Neurologische Untersuchung bei Migräne: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Migräne ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, von der in Deutschland nach Angaben des Robert Koch Instituts (RKI) rund 28 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer betroffen sind. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnosemethoden und Behandlungsansätze von Migräne, um Betroffenen ein besseres Verständnis der Erkrankung zu ermöglichen.

Was ist Migräne?

Migräne ist eine wiederkehrende Kopfschmerzerkrankung, die sich in Attacken von 4 bis 72 Stunden Dauer manifestiert. Typische Charakteristika sind einseitige Lokalisation, pulsierender Charakter, mäßige bis starke Intensität, Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten und das begleitende Auftreten von Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und/oder Überempfindlichkeit gegen Licht, Lärm und Geruch. Vorübergehend sind neurologische Reiz- und Ausfallsymptome im Rahmen einer Aura möglich.

Ursachen und Auslöser von Migräne

Die genauen Ursachen der Migräne sind noch nicht vollständig aufgeklärt. Experten sind sich jedoch weitgehend einig, dass es nicht nur einen auslösenden Faktor gibt. Es wird vermutet, dass eine genetische Veranlagung (Prädisposition) in Kombination mit verschiedenen inneren oder äußeren Faktoren (Triggern) zu den Migräne-Attacken führt.

Genetische Veranlagung

Migräne ist vererbbar und kann innerhalb einer Familie weitergegeben werden. Oft handelt es sich um ähnliche Formen der Migräne, aber nicht immer. Es wird angenommen, dass eine polygenetische Veranlagung zugrunde liegt, bei der Veränderungen (Mutationen) in mehreren Genen das Migränerisiko erhöhen. Manche dieser Gene sind an der Regulierung der neurologischen Schaltungen im Gehirn beteiligt, während andere mit oxidativem Stress in Verbindung gebracht werden.

Eine Sonderform stellt die familiäre hemiplegische Migräne (FHM) dar, bei der es sich um eine monogenetische Erkrankung mit dominantem Erbgang handelt. Es werden drei Formen unterschieden: FHM1 mit Mutationen im CACNA1A-Gen, FHM2 mit Mutationen im ATP1A2-Gen und FHM3 mit Mutationen im SCN1A-Gen.

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Auslöser (Trigger)

Verschiedene Trigger können bei entsprechender genetischer Veranlagung eine Migräne-Attacke auslösen. Welche Faktoren im Einzelfall einen Anfall "triggern", ist individuell verschieden. Einige Beispiele sind:

  • Stress: Ein häufiger Auslöser ist Stress im privaten oder beruflichen Umfeld.
  • Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus: Betroffen sind oft Menschen, die im Schichtdienst arbeiten.
  • Reizüberflutung: Wenn das Gehirn zu viele Eindrücke gleichzeitig verarbeiten muss, entsteht ebenfalls Stress.
  • Wetter/Wetterwechsel: Viele Betroffene reagieren empfindlich auf schwülwarme Gewitterluft, starken Sturm, Föhnwetter oder sehr helles Licht.
  • Tyraminhaltige Lebensmittel: Bei einigen Produkten wie Bananen oder bestimmten Käsesorten hat man Tyramin im Verdacht, das die Ausschüttung des Botenstoffes Noradrenalin anregt.
  • Unregelmäßiges Essen: Häufig setzen Migräne-Anfälle ein, wenn man zu wenig gegessen hat (Unterzuckerung).
  • Hormonelle Veränderungen: Geschlechtshormone haben einen starken Einfluss auf Migräne. So sind Frauen ab der Pubertät deutlich häufiger betroffen als Männer. Vielfach steht die Migräne in Zusammenhang mit der Menstruation.
  • Alkohol, Schlafmangel und Stress

Formen der Migräne

Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (International Headache Society, IHS) unterscheidet verschiedene Arten von Migräne. Dazu gehören:

  1. Migräne ohne Aura: Dies ist die häufigste Form von Migräne. Typisch sind anfallsartig auftretende, einseitige, pulsierende Kopfschmerzen von mittlerer bis starker Intensität. Sie verstärken sich durch körperliche Routineaktivitäten und halten vier (bei Kindern und Jugendlichen zwei) bis 72 Stunden an. Begleitet werden sie von Übelkeit und/oder Licht- und Lärmempfindlichkeit.

    • Rein menstruelle Migräne ohne Aura: Die Migräne-Attacken treten ausschließlich zwei Tage vor bis drei Tage nach dem Einsetzen der Regelblutung auf, und zwar in mindestens zwei von drei Menstruationszyklen. Der restliche Zyklus ist stets migränefrei.
    • Menstruationsassoziierte Migräne ohne Aura: Auch hier treten die Migräne-Attacken in mindestens zwei von drei Zyklen im Zeitfenster zwei Tage vor bis zwei Tage nach Menstruationsbeginn auf - zusätzlich kann die Migräne aber auch zu einem anderen Zeitpunkt im Zyklus auftreten.
    • Nicht-menstruelle Migräne ohne Aura: Migräne-Attacken, die während der Menstruation auftreten, welche die Kriterien der „Migräne ohne Aura“ erfüllen, aber weder die Kriterien der rein menstruellen noch der menstruationsassoziierten Migräne ohne Aura.
  2. Migräne mit Aura: Die Aura bezeichnet neurologische Symptome, die der Kopfschmerzphase vorausgehen oder zusammen mit dieser auftreten können. Die Symptome der Aura setzen schleichend ein und zeigen sich auf einer Kopfseite. Sie können Lichtblitze, Flimmern, Sehen von gezackten Linien, Gesichtsfeldausfall, Sprachstörungen, Missempfindungen, unvollständige Lähmungen und Schwindel umfassen. Sie sind vorübergehend und verursachen keine bleibenden Schäden.

    • Migräne mit typischer Aura: Kann mit oder ohne Kopfschmerzen auftreten.
    • Migräne mit Hirnstammaura: Früher als basiläre Migräne bezeichnet. Symptome können Sprechstörung (Dysarthrie), Schwindel, Ohrgeräusche (Tinnitus), Hörminderung, Doppelbilder, Störung der Bewegungskoordination (Ataxie) und Bewusstseinsstörung sein.
    • Hemiplegische Migräne: Charakteristisch ist eine motorische Schwäche. Zusätzlich treten Symptome im Bereich des Sehens, der Sensibilität und/oder der Sprache bzw. des Sprechens auf.
    • Retinale Migräne: Gekennzeichnet durch wiederholte Anfälle von einseitigen Sehstörungen wie Flimmern vor den Augen, Gesichtsfeldausfall (Skotom) oder - ganz selten - vorübergehender Blindheit.
  3. Chronische Migräne: Wer an mindestens 15 Tagen pro Monat, und das über mehr als drei Monate hinweg, an Kopfschmerzen leidet, die an mindestens acht Tagen die Kriterien von Migränekopfschmerzen erfüllen, ist von chronischer Migräne betroffen.

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  4. Migränekomplikationen: Zum Beispiel Status migraenosus (eine Migräne-Attacke, die länger als 72 Stunden anhält), migränöser Infarkt (Minderdurchblutung in einem Hirnareal) oder epileptischer Anfall, durch Aura getriggert.

  5. Episodische Syndrome, die mit einer Migräne einhergehen können: Zum Beispiel wiederkehrende Magen-Darm-Störungen (z. B. abdominelle Migräne) oder vestibuläre Migräne.

Diagnose von Migräne

Die Migräne-Diagnose stützt sich auf die Anamnese und neurologische Untersuchung. Bei Kopfschmerzen mit ungewöhnlicher Klinik und bei Kopfschmerzen mit persistierenden neurologischen oder psychopathologischen Auffälligkeiten sind zusätzliche diagnostische Maßnahmen wie Laboruntersuchungen und insbesondere eine Bildgebung notwendig.

Anamnese

Im Arztgespräch werden folgende Aspekte erfasst:

  • Zeitlicher Ablauf: Wie häufig treten die Kopfschmerzen auf?
  • Charakter und Lokalisation: Wo genau und wie stark treten die Schmerzattacken auf?
  • Ursachen und Auslöser: Gibt es eine genetische Veranlagung?
  • Verhalten des Patienten: Was verstärkt die Kopfschmerzen?
  • Medikamente: Können Schmerzmittel die Beschwerden lindern?

Neurologische Untersuchung

Ziel ist es, andere schwere Erkrankungen auszuschließen. Gerade bei der Migräne mit Aura, die mit neurologischen Ausfällen einhergehen kann, ist eine solche Abgrenzung wichtig, da die Symptome zum Beispiel auch mögliche Hinweise auf einen Schlaganfall sind (migränöser Infarkt).

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Bildgebende Verfahren

  • MRT (Magnetresonanztomographie): Damit können krankhafte Veränderungen oder Blutungen ausgeschlossen werden.
  • EEG (Elektroenzephalographie): Manchmal sinnvoll, wenn der Arzt mehr über die elektrische Aktivität des Gehirns wissen möchte.
  • CT (Computertomographie): Wenn der Arzt Hirnblutungen, Gefäßfehlbildungen oder -verschlüsse sowie Erkrankungen des Schädels und der Nebenhöhlen ausschließen will oder es sich um Akutfälle handelt, ist ein CT oft sinnvoll.

Therapie von Migräne

Grundsätzlich wird bei der Therapie von Migräne zwischen der Akuttherapie und Intervallprophylaxe unterschieden.

Akuttherapie

Bei akuten Migräneattacken wird eine möglichst frühzeitige Einnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) empfohlen, bei unzureichender Wirksamkeit und mittelschweren bis schweren Attacken die Anwendung von Triptanen. Letztere sind in verschiedenen Applikationsformen erhältlich, zum Beispiel als Schmelztablette, Nasenspray oder subkutane Injektion.

  • Leichtere Migräneanfälle: Acetylsalicylsäure und NSAR, auch kombiniert mit Coffein.
  • Übelkeit und Erbrechen: Antiemetika wie Metoclopramid oder Domperidon.
  • Mittelstarke bis schwere Migräneanfälle: Triptane.

Intervallprophylaxe

Treten Attacken mehr als 3-mal pro Monat auf, wird vorübergehend mit vorbeugend wirksamen Medikamenten behandelt. Die häufigsten Substanzen zur Migräne-Prophylaxe sind Betarezeptorenblocker und eine Reihe von Substanzen, die auch zur Behandlung von Epilepsie oder Depression eingesetzt werden. Neu entwickelte Migräne-spezifische Prophylaktika richten sich gegen die Effekte des Botenstoffs CGRP.

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

  • Regelmäßiges Meditieren
  • Ausdauersport
  • Entspannungsverfahren und psychotherapeutische Verfahren

Leben mit Migräne

Leider gibt es bislang keine Möglichkeit, Migräne zu heilen. Jeder Betroffene muss lernen, mit dieser Erkrankung zu leben. Dazu gehört, modifizierbare Auslöser für Attacken nach Möglichkeit zu reduzieren und sich auf der anderen Seite einzugestehen, dass schwere Attacken zu einer reellen Minderung der Leistungsfähigkeit führen. Wichtig ist auch die Dokumentation von Kopfschmerzen und Medikation in einem Kopfschmerzkalender.

Pathomechanismus

Nach aktueller Lehrmeinung in der Migräneforschung ist die neurogene Entzündungshypothese in Verbindung mit einer neuronalen Überaktivität am wahrscheinlichsten. Demnach verändern biochemische Impulse und mechanische Reize die neuronale elektrische Aktivität im Gehirn.

Neuronale Theorie

Der neuronalen Theorie zufolge ist Migräne auf eine neurogene Entzündung an den Gefäßen der Pia mater zurückzuführen, die über eine Stimulation afferenter C-Fasern des N. trigeminus die Kopfschmerzen auslöst (trigeminothalamischer Weg). Genauer vermittelt die retrograde Ausschüttung von Neuropeptiden und vasoaktiven Substanzen wie Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), Stickstoffmonoxid (NO), Substanz P (SP) und vasoaktives intestinales Peptid (VIP) aus den Axonendigungen von Aδ- und C‑Fasern eine perivaskuläre neurogene Entzündung der meningealen Blutgefäße.

Pathomechanismus der Aura

Pathophysiologisch scheint eine "cortical spreading depression" (CSD) verantwortlich zu sein. Hierbei vermindert eine sich langsam über den Kortex ausbreitende neuronale und gliale Depolarisation die neuronale Aktivität und führt zu entsprechenden Symptomen der betroffenen Hirnregion.

Migräne-Phasen

Eine Migräneattacke kann grundsätzlich in verschiedenen Phasen ablaufen: dem Prodromalstadium, der Aura, der Kopfschmerzattacke und der Postdromalphase. Diese werden in Gänze aber nicht zwingend von jedem Patienten durchlaufen oder bemerkt.

Prodromalstadium

Etwa ein Drittel der Patienten nimmt Anzeichen wahr, die auf eine kommende Migräneattacke hindeuten. Typische Prodromi sind Nackenschmerzen, häufiges Gähnen, unspezifische Magen-Darm-Beschwerden, Polyurie, übermäßige Gereiztheit, Fatigue, Schwindel, Blässe, Heißhungerattacken, Inappetenz, Obstipation, Konzentrationsschwierigkeiten, Geräuschempfindlichkeit und depressive Verstimmung.

Aura-Phase

Bis zu 30 Prozent aller Migränepatienten entwickeln unmittelbar vor Einsetzen des Kopfschmerzes nacheinander verschiedene neurologische Symptome. Als häufigster Auratyp ist die visuelle Aura zu beobachten. Zweithäufiges Aurasymptom sind Sensibilitätsstörungen in Form von nadelstichartigen Parästhesien. Weniger häufig sind Sprachschwierigkeiten.

Kopfschmerz-Phase

Der klassische Migränekopfschmerz zeigt typische Charakteristika. Meist sind die Kopfschmerzen einseitig lokalisiert, können sich aber auch auf die andere Kopfhälfte ausbreiten oder während einer Attacke die Seite wechseln. Die Kopfschmerzintensität reicht von mittel bis stark und wird von den Betroffenen als pulsierend, pochend, klopfend, hämmernd oder bohrend beschrieben. Häufig bestehen vegetative Begleitsymptome wie Inappetenz, Nausea und Emesis sowie eine Photophobie, Phonophobie oder Osmophobie.

Postdromalphase

Im Anschluss an einen Migräneanfall kann eine Postdromalphase folgen, in der die Beschwerden allmählich abklingen. Viele Betroffene sind müde, erschöpft und reizbar. Konzentrationsstörungen, Schwäche und Appetitlosigkeit werden noch Stunden nach der Migräneattacke beschrieben.

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