Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit. Bei einem Teil der Betroffenen können Medikamente die Anfälle nicht ausreichend kontrollieren. In diesen Fällen kann die Epilepsiechirurgie, insbesondere die Entfernung des Hippocampus, eine vielversprechende Option darstellen. Dieser Artikel beleuchtet die Risiken und Chancen dieses Eingriffs, illustriert anhand von Fallbeispielen und aktuellen Forschungsergebnissen.
Epilepsie und ihre Ursachen
Epileptische Anfälle entstehen durch eine übermäßige Erregung von Nervenzellen im Gehirn. Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und reichen von genetischen Faktoren über Stoffwechselerkrankungen und Vergiftungen bis hin zu Entzündungen und Schädel-Hirn-Traumata. Letztere zählen zu den häufigsten Spätkomplikationen von Schädel-Hirn-Traumata. Eine Studie der University of California an Ratten zeigte, dass nach einer Hirnverletzung der Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4) die neuronale Erregbarkeit des Hippocampus ankurbelt und so die Entwicklung einer Epilepsie fördert. Durch Blockierung des TLR4-Signalwegs innerhalb eines Tages nach dem Trauma konnte das Risiko für spätere Anfälle reduziert werden.
Wann ist eine Hippocampus-Entfernung in Betracht zu ziehen?
Wenn mit Medikamenten keine Anfallsfreiheit erreicht werden kann, sollte geprüft werden, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich ist. Eine Operation kommt in Frage, wenn die Anfälle in einem begrenzten Gehirngebiet entstehen und nicht sogleich im ganzen Gehirn. Bei solchen „fokalen“ Anfällen ist die Epilepsiechirurgie eine bewährte Form der Behandlung. Neue chirurgische Techniken und bessere Möglichkeiten, den Ursprungsort der Anfälle aufzufinden, haben dazu geführt, dass heute mehr Operationen durchgeführt werden können als früher - und dies mit größerem Erfolg. So genannte „primär generalisierte Anfälle“ können dagegen nicht epilepsiechirurgisch behandelt werden.
Die Hippocampus-Entfernung wird vor allem bei der Temporallappenepilepsie (TLE) in Betracht gezogen, der häufigsten Epilepsieform bei Erwachsenen. Der Hippocampus, eine Struktur des limbischen Systems, spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung dieser Anfälle.
Der Fall Lisa: Ein Beispiel für erfolgreiche Epilepsiechirurgie
Lisa litt seit ihrer Kindheit unter epileptischen Anfällen. Medikamente konnten sie nicht ausreichend schützen, und eine Operation wurde zunächst für nicht möglich erachtet. Im Neuro-Zentrum des Universitätsklinikums Bonn fand sie schließlich Hilfe. Ein Team aus Epileptologen, Neuroradiologen und Neurochirurgen lokalisierte den Ausgangsort der Epilepsie in ihrem linken Schläfenlappen und entfernte die verantwortlichen Hirnstrukturen, einschließlich des Hippocampus.
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Lisass Hippocampus hatte nicht seine übliche Form ähnlich eines Seepferdchens, sondern er war vermutlich aufgrund einer Entzündung im Kindesalter geschädigt, im weiteren Verlauf vernarbt und dann geschrumpft. Somit litt Lisa unter einer klassischen Schläfenlappenepilepsie.
Seit der erfolgreichen Operation vor etwa einem halben Jahr hatte Lisa keinen epileptischen Anfall mehr. Sie kann nun ein normales Leben führen, plant ihren Führerschein und möchte sich zur Erzieherin weiterqualifizieren.
Prächirurgische Diagnostik: Die Grundlage für eine erfolgreiche Operation
Vor einer Hippocampus-Entfernung ist eine ausführliche prächirurgische Diagnostik unerlässlich. Ziel ist es, den Ursprungsort der Anfälle genau zu lokalisieren und die Funktion des umliegenden Hirngewebes zu beurteilen. Hierzu werden verschiedene Verfahren eingesetzt:
- Langzeit-Monitoring mit EEG- und Video-Aufzeichnungen: Um beweisen zu können, wo ein Anfall beginnt, muss man ihn gleichzeitig mit EEG und Video aufzeichnen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Mit diesem Verfahren kann man sehr gute Bilder des Gehirns machen und so z.B. Tumoren, Vernarbungen, Anlagestörungen o.ä. nachweisen, die die Ursache der Epilepsie darstellen können.
- Neuropsychologische Tests: Diese Tests können helfen, den Ort epileptisch bedingter Funktionsstörungen einzugrenzen, selbst wenn diese die im Alltag gar nicht auffallen.
- Wada-Test: Mit diesem Test kann man nachweisen, welche der beiden Gehirnhälften für Sprache und für spezielle Gedächtnisfunktionen zuständig ist.
- Elektroden-Implantation: In manchen Fällen ist vor der eigentlichen epilepsiechirurgischen Behandlung eine zusätzliche Operation nötig, die es ermöglicht, die elektrische Gehirnaktivität mit eingepflanzten Elektroden direkt von der Hirnrinde oder im Gehirn aufzuzeichnen.
Operationsmethoden: Von der Läsionektomie bis zur selektiven Amygdala-Hippokampektomie
Es gibt verschiedene epilepsiechirurgische Operationsmethoden, die je nach Ursprungsort und Ausbreitung der Anfälle eingesetzt werden:
- Erweiterte Läsionektomie: Fokale Anfälle können durch eine umschriebene Veränderung des Hirngewebes, eine so genannte „Läsion“, bedingt sein. Die Anfälle können dann oft in benachbartem Hirngewebe beginnen. Wo genau dieses liegt, wird in der prächirurgischen Diagnostik untersucht, damit diese Region mitsamt der Läsion entfernt werden kann.
- Selektive Amygdala-Hippokampektomie: In vielen Fällen beginnen die Anfälle im rechten oder linken Schläfenlappen - und hier oft in einem in der Tiefe gelegenen Gebiet, das „Seepferdchen“ (Hippocampus) heisst und in dem benachbarten „Mandelkern“ (Amygdala). Wenn nur diese Gebiete entfernt werden müssen, nennt man die Operation „selektive Amygdala-Hippokampektomie“.
- Topektomie: Manchmal gelingt es auch, ein Hirngebiet als Ursprungsort der Anfälle zu identifizieren, ohne dass dort eine Läsion gesehen werden kann. Die Entfernung einer solchen Region heißt „Topektomie“.
- Multiple Subpiale Transsektionen: Eine chirurgische Technik, bei der kleine Einschnitte in die Gehirnoberfläche gemacht werden, ohne die funktionell wichtigen Bahnen zu durchtrennen, kann hier z. T. helfen, die Anfallsaktivität einzugrenzen.
- Callosotomie: Hierbei wird der „Balken“, der beide Hirnhälften miteinander verbindet, durchtrennt, um schwere, mit Stürzen einhergehende Anfälle zu lindern.
Die Aachener Neurochirurgen unter der Leitung von Professor Hans Clusmann verfügen über eine langjährige und weitreichende Erfahrung bei der operativen Behandlung von medikamentös therapierefraktären fokalen Epilepsien und bieten diese anspruchsvollen Epilepsieoperationen regional, national und international an.
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Risiken und Komplikationen: Was ist zu beachten?
Wie bei jedem chirurgischen Eingriff birgt auch die Hippocampus-Entfernung Risiken. Zu den möglichen Komplikationen gehören:
- Neurologische Defizite: In seltenen Fällen kann es zu Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Sprache oder anderen Hirnfunktionen kommen.
- Gesichtsfelddefizite: Insbesondere bei Eingriffen im Schläfenlappen kann es zu Einschränkungen des Gesichtsfelds kommen.
- Psychiatrische Komorbiditäten: Studien haben gezeigt, dass psychiatrische Komorbiditäten wie Borderline-Störung oder Depressionen das Risiko für kognitive Einbußen nach der Operation erhöhen können.
- Postoperativer Attackenstatus: Ein Rückfall nach initialer Attackenfreiheit kann ebenfalls zu kognitiven Einbußen beitragen.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Risiken einer Operation immer gegen die Risiken einer продолжающейся Anfallserkrankung abgewogen werden müssen. Die Epilepsie selbst ist mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden, insbesondere dem „plötzlichen unerwarteten Tod des Epilepsiepatienten“ (SUDEP).
Langzeitverlauf und kognitive Entwicklung: Aktuelle Forschungsergebnisse
Eine Studie der Klinik für Epileptologie und des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Bonn hat die Ursachen für einen langfristig postoperativen kognitiven Abbau bei Epilepsiepatienten untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass neuropathologische Veränderungen wie Hippocampus-Sklerose, LEAT oder kortikale Dysplasie eine Rolle spielen können.
Die Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitverlaufsuntersuchungen zur kognitiven Entwicklung bei Epilepsiepatienten, insbesondere nach epilepsiechirurgischen Eingriffen. Es wird wichtig sein, für die hier histopathologisch gefundenen Hinweise für aktive neurodegenerative oder entzündliche Prozesse bei Patienten mit postoperativen kognitiven Verschlechterungen bildgebende und elektrophysiologische Korrelate zu identifizieren, die eine präoperative Erkennung dieser Risikofaktoren ermöglichen und damit in den therapeutischen Entscheidungsprozess und die Beratung der Patienten einfließen können.
Immunrezeptoren und Epilepsie: Neue Therapieansätze?
Forscher der University of California haben beobachtet, dass der Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4) nach einer Hirnverletzung die neuronale Erregbarkeit des Hippocampus ankurbelt, was die Entwicklung einer Epilepsie fördert. Durch Blockierung des TLR4-Signalwegs innerhalb eines Tages nach dem Trauma konnte das Risiko für spätere Anfälle bei Ratten reduziert werden. Diese Erkenntnisse könnten in Zukunft zu neuen Therapieansätzen zur Prävention von Epilepsie nach Schädel-Hirn-Traumata führen.
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Die Entscheidung für oder gegen eine Operation: Eine individuelle Abwägung
Die Entscheidung für oder gegen eine Hippocampus-Entfernung ist eine sehr persönliche und sollte in enger Absprache mit den behandelnden Ärzten getroffen werden. Es ist wichtig, sich umfassend über die Risiken und Chancen des Eingriffs zu informieren und die individuellen Umstände und Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Nachbehandlung und Nachuntersuchungen: Was erwartet die Patienten?
Nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff wird zunächst von neurochirurgischer Seite auf eine gute Wundheilung geachtet. Es folgt dann noch eine - meist kurze - stationäre epileptologische Behandlung. Nachuntersuchungen werden routinemäßig nach 3, 6, 12 und 24 Monaten ambulant durchgeführt. Dabei werden z.B. das EEG abgeleitet, neuropsychologische Tests (z.B. der Gedächtnisfunktionen) durchgeführt, die Blutspiegel der Medikamente bestimmt usw. Diese Untersuchungen dienen dazu, die postoperative Behandlung so sicher und verträglich wie möglich zu machen. Sie dienen aber auch dazu, die Qualität der Untersuchungen und den Erfolg der Operationen zu kontrollieren.
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