Epilepsie: Heilungschancen und moderne Therapieansätze

Epilepsie ist eine weit verbreitete neurologische Erkrankung, die Menschen jeden Alters betreffen kann. Schätzungen zufolge erleiden etwa 10 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens einen Krampfanfall, während etwa 0,6 Prozent von Epilepsie betroffen sind. Obwohl Epilepsie oft als eine Erkrankung des Kindes- und Jugendalters angesehen wird, tritt sie auch bei älteren Menschen häufig auf.

Epidemiologie und Demografischer Wandel

Die Häufigkeit von Epilepsie bei älteren Menschen hat aufgrund des demografischen Wandels zugenommen. Prof. Susanne Knake von der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie erklärt: „Durch den hohen Anteil älterer Menschen ist auch der Anteil der Menschen, die im höheren Alter unter einer Epilepsie leiden, gestiegen.“ Tatsächlich liegt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Epilepsie zu erkranken, bei über 5 %, wobei Kinder und ältere Menschen häufiger betroffen sind. Etwa zwei Drittel aller Epilepsien treten bis zum 20. Lebensjahr auf, und ab dem 60. Lebensjahr erhöht sich das Risiko einer Erkrankung.

Ursachen und Diagnose

Epilepsie ist ein vielfältiges Krankheitsbild, das durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Die Diagnose wird in der Regel gestellt, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle aufgetreten sind oder nach einem ersten unprovozierten Anfall ein deutlich erhöhtes Risiko von mehr als 60 % für weitere Anfälle besteht.

Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und nicht immer eindeutig zu bestimmen. Es gibt genetische Veränderungen, die die Neigung der Nervenzellen im Gehirn zu spontanen synchronen Entladungen erhöhen können. Solche genetischen Ursachen treten häufig im Kindes- oder Jugendalter auf. Erworbene Hirnveränderungen, beispielsweise nach einem Schlaganfall oder einem Schädelhirntrauma, können ebenfalls Epilepsie auslösen. Allerdings bleibt die Ursache oft unklar.

Bei der Diagnose spielen eine genaue Anamnese, die Beschreibung des Anfalls durch Augenzeugen sowie bildgebende Verfahren wie das Elektroenzephalogramm (EEG) und die Magnetresonanztomographie (MRT) eine wichtige Rolle. Die Rate an Fehldiagnosen liegt Studien zufolge zwischen 5 und 30 Prozent, was die Bedeutung einer sorgfältigen Diagnostik unterstreicht.

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Anfallsformen und Klassifikation

Epileptische Anfälle können sich auf unterschiedliche Weise äußern. Einige Patientinnen und Patienten erleiden starke Anfälle mit Bewusstseinsverlust undGeneralisierten Anfällen, die beide Hirnhälften betreffen. Bei fokalen Anfällen treten die epileptischen Anfälle in bestimmten Hirnregionen auf. Häufig sind Zuckungen einzelner Körperteile, aber es gibt auch symptomlose Anfälle, die unbemerkt bleiben. In der Regel beginnt ein Anfall plötzlich und ohne erkennbaren Anlass und hört nach wenigen Minuten von selbst wieder auf.

Um die verschiedenen Anfallsformen zu ordnen, hat die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) ein Klassifikationssystem entwickelt. Dieses System unterscheidet zunächst nach dem Beginn des Anfalls:

  • Fokaler Beginn: Der Anfall beginnt in einer Hirnhälfte.
  • Generalisierter Beginn: Der Anfall geht von beiden Hirnhälften aus.
  • Unbekannter Beginn: Es ist nicht bekannt, wie der Anfall begonnen hat.

Anfälle mit fokalem Beginn werden weiter danach unterschieden, ob der Betroffene sie bewusst oder nicht bewusst erlebt, und nach ihrem anfänglichen Erscheinungsbild (motorisch oder nicht-motorisch) klassifiziert.

Therapie und Behandlungsmöglichkeiten

Das Ziel der Epilepsie-Behandlung ist die Anfallsfreiheit. In der Regel müssen dafür dauerhaft Medikamente eingenommen werden. Ob ein Absetzen nach mehreren anfallsfreien Jahren sinnvoll ist, muss individuell abgewogen werden.

Medikamentöse Therapie

Zu den wichtigsten Therapiemöglichkeiten zählen Antiepileptika. Diese Medikamente werden täglich eingenommen und sorgen dafür, dass die Nervenzellen gehemmt und dadurch beruhigt werden. Bei knapp 70 Prozent der Patienten helfen solche Medikamente gut. Oft reicht bereits ein einzelnes Medikament aus, manchmal ist eine Kombination von zwei oder mehr Medikamenten erforderlich. Mittlerweile gibt es rund 30 verschiedene Medikamente gegen Epilepsie, wobei moderne Wirkstoffe oft weniger Nebenwirkungen haben.

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Die Auswahl des richtigen Medikaments hängt von der Art der Epilepsie (fokal oder generalisiert) und der Art der Anfälle ab. Auch andere Faktoren, wie das Alter, das Geschlecht und mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, werden berücksichtigt.

Alternative Therapien

Für Patienten, bei denen die Antiepileptika nicht ausreichend wirken, kommen weitere Therapiemöglichkeiten in Betracht:

  • Vagusnervstimulation: Hierbei wird ein Schrittmacher unter die Haut im Brustbereich implantiert. Das Gerät erzeugt elektrische Impulse, die vom Vagusnerv am Hals ins Gehirn geleitet werden.
  • Transkortikale Magnetstimulation: Bei diesem Verfahren wird eine dünne Silikonscheibe mit Platinkontakten unter die Kopfhaut geschoben. Die elektrischen Impulse gehen von einem Schrittmacher aus, der im Brustbereich unter die Haut gesetzt wird.
  • Epilepsiechirurgie: Operative Verfahren kommen nur in Frage, wenn sicher festgestellt wird, von welcher Stelle im Gehirn die Anfälle genau ausgehen (fokale Epilepsien). In einem neurochirurgischen Zentrum wird geprüft, ob die Entfernung des Fokus ohne größere Gefahr möglich ist.
  • Tiefe Hirnstimulation: Eine weitere alternative Therapiemöglichkeit zur medikamentösen Therapie stellt die Tiefe Hirnstimulation dar.
  • Gentherapie: Am Tag der Epilepsie berichtete Prof. Dr. Regine Heilbronn von EpiBlok Therapeutics GmbH von einer neuen Gentherapie, bei der ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV) das Gen für das Neuropeptid Dynorphin gezielt in Neurone der betroffenen Hirnregion bringt. Ziel ist eine langfristige Unterdrückung von Anfällen, indem die Nervenzellen Dynorphin auf Vorrat produzieren und bei Bedarf ausschütten. EpiBlok entwickelt einen Genvektor, der epileptische Anfälle am Ort der Entstehung verhindern kann. Die schonende Einmaltherapie wird nur zum Zeitpunkt der Anfallsentstehung aktiviert. Es handelt sich um einen AAV-basierten Genvektor, der schützende Neuropeptide fokal produziert und speichert. Diese werden nur bei starker Erregung freigesetzt, wie zu Beginn eines Anfalls.

Epilepsiechirurgie als Chance zur Anfallsfreiheit

Die Epilepsiechirurgie bietet insbesondere für Patientinnen und Patienten mit fokalen Epilepsien eine Therapiemöglichkeit. Allerdings gibt es noch immer große Vorbehalte: „Die Vorstellung, am Gehirn operiert zu werden, macht vielen Menschen Angst. Dabei sind die Eingriffe heute sehr sicher und die Abklärung im Vorfeld extrem genau. Wir können oft genau feststellen, wo im Gehirn die Epilepsie ausgelöst wird und wo wichtige funktionstragende Gebiete (Sprache, Gedächtnis, Motorik) liegen", so Prof. Knake. Der große Vorteil dieser Therapie ist ihre hohe Wirksamkeit: Auch nach zehn Jahren sind je nach Lage und Art der Epilepsie bis zu 70-80 Prozent der operierten Patientinnen und Patienten noch immer komplett anfallsfrei.

Hirnstimulationsverfahren

Weitere alternative Therapiemöglichkeiten zur medikamentösen Therapie stellen Hirnstimulationsverfahren dar, darunter die Vagusnerv-Stimulation, die transkortikale Stimulation und die Tiefe Hirnstimulation. Erstere kann sogar auch völlig ohne operativen Eingriff erfolgen, man trägt den Stimulator dann wie einen Knopf im Ohr. Allerdings sind alle Stimulationsverfahren nicht so effektiv wie eine epilepsiechirurgische Operation - man geht davon aus, dass über drei bis fünf Jahre etwa die Hälfte der Anfälle verhindert werden kann. „Aber auch das stellt bereits eine deutliche Verbesserung für die Prognose der Betroffenen dar, denn jeder verhinderte Anfall senkt das Risiko, einen SUDEP zu erleiden“, lautet das Fazit von Prof. Knake.

Leben mit Epilepsie

Menschen mit Epilepsie können meist nicht vorhersagen, ob und wann sie einen epileptischen Anfall bekommen. Gerade bei einem großen Anfall kann es durch Bewusstlosigkeit zu Stürzen und damit verbunden zu Verletzungen kommen. Aber auch die häufigeren kleineren Anfälle können Betroffene körperlich und psychisch belasten. Hinzu kommen Vorurteile und Stigmata, die den Alltag für Menschen mit Epilepsie zusätzlich erschweren. So ist im Verlauf der Erkrankung das Risiko für eine Depression erhöht.

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Insgesamt haben Menschen mit Epilepsie ein erhöhtes Sterberisiko. Plötzliche unerwartete Todesfälle (SUDEP) kommen auch in eigentlich weniger gefährlichen Situationen vor, zum Beispiel nachts im Bett. Menschen mit Epilepsie dürfen nicht selbst Auto fahren, wenn sie in den vergangenen zwölf Monaten einen Anfall hatten. In diesem Fall sollte man zum Beispiel nicht alleine schwimmen gehen. Denn wenn ein epileptischer Anfall im Wasser auftritt und nicht sofort ein Rettungsschwimmer zur Stelle ist, kann das tödlich enden: So ist auch die Haupttodesursache von Menschen mit Epilepsie ein Tod durch Ertrinken. Ebenfalls vorsichtig sein sollten Betroffene beim Baden in einer Badewanne sein - auch hier kann es zum Ertrinken kommen.

Individuelle Aufklärung und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen sind wichtig, um das Risiko für einen SUDEP zu verringern. Im Vordergrund steht, dass sich der Betroffene während eines Anfalls nicht verletzt. Wenn er oder sie bereits auf dem Boden liegt, zucken häufig Arme und Beine oder sie wirken versteift. Auch der Kopf kann zucken und dabei immer wieder auf den Boden aufschlagen. Manchmal kommt es zu einem Zungenbiss, dennoch sollte man niemals versuchen, während des Anfalls etwas in den Mund zu schieben. Der Blutverlust beim Zungenbiss ist sehr gering, durch die Verdünnung mit Speichel wirkt es mehr, als es ist. Daher gilt: Ruhe bewahren. Der Anfall selbst ist meist nach ungefähr einer Minute vorbei. Um die Zeit sicher zu messen, lohnt ein Blick auf die Uhr. Die Beobachtungen der Augenzeugen liefern später oft entscheidende Informationen bei der Diagnosefindung.

Nach einem großen Anfall kann es sein, dass die Person nicht direkt wieder orientiert oder kommunikationsfähig ist. Dafür braucht es meist 15 bis 30 Minuten, bei älteren Patienten kann es auch länger dauern. Manche Menschen mit bekannter Epilepsie können sich aber auch schnell erholen und ihrer Tätigkeit weiter nachgehen. Nach einem ersten Anfall ist aber immer zügig eine ärztliche Untersuchung notwendig.

Was tun bei einem epileptischen Anfall?

Wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls wird, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man überlegen, wie man die Person vor Verletzungen schützt. Alles andere hängt von der Stärke und der Art der Anfälle ab.

Leichte epileptische Anfälle mit wenigen Symptomen: Bei kurzen Absencen oder Muskelzuckungen besteht keine unmittelbare Gefahr. Danach können sich die Betroffenen unsicher fühlen und Unterstützung benötigen.

Anfälle mit eingeschränktem Bewusstsein oder Verhaltensänderungen: Wenn Menschen mit einem epileptischen Anfall verwirrt wirken, ist es wichtig, sie vor Gefahren zu schützen (z. B. im Straßenverkehr). Gehen Sie dabei mit der Person ruhig um und fassen Sie sie nicht hart an. Hektik, Zwang oder Gewalt können zu starken Gegenreaktionen führen. Versuchen Sie dem oder der Betroffenen Halt und Nähe zu vermitteln.

Große generalisierte epileptische Anfälle: Bei einem großen generalisierten Anfall verkrampft der ganze Körper und die Person verliert das Bewusstsein. In diesen Fällen sollten Sie Folgendes tun:

  • Wählen Sie den Notruf 112 und rufen Sie professionelle Hilfe.
  • Sorgen Sie für Sicherheit, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen.
  • Polstern Sie den Kopf des Betroffenen ab.
  • Nehmen Sie seine/ihre Brille ab.
  • Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern.
  • Bitten Sie Menschen, die in der Situation nicht helfen können, weiterzugehen.
  • Bleiben Sie nach dem Anfall bei der Person und bieten Sie Ihre Unterstützung an.
  • Wenn die Person nach dem Anfall erschöpft ist und einschläft, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage.

Was Sie in keinem Fall tun sollten:

  • Die/den Betroffene/n festhalten oder zu Boden drücken.
  • Der betroffenen Person etwas in den Mund schieben - auch wenn sie sich in die Zunge beißt.

Heilung und Prognose

Man spricht bei Epilepsie nicht von einer "Heilung", sondern davon, dass die Krankheit überwunden ist. Das ist dann der Fall, wenn man länger als zehn Jahre keinen epileptischen Anfall mehr hatte und seit über fünf Jahren kein Antiepileptikum mehr eingenommen hat. Die Diagnose Epilepsie bedeutet also nicht automatisch, dass Betroffene kein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben führen können. Die Auswirkungen auf den Alltag sind meist wesentlich geringer als man auf den ersten Blick denken mag. So sehen die Anfälle zwar teils furchteinflößend aus und verunsichern auch die Betroffenen selbst, die sich oft nicht mehr an das Geschehen erinnern können. Gefährlich sind epileptische Anfälle aber nur selten. Es droht meistens keine direkte Gefahr für Hirnschädigungen. Phänomene wie SUDEP sind ebenfalls selten und können durch eine ausreichende Aufklärung und Vorbeugung meistens auch verhindert werden.

Dank moderner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden kann heute auch mit dieser Diagnose ein Leben mit hoher Lebensqualität geführt werden.

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