Migräneattacken, Alzheimer-Demenz und möglicherweise sogar Schlaganfälle - die Forschung der letzten Jahre deutet auf einen Zusammenhang zwischen der Infektion mit dem Magenbakterium Helicobacter pylori (H. pylori) und verschiedenen neurologischen Erkrankungen hin. Dieser Artikel fasst die aktuellen Erkenntnisse zusammen und beleuchtet die möglichen Mechanismen, wie H. pylori das Gehirn beeinflussen kann.
Migräne und H. pylori: Ein möglicher Zusammenhang
Viele Menschen leiden unter anfallsartigen Kopfschmerzen, die als Migräne bekannt sind. Die Ursachen für Migräne sind vielfältig und reichen von Wetterwechsel über Stress bis hin zu Medikamenten. Eine Studie italienischer Forscher der Katholischen Universität in Rom hat einen weiteren möglichen Auslöser identifiziert: Helicobacter pylori.
In dieser Studie wurden 225 Migränepatienten mit einer nachgewiesenen H. pylori-Infektion mit Antibiotika behandelt. Über einen Zeitraum von sechs Monaten untersuchten die Forscher die Frequenz, Dauer und Intensität der Migräneattacken. Bei 83 Prozent der Patienten war die Behandlung erfolgreich, und mit der Reduktion der Bakterienpopulation verringerten sich auch die Migränebeschwerden deutlich.
Die Forscher vermuten, dass H. pylori Substanzen produziert, die die Hirndurchblutung negativ beeinflussen und so Migräneattacken auslösen können.
H. pylori und das erhöhte Alzheimer-Risiko
Neben Migräne steht H. pylori auch im Verdacht, das Risiko für Alzheimer-Demenz zu erhöhen. Eine Studie der Charité Berlin und der McGill University (Kanada) analysierte Daten von über 4 Millionen Patienten in Großbritannien über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten. Die Ergebnisse legen nahe, dass bei Menschen über 50 Jahren das Alzheimer-Risiko nach einer symptomatischen H. pylori-Infektion um durchschnittlich 11 % erhöht sein kann. Rund 10 Jahre nach der Infektion steigt das Risiko sogar auf 24 %.
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Wie gelangt H. pylori ins Gehirn?
Prof. Dr. med. Antonios Douros, Pharmakoepidemiologe an der Charité und Erstautor der Studie, erklärt, dass das Bakterium über verschiedene Wege das Gehirn erreichen kann. Dort kann es Entzündungen, Schädigungen und den Verfall von Nervenzellen verursachen. Darüber hinaus kann eine H. pylori-Infektion die Aufnahme von Vitamin B12 und Eisen beeinträchtigen, was das Demenz-Risiko zusätzlich erhöht. Ist der Magen durch Helicobacter geschädigt, können Vitamin B12 und Eisen nicht mehr so gut resorbiert werden. Dies erhöht das Demenzrisiko.
Beeinflussbarer Risikofaktor?
Die Ergebnisse der Studie bekräftigen die Annahme, dass eine H. pylori-Infektion ein beeinflussbarer Risikofaktor für Alzheimer-Demenz sein könnte. Ob und in welchem Maß die Bekämpfung des Keims durch antimikrobielle Eradikationsprogramme die Entwicklung von Alzheimer tatsächlich beeinflusst, muss allerdings erst in großen randomisierten Studien getestet werden.
H. pylori und Schlaganfallrisiko
Es gibt Hinweise darauf, dass H. pylori auch bei Schlaganfällen eine Rolle spielen könnte. Die Forscher berichten, dass Helicobacter-pylori-Stämme im Blutstrom nachweisbar waren. Sie vermuten, dass H. pylori Entzündungen und Läsionen im Gewebe verursacht. Dadurch werden die Gefäße weiter eingeschränkt und das Risiko für einen Schlaganfall steigt. Es wird vermutet, dass H. pylori zur Bildung von Plaques beitragen kann, was das Risiko für Gefäßverschlüsse und somit Schlaganfälle begünstigt. In einigen Fällen könnte ein Schlaganfall durch eine Embolie im Herzen entstanden sein (kardiale Embolie).
Die Mechanismen: Wie schädigt H. pylori das Gehirn?
Die genauen Mechanismen, wie H. pylori das Gehirn schädigt, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch verschiedene Hypothesen:
- Direkte Invasion des Gehirns: H. pylori kann über verschiedene Wege ins Gehirn gelangen und dort Entzündungen und Schädigungen verursachen.
- Indirekte Schädigung durch Entzündungsmediatoren: Die durch H. pylori ausgelöste Entzündung im Magen kann zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren führen, die über den Blutkreislauf ins Gehirn gelangen und dort Schäden verursachen können.
- Beeinträchtigung der Nährstoffaufnahme: Eine H. pylori-Infektion kann die Aufnahme von wichtigen Nährstoffen wie Vitamin B12 und Eisen beeinträchtigen, die für die Funktion des Gehirns essentiell sind.
- Cholesterinentzug: Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin haben herausgefunden, dass H. pylori den Membranen von Schleimhautzellen Cholesterin entzieht. Dieses Fettmolekül ist u.a. für die Funktion von Interferon-Rezeptoren erforderlich. Durch den Entzug können die Schleimhautzellen wichtige Botenstoffe des Immunsystems nicht mehr wahrnehmen.
Helicobacter pylori: Ein weit verbreitetes Bakterium
Knapp ein Drittel aller Menschen in Deutschland ist mit H. pylori infiziert. Weltweit ist sogar jeder Zweite betroffen. Die Infektion kann symptomlos verlaufen, aber auch Magenschleimhautentzündungen (Gastritis), Magengeschwüre und sogar Magenkrebs verursachen.
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H. pylori überlebt durch Cholesterinentzug
Die Forscher um Thomas F. Meyer, Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, liefern erstmals eine Erklärung dafür, warum bislang Versuche gescheitert sind, einen Impfstoff gegen H. pylori zu entwickeln: Der Erreger blockiert die Wirkung von zu Hilfe gerufenen Immunzellen und deren Botenstoffen. Einer früheren Studie der Berliner Wissenschaftler zufolge bildet das Bakterium ein Enzym, mit dem es Wirtszellen Cholesterin entziehen kann. Fehlt dieses Enzym, können die Erreger Mäuse nicht mehr infizieren. Erhalten Mäuse eine besonders Cholesterin-reiche Nahrung, können sie die Erreger um den Preis einer noch stärkeren Entzündung teilweise abwehren.
Mukosoide als Schlüssel zum Verständnis
Eine neue Methode hat nun zur Lösung des Rätsels beigetragen, denn den Forschern ist es gelungen, eine Magenschleimhaut im Labor zu züchten. Diese auch Mukosoide genannten Mini-Organe bestehen aus einer Schicht Epithelzellen mit einer Außen- und Innenseite. Die Mini-Organe produzieren sogar die für die Magenschleimhaut typische Schleimschicht und können selbst nach Infektion mit H. Normalerweise rufen die Zellen der Magenschleimhaut als Reaktion auf eine Infektion mit H. pylori Immunzellen zu Hilfe und bilden Abwehrstoffe gegen den Erreger. Dank der Mukosoide haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass H. pylori dauerhaft kleine Kolonien auf den Mini-Organen bildet. Indem der Erreger den benachbarten Zellen Cholesterin entzieht, können in deren Zellmembran keine aus Cholesterin bestehenden „Lipidflöße“ mehr gebildet werden, die für den korrekten Zusammenhalt der Rezeptormoleküle für Interferon-γ entscheidend sind. „Wir können nun viele, lange unbeantwortet gebliebene Fragen beantworten und sehen die Infektion in einem völlig anderen Licht“, sagt Pau Morey, der Erstautor der Studie.
Konsequenzen für die Prävention und Therapie
Die wachsende Evidenz für einen Zusammenhang zwischen H. pylori und neurologischen Erkrankungen hat wichtige Konsequenzen für die Prävention und Therapie:
- Früherkennung und Behandlung von H. pylori-Infektionen: Insbesondere bei Menschen über 50 Jahren könnte eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von H. pylori-Infektionen dazu beitragen, das Risiko für Alzheimer-Demenz zu senken.
- Weitere Forschung: Es sind weitere groß angelegte randomisierte Studien erforderlich, um den kausalen Zusammenhang zwischen H. pylori und neurologischen Erkrankungen zu bestätigen und die Wirksamkeit von Eradikationsprogrammen zu untersuchen.
- Berücksichtigung von H. pylori bei neurologischen Erkrankungen: Bei der Diagnose und Behandlung von Migräne, Alzheimer-Demenz und Schlaganfällen sollte eine mögliche H. pylori-Infektion berücksichtigt werden.
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