Die traditionelle Sichtweise, die Herz- und Gehirnerkrankungen als getrennte Bereiche betrachtet, wird zunehmend in Frage gestellt. Aktuelle wissenschaftliche Studien enthüllen immer mehr Erkenntnisse darüber, wie Herz und Gehirn kommunizieren und sich gegenseitig beeinflussen. Dieser Artikel beleuchtet die faszinierende Verbindung zwischen Herz und Gehirn, basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Einführung: Die vielschichtige Beziehung zwischen Herz und Verstand
Haben Sie jemals die Redewendung gehört: "Was sagt dein Kopf?", "Hör auf dein Herz!" oder "Vertraue deinem Bauchgefühl"? Diese geläufigen Redewendungen beinhalten die subtile Andeutung darauf, dass möglicherweise alle Organe auf einzigartige Weise an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Dabei gilt das Gehirn weithin als rational-logischer Akteur, das Herz als eher mitfühlend und dem Bauch wird eine schützende Rolle zugeschrieben. Doch können Organe wirklich Entscheidungen für uns treffen? In der modernen Wissenschaft wird das Gehirn traditionell als übergeordneter Befehlshaber betrachtet, der jede Bewegung und Emotion steuert, während den anderen Organe allgemein lediglich eine ausführende Rolle zugesprochen wird. Aus spiritueller Perspektive wird der Körper jedoch als eng vernetzt und weniger in Form getrennter Einheiten betrachtet. Entscheidungen werden nicht nur durch rationales Denken, sondern auch durch „auf das Herz hören“ (d.h. die Herzintelligenz) getroffen.
Das neuronale Netzwerk des Herzens: Ein "kleines Gehirn" im Herzen?
Man könnte nun vermuten, dass die westliche Wissenschaft die Idee, dass neben dem Gehirn weitere Organe die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung besitzen, ablehnt. Diese Annahme ist jedoch nicht vollständig korrekt. Seit über einem Jahrhundert wird intensiv über eine faszinierende Entdeckung debattiert: im menschlichen Herzen sitzen mehr als 40.000 Neuronen, die vollkommen unabhängig von unserem Großhirn funktionieren. Diese als „sensorische Neuriten“ bezeichneten Zellen sind tief im gesamten Herzen miteinander verflochten und formen ein komplexes Netzwerk. Diese Entdeckung fordert die konventionelle Überzeugung, dass das Gehirn als zentrale Instanz einseitig das Herz steuert, heraus. Dr. John Armour bezeichnete die gefundene Zellgruppe als das „kleine Gehirn im Herzen“ - ein Hinweis darauf, dass eine viel komplexere Beziehung zum Gehirn besteht und zwischen den beiden kommuniziert wird als zuvor angenommen. Das volle Ausmaß dessen, was dieses kleine Gehirn im Herzen leisten kann, ist noch immer unerforscht, und die Wissenschaft ist davon überzeugt, dass im Rahmen weiterer Forschungsarbeiten noch mehr gehirnähnliche Netzwerke entdeckt werden.
Die Kommunikation zwischen Herz und Gehirn
Herz und Gehirn kommunizieren über verschiedene Wege miteinander, darunter das autonome Nervensystem und Botenstoffe. Das autonome Nervensystem besteht aus Sympathikus und Parasympathikus, die als Gegenspieler wirken. Der Sympathikus aktiviert uns und sorgt für körperliche Reaktionen auf Angriff und Flucht, während der Parasympathikus uns in Ruhe bringt. Diese beiden Systeme halten sich beim gesunden Menschen die Waage, wodurch der Herzschlag variabel ist und sich ständig der jeweiligen Situation anpasst.
Eine hohe Herzratenvariabilität (HRV) gilt als Zeichen einer vitalen Herz-Hirn-Verbindung und letztlich von Gesundheit. Eine starre Herzfunktion ist dagegen lebensbedrohlich und kann zum plötzlichen Tod führen. Forscher analysieren das Elektrokardiogramm und die Hirnströme gleichzeitig, um die feinstimmige Kommunikation zwischen Gehirn und Herz zu verstehen. Dabei fällt auf, dass bestimmte Regionen des Gehirns synchron mit dem Herzen aktiviert werden. Dies wird im sogenannten Herzschlag-evozierten Potential (HEP) messbar, das quasi ein Abbild des pumpenden Herzens im Hirn darstellt.
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Der Einfluss des Herzschlags auf Wahrnehmung und Denken
Der Herzschlag beeinflusst nicht nur die Durchblutung des Gehirns, sondern auch die Wahrnehmung von Berührungsreizen und die Neigung zu Vorurteilen. Wenn das Herz sich zusammenzieht und Blut in den Körper pumpt (systolische Phase), spüren Probanden einen elektrischen Reiz am Finger nicht so intensiv. Dies könnte daran liegen, dass Rezeptoren in den großen Blutgefäßen in diesem Moment eine Information über den Blutdruck ans Gehirn übermitteln. In der folgenden Diastole, wenn sich das Herz wieder mit Blut füllt, registrieren Probanden einen äußeren elektrischen Reiz intensiver.
Ein Experiment zeigte, dass Probanden in der systolischen Phase häufiger ihrem Vorurteil folgten und einem schwarzen Mann eine Waffe zuwiesen. Dies deutet darauf hin, dass der Herzschlag die Wahrnehmung und das Denken beeinflussen kann.
Psychokardiologie: Die Verbindung von psychischem Wohlbefinden und Herzgesundheit
Die Psychokardiologie ist eine junge Disziplin, die sich mit den Auswirkungen von neurologischen Erkrankungen und seelischem Leid auf das Herz befasst. Studien belegen, dass Herzkranke Menschen oft von psychotherapeutischen Maßnahmen profitieren, da Depressivität, Angstsymptome, Stress und die Sterblichkeit an Herzkrankheiten abnehmen.
Chronischer Stress kann das sympathische Nervensystem überaktivieren und zu verschiedenen Gesundheitsproblemen führen. Eine Messgröße, um Gefährdete zu erkennen, ist die Herzratenvariabilität. Menschen mit Angst- und Panikstörungen haben ebenfalls ein erhöhtes Infarktrisiko, da ihr Gehirn Angstreaktionen nicht mehr ausreichend unterdrücken kann und ihr Vagusnerv gehemmt ist.
Stressbedingte Herzmuskelschwäche: Das Takotsubo-Syndrom
Sogar auf Stress hin können kerngesunde Menschen eine Herzmuskelschwäche entwickeln, die als Takotsubo-Syndrom bezeichnet wird. Betroffene kommen mit Brustschmerzen und Atemnot in die Notaufnahme, obwohl in der Katheteruntersuchung alle Gefäße offen sind. Die linke Herzkammer pumpt allerdings weniger effizient als gewöhnlich, und die Herzspitze ist ballonartig erweitert.
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Eine Untersuchung der Gehirne von Patienten mit funktioneller Magnetresonanztomografie zeigte, dass die Verarbeitung emotionaler Eindrücke in verschiedenen Gehirnarealen weniger ausgeprägt ist. Diese verminderte Konnektivität betrifft insbesondere die Amygdala, den Hippocampus und den Gyrus cinguli, die für die Kontrolle von Emotionen entscheidend sind.
Integrative Forschung über Organgrenzen hinweg
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert ein neues integratives Graduiertenkolleg an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), das die wechselseitige Abhängigkeit von Herz- und Gehirnerkrankungen erforscht. Ziel ist es, neue Mechanismen zu entdecken, die zu Erkrankungen führen, bei denen Fehlfunktionen von Herz und Gehirn zugrunde liegen, und neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung schnell in klinisch anwendbares Wissen zu übersetzen.
Das Kolleg umfasst zehn Forschungsprojekte, sechs angegliederte klinische Studien und eine Kohorte pluripotenter Stammzellen. Es soll ein neuer interdisziplinärer Ansatz etabliert werden, der über die Organgrenzen hinausgeht.
Heilung von Traumata: Erinnerung sowohl im Kopf als auch im Herzen
Verschiedene Wissenschaftler, welche eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität schlagen möchten, betonen, dass die Existenz dieses kleinen Gehirns im Herzen unser Verständnis von Traumata und Heilung vertieft. Spirituelle Forscher wie beispielsweise Gregg Braden vermuten, dass die alleinige Heilung von Traumata im Verstand, die emotionalen Wunden im Herzen möglicherweise unberührt lassen kann. Wenn wir anerkennen, dass Erfahrungen - egal ob schmerzhaft oder freudig - sowohl im Verstand als auch im Herzen registriert werden, können wir Traumata auf eine ganzheitlichere Weise behandeln. Diese Entdeckung ermutigt uns zudem dazu, das Herz nicht nur als ein physisches Organ zu betrachten, sondern auch als einen emotionalen Knotenpunkt, der einen erheblichen Beitrag zu unserem mentalen und physischen Wohlbefinden leistet. Ein solches Konzept gewinnt in der Wissenschaft zunehmend Unterstützung, insbesondere durch wegweisende Studien wie „Gestresstes Gehirn, krankes Herz“. In dieser Studie fanden Wissenschaftler heraus, dass psychische Erkrankungen wie beispielsweise chronischer Stress und Depression eine erhebliche physische Belastung für das Herz darstellen. Dieser Artikel beschreibt den direkten Zusammenhang psychischen Erkrankungen und einem deutlich höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Da psychischer Stress oft lediglich als auf den Verstand beschränkt betrachtet wird, sind diese Erkenntnisse überraschend. Doch die Studie enthüllt eine viel komplexere Verbindung zwischen unserem emotionalen Wohlbefinden und der Funktion des Herzens. Möglicherweise ist die Intelligenz unseres Herzens das fehlende Bindeglied, das diese Verbindung zwischen unserer physischen und mentalen Gesundheit stärkt.
Das Herz als Taktgeber von Emotionen: Die Bedeutung der Herzkohärenz
Während der Volksmund das Herz mit Emotionen, das Hirn mit Verstand assoziiert, scheint sich in der Wissenschaftswelt der Eindruck festzusetzen, dass alle mentalen Vorgänge allein durch das Gehirn bestimmt sind. Interessanterweise gibt es aber zunehmende Erkenntnisse, dass das Herz, das ja ebenfalls Nervenzellen enthält, einen starken Einfluss auf Denken und Fühlen ausübt.
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Emotionale Reize beeinflussen früh und messbar den Herzrhythmus. Wer lernt, den Herzrhythmus zu harmonisieren, beeinflusst direkt die neuronale Dynamik im Gehirn und damit sein emotionales Erleben. Der Zustand der Herzkohärenz, also ein gleichmäßiges, geordnetes Herzrhythmusmuster, sendet stabile Signale an das Gehirn. Erst wenn Herz und Gehirn in einen gemeinsamen Rhythmus finden, entfalten Gedanken ihre Wirkung, werden emotional getragen und im Nervensystem verankert. Selbstregulation entsteht im Zusammenspiel von Herz und Gehirn.
Brain-Body States: Die untrennbare Verbindung von Körper und Geist
Das Forschungsteam um Arno Villringer schlägt vor, dass körperliche Vorgänge wie Herzschlag und Blutdruckänderungen mit mentalen Prozessen verknüpft sind. Dabei geht jeder körperliche Vorgang automatisch mit einem mentalen oder geistigen Prozess einher. Psychische und kardiovaskuläre Erkrankungen reflektieren sich in langdauernden Brain-Body „Macrostates“. Dabei haben psychische Erkrankungen immer auch eine kardiovaskuläre Komponente, die aber noch ohne klinische Symptome sein kann und ebenso umgekehrt.
Diese Überlegungen bedeuten laut der Forscher für die Klinik, dass schon in der Prävention, aber auch in der Therapie kardiovaskulärer und psychischen Erkrankungen immer beide Aspekte berücksichtigt werden müssen, auch wenn anfänglich nur einer der Aspekte im Vordergrund steht.
Die Rolle der Blutgefäße im Gehirn für die Entwicklung der Neuronen-Netzwerke
Die Neurologin Amparo Acker-Palmer und ihr Team von der Universität Frankfurt haben neue Antworten auf die Frage gefunden, wie die Abläufe zwischen den Zellen im Gehirn koordiniert werden. Sie stellten fest, wie die Blutgefäße im Gehirn für die Entwicklung der Neuronen-Netzwerke sorgen, genauer: wie die beiden Bereiche miteinander kommunizieren.
Die Forscher entdeckten Moleküle, darunter das Protein Reelin, das die Bewegung von Nervenzellen steuert und insbesondere beim Wachstum des Gehirns zum Einsatz kommt. Das Protein arbeitet im Endothel, grob gesprochen in den Zellen der Wandschicht der Blutgefäße. Über die Reelin-Kaskade wird auch der Austausch an der sogenannten Blut-Hirn-Schranke gesteuert.
Fazit: Ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass Herz und Gehirn in einer komplexen und engen Beziehung zueinander stehen. Diese Erkenntnisse haben wichtige Implikationen für das Verständnis und die Behandlung von Erkrankungen beider Organe. Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl körperliche als auch psychische Aspekte berücksichtigt, ist entscheidend für die Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens.
Während Wissenschaftler weiterhin die faszinierende Verbindung zwischen Gehirn und Herz erforschen, stellt die Entdeckung des "kleinen Gehirns" die gängige Überzeugung in Frage, dass das Gehirn unseren Körper als zentrale Instanz allein kontrolliert. Dieses neu gewonnene Verständnis ermutigt uns alle dazu, die Bedeutung des Herzens jenseits seiner physischen Rolle anzuerkennen - als ein entscheidendes emotionales Zentrum, das unser mentales und physisches Wohlbefinden auf Weisen beeinflusst, die wir erst beginnen zu begreifen.
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