Rita Süssmuth: Ein Leben für Politik, Gesundheit und Gesellschaft

Rita Süssmuth, eine bemerkenswerte Persönlichkeit der deutschen Politik, hat über Jahrzehnte hinweg die CDU geprägt und sich insbesondere für Frauenrechte, Gesundheitspolitik und die Erwachsenenbildung eingesetzt. Ihr Lebensweg, geprägt von Engagement, Mut und dem Willen, gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben, ist beeindruckend.

Frühe Jahre und Ausbildung

Rita Kickuth, so ihr Geburtsname, erblickte am 17. Februar 1937 in Wuppertal das Licht der Welt. Sie wuchs in einer Familie auf, in der Bildung, Musik und der katholische Glaube eine zentrale Rolle spielten. Ihr Vater war Rektor einer Volksschule, ihre Mutter arbeitete im elterlichen Uhren- und Schmuckgeschäft. Die Familie legte großen Wert auf eine breite Bildung und förderte den Dialog mit ihren Kindern.

Die Kindheit von Rita Süssmuth war jedoch auch von den Wirren des Krieges geprägt. Der Vater wurde 1939 zur Wehrmacht eingezogen, und die Familie musste schwierige Zeiten durchstehen. Nach dem Krieg kehrte der Vater aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück, doch die Mutter erkrankte schwer. Rita und ihre Geschwister übernahmen früh Verantwortung im Haushalt und bei der Pflege der Mutter.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Emsdetten und Rheine begann Rita Kickuth 1956 ein Studium der Romanistik, Geschichte und Pädagogik an der Universität Münster. Um ihr Studium zu finanzieren, gab sie Nachhilfe, arbeitete als studentische Hilfskraft und in einer Fabrik. Ein Studienjahr führte sie nach Paris, wo sie als Au-Pair-Mädchen arbeitete. Nach einem weiteren Studienaufenthalt in Tübingen legte sie 1961 in Münster das erste Staatsexamen ab.

Wissenschaftliche Karriere

Nach dem Examen entschied sich Rita Kickuth für eine akademische Laufbahn. Sie absolvierte ein Postgraduiertenstudium in Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie und promovierte 1964 bei Professor Ernst Lichtenstein in Münster mit einer Arbeit zum Thema „Studien zur Anthropologie des Kindes in der französischen Literatur der Gegenwart“. Im selben Jahr heiratete sie ihren Jugendfreund Hans Süssmuth.

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Ab 1962 arbeitete sie als Universitätsassistentin in Stuttgart und später in Osnabrück. 1966 übernahm sie eine Dozentenstelle an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund. 1969 wechselte sie als Professorin an die Universität Bochum, und bereits zwei Jahre später wurde sie zur ordentlichen Professorin für Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ruhr ernannt. 1980 übernahm sie den Lehrstuhl für International Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Dortmund.

Politischer Quereinstieg

Neben ihrer wissenschaftlichen Karriere engagierte sich Rita Süssmuth auch gesellschaftspolitisch. Seit 1971 war sie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit. 1977 arbeitete sie in der Sachverständigenkommission für den dritten Familienbericht der Bundesregierung mit, und von 1979 bis 1991 gehörte sie dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken an.

1981 trat Rita Süssmuth der CDU bei. Bereits zwei Jahre später wurde sie zur Vorsitzenden des Bundesfachausschusses Familienpolitik der CDU berufen. Bei den Vorbereitungen zum Bundesparteitag 1985 in Essen lernte sie CDU-Generalsekretär Heiner Geißler näher kennen.

Als Geißler wenig später als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit zurücktrat, schlug er Bundeskanzler Helmut Kohl Rita Süssmuth als seine Nachfolgerin vor. Überrascht von diesem Angebot nahm sie es Mitte August 1985 an und wurde Ende September 1985 Bundesfamilienministerin.

Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (1985-1988)

Als Bundesministerin setzte sich Rita Süssmuth von Anfang an für die Belange der Frauen ein. So erreichte sie 1986 die Umbenennung ihres Ministeriums in „Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit“ und setzte 1987 die Übertragung verschiedener Zuständigkeiten u.a. für den Mutterschutz und die Gleichberechtigung aus anderen Ministerien an ihr Haus durch.

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Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurden 1985 die Gesetze über Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub verabschiedet. Damit hatten erstmals alle Mütter und Väter einen Anspruch auf Erziehungsgeld.

Noch stärker als die Frauen- und Familienpolitik wurde die Gesundheitspolitik zum beherrschenden Thema der Tätigkeit von Rita Süssmuth als Bundesministerin. Durch den Reaktorunfall im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 stand sie mit ihrem Ministerium im Zentrum des öffentlichen Interesses. Sie berief die Strahlenschutzkommission der Bundesregierung ein und informierte sich über die Auswirkungen der Katastrophe auf die Bundesrepublik.

Auch die sich ausbreitende Immunschwächekrankheit AIDS forderte die Ministerin heraus. Sie startete eine intensive Aufklärungskampagne zum Gebrauch von Kondomen und erhöhte die Mittel für die AIDS-Forschung. Vehement setzte sie sich dafür ein, die Betroffenen nicht auszugrenzen und erteilte Forderungen nach einer Meldepflicht für AIDS-Kranke eine klare Absage.

Mit ihrer Haltung geriet Rita Süssmuth allerdings nicht nur beim Thema AIDS in Konflikt mit konservativen Teilen der Union und der katholischen Kirche.

Bundestagspräsidentin (1988-1998)

Nach dem Rücktritt von Bundestagspräsident Philipp Jenninger wurde Rita Süssmuth 1988 überraschend zu seiner Nachfolgerin gewählt. Obwohl ihr der Abschied vom Ministeramt zunächst schwerfiel, fand sie schon bald Gefallen an ihrer neuen Aufgabe.

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Als Bundestagspräsidentin setzte sich Rita Süssmuth für die Reform der Parlamentsarbeit und für die Verkleinerung des Bundestages ein. Sie verstand den Bundestag als „Werkstatt der Demokratie“ und verzichtete nicht darauf, in politischen Fragen Stellung zu beziehen. So sprach sie sich in der Diskussion über die Neufassung des § 218 StGB für einen Kompromiss zwischen der Fristenlösung und der Indikationslösung aus, wofür sie von der katholischen Kirche und Teilen der CDU scharf kritisiert wurde.

Auch ihre Forderung nach einer raschen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze noch vor der Wiedervereinigung rief bei den Vertriebenenverbänden heftigen Widerstand hervor. Trotzdem unterstützte sie die Entschließungen des Deutschen Bundestages und der Volkskammer der DDR, in denen die Absicht geäußert wurde, die Oder-Neiße-Linie als Grenze zu bestätigen und dass Deutschland auf jegliche Gebietsansprüche gegenüber Polen verzichtet.

Neben der Verständigung mit Polen war Süssmuth die Aussöhnung mit Israel ein wichtiges Anliegen. Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 3. Dezember 1990 kandidierte Süssmuth erneut für das Amt der Bundestagspräsidentin und wurde am 20. Dezember 1990 mit großer Mehrheit gewählt.

In Meinungsumfragen zu Politikern belegte sie über viele Jahre hinweg stets einen der vorderen Plätze. Um sich in der CDU eine Hausmacht aufzubauen, kandidierte Rita Süssmuth nach dem Tod von Helga Wex für den Vorsitz der Frauenvereinigung (ab 1988 Frauen-Union). Sie setzte sich gegen ihre Mitbewerberin Renate Hellwig durch und wurde am 7. Juni 1986 zur neuen Vorsitzenden gewählt. Bis 2001 führte Süssmuth nun die Frauen-Union.

Außerdem strebte sie ein Abgeordnetenmandat im Deutschen Bundestag an. Im Vorfeld der Bundestagswahl 1987 ließ sie sich als Kandidatin im Wahlkreis Göttingen aufstellen. Auf Anhieb gewann Rita Süssmuth den Wahlkreis und konnte im Januar 1987 in den Deutschen Bundestag einziehen.

In ihrer Partei war die Querdenkerin nie völlig unumstritten. Auch im Verhältnis zu Helmut Kohl kam es ab 1988 zu Spannungen. Insbesondere seit dem CDU-Parteitag in Bremen 1989 trat Rita Süssmuth zusammen mit Heiner Geißler, Kurt Biedenkopf und Lothar Späth für die Ablösung Kohls als Parteivorsitzender ein und forderte die Trennung der Ämter Bundeskanzler und Parteivorsitzender. Dass dieser Vorstoß scheiterte, verstärkte sicher ihren Wunsch, in die Landespolitik zu wechseln.

Bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Mai 1990 trat sie als künftige Sozialministerin im Kabinett von Ministerpräsident Ernst Albrecht an. Im Wahlkampf gab Albrecht bekannt, dass er in Süssmuth auch seine spätere Nachfolgerin sah. Als die CDU die Wahl verlor und die Regierung Albrecht abgelöst wurde, verzichtete sie enttäuscht auf ihr Landtagsmandat und blieb in Bonn.

Auch weiterhin scheute Rita Süssmuth keine Konflikte mit der Bundesregierung oder den Unionsparteien. So sprach sie sich 1991 gegen die von der Bundesregierung geplante Änderung des Grundrechts auf Asyl aus. Im Oktober 1993 kritisierte sie verschiedene Äußerungen von Steffen Heitmann, der von Bundeskanzler Kohl als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen worden war. Gegen die Pläne der Bundesregierung, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu reduzieren und den Kündigungsschutz zu lockern, äußerte sie 1995 Bedenken.

Trotz dieser Auseinandersetzungen blieb die populäre Bundestagspräsidentin in ihrem Amt unangefochten. Nach der Bundestagswahl 1994 wurde Süssmuth im November 1994 erneut mit großer Mehrheit zur Parlamentspräsidentin gewählt. In ihrer letzten Amtszeit waren vor allem die Vorbereitung des Umzugs des Parlaments von Bonn nach Berlin und der dafür erforderliche Umbau des Reichstagsgebäudes zentrale Aufgaben. Obwohl sie im Juni 1991 für den Verbleib des Bundestages in Bonn gestimmt hatte, gestaltete Rita Süssmuth nun aktiv den Parlamentsumzug an die Spree. Vor allem an der Ausgestaltung des Plenarbereichs im alten Reichstag hatte sie großen Anteil.

Engagement nach der politischen Karriere

Nach der Bundestagswahl 1998 endete Rita Süssmuths Amtszeit als Bundestagspräsidentin. Dem Parlament gehörte sie weiterhin als Abgeordnete an. Auf dem CDU-Parteitag im November 1998 in Bonn verzichtete sie auf eine erneute Kandidatur als stellvertretende Parteivorsitzende, um die Verjüngung der Parteispitze nicht zu behindern.

Noch einmal stand Süssmuth im Fokus der Öffentlichkeit, als sie im September 2000 den Vorsitz der von Bundeskanzler Gerhard Schröder einberufenen Zuwanderungskommission übernahm. Die Kommission sollte parteiübergreifend Vorschläge zur Neuregelung der Ausländerpolitik erarbeiten. Der von der „Süssmuth-Kommission“ 2001 vorgelegte Bericht stieß jedoch bei Teilen der Unionsparteien auf Ablehnung.

Nach ihrem Verzicht auf eine erneute Bundestagskandidatur 2002 zog sich Rita Süssmuth keineswegs aus der Politik zurück, sondern bezog auch weiterhin öffentlich Position. Von 1988 bis 2015 amtierte sie als Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes. Als Vizepräsidentin der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in den Jahren 2000 bis 2003 stand sie an der Spitze der Wahlbeobachtungsmission der OSZE bei den Parlamentswahlen in Russland im Dezember 2003. Von 2002 bis 2004 leitete sie den von Bundesinnenminister Otto Schily eingesetzten Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration. 2005 wurde sie zur Präsidentin des deutschen Polen-Instituts (DPI) in Darmstadt gewählt. Außerdem stand sie u.a. dem Kuratorium der Deutsch-Polnischen Gesellschaft vor und an der Spitze der Vereinigung „Gegen das Vergessen - für Demokratie“. Nicht zuletzt leitete Süssmuth seit 2010 das deutsche Hochschulkonsortium der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul.

Ehrungen und Auszeichnungen

Für ihr vielfältiges Engagement wurde Rita Süssmuth vielfach geehrt. Sie erhielt u.a. das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1990), die Niedersächsische Landesmedaille (2007), den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen (2011) und den Mérite Européen in Gold (2017).

Der Rita Süssmuth-Forschungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen, benannt nach ihr, würdigt exzellente Forscherinnen und Forscher aller Fachrichtungen, die in ihrer Arbeit Geschlechteraspekte untersuchen und damit das Verständnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen ermöglichen. Im Jahr 2024 wurden Professorin Dr. Céline Miani und Dr. Jara Streuer mit diesem Preis ausgezeichnet.

Aktuelle Herausforderungen

Im Jahr 2024 wurde bekannt, dass Rita Süssmuth an Brustkrebs erkrankt ist. Trotz dieser Diagnose zeigt sie sich kämpferisch und blickt positiv in die Zukunft. „Es geht mir nicht gut. Aber ich denke positiv und lasse mich nicht unterkriegen“, sagte sie der „Bild“-Zeitung. „Ich sitze nicht herum und warte auf den Tod.“ Sie wolle dazu beitragen, dass es der Gesellschaft besser gehe. „Ich will noch nicht sterben.“

Ihr Glaube und die Unterstützung ihrer Familie geben ihr Kraft in dieser schweren Zeit. „Gott ist für mich wichtig. Er trägt mich seit vielen Jahren durchs Leben.“

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