Wie entsteht Neuropathie? Ursachen, Symptome und Behandlung

Unsere Nerven entspringen dem Rückenmark und verzweigen sich immer feiner, ähnlich den Ästen eines Baumes. Über diese Nerven kommuniziert das Gehirn mit den Muskeln, der Haut und allen inneren Organen. Sie sind die Bahnen, über die wichtige Befehle von der "Schaltzentrale" zu den ausführenden Organen gelangen. Werden diese Nerven beschädigt oder zerstört, wird dieser Informationsfluss empfindlich gestört.

Was ist Neuropathie?

Der Begriff Neuropathie fasst eine Reihe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems zusammen. Das periphere Nervensystem umfasst alle außerhalb des zentralen Nervensystems liegenden Teile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven mit den sie versorgenden Blut- und Lymphgefäßen. Bei Polyneuropathien wird das Innere oder die Hülle der peripheren Nerven geschädigt.

Bei einer Neuropathie ist die Reizweiterleitung der Nerven gestört. Reize werden nicht, zu stark oder abgeschwächt an das Gehirn geleitet. Kommandos vom Gehirn werden nicht mehr zuverlässig an die Muskeln und die inneren Organe weitergeleitet. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten der Schädigung:

  • Demyelinisierende Polyneuropathie: Hier zerfällt die Isolation um die Nervenfasern herum, sodass die elektrischen Impulse in der Nervenfaser nicht mehr richtig weitergeleitet werden.
  • Axonale Polyneuropathie: Hier geht die Nervenfaser selbst kaputt. Beide Formen können auch in Kombination auftreten.

Ursachen der Neuropathie

Die Neuropathie kann im Laufe des Lebens erworben (deutlich häufiger) oder angeboren sein (seltener) - dann besteht sie schon von Geburt an. Die Ursachen für Neuropathie sind vielfältig. Mediziner kennen mehr als 200 verschiedene Ursachen für die Nervenkrankheit Polyneuropathie. In den meisten Fällen ist die Polyneuropathie keine eigenständige Erkrankung, sondern das Erkennbarwerden einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung. Daher sind auch die Ursachen vielgestaltig und es gibt unterschiedliche Schweregrade.

Zu den häufigsten Ursachen gehören:

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  • Diabetes mellitus: Bis zu einem Drittel (30 Prozent) aller Menschen mit Diabetes Typ-1 und Diabetes Typ-2 entwickeln Schäden an den peripheren Nerven als Folge ihrer Zuckerkrankheit. Mit zunehmendem Alter steigt die Rate der Betroffenen. Menschen mit Diabetes erkranken in der Regel besonders früh und schwer an der Neuropathie, wenn sie Schwierigkeiten mit der Einstellung ihrer Blutzuckerwerte haben oder sich nicht ausreichend um ihren Blutzuckerspiegel kümmern. Je länger die Zuckerkrankheit besteht, desto höher steigt auch das Risiko, eine Polyneuropathie zu entwickeln. Nicht selten entstehen Nervenschäden bereits im Vorstadium des Diabetes (= Prädiabetes), also lange vor der eigentlichen Diagnose. Bei Diagnose eines Typ-2-Diabetes können daher bereits Neuropathien vorliegen.
    • An der Entstehung der diabetischen Neuropathie sind wahrscheinlich viele verschiedene Faktoren gleichzeitig beteiligt. Der wichtigste, durch erhöhte Blutzuckerspiegel induzierte, Faktor ist die Aktivierung einer spezifischen Subfamilie der Proteinkinase C. Die Hyperaktivität dieses Enzyms führt zu Zerstörung des Gleichgewichtes vieler verschiedener zellulärer Steuerungsmechanismen und spielt damit eine zentrale Rolle bei der Entstehung diabetischer Schäden an den Blutgefäßen (Mikro- und Makroangiopathie). Der Gerinnungsprozess, die Regulation des Stoffaustausches über die Blutgefäßwände und Reparaturmechanismen innerhalb der Zelle sind von der Hyperaktivität der Proteinkinase C betroffen. Hyperglykämien führen auf Dauer zu einer Reihe von Veränderungen in der Zusammensetzung der Eiweiße im Blut und Gewebe. Glukose bindet sich im Blut an zirkulierende Eiweiße (Hämoglobin HbA1c, Lipoproteine). Diese Art der Bindung bezeichnet man als nichtenzymatische Glykosilierung. Sie beeinträchtigt die Funktion der Proteine. Die glykosilierten Proteine unterliegen im Gewebe zusätzlichen chemischen Umwandlungsprozessen, die zur Entstehung schädlichen Nebenprodukten (Advanced Glyosylation End Products) führen. Wichtige Reparationsmechanismen im Gewebe werden durch AGEs blockiert. Oxidativer Stress begünstigt die Entstehung von AGEs. Oxidativer Stress entsteht durch ein Überangebot von oxidierten Stoffwechselprodukten aus chemischen Redox-Reaktionen. Oxidative Lipoproteine (z.B. Lowdensity Lipoproteins) häufen sich an der Gefäßwand und verursachen dort die Entstehung arteriosklerotischer Veränderungen. Die arteriosklerotische Schädigung der Blutgefäße im Rahmen des Diabetes mellitus ist seit langem bekannt (Makroangiopathie). Auch an den Nerven hat man im Sinne einer Schädigung der kleinen Blutgefäße (Mikroangiopathie) Verdickungen der Gefäßwände und Verstopfungen beobachtet. Die verdickten und verbreiterten Membranen der Blutgefäße führen zu einer Minderversorgung der Nerven mit Sauerstoff und beeinträchtigen ihre Funktion. Innerhalb der Nervenzellen werden durch hohe Blutzuckerspiegel ebenfalls wichtige Reparationsmechanismen und Wachstumsprozesse (axonaler Transport von neurotropen Wachstumsfaktoren) in ihrem Ablauf gestört. Die Bildung von Autoantikörpern gegen Nervenzellen.
  • Alkoholmissbrauch: Auch langjähriger, hoher Alkoholkonsum kann eine Neuropathie auslösen. Alkohol gilt als „Nervengift“ und stört die Weiterleitung von Reizen und Signalen. Bei der Polyneuropathie aufgrund chronischen Alkoholmissbrauchs könnte auch eine Mangelernährung eine Rolle spielen - sie führt zu einem Vitaminmangel, unter anderem zu einer Unterversorgung mit Vitamin B1.
  • Vitaminmangel: Ein Vitamin-B1-Mangel kann solche Nervenschäden begünstigen. Menschen mit Diabetes gehören zur Risikogruppe für eine Unterversorgung mit Thiamin. Studien zeigen, dass die Vitamin-B1-Konzentration im Blutplasma bei den untersuchten Diabetikern im Vergleich zu Gesunden um durchschnittlich 75 bis 90 Prozent niedriger lag. Hier sind mehrere Mechanismen am Werk: Erstens haben Menschen mit Diabetes aufgrund eines erhöhten Blutzuckerspiegels einen gesteigerten Vitamin-B1-Bedarf. Zweitens ist die Ausscheidung von Vitamin B1 über die Nieren erhöht. Zuckerkranke sollten daher ihre Versorgung mit Thiamin gut im Blick behalten. Daneben kann es noch weitere Gründe für die Neuropathie geben, wie Vitamin-B12-Mangel, etwa durch eine einseitige Ernährung - gefährdet sind zum Beispiel Menschen mit veganer Ernährungsweise, die komplett auf tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milchprodukte verzichten. Auch nach einer Magenoperation, zum Beispiel wegen Magenkrebs, kann ein Mangel an Vitamin B12 eine Polyneuropathie hervorrufen.
  • Nierenkrankheiten (wichtige Nährstoffe werden vermehrt ausgeschieden)
  • Lebererkrankungen
  • Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) oder Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
  • Infektionen mit Viren und Bakterien, z. B. Borreliose, Herpes simplex, Pfeiffersches Drüsenfieber
  • Autoimmunkrankheiten, z. B. Guillain-Barré-Syndrom - die Nervenscheiden der peripheren Nerven nehmen Schaden
  • Krebserkrankung - die Neuropathie kann ein erstes Warnsignal sein
  • Chemotherapie bei einer Krebserkrankung - besonders platinhaltige Zytostatika wie Cisplatin fördern die Polyneuropathie
  • Gifte, z. B.
  • Medikamente
  • Langzeitbehandlung auf einer Intensivstation
  • Organtransplantationen

In rund 20 Prozent aller Fälle lässt sich keine eindeutige Ursache feststellen. Bei ca. einem Viertel der Polyneuropathien kann die Ursache nicht geklärt werden, meist haben diese Formen jedoch eine gute Prognose.

Symptome der Neuropathie

Je nachdem, welche Nerven betroffen sind, können bei der Polyneuropathie unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund stehen. Die Symptome beginnen meistens an den Füßen, später an den Händen, und steigen dann langsam auf, Richtung Körpermitte. Schäden an den Nerven führen dazu, dass die Weiterleitung von Informationen zwischen Gehirn, Rückenmark und dem Rest des Körpers gestört ist.

Man unterscheidet sensible, motorische und autonome Symptome:

Sensible Symptome: Die sensiblen Nerven sind für die Wahrnehmung von Sinneseindrücken wie Berührung, Temperatur, Schmerz und Vibration zuständig. Bei einer Schädigung dieser Nerven kann es zu folgenden Symptomen kommen:

  • Kribbeln
  • Stechen
  • Taubheitsgefühle
  • Schwellungsgefühle
  • Druckgefühle
  • Gangunsicherheit
  • Fehlerhaftes Temperaturempfinden
  • Ein Gefühl, wie auf Watte zu gehen
  • Eingeschränktes Schmerzempfinden, was das Risiko für Verletzungen erhöht

Motorische Symptome: Die motorischen Nerven steuern die Muskeln. Bei einer Schädigung dieser Nerven kann es zu folgenden Symptomen kommen:

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  • Muskelzucken
  • Muskelkrämpfe
  • Muskelschwäche
  • Muskelschwund
  • Lähmungen

Autonome Symptome: Die autonomen Nerven steuern lebenswichtige Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung, Schweißbildung und Blutdruckregulation. Bei einer Schädigung dieser Nerven kann es zu folgenden Symptomen kommen:

  • Herzrhythmusstörungen
  • Blähgefühl und Appetitlosigkeit, Aufstoßen
  • Durchfall und Verstopfung im Wechsel
  • Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz
  • Impotenz
  • Gestörtes Schwitzen
  • Schlechte Kreislaufregulation mit Schwindel beim (raschen) Aufstehen (Orthostase)
  • Schwellung von Füßen und Händen (Wassereinlagerungen)

Eine Kombination verschiedener Symptome ist bei Polyneuropathie möglich.

Spezielle Formen der Neuropathie

  • Diabetische Neuropathie: Bei der Behandlung der Polyneuropathie durch Diabetes, steht die Behandlung des Diabetes im Vordergrund: Durch die Senkung Ihres Blutzuckers verhindern wir ein Voranschreiten der Erkrankung. Durch eine richtige Fußhygiene verhindern wir eine Entzündung oder unbemerkte Verletzungen. Die Schmerzen behandeln wir sowohl medikamentös als auch physikalisch. Die Neuropathie verläuft bei jedem Zuckerkranken anders, entwickelt sich aber meist schleichend über mehrere Jahre hinweg und betrifft viele Nerven. Die Neuropathie bei Diabetes lässt sich in verschiedene Erscheinungsformen einteilen:
    • Symmetrische Polyneuropathie: Die Beschwerden beginnen in den Füßen, später erkranken auch die Hände und Beine. Die vom Körperzentrum am weitesten entfernten Nervenfasern erkranken zuerst. Mediziner sprechen auch von einem strumpf- und handschuhförmigen Muster. Meistens sind die Symptome beidseitig und auf symmetrisch verlaufende Areale begrenzt. Typisch für die Erkrankung sind gestörte sensorische Empfindungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühle bis hin zu einer reduzierten Wahrnehmung von Schmerzen durch Verletzungen. Auch die Kommunikation zwischen Nerven und Muskulatur baut sich zunehmend ab. Etwa jeder dritte Diabetiker bekommt eine symmetrische Polyneuropathie. Das Durchschnittsalter der Erkrankten liegt bei ca. 65 Jahren.
    • Autonome Neuropathie: Dabei nehmen jene Nerven Schaden, die mit Herzschlag, Blutdruck und Blutzucker in Verbindung stehen und die Tätigkeit der inneren Organe beeinflussen. Aber auch der Stoffwechsel, die Verdauung, Blasenfunktion oder Sexualität kann leiden. Die autonome Neuropathie tritt bei etwa der Hälfte aller Diabetiker nach einer Krankheitsdauer von ungefähr 20 Jahren auf.
    • Fokale Neuropathien: Hier sind nur wenige Nerven geschädigt. Typisch für diese Form ist, dass die Beschwerden sehr plötzlich auftreten und sich nicht wie sonst allmählich entwickeln. Am häufigsten kommt die diabetische Amyotrophie vor. Dabei ist die Durchblutung eines Beinnervengeflechtes gestört, was sich durch heftige Schmerzen am Oberschenkel, Bein oder an der Gesäßhälfte bemerkbar macht. Auch die Augenmuskeln können betroffen sein. Erkrankte sehen dann Doppelbilder oder verspüren Schmerzen hinter dem Auge.
    • Meist nimmt die Polyneuropathie ihren Anfang in den unteren Extremitäten. Es besteht das Risiko, dass sich ein diabetischer Fuß (diabetisches Fußsyndrom) entwickelt. In 85 bis 90 Prozent der Fälle ist eine Polyneuropathie an der Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms beteiligt. Weil die Betroffenen ihr Schmerzempfinden aufgrund der Nervenschäden einbüßen, bemerken sie Wunden oder Verletzungen am Fuß nicht oder nicht rechtzeitig. Solche Wunden können zum Beispiel durch drückendes, zu enges Schuhwerk entstehen. Das Gewebe stirbt ab und offene Wunden sind ein idealer Nährboden für Bakterien und andere Krankheitserreger - sie lösen schwerwiegende Entzündungen aus. Das diabetische Fußsyndrom ist in Deutschland ein häufiger Grund für Amputationen.
  • Alkoholbedingte Neuropathie: Für eine erfolgreiche Therapie von alkoholbedingter Polyneuropathie ist eine absolute Alkoholabstinenz notwendig. Wir gleichen ggf. Ihre Vitamindefizite durch hoch dosierte Nahrungsergänzungsmittel aus. Die Schmerzen behandeln wir sowohl medikamentös als auch physikalisch.
  • Small-Fiber-Neuropathie (SFN): Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden. Die häufigsten Auslöser für eine Small Fiber Neuropathie sind Diabetes mellitus und eine gestörte Glukosetoleranz. Zu der langen Liste möglicher Ursachen zählen auch Alkoholmissbrauch, Medikamente wie Chemotherapeutika, Infektionen sowie Auto-Immunerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, Zöliakie und monoklonale Gammopathie. Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten.

Diagnose der Neuropathie

Am Anfang führen unsere Fachleute in den Schön Kliniken immer ein ausführliches Gespräch mit Ihnen oder Ihren Angehörigen. Dabei erfragen wir die genaue Art und Entwicklungsgeschichte Ihrer Beschwerden. Wir finden heraus, wann und in welchem Zusammenhang diese begonnen haben und wie sie sich auswirken. Bei Missempfindungen oder anderen Beschwerden, die im Zusammenhang mit einer Neuropathie stehen könnten, ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie überweist der Hausarzt an einen Neurologen.

Zur Diagnose einer Neuropathie werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt:

  • Anamnese: Bei der Erfassung der Krankengeschichte fragt der Neurologe nach den aktuellen Symptomen und ihrem ersten Auftreten, Grunderkrankungen und Medikation.
  • Klinische Untersuchung: In einer neurologischen Untersuchung werden Muskelkraft, Sensibilität und Muskeleigenreflexe geprüft. Am häufigsten beginnen die Symptome und Ausfälle an den unteren Extremitäten, meist an den Füßen oder Fußspitzen. In einer klinischen Untersuchung stellt man häufig abgeschwächte oder ausgefallene Muskelreflexe (insbesondere Achillessehnenreflex) und schlaffe Lähmungen fest. An den Extremitäten können sich Sensibilitätsstörungen socken-, strumpf- oder handschuhförmig ausbreiten. Zu den weiteren Symptomen gehört einerseits eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, z. B. auf Berührung, Wärme oder Kälte. Je nach Schädigung der Nerven kann aber auch das Berührungs- und Schmerzempfinden abgeschwächt sein.
  • Elektroneurografie (ENG): Hinzu kommen spezielle technische Untersuchungen, wie die Elektroneurografie (Messung der Nervenleitung) und die Elektromyografie (Analyse der Muskelaktivität zur frühen Erkennung von Schädigungen). Bei der neurophysiologischen Untersuchung mit Elektroneurographie (ENG) werden mit Stromimpulsen periphere Nerven stimuliert und Antworten von Muskeln oder sensiblen Fasern abgeleitet. Damit lässt sich die Art der Nervenschädigung feststellen. Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt.
  • Elektromyographie (EMG): Die Elektromyographie (EMG) untersucht Muskeln mit Nadeln und stellt so das Ausmaß der Schädigung fest.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
  • Laboruntersuchungen: Ausgiebige Laboruntersuchungen einschließlich einer Untersuchung des Nervenwassers. Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet. Ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen.
  • Bildgebende Verfahren: Je nach Einzelfall unterschiedliche bildgebende Verfahren (zum Beispiel Magnetresonanztomografie oder Ultraschall) werden durchgeführt. Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden.
  • Biopsie: In bestimmten Fällen ist auch eine Entnahme von Gewebeproben der Haut, von Muskeln oder Nerven wichtig. Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen.

Behandlung der Neuropathie

Entscheidend ist stets die Behandlung der Grunderkrankung, z. B. bei Diabetes mellitus eine Verbesserung der Blutzuckereinstellung, das strikte Vermeiden von Alkohol oder die Behandlung einer Tumorerkrankung. Bei autoimmunvermittelten, entzündlichen Polyneuropathien gibt es verschiedene gegen die Entzündung wirkende Medikamente (Immunglobuline, Kortikoide, Immunsuppressiva). Bei schweren Verläufen kann auch eine Blutwäsche durchgeführt werden. Bei erblichen Neuropathien gibt es bisher keine Therapie. Am besten lässt sich eine Polyneuropathie therapieren, wenn wir die Ursache herausgefunden haben und behandeln können. Aber auch dann braucht es viele Wochen bis Monate, bis sich die Nerven erholen.

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Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich danach, welche Beschwerden im Vordergrund stehen.

  • Medikamentöse Therapie: Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, bewährt. Klassische Schmerzmittel wirken bei neuropathischem Schmerz meistens nicht. Allerdings zeigen sich andere Medikamente als wirkungsvoll. Zur Behandlung von neuropathischem Schmerz nutzen wir überwiegend Antiepileptika, Antidepressiva und Opiate. Für die sensible Neuropathie gibt es keine speziellen Medikamente. Reizerscheinungen und Muskelkrämpfe lassen sich mit verschiedenen Medikamenten dämpfen. Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen. Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert.
  • Physikalische Therapie: In der physikalischen Therapie können wir vor allem sensible und motorische Symptome lindern. Dazu nutzen wir Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen. Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen. Bei der transkutanen Elektrostimulation, kurz TENS, werden kleine Elektroden auf die Haut geklebt, die sanfte elektrische Impulse abgeben. Wann kommt TENS bei Polyneuropathie in Frage? TENS ist eine nicht-medikamentöse Therapie, die oft bei starken neuropathischen Schmerzen in Kombination mit anderen Behandlungen eingesetzt wird. Sollten Medikamente zur Linderung der neuropathischen Schmerzen nicht ausreichen, kann in Absprache mit dem Arzt ein Therapieversuch erwogen werden.
  • Physiotherapie/Krankengymnastik: In der Physiotherapie und Krankengymnastik lernen Sie einzeln oder in der Gruppe verschiedene Techniken und Übungen kennen, mit denen Sie Ihre Gefühlsstörung, Gleichgewichts- oder Bewegungsfunktionen wieder verbessern können. Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
  • Ergotherapie: In der Ergotherapie wenden wir gestalterische und handwerkliche Techniken an, um die Feinmotorik und das Tastvermögen wieder zu stärken.
  • Psychologische Therapie: Wir bieten psychologische Unterstützung in Einzel- oder Gruppentherapie.
  • Patientenschulung und Selbsthilfe: In regelmäßigen Schulungen und Seminaren zeigen wir Ihnen einen bewussten Umgang mit Ihrer Erkrankung. Gleichzeitig lernen Sie, einen gesunden Lebensstil anzunehmen. In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Informationen über regionale Selbsthilfegruppen finden Sie beim Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V..

Was kann man selbst tun?

Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen:

  • Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen: Für alle Polyneuropathien gilt: regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen, Tragen von bequemem Schuhwerk, Meidung von Druck, Nutzung professioneller Fußpflege, Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (150 min Ausdauersport/Woche z. B.
  • Bewegung: Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen.
  • Ernährung: Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig - mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht.
  • Fußpflege: Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen.
  • Geeignetes Schuhwerk: Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Wechseln Sie täglich die Socken.
  • Hilfsmittel: Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern. Bei erheblichen Beeinträchtigungen durch eine Polyneuropathie kann Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis bestehen, mit dem Sie bestimmte Nachteilsausgleiche wie zum Beispiel Steuerermäßigungen erhalten. Der Ausweis steht Ihnen ab einem Grad der Behinderung, kurz GdB, von mindestens 50 zu.

Verlauf und Prognose

Der Verlauf ist je nach Ursache der Polyneuropathie unterschiedlich. Es gibt akute Verläufe, bei denen sich die klinische Symptomatik auch wieder rasch bessert. Die klinische Diagnose einer Polyneuropathie wird anhand von Anamnese und dem klinisch-neurologischen Befund gestellt. In der Krankengeschichte wird nach typischen Symptomen, dem Erkrankungsverlauf, nach Vorerkrankungen und Begleiterkrankungen sowie nach der Familienanamnese gefragt.

Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen. Je nach Art und Schweregrad der Symptome kann die Lebensqualität betroffener Personen beeinträchtigt sein. Ebenso wie sich eine chronische Polyneuropathie schleichend über einen längeren Zeitraum entwickelt, dauert es eine Weile, bis sich der Körper an die verordneten Therapien gewöhnt hat. Ob Schmerzmittel oder nicht-medikamentöse Maßnahmen - oft braucht es einige Wochen, bis eine wesentliche Linderung der Beschwerden spürbar wird.

In Abhängigkeit von der Ursache besteht nur begrenzt die Aussicht auf Heilung. Zum Beispiel sind die weniger häufig vorkommenden entzündlichen Neuropathien mit Medikamenten meist sehr gut zu behandeln, akute Formen heilen oft komplett aus. Bei ca. einem Viertel der Polyneuropathien kann die Ursache nicht geklärt werden, meist haben diese Formen jedoch eine gute Prognose.

Je nach Schwere der Ausfälle bestehen Einschränkungen beim Ausüben verschiedener beruflicher Tätigkeiten. Es sollten Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten gemieden werden, Vorsichtsmaßnahmen beim Laufen auf unebenem Untergrund (Baustellen) oder im Dunkeln müssen beachtet werden. Feinmotorische Tätigkeiten (z. B. Uhrmacher) sind oft nicht mehr möglich. Dennoch sollten Patienten mit einer Polyneuropathie so lange wie möglich am Berufsleben teilhaben. Zur Verbesserung der Alltagsaktivitäten wird in Abhängigkeit vom Schweregrad die Versorgung mit Hilfsmitteln empfohlen.

Eine pauschale Aussage zur Lebenserwartung bei Polyneuropathie gibt es nicht - hier kommt es maßgeblich auf die Ursache der Krankheit an.

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