Wenn sich das Leben von einer Minute zur nächsten ändert und die Folgen den Alltag tiefgreifend einschränken, stellt sich die Frage nach den Heilungschancen und der Prognose. Schlaganfälle sind eine häufige Ursache für erworbene Behinderungen und somit kein Randthema. Der Verlauf eines Schlaganfalls ist entscheidend für den Erfolg der Rehabilitation und die Möglichkeit für Betroffene, wieder ein eigenständiges Leben zu führen. Eine frühe Erkennung und gezielte Behandlung verbessern die Prognose deutlich.
In Deutschland erleiden jährlich rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall, wobei jeder Fünfte in den ersten Wochen verstirbt. Ein Jahr später sind etwa 64 Prozent der Überlebenden pflegebedürftig, und rund 15 Prozent leben in stationären Einrichtungen. Damit ist der Schlaganfall hierzulande die häufigste Ursache für bleibende Behinderungen. Etwa 80 % der Betroffenen sind über 60 Jahre alt.
Was passiert im Gehirn bei einem Schlaganfall?
Ein Schlaganfall unterbricht die Hirndurchblutung, meist durch einen Gefäßverschluss (ischämischer Schlaganfall) oder seltener durch eine Blutung (hämorrhagischer Schlaganfall). Ort und Ausmaß der Schädigung sind entscheidend für die neuropsychologischen Folgen. Läsionen in strategischen Arealen, wie Knotenpunkten für Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Planung, können selbst bei einem kleinen Infarkt komplexe Netzwerke aus dem Gleichgewicht bringen. Die Beeinträchtigungen gehen oft weit über den direkt geschädigten Bereich hinaus.
Bei der Diaschisis kommt es zu zusätzlichen Ausfällen in unversehrten Arealen, weil deren Netzwerkpartner ausgefallen sind. Eine Neuroinflammation, die durch Immunzellen wie Mikroglia und Astrozyten ausgelöst wird, kann schädigende Prozesse in Gang setzen, aber auch schützend wirken und Reparaturmechanismen anstoßen. Gleichzeitig können zentrale Neurotransmittersysteme (Dopamin, Serotonin, Acetylcholin und GABA) aus dem Gleichgewicht geraten, was zu Antriebsschwäche, kognitiven Defiziten und Persönlichkeitsveränderungen führen kann.
Neuropsychologische Folgen eines Schlaganfalls
Nach einem Schlaganfall werden vertraute Denkmuster oft zu verschlungenen Pfaden. Viele Betroffene und ihre Angehörigen werden sich erst im Alltag der starken Auswirkungen kognitiver und emotionaler Veränderungen bewusst. Oft sind es nicht die körperlichen Einschränkungen, sondern subtile Defizite in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Handlungsplanung und Sprache, die die Lebensqualität und Selbstständigkeit wesentlich beeinträchtigen.
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Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen
Laut Schätzung der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe leiden bis zu 80 % aller Schlaganfall-Betroffenen, insbesondere in der Akutphase, unter Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Besonders betroffen ist die Fähigkeit, sich länger zu fokussieren, Ablenkungen zu widerstehen und mehrere Aufgaben zu bewältigen.
Gedächtnisstörungen
Diese betreffen vor allem das episodische Gedächtnis, also die Erinnerung an persönliche Ereignisse, sowie das prospektive Gedächtnis, das für die Erinnerung an geplante Handlungen zuständig ist.
Exekutive Dysfunktionen
Insbesondere nach frontalen und subkortikalen Läsionen sind exekutive Funktionen wie Handlungsplanung, Flexibilität, Fehlerkontrolle und Zielausrichtung beeinträchtigt. Typische Symptome reichen von starker Antriebsarmut und Apathie bis hin zu Impulsivität, Enthemmung oder Beharrungsneigung.
Sprachstörungen (Aphasie)
Je nach Lokalisation der Schädigung können eine Broca- oder eine Wernicke-Aphasie, eine globale Aphasie oder eine mildere Variante wie eine Wortfindungsstörung auftreten. Obwohl die Intelligenz unverändert bleibt, ist das Sprachvermögen deutlich beeinträchtigt. Selbst geringe sprachliche Einschränkungen können gravierende Folgen für die Kommunikation, die Selbstständigkeit und die berufliche Wiedereingliederung haben. Eine frühzeitige und kontinuierliche Sprachtherapie sowie die Einbeziehung des sozialen Umfelds verbessern die Prognose.
Neglect
Ein Neglect, also das Ausblenden der gegenüberliegenden Raum- oder Körperhälfte, tritt oft nach rechtshemisphärischen Parietalläsionen auf (meist wird die linke Seite ignoriert). Betroffene übersehen dann beispielsweise Gegenstände oder Personen, stoßen sich einseitig an oder essen nur von einer Tellerhälfte.
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Apraxie
Bei einer Apraxie sind erlernte Handlungsfolgen nicht mehr korrekt ausführbar, obwohl die Motorik und die Sprache an sich intakt sind. Komplexe Bewegungsabfolgen wie das Zähneputzen oder das Ankleiden geraten durcheinander. Ursache sind in der Regel parietale Läsionen.
Vaskuläre kognitive Störung und Demenz
Ein Teil der Patientinnen und Patienten entwickelt im Verlauf eine vaskuläre kognitive Störung bis hin zur Demenz, die sich durch kombinierte Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Exekutivdefizite sowie durch emotionale Veränderungen auszeichnet. Unsichtbare kognitive Folgen erschweren oftmals den Wiedereinstieg in Beruf und Sozialleben.
Emotionale und Verhaltensbezogene Veränderungen
Kaum ein Schlaganfall betrifft ausschließlich die kognitiven Funktionen. Veränderungen der Stimmung, der Motivation und des Sozialverhaltens sind mindestens ebenso prägend. Für Betroffene und ihre Angehörigen sind diese Symptome oft noch schwerer zu verstehen und zu bewältigen als die körperlichen Folgen.
Depressive Störungen
Depressive Störungen gehören zu den häufigsten neuropsychiatrischen Folgen eines Schlaganfalls. Sie äußern sich in gedrückter Stimmung, Interessenverlust, Hoffnungslosigkeit, vermehrtem Grübeln, Schlafstörungen bis hin zu Suizidgedanken.
Angststörungen
Neben depressiven Symptomen leiden viele Betroffene unter Ängsten, beispielsweise vor einem erneuten Insult, vor Abhängigkeit, Kontrollverlust oder sozialer Isolation. Typisch sind anhaltende Sorgen, Vermeidungsverhalten und körperliche Unruhe.
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Apathie und Fatigue
Neben Depressionen und Angststörungen treten bei Betroffenen eines Schlaganfalls häufig weitere beeinträchtigende emotionale und Verhaltensänderungen auf. In der Akutphase kann sich beispielsweise eine ausgeprägte Apathie mit Antriebslosigkeit, Initiativmangel und fehlender emotionaler Resonanz entwickeln. Im Unterschied zur Depression werden diese Symptome jedoch nicht von Traurigkeit dominiert. Ein weiteres häufiges Problem ist die sogenannte Post-Stroke Fatigue: Diese anhaltende Erschöpfung, die sich durch Schlaf bzw. Ruhe nicht verbessern lässt, betrifft die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gleichermaßen und schränkt das Alltagsleben oft massiv ein. Sie kann eigenständig oder zusammen mit depressiver Stimmung auftreten.
Affektinkontinenz und Reizbarkeit
Selten, aber für das Umfeld besonders belastend, ist das Auftreten von Affektinkontinenz bzw. einer pseudobulbären Affektstörung. Dabei zeigen Betroffene unwillkürliche, plötzlich einsetzende Gefühlsausbrüche wie Lachen oder Weinen, die nicht mit der eigentlichen Stimmungslage übereinstimmen. Manche PatientInnen entwickeln nach einem Schlaganfall auch eine erhöhte Reizbarkeit, Impulsivität und gesteigerte Aggressivität. Diese emotionalen und Verhaltenssymptome können die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen erheblich beeinträchtigen und die Rehabilitationsprognose verschlechtern.
Diagnostik neuropsychologischer Störungen
Eine differenzierte Diagnostik neuropsychologischer Störungen nach einem Schlaganfall bildet die Grundlage für eine erfolgreiche, individuelle Rehabilitation. Das Ziel besteht darin, auch unsichtbare Defizite gezielt zu erkennen und zu behandeln, um die Chancen auf eine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben zu maximieren.
Bereits im Akutkrankenhaus werden kurze Screening-Verfahren wie das Montreal Cognitive Assessment (MoCA), der Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder DemTect eingesetzt, um kognitive Störungen rasch zu erfassen. Für die detaillierte Therapieplanung werden anschließend aufeinander abgestimmte Testbatterien eingesetzt, darunter Verfahren für das Gedächtnis (z. B. Wechsler Memory Scale), die Aufmerksamkeit (Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung, TAP), die Exekutivfunktionen (Behavioural Assessment of the Dysexecutive Syndrome, BADS) und die Sprache.
Neben den Testverfahren ist die alltagsnahe Beurteilung entscheidend. Mittels Bildgebung (CT oder MRT) können Läsionen lokalisiert, alternative Diagnosen ausgeschlossen und das Ausmaß der Schädigung eingeschätzt werden. Ein besonderer diagnostischer Schwerpunkt liegt auf der Prüfung der Krankheitseinsicht, beispielsweise bei einer Anosognosie. Fehlt den Betroffenen das Bewusstsein für die eigenen Einschränkungen, sinkt oftmals die Motivation zur Mitarbeit.
Prognose und Prädiktoren
Nach einem Schlaganfall stehen für Betroffene und Angehörige nicht nur die aktuellen Beeinträchtigungen im Vordergrund, sondern vor allem die Frage, wie wahrscheinlich eine Rückkehr in ein selbstständiges und zufriedenes Leben ist. Anhaltende Störungen von Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutiven Funktionen gehören zu den stärksten Prädiktoren für bleibende funktionelle Einschränkungen. Sie erhöhen das Risiko für einen langfristigen Pflegebedarf, wiederholte Krankenhausaufenthalte und eine höhere Sterblichkeit. In vielen Fällen sind diese Effekte sogar deutlicher ausgeprägt als bei motorischen Beeinträchtigungen.
Für die Alltagskompetenz sind besonders jene Fähigkeiten entscheidend, die eine selbstständige Organisation, Prioritätensetzung, Risikoeinschätzung und die Einhaltung von Routinen ermöglichen. Eine ungünstige Prognose droht insbesondere bei schweren exekutiven Defiziten, chronischer Fatigue, persistierender Depression oder fehlender Krankheitseinsicht (Anosognosie).
Therapie und Rehabilitation
Die Behandlung neuropsychologischer Störungen ist ein zentraler Bestandteil der modernen Schlaganfallrehabilitation. Ziel ist es nicht nur, einzelne Defizite zu lindern, sondern die Lebensqualität, Selbstständigkeit und gesellschaftliche Teilhabe insgesamt bestmöglich wiederherzustellen. Zusätzlich können medikamentöse Interventionen - zum Beispiel zur Förderung von Aufmerksamkeit oder Stimmung - sowie psychotherapeutische Angebote zur Bewältigung emotionaler Belastungen zum Einsatz kommen.
Entscheidend ist, dass die im Klinikalltag erreichten Fortschritte in den realen Alltag übertragen werden. Dies betrifft sowohl die Selbstversorgung und Mobilität als auch die berufliche und soziale Wiedereingliederung. Hierbei spielt die enge Abstimmung zwischen den beteiligten Disziplinen - Neurologie, Neuropsychologie, Logopädie, Ergo- und Physiotherapie sowie Sozialberatung - eine Schlüsselrolle.
Eine erfolgreiche Rehabilitation nach einem Schlaganfall hängt entscheidend von der frühzeitigen Erkennung und kontinuierlichen Behandlung neuropsychologischer Störungen ab. Da sich kognitive und emotionale Einschränkungen oft schleichend entwickeln, können sie leicht übersehen werden. In modernen Schlaganfallzentren beginnt die Prävention bereits während der Akutbehandlung. Neben der medizinischen Stabilisierung sollten alle Patientinnen und Patienten routinemäßig auf kognitive und emotionale Störungen untersucht werden. Bewährte Kurztests, wie der MoCA oder Screenings für Neglect und Aphasie, ermöglichen die frühzeitige Identifizierung auch leichter Defizite.
Seit 2012 ist die ambulante neuropsychologische Therapie eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, sofern eine klare Indikation vorliegt und die Behandlung durch entsprechend qualifizierte Therapeutinnen oder Therapeuten erfolgt. Das Angebot reicht von Einzel- und Gruppentherapien bis zu computergestützten Trainings. Ziel ist die alltagsnahe Förderung kognitiver Fähigkeiten und die Unterstützung bei Teilhabeproblemen, etwa im Beruf. Die Zuweisung erfolgt in der Regel durch Haus- oder Fachärzte.
Die bestmögliche Versorgung erfordert die enge Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen. NeurologInnen, NeuropsychologInnen, PsychiaterInnen, LogopädInnen, ErgotherapeutInnen, PhysiotherapeutInnen, Sozialdienste und Reha-BeraterInnen sollten gemeinsam Versorgungspfade gestalten. Regionale Schlaganfallzentren, spezialisierte Rehakliniken und ambulante Netzwerke erleichtern den nahtlosen Übergang zwischen Klinik, Rehabilitation und häuslicher Versorgung.
Besondere Patientengruppen
Je nach Patientengruppe können sich neuropsychologische Störungen nach einem Schlaganfall in Form, Schwere und Verlauf deutlich unterscheiden. Die Häufigkeit von Schlaganfällen bei Menschen unter 60 Jahren nimmt zu. Für diese meist noch im Berufs- und Familienleben stehende Gruppe bedeutet ein Schlaganfall häufig einen tiefgreifenden Einschnitt in den Lebensverlauf. Selbst leichte kognitive Einschränkungen können die Arbeitsfähigkeit, das Familienleben und die soziale Integration spürbar beeinträchtigen. Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko für sekundäre psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Anpassungsstörungen, da der abrupte Übergang von Selbstständigkeit zu Abhängigkeit als besonders belastend erlebt wird.
Bei Patientinnen und Patienten, die bereits unter kognitiven Störungen oder affektiven Erkrankungen leiden, fallen die Folgen eines Schlaganfalls meist stärker aus und halten länger an. Die kumulative Belastung durch die Vorerkrankung reduziert die vorhandenen Ressourcen und erschwert die Kompensation. In solchen Fällen ist eine besonders frühzeitige und umfassende Diagnostik notwendig, gefolgt von einer Therapie, die an den vorhandenen Fähigkeiten ansetzt und gezielt Ressourcen schont. Eine vollständige Wiederherstellung des früheren Funktionsniveaus ist oft nicht möglich.
Nach mehreren oder beidseitigen Schlaganfällen sind die neuropsychologischen Störungsbilder oft besonders komplex. Oft bestehen Einschränkungen in Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen, Motivation und Emotionsregulation gleichzeitig. Diese Patientengruppe benötigt in der Regel eine langfristige, multiprofessionelle Begleitung. Technische Alltagshilfen, wie beispielsweise Erinnerungs-Apps oder elektronische Orientierungssysteme, können die Selbstständigkeit fördern. Somit benötigen spezielle Patientengruppen eine maßgeschneiderte, flexible und oft längerfristige Versorgung.
Forschung und Ausblick
Die Forschung zu neuropsychologischen Störungen nach einem Schlaganfall entwickelt sich dynamisch weiter. Fortschritte in der Bildgebung und bei molekularen Markern, wie etwa funktionelle MRT-Verfahren, Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) oder genetische Analysen, ermöglichen es zunehmend, bereits früh subtile Störungen neuronaler Netzwerke zu erkennen. Auch individuelle Risikoprofile für einen ungünstigen Verlauf oder eine bes…
Thalamusinfarkt: Eine besondere Form des Schlaganfalls
Nur drei bis vier Prozent aller Hirninfarkte sind reine Thalamusinfarkte, also Schlaganfälle, bei denen einzig dieser Teil des Gehirns betroffen ist. Der Thalamus ist ein kleiner, aber sehr wichtiger Teil des Gehirns, in dem alle Sinneseindrücke gefiltert werden. Daher wird er auch als „Tor des Bewusstseins“ bezeichnet.
Forschung am NeuroScienceLab der Universität Duisburg-Essen
Am NeuroScienceLab der Universität Duisburg-Essen widmet sich Dr. Anne-Carina Scharf mit einer speziellen Arbeitsgruppe seit 2016 dem bisher wenig erforschten Thema Thalamusinfarkt. „Unsere Studie ist die erste, die isoliert Thalamusinfarkte und deren Entwicklung im Zeitverlauf betrachtet“, so Scharf. „Bisherige Studien basieren meist auf Einzelfallanalysen oder kleineren, im Rückblick analysierten Kohorten.“ Ziel der Forschung ist es, Patienten schon in einem frühen Stadium Prognosen über den weiteren Verlauf vermitteln zu können.
Studienergebnisse zum Thalamusinfarkt
Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe hat Scharf etwa 50 Patienten, die einen Thalamusinfarkt erlitten haben, rekrutiert und über zwei Jahre eng begleitet. Die ersten Studienergebnisse sind besonders für Patienten, die von einem Thalamusinfarkt im paramedianen Bereich betroffen sind, positiv. „Hier sehen wir eine nahezu vollständige Erholung“, sagt Scharf. „Es ist einerseits eine tolle Motivation für die Reha, wenn Ärzte Patienten mit einer solchen Prognose Mut machen können. Andererseits ist es aber wichtig, Transparenz zu schaffen über mögliche bleibende Einschränkungen.“
Die Ergebnisse der Studie setzen außerdem bei Ärztinnen und Ärzten an. „Gerade kognitive Einschränkungen nach Schlaganfällen finden im Klinikalltag oft zu wenig Beachtung“, findet Scharf. Dabei sei es anhand weniger Fragestellungen leicht, auch diese im Blick zu haben, also beispielsweise zu überprüfen, ob Patienten sich Dinge merken können. „Kognitive Defizite lassen sich aber natürlich auch besser verbergen und sind in einer Zwei-Minuten-Visite nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Anders als zum Beispiel Lähmungserscheinungen.“
Umgang mit Empfindungsstörungen nach Thalamusinfarkt
Nach einem Schlaganfall im Thalamus-Bereich sind Taubheit, Kribbeln, Brennen und andere Missempfindungen häufige Folgen. Die Verarbeitung sensorischer Reize ist gestört. Das später auftretende Kribbeln und Brennen deutet darauf hin, dass die Nerven "aktiv" sind und sich das Nervensystem reorganisiert (Neuroplastizität). Dies wird als ein Zeichen der Heilung betrachtet, auch wenn die Empfindungen unangenehm sind und als störend wahrgenommen werden. Die Symptome entstehen, weil das Nervensystem nun versucht, neue Wege zu finden und geschädigte Verbindungen wiederherzustellen. Dabei können fehlerhafte oder übersteigerte Signale auftreten. Daher können auch harmlose Reize wie sanfte Berührungen als schmerzhaft interpretiert werden. Anhaltende Entzündungs- und Umbauprozesse im Gehirn können vorübergehend zu unangenehmen Empfindungen führen.
Der Heilungsverlauf kann Monate bis eher Jahre dauern und verläuft nicht geradlinig. Dabei gibt es bessere Phasen, in denen es vorangeht und Vieles leichter fällt - ebenso wie Phasen der Stagnation oder scheinbarer Rückschritte. Diese gehören in der Stabilisierung dazu. Vorübergehend stärkere Missempfindungen oder Schmerzen nach ungewohnter, starker oder längerer körperlicher Anstrengung sind ebenfalls typisch.
Therapeutische Unterstützung des Heilungsprozesses
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Heilungsprozess therapeutisch zu unterstützen:
- Sensorische Stimulation: Die betroffenen Bereiche mit einem Waschlappen reiben, um die Nerven zu aktivieren und die Tiefensensibilität (Propriozeption) zu verbessern.
- Wärme- und Kälteanwendungen sowie Wasseranwendungen (Hydrotherapie): Diese Methoden können die Schmerzen lindern und die Durchblutung fördern.
- Elektrotherapie (TENS): Wirksam, um die Schmerzen und teilweise auch die Missempfindungen zu reduzieren und die Kontrolle der Körperwahrnehmung zu verbessern.
- Physiotherapie und Ergotherapie: Sanfte Bewegungen sowie hochfrequente, intensive Übungseinheiten mit vielen Wiederholungen fördern die neuronale Plastizität und funktionelle Erholung.
- Medikamentöse Schmerztherapie: Spezielle Medikamente wie Gabapentin, Pregabalin oder trizyklische Antidepressiva können zentrale Schmerzen lindern.
- Entspannungsübungen, progressive Muskelentspannung (PMR), achtsamkeitsbasierte Verfahren (MBSR), Atemtechniken, Yoga sowie Vagusnerv-Stimulation und Biofeedback: Diese Techniken können helfen, das Nervensystem zu beruhigen, Schmerzen und den Schlafrhythmus zu regulieren.
Langfristige Prävention und Krankheitsmanagement
Die langfristige Prävention und das Krankheitsmanagement in einem veränderten Alltag umfassen die Einstellung von Risikofaktoren und Lebensstilanpassungen sowie regelmäßige neurologische Verlaufskontrollen. Gesundheits- und heilungsfördernde Allgemeinmaßnahmen für erholsamen Schlaf, eine ausgewogene Ernährung sowie regelmäßige körperliche und geistige Aktivität sind die Grundlage. Ein strukturierter Alltag, bewusste Stressregulation und Energiemanagement im Wechsel von Aktivität und Pausen unterstützen die Erholung und Regeneration zusätzlich.
Tipps zum Selbstmanagement und positiven Umgang mit den Schlaganfallfolgen
Der Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen spielt bei der Unterstützung und beim Lernen eine wesentliche Rolle. In der Praxis hat es sich zudem bewährt, ein Tagebuch oder eine Gesundheits-App zu führen, um Symptome, Veränderungen und Fortschritte zu dokumentieren. So können Sie Muster erkennen und leichter nachvollziehen, welche Maßnahmen helfen und wie sich die Situation über die Zeit entwickelt. Dies erleichtert auch die Kommunikation mit Ihrem ärztlichen und therapeutischen Behandlungsteam.
Fehldiagnosen bei Schlaganfällen im hinteren Stromgebiet
Mehr als ein Drittel der Schlaganfälle im hinteren Stromgebiet werden fehldiagnostiziert. Im Gegensatz zu Infarkten im vorderen Kreislauf missdeuten viele Kollegen die Symptome dreimal häufiger und lassen Betroffenen eine falsche Behandlung zukommen. Für Patienten kann das eine deutlich schlechtere Prognose bedeuten. Sie landen mitunter erst nach mehr als 4,5 Stunden in der Klinik und überschreiten damit das Fenster für eine effektive Lysetherapie. Verantwortlich für viele Fehldiagnosen sind jene eher unspezifischen Symptome wie Diplopie, Sprech- und Schluckstörungen oder Kopfschmerzen. Einige Beschwerden treten bei einem posterioren Insult häufiger auf. Liegen mindestens zwei davon vor, gilt es aufzuhorchen. Fast die Hälfte aller Betroffenen klagt über einen plötzlich einsetzenden Schwindel.
Risikofaktoren für einen Schlaganfall
Generell gehen 87% der Schlaganfälle zu Lasten definierter Risikofaktoren. Unterschieden wird zwischen modifizierbaren und nicht beeinflussbaren Faktoren.
Modifizierbare Risikofaktoren
Der Hauptrisikofaktor für Schlaganfälle ist ein hoher Blutdruck, gefolgt von erhöhtem Body-Mass-Index (BMI) bzw. Übergewicht, Diabetes, Umwelt- bzw. Luftverschmutzung, Rauchen und hohem Salzkonsum. Andere, mit einem erhöhten Schlaganfall-Risiko assoziierte Risikofaktoren sind Bewegungsmangel, Hyperlipidämie, Vorhofflimmern, Stress, Alkoholkonsum, Arteriosklerose, Karotisstenose, Ovulationshemmer und Polyglobulie. Als neuer Risikofaktor wurde Endometriose festgestellt.
Nicht modifizierbare Risikofaktoren
Zwei der bedeutsamsten nicht modifizierbaren Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind das Alter und das Geschlecht. Die meisten apoplektischen Insulte betreffen Menschen über 60 Jahre. Zudem haben Frauen ein höheres Schlaganfall-Risiko als Männer. Genetische Faktoren haben ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf das Schlaganfallrisiko.
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