Polyneuropathie: Eine Chronische Nervenerkrankung

Die Polyneuropathie ist eine häufige neurologische Erkrankung, die das periphere Nervensystem betrifft. Dieses System umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Bei einer Polyneuropathie sind mehrere Nervenfasern geschädigt oder zerstört, was zu einer Störung der Reizweiterleitung führt. Es handelt sich meist um eine chronische Erkrankung, deren Symptome langsam fortschreiten, aber auch akute Verläufe sind möglich. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 65 Jahren, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen.

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein, da sie davon abhängen, welche Nervenfasern betroffen sind. Mediziner unterscheiden sensible, motorische und vegetative Polyneuropathien. Einige Patienten leiden auch unter einer Kombination dieser Formen.

Typische Symptome sind:

  • Sensible Störungen: Kribbeln, Brennen, Taubheit, Juckreiz oder Ameisenlaufen, beginnend an beiden Füßen und Beinen oder Händen. Auch ein vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden ist möglich. Betroffene beschreiben oft ein Gefühl, wie auf Watte zu gehen oder ein zusätzliches Paar Strümpfe zu tragen.
  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken oder Muskelkrämpfe. Dies kann zu Problemen beim Gehen auf Zehen oder Fersen führen.
  • Vegetative Störungen: Schwindel, Kreislaufprobleme, Verdauungsprobleme, Blasen- oder Mastdarmentleerungsstörungen, Störungen der Schweißproduktion, Erektionsstörungen.

Durch Lähmungserscheinungen in Verbindung mit Sensibilitätsstörungen klagen die Patienten häufig über Gang- und Gleichgewichtsprobleme. Es kommt zu gehäuften Stürzen; die Mobilität ist aufgrund des gestörten Gangbildes und der Gefühlsstörungen in Füßen und Beinen meist deutlich eingeschränkt. Sind Arme und Hände davon betroffen, resultieren eine zunehmende Kraftlosigkeit und Ungeschicklichkeit bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens, z. B. beim Waschen, Anziehen und Essen. Die manchmal sehr quälenden sensiblen Reizerscheinungen können zu Schlafstörungen und einer allgemeinen Einschränkung der Lebensqualität führen. Sind Hirnnerven mit betroffen, können Sprech- und Schluckstörungen daraus resultieren.

Ursachen der Polyneuropathie

Die Polyneuropathie kann verschiedene Ursachen haben. In vielen Fällen bleibt die Ursache jedoch unklar ("idiopathische Neuropathie"). Die häufigsten Ursachen sind:

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  • Diabetes mellitus: Ein dauerhaft zu hoher Blutzuckerspiegel schädigt die Nerven.
  • Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholmissbrauch hat eine nervenschädigende Wirkung.
  • Weitere Stoffwechselerkrankungen: Erkrankungen von Leber, Niere und Schilddrüse.
  • Vitaminmangelzustände: Insbesondere ein Mangel an Vitamin B12.
  • Nebenwirkungen von Medikamenten: Zytostatika und andere Medikamente können eine Polyneuropathie verursachen.
  • Toxine: Kontakt mit giftigen Substanzen wie Schwermetallen.
  • Genetische Ursachen: In seltenen Fällen ist die Polyneuropathie erblich bedingt.
  • Entzündliche Erkrankungen: Autoimmunerkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom oder rheumatoide Arthritis, Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose.
  • Infektiöse Ursachen: HIV-Infektionen, Borreliose oder Syphilis.
  • Krebserkrankungen: Brustkrebs oder Blutkrebs.

Diagnose der Polyneuropathie

Die Diagnose der Polyneuropathie basiert auf der Anamnese, der körperlichen Untersuchung und verschiedenen technischen Untersuchungen.

  • Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und die vorliegenden Beschwerden.
  • Körperliche Untersuchung: Der Arzt prüft die Muskelkraft, die Sensibilität und die Reflexe.
  • Neurologische Untersuchung: Hier werden neurologische Funktionen wie Berührungs- und Schmerzempfinden, Temperaturempfinden, Muskelkraft und Reflexe getestet.
  • Elektroneurographie (ENG): Diese Untersuchung misst die Nervenleitgeschwindigkeit. Dabei wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt, um die elektrischen Impulse der Nerven zu messen. Die Untersuchung hilft dabei, herauszufinden, wie die Nervensignale transportiert und im Körper verteilt werden - Nervenschädigungen führen zu einem auffälligen Ergebnis und geben Hinweise zur Abgrenzung der Nervenausfälle.
  • Elektromyographie (EMG): Diese Untersuchung misst die elektrische Aktivität der Muskeln. Macht deutlich, ob und wie stark die Muskeln auf die Nervensignale ansprechen. Bei dieser Untersuchung werden dünne Nadelelektroden durch die Haut in den entsprechenden Muskel eingeführt.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Bei dieser standardisierten Testung werden durch verschiedene Gefühlstests an der Haut mehrere Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
  • Biopsie: Die Untersuchung einer Gewebeprobe (Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein oder Hautbiopsie) kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen.
  • Blutuntersuchungen: Eine Blutuntersuchung im Labor kann erste Hinweise auf die mögliche Ursache liefern.
  • Liquordiagnostik: Bei Verdacht auf entzündliche Ursachen kann eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) durchgeführt werden.
  • Genetische Untersuchung: Bei Verdacht auf eine erbliche Polyneuropathie kann eine genetische Untersuchung durchgeführt werden.

Behandlung der Polyneuropathie

Das Ziel der Behandlung ist es, die Ursache der Polyneuropathie zu beseitigen oder zu behandeln, das Fortschreiten der Nervenschädigung zu verhindern und die Symptome zu lindern.

  • Behandlung der Grunderkrankung: Wenn eine andere Erkrankung wie Diabetes, Alkoholmissbrauch oder Vitaminmangel die Ursache ist, muss diese Grunderkrankung optimal behandelt werden. Bei Diabetes-Patienten erfolgt eine intensive Schulung zu Ursachen, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung, eine individuelle Ernährungsberatung und bei Bedarf weitere Maßnahmen zur Modifikation von Lebensumständen, die die Erkrankung ungünstig beeinflussen können. Ähnliches gilt für den chronischen Alkoholmissbrauch, die Erkrankungen von Niere, Leber oder Schilddrüse sowie Vitaminmangelzustände.
  • Medikamentöse Therapie:
    • Schmerzmittel: Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva (Amitriptylin oder Duloxetin) und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva (Pregabalin und Gabapentin), bewährt. Bei ausgeprägten Schmerzen sind womöglich Opioide angezeigt. Da diese zu einer Abhängigkeit führen können, verschreiben Mediziner und Medizinerinnen sie nur für kurze Zeit.
    • Capsaicin-Pflaster: Capsaicin, der Wirkstoff der Chilischote, kann in Form von Pflastern auf die Haut aufgetragen werden. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
    • Immuntherapie: Bei autoimmunvermittelten Polyneuropathien können Immunglobuline, Kortison oder Immunsuppressiva eingesetzt werden.
  • Physiotherapie: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. Spezifische Symptome der Polyneuropathie wie Lähmungserscheinungen sowie Gang- und Gleichgewichtsstörungen werden entsprechend individuell behandelt. Hier greifen Anwendungen aus Physiotherapie und Ergotherapie sinnvoll ineinander.
  • Ergotherapie: Sensible Symptome erfordern Therapien aus den Bereichen Ergotherapie und physikalische Therapie, gegebenenfalls flankiert durch eine spezielle medikamentöse Schmerzbehandlung zur Linderung von quälenden sensiblen Reizerscheinungen.
  • Elektrotherapie (TENS): Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen. Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg.
  • Logopädie: Bestehen aufgrund einer Mitbeteiligung von Hirnnerven Sprech- und/oder Schluckstörungen werden diese logopädisch therapiert.
  • Psychologische Betreuung: Depressionen in der Folge der Erkrankung werden bei Bedarf sowohl durch eine psychologische Betreuung als auch medikamentös mitbehandelt.
  • Weitere Maßnahmen:
    • Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen.
    • Tragen von bequemem Schuhwerk.
    • Meidung von Druck.
    • Nutzung professioneller Fußpflege.
    • Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (z. B. Aquagymnastik oder Gehtraining).
    • Wechselfußbäder können bei krampfartigen Schmerzen in den Beinen helfen.
    • Achten Sie auf eine angemessene Fußpflege.
    • Ggf. können Einlagen und andere Hilfsmittel verordnet werden.

Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)

Die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenzellen im peripheren Nervensystem angreift. Dies führt zu Muskelschwäche und Empfindungsstörungen.

Symptome der CIDP

Typische Symptome sind sensorische und motorische Störungen in Armen und Beinen. Sensorische Störungen äußern sich als Kribbeln und Taubheitsgefühl, motorische Störungen können als Ausfall von Reflexen, Schwäche oder gar Lähmungen auftreten. Weitere Symptome können sein:

  • Koordinationsstörungen
  • Einschränkung der Feinmotorik
  • Gestörtes Temperaturempfinden
  • Sehen von Doppelbildern, Schluck- oder Hörstörungen
  • Schmerzen
  • Fatigue (außerordentlicher Erschöpfungszustand)

Diagnose der CIDP

Die Diagnose wird anhand der klinischen Präsentation, dem Ausschluss anderer Ursachen und dem Nachweis einer Demyelinisierung in der elektrophysiologischen Untersuchung gestellt. Unterstützend ist die Untersuchung des Nervenwassers, die bei vielen Patienten eine Eiweißerhöhung zeigt.

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Behandlung der CIDP

CIDP ist eine chronische Krankheit, die in der Regel einer lebenslangen Therapie bedarf. Wirksame Therapien sind die immunmodulatorische Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG), Glukokortikosteroiden und Plasmaaustauschverfahren. Bei Versagen dieser Therapien kommen auch immunsuppressive Medikamente in Betracht.

Prognose der Polyneuropathie

In den meisten Fällen verläuft die Polyneuropathie chronisch und schreitet langsam voran. Wenn eine Therapie der Ursache möglich ist, kann die Erkrankung verzögert und manchmal sogar gebessert werden. Die Lebenserwartung wird maßgeblich durch die Ursache der Krankheit beeinflusst.

Leben mit Polyneuropathie

Eine Polyneuropathie kann die Lebensqualität einschränken. Es ist wichtig, die Erkrankung frühzeitig zu erkennen und behandeln zu lassen. Durch eine optimale Behandlung der Grunderkrankung, eine konsequente Therapie und eine Anpassung des Lebensstils können Betroffene jedoch ein weitgehend normales Leben führen.

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