Erbrechen oder wenn ein rascher Wirkungseintritt notwendig ist, kann Sumatriptan subkutan verabreicht werden.
Mutterkornalkaloide sind ebenfalls wirksam bei der Behandlung akuter Migräneattacken, allerdings sind sie weniger wirksam als Triptane und haben mehr Nebenwirkungen. Daher sollten sie nur noch bei Patienten angewendet werden, bei denen sie wirksam sind und vertragen werden.
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Es ist wichtig, Medikamente zur Therapie akuter Migräneattacken so früh wie möglich einzunehmen, da sie dann am besten wirken. Triptane sollten nicht eingenommen werden, solange noch Aurasymptome bestehen. Wenn die Wirkung der Akuttherapie nachlässt, kann eine zweite Dosis der Medikation genommen werden. Patienten, bei denen Triptane nicht ausreichend wirksam sind, können diese mit NSAR kombinieren.
Um einen chronischen Kopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln zu vermeiden, ist eine Aufklärung und Schulung der Patienten notwendig. Dieser ist definiert als ein Kopfschmerz, der mehr als 3 Monate besteht bei Patienten, die an 15 Tagen oder mehr im Monat einfache Analgetika einnehmen oder an 10 Tagen oder mehr Triptane, Mutterkornalkaloide, Opioide oder analgetische Mischpräparate. Opioidanalgetika haben eine sehr begrenzte Wirksamkeit und ein hohes Potenzial, Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Medikamenten hervorzurufen. Sie haben darüber hinaus ein nicht unerhebliches Abhängigkeitspotenzial und sollten deswegen zur Therapie akuter Migräneattacken nicht verwendet werden.
Bei Migränepatienten, die einen Arzt zur Behandlung ihrer Migräneattacke aufsuchen oder in eine Notfallambulanz kommen, können Acetylsalicylsäure in Kombination mit Metoclopramid, Metamizol oder die subkutane Gabe von Sumatriptan eingesetzt werden. Beim Status migraenosus, das heißt bei Migräneattacken, die länger als 72 Stunden anhalten, erfolgt die Therapie durch eine einmalige Gabe von 50-100 mg Prednison.
Migräneprophylaxe
Bei Patienten mit häufigen oder langanhaltenden Migräneattacken sollte eine medikamentöse und nichtmedikamentöse Migräneprophylaxe eingeleitet werden. Indikationen für die Migräneprophylaxe sind 3 oder mehr Migräneattacken pro Monat, die die Lebensqualität beeinträchtigen, Migräneattacken, die länger als 48-72 Stunden anhalten, Attacken, die auf die empfohlene Akuttherapie nicht ansprechen, Patienten, die die Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht tolerieren können, und bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln an 10 Tagen oder mehr im Monat.
Am besten durch randomisierte kontrollierte Studien belegt ist die prophylaktische Wirkung der Betablocker Propranolol und Metoprolol, des Kalziumantagonisten Flunarizin sowie der Antikonvulsiva Valproinsäure und Topiramat. Auch das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin ist wirksam. Valproinsäure soll wegen seiner ausgeprägten teratogenen Eigenschaften bei Frauen im gebärfähigen Alter nicht eingesetzt werden. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind in der Prophylaxe der Migräne nicht wirksam.
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Beim Einsatz einer medikamentösen prophylaktischen Therapie müssen Begleiterkrankungen berücksichtigt und Nebenwirkungen antizipiert werden. Liegt beispielsweise neben der Migräne eine Depression vor, kommt als Mittel der ersten Wahl Amitriptylin in Betracht. Bei Patienten mit komorbider Epilepsie werden Topiramat oder Valproinsäure eingesetzt.
Eine nachgewiesene Wirksamkeit der Prophylaxe der chronischen Migräne haben Topiramat und Onabotulinumtoxin A. Onabotulinumtoxin A wird in einer Dosis von 155 oder 195 IE alle 3 Monate im Bereich der Stirn, der Schläfe, des Hinterkopfs, des Nackens und der Schultermuskulatur injiziert.
Der Nachweis der Wirksamkeit einer medikamentösen Migräneprophylaxe ist bei Kindern und Jugendlichen schwer zu führen. Dies liegt an dem sehr hohen Placeboeffekt einer Therapie bei Kindern. Zunächst sollten deshalb nichtmedikamentöse Verfahren eingesetzt werden. Sind diese nicht ausreichend wirksam, können Betablocker wie Propranolol in einer an das Körpergewicht angepassten Dosierung oder 5 mg Flunarizin jede zweite Nacht gegeben werden.
Bei Schwangeren, bei denen die Migränehäufigkeit nicht im Rahmen der Schwangerschaft zurückgeht, können Metoprolol, Propranolol oder Amitriptylin verwendet werden.
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von nichtinvasiven Neurostimulationsverfahren entwickelt, die für die Prophylaxe der Migräne wirksam sind. Dazu gehört die transkutane Stimulation des N. supraorbitalis. Invasive Verfahren der Neurostimulation, wie die bilaterale Stimulation des N. occipitalis major oder die Implantation einer Elektrode in das Ganglion sphenopalatinum, die beim chronischen Clusterkopfschmerz wirksam sind, werden zur Migräneprophylaxe nicht empfohlen. Abgeraten wird von der chirurgischen Durchtrennung des M. corrugator oder anderer perikranieller Muskeln und vom Verschluss eines offenen Foramen ovale.
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Akupunktur ist für die Prophylaxe der Migräne wirksam. Dabei unterscheidet sich die Wirksamkeit einer klassischen Akupunktur nicht von einer Scheinakupunktur. Homöopathie ist in der Migräneprophylaxe unwirksam.
Nichtmedikamentöse Prophylaxe
Nach Möglichkeit sollten medikamentöse und nichtmedikamentöse Verfahren zur Migräneprophylaxe kombiniert werden, da die Kombination wirksamer ist als jede der Methoden für sich. Wirksam sind regelmäßiger aerober Ausdauersport und Verfahren der Verhaltenstherapie wie Entspannungsverfahren, kognitive Verhaltenstherapie und Biofeedback. Bei Patienten mit erheblicher Einschränkung oder chronischer Migräne wird eine Kombination von Schmerzbewältigungstraining, Stressmanagement und Entspannungsverfahren eingesetzt.
Ausblick für zukünftige Therapien
Triptane sind bei Patienten mit schwerwiegenden vaskulären Erkrankungen wie TIA, Schlaganfall, Angina pectoris oder nach akutem Koronarsyndrom kontraindiziert. Die neu entwickelten 5-HT1F-Agonisten, wie Lasmiditan, sind ebenso wirksam wie Triptane, haben aber keine vasokonstriktiven Eigenschaften.
Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) spielt eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne. Derzeit werden orale CGRP-Antagonisten entwickelt, die nach derzeitigem Studienstand bei der Behandlung akuter Migräneattacken wirksam sind und ebenfalls bei Patienten mit Kontraindikationen gegen Triptane eingesetzt werden können.
Eine neue Entwicklung zur Migräneprophylaxe sind monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor. Diese greifen sehr wahrscheinlich am Ganglion trigeminale an, der wichtigsten Transmissionsstation von Schmerzen, die aus den Wänden der Blutgefäße, des Kopfes und Gehirns sowie der Dura stammen. Die monoklonalen Antikörper sind wirksamer als Placebo und im indirekten Vergleich ebenso wirksam wie die bisher eingesetzten Migräneprophylaktika. Positive Studien liegen sowohl für die Prophylaxe der häufig episodischen wie der chronischen Migräne vor.
Die Substanzen zeichnen sich wegen ihrer hohen Spezifität durch ein sehr gutes Nebenwirkungsprofil aus. Da es sich um große Moleküle handelt, müssen sie entweder alle 4 Wochen oder alle 3 Monate subkutan oder intravenös appliziert werden. Damit ist allerdings auch die Compliance und Adhärenz gewährleistet. Der Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor Erenumab wurde im Juli 2018 durch die EMA zugelassen.
Epilepsie: Eine neurologische Erkrankung mit wiederkehrenden Anfällen
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Epileptische Anfälle sind plötzliche, unkontrollierte Entladungen von Nervenzellen im Gehirn, die zu vorübergehenden Störungen der Gehirnfunktion führen. Die Symptome eines epileptischen Anfalls können vielfältig sein und reichen von kurzen Bewusstseinsverlusten bis hin zuGeneralisierten tonisch-klonischen Anfällen mit Krämpfen und Bewusstseinsverlust.
Die Prävalenz der Epilepsie liegt bei etwa 0,7 %, was bedeutet, dass sie etwa 20-mal seltener vorkommt als Migräne. Die Inzidenz der Epilepsie ist in den ersten Lebensjahren und im höheren Alter am höchsten.
Therapie der Epilepsie
Das Ziel der Behandlung von Epilepsie ist die Anfallsfreiheit durch geeignete pharmakologische und chirurgische Interventionen. Zur Pharmakotherapie der Epilepsie stehen zahlreiche Medikamente zur Verfügung, die in der Monotherapie oder als Zusatztherapie eingesetzt werden können. Die Auswahl des geeigneten Medikaments hängt von der Art der Anfälle, dem Alter des Patienten, Begleiterkrankungen und möglichen Nebenwirkungen ab.
Wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine epilepsiechirurgische Evaluation in Betracht gezogen werden. Weitere Therapieoptionen sind Neurostimulation, ketogene Diät und Biofeedback-Verfahren.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Migräne und Epilepsie
Obwohl Migräne und Epilepsie unterschiedliche Erkrankungen sind, weisen sie auch einige Gemeinsamkeiten auf:
- Beide Erkrankungen sind chronische Anfallsleiden mit episodischen Manifestationen.
- Beide Erkrankungen können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
- Es gibt eine auffallend hohe Komorbidität zwischen Migräne und Epilepsie.
- Sowohl bei Migräne als auch bei Epilepsie spielen genetische Faktoren eine Rolle.
- Beide Erkrankungen unterliegen einer neuronalen Hyperexzitabilität.
Die wichtigsten Unterschiede zwischen Migräne und Epilepsie sind:
- Migräne ist viel häufiger als Epilepsie.
- Der Krankheitsbeginn, die Aktivitätsmuster der Erkrankung und die Geschlechterverteilung unterscheiden sich deutlich.
- Die Symptome der Anfälle sind unterschiedlich.
- Die Behandlungsmethoden sind unterschiedlich.
Komorbidität von Migräne und Epilepsie
Studien haben gezeigt, dass Patienten mit Epilepsie ein höheres Risiko haben, an Migräne zu erkranken, und umgekehrt. Die Vergesellschaftung von Migräne mit Epilepsie bzw. von Epilepsie mit Migräne ist etwa 1,5- bis 2-mal wahrscheinlicher als bei Patienten ohne die jeweilige Grunderkrankung.
Es gibt verschiedene mögliche Erklärungen für die Komorbidität von Migräne und Epilepsie:
- Gemeinsame genetische Faktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Genvarianten sowohl das Risiko für Migräne als auch für Epilepsie erhöhen können.
- Gemeinsame pathophysiologische Mechanismen: Sowohl bei Migräne als auch bei Epilepsie spielen eine neuronale Hyperexzitabilität und eine Störung der neuronalen Erregbarkeit eine Rolle.
- Auslösung von Anfällen durch Migräneattacken: In seltenen Fällen können Migräneattacken epileptische Anfälle auslösen (Migralepsie).
- Auslösung von Migräneattacken durch epileptische Anfälle: Nach einem epileptischen Anfall kann eine Migräneattacke entstehen.
Medikamente zur Behandlung von Migräne und Epilepsie
Einige Medikamente, die zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden, können auch zur Vorbeugung von Migräne eingesetzt werden. Dazu gehören beispielsweise Topiramat und Valproinsäure. Diese Medikamente wirken, indem sie die neuronale Erregbarkeit reduzieren und so sowohl epileptische Anfälle als auch Migräneattacken verhindern können.
Topiramat
Topiramat ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Antiepileptika (Antikonvulsiva), der über multiple Mechanismen antiepileptische Wirkungen entfaltet. Es ist zur Monotherapie und Zusatztherapie bei verschiedenen Epilepsieformen indiziert und wird auch zur Prophylaxe von Migräne-Kopfschmerzen bei Erwachsenen eingesetzt.
Der exakte Wirkmechanismus von Topiramat ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Es hemmt spannungsabhängige Natriumkanäle, antagonisiert AMPA/Kainat-Subtypen der Glutamatrezeptoren und verstärkt GABAA-vermittelte GABA-Wirkungen.
Topiramat wird schnell und gut resorbiert und hauptsächlich renal eliminiert. Die Dosierung muss individuell angepasst werden, insbesondere bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Topiramat zählen Parästhesie, Schwindel, Somnolenz, Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Sprechstörungen.
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