Die Suche nach wirksamen Therapien gegen Alzheimer, einer Krankheit, die weltweit Millionen von Menschen betrifft, ist ein zentrales Anliegen der medizinischen Forschung. Trotz intensiver Bemühungen sind viele vielversprechende Therapieansätze bisher gescheitert, was die Notwendigkeit innovativer Strategien unterstreicht. In diesem Zusammenhang rückt ein bereits etablierter Wirkstoff in den Fokus: Sildenafil, besser bekannt unter dem Handelsnamen Viagra. Ursprünglich zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt, erlangte Sildenafil vor allem aufgrund seiner Wirksamkeit bei Erektionsstörungen große Bekanntheit. Jüngste Forschungsergebnisse deuten nun darauf hin, dass Sildenafil möglicherweise auch eine Rolle bei der Prävention oder Behandlung von Alzheimer spielen könnte.
Erste Hinweise auf einen Zusammenhang
Eine Studie des University College London, die im Fachmagazin "Neurology" veröffentlicht wurde, lieferte erste vielversprechende Hinweise. Die Auswertung von Patientendaten von fast 270.000 Männern mit Erektionsstörungen ergab, dass diejenigen, denen Sildenafil oder andere PDE-5-Hemmer verschrieben wurden, ein um 18 Prozent geringeres Risiko hatten, in den Folgejahren an Alzheimer zu erkranken. Bei Männern, die über einen längeren Zeitraum häufig Rezepte für diese Medikamente erhielten, war das Risiko sogar um bis zu 44 Prozent reduziert.
Ein ähnliches Ergebnis präsentierten Forscher des "Cleveland Clinic Genomic Medicine Institute" in den USA. Mithilfe von Computermodellen und künstlicher Intelligenz analysierten sie Millionen anonymisierter Versicherungsprofile und stellten fest, dass bei Patienten, die Sildenafil einnahmen, 30 bis 50 Prozent seltener eine Alzheimer-Diagnose gestellt wurde als bei unbehandelten Männern. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass es sich bei diesen Beobachtungen um statistische Zusammenhänge handelt, die noch keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang liefern.
Mögliche Wirkmechanismen
Die Gründe für den potenziellen schützenden Effekt von Sildenafil sind noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt verschiedene vielversprechende Hypothesen. Eine Erklärung könnte in der gefäßerweiternden Wirkung des Medikaments liegen. Sildenafil entspannt die Venen und Arterien, was zu einer verbesserten Durchblutung des gesamten Körpers führt, einschließlich des Gehirns. Tierstudien haben gezeigt, dass eine erhöhte Gehirndurchblutung neuroprotektive Effekte haben kann, also die Nervenzellen schützt.
Darüber hinaus erhöht Sildenafil die Konzentration des Botenstoffs cGMP, der eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Blutspiegels von Acetylcholin spielt. Acetylcholin ist ein Neurotransmitter, der für die Unterstützung der Wahrnehmung von Bedeutung ist. Erhöhte cGMP-Spiegel könnten somit die Verfügbarkeit dieses Neurotransmitters steigern und potenziell zum Schutz der Gehirnzellen beitragen.
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Ein weiterer möglicher Wirkmechanismus sind antientzündliche Effekte. Ein spanisches Forscherteam hat herausgefunden, dass sich bei Anwendern von PDE-5-Hemmern sogenannte neurofibrilläre Knäuel im Gehirn langsamer bilden. Diese Knäuel sind ein frühes Anzeichen für Alzheimer.
Einschränkungen und offene Fragen
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es eine Reihe von Einschränkungen und offenen Fragen, die berücksichtigt werden müssen. Ein Hauptkritikpunkt an den bisherigen Studien ist, dass die untersuchten Gruppen häufig nicht repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung sind. Beispielsweise umfasste die Studie des University College London ausschließlich Männer mit Erektionsstörungen. Es ist daher unklar, ob Sildenafil auch bei Männern ohne Erektionsstörungen oder bei Frauen eine ähnliche Wirkung hätte.
Ein weiteres Problem ist, dass Alzheimer oft mit einem Verlust an Libido einhergeht. Es ist möglich, dass Personen mit frühen, noch unentdeckten Alzheimer-Symptomen von vornherein ein geringeres Interesse an potenzfördernden Medikamenten haben und daher in den Studien unterrepräsentiert sind. Umgekehrt könnten körperlich und sexuell aktive Menschen, die ohnehin ein geringeres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken, ein größeres Interesse an Viagra oder anderen Potenzmitteln haben.
Zudem ist unklar, ob eine nur bei Bedarf eingenommene Medikation wie Sildenafil langfristig einen durchschlagenden Einfluss auf die Entstehung von Demenz haben kann. Um Alzheimer entgegenzuwirken, wäre vermutlich eine ausreichend hohe Konzentration des Wirkstoffs über einen längeren Zeitraum hinweg erforderlich.
Weitere Forschung ist notwendig
Um die potenziellen Vorteile von Sildenafil bei der Alzheimer-Prävention oder -Behandlung besser zu verstehen, sind weitere, umfassendere Studien erforderlich. Ideal wäre eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie, bei der die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip entweder Sildenafil oder ein Placebo erhalten, ohne dass die Ärzte oder die Teilnehmer wissen, wer welche Behandlung erhält. Solche Studien gelten in der Wissenschaft als Goldstandard, um kausale Zusammenhänge nachzuweisen.
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Die Forscher fordern daher, die Wissenslücken in weiteren Untersuchungen zu schließen. Man müsste mehr Studien machen, dabei Frauen, aber auch Männer einbeziehen, die zum Beispiel keine Erektionsstörungen haben. Wäre bei ihnen Viagra auch ein Potenzmittel für das Gedächtnis? Außerdem müsste der Beobachtungszeitraum länger als fünf Jahre sein, gerade bei einer langen fortschreitende Erkrankung wie Alzheimer-Demenz.
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