Polyneuropathie: Psychosomatische Ursachen, Forschung und Aktuelles

Die Polyneuropathie (PNP), abgeleitet aus dem Griechischen und übersetzt als „Erkrankung mehrerer Nerven“, ist ein weit verbreitetes neurologisches Krankheitsbild, das Männer und Frauen gleichermaßen betrifft und mit zunehmendem Alter häufiger auftritt. Schätzungsweise jeder dritte Diabetiker ist von einer PNP betroffen. Die Erkrankung manifestiert sich durch Schädigungen der peripheren Nerven, also jener Nerven, die außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks liegen.

Ursachenforschung in der Medizin: Ein Überblick

Die Ursachenforschung in der Medizin ist komplex. Grundsätzlich gilt es, verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die zur Entstehung einer Krankheit beitragen können. Bei der Polyneuropathie gibt es über 300 bekannte Ursachen, wobei etwa 35 % auf Diabetes mellitus und 20 % auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind. Bei etwa einem Viertel aller Polyneuropathien bleibt die Ursache trotz ausführlicher Abklärung unklar.

Überblick über bekannte Ursachen und Risikofaktoren

  • Diabetes mellitus: Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel kann die Nerven schädigen und zu einer diabetischen Polyneuropathie führen. Auch der problematische Prädiabetes wird diskutiert.
  • Alkohol: Langjähriger, hoher Alkoholkonsum wirkt nervenschädigend und kann eine alkoholische Polyneuropathie verursachen.
  • Immunstörungen und Infektionskrankheiten: Autoimmunerkrankungen, Borreliose, HIV/AIDS und andere Infektionen können Entzündungen verursachen, die die Nerven schädigen. Die Paraproteinämie (MGUS) wird hierbei besonders beachtet.
  • Niereninsuffizienz: Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann zu Stoffwechselstörungen führen, die die Nerven beeinträchtigen.
  • Toxische Schäden: Haushalts-, Industrie- und Umweltgifte, Medikamente und Schwermetalle wie Blei, Arsen, Thallium und Quecksilber können die Nerven schädigen.
  • Mangelkrankheiten: Ein Mangel an Vitaminen, insbesondere B1, B2, B6, B12 und E, kann die Nervenfunktion beeinträchtigen. Die Rolle von Vitamin B12 und vegane Ernährung sind hierbei relevant.
  • Erbliche Formen: Es gibt mehrere genetisch bedingte Polyneuropathien, die jedoch nicht immer in der Familie erkennbar sind.
  • "Polyneuropathie unbekannter Ursache": Diese Diagnose wird häufig gestellt, wenn trotz umfassender Untersuchungen keine klare Ursache gefunden wird.
  • Postoperative PNP: Nervenschädigungen können als Folge von Operationen auftreten.
  • Störungen des inneren stofflichen Milieus: Ungleichgewichte im Stoffwechsel können die Nervendegeneration fördern.
  • Lifestyle-Faktoren: Bestimmte Lebensstilfaktoren können das Risiko einer Polyneuropathie beeinflussen.
  • Mikroplastik: Tierversuche und Assoziationsstudien deuten darauf hin, dass Mikroplastik im Gehirn Auswirkungen haben könnte.

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie sind vielfältig und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Mediziner unterscheiden sensible, motorische und vegetative Polyneuropathien, wobei auch Mischformen vorkommen können. Die Symptome können sich akut, schnell verschlechternd oder chronisch entwickeln.

Typische Symptome

  • Sensible Störungen: Kribbeln, Brennen, Jucken, Taubheitsgefühle, vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden, Schwellungsgefühl, Gefühl der Eingeschnürtheit, Koordinationsschwierigkeiten beim Laufen. Betroffen sind meist zuerst die Füße und Hände.
  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken, Muskelkrämpfe, Lähmungen, Muskelschwund, Gangstörungen.
  • Vegetative Störungen: Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall, verstärktes Schwitzen, mangelnde Regulation des Herzschlages bei Anstrengung, Blasenlähmung, Darmträgheit.
  • Weitere Beschwerden: Erschöpfungszustände, brennende, schneidende oder stechende Schmerzen, kalte Füße, gestörtes Lageempfinden, Schwanken, Schwindel.

Verteilung der Symptome

Häufig beginnt die Polyneuropathie mit Reizerscheinungen an den Füßen, die sich im Verlauf auf die Unterschenkel ausweiten können (sockenförmige Verteilung). In späteren Stadien können auch die Fingerspitzen und Hände betroffen sein (handschuhförmige Verteilung). Die Symptome treten meist symmetrisch auf, seltener asymmetrisch.

Diagnose der Polyneuropathie

Die Diagnose der Polyneuropathie erfolgt durch einen Neurologen. Zunächst werden die Krankengeschichte (Anamnese) erhoben und eine körperliche, neurologische und psychiatrische Untersuchung durchgeführt.

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Untersuchungsmethoden

  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und der Reizantwortstärke der Nerven (Elektroneurographie), EMG (Elektromyographie - elektrische Untersuchung der Muskeln).
  • Laborchemische Untersuchungen: Blutuntersuchungen zur Abklärung der wichtigsten Ursachen (ca. 35-40 Ursachen, die ca. 80 % aller Fälle abdecken).
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Bei Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung.
  • Kernspintomographie (MRT): Bei Verdacht auf zusätzliche Erkrankungen der Lenden- oder Halswirbelsäule.
  • Genetische Untersuchungen: Bei Verdacht auf genetisch bedingte Ursachen (jedoch teuer und nicht routinemäßig).
  • Nervenbiopsie: Nur in Ausnahmefällen notwendig.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Ermittlung von 13 Werten durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut, um zu erkennen, welche Nervenfasern geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist.
  • Thermode: Computergesteuerte Temperaturreize zur exakten Messung des Temperaturempfindens.
  • Hautbiopsie: Untersuchung einer Gewebeprobe aus der Haut unter dem Mikroskop, insbesondere bei Verdacht auf Small-Fiber-Neuropathie.

Behandlung der Polyneuropathie

Die Aussage "Bei Polyneuropathie kann man nichts machen" ist falsch. Es gibt viele therapeutische Ansätze, und Verbesserungen sind fast regelmäßig möglich. Auch eine Ausheilung ist nicht selten erzielbar.

Ziele der Behandlung

  • Ausschaltung der Ursache: Z.B. optimale Einstellung des Diabetes mellitus, Absetzen oder Austausch von Medikamenten, Beendigung der toxischen Exposition, Alkoholabstinenz.
  • Schmerzlinderung: Medikamente gegen Schmerzen und Missempfindungen (Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide).
  • Behandlung der Entzündung: Cortison-Infusionen, Plasmapherese, Immunglobuline bei entzündlichen Ursachen.
  • Weitere Therapien: Neural-Akupunktur, Physiotherapie (bei Lähmungen, Muskelschwund, Gleichgewichtsstörungen), elektrische oder magneto-elektrische Stimulationverfahren, Orthesen (bei Muskellähmungen).

Medikamentöse Therapie

  • Antidepressiva: Erhöhen die Produktion von Botenstoffen, die die Weiterleitung von Schmerzsignalen dämpfen.
  • Antikonvulsiva: Bremsen die Erregbarkeit der Nerven, was schmerzlindernd wirkt.
  • Opioide: Bei starken Schmerzen, jedoch nur für kurze Zeit wegen des Abhängigkeitsrisikos.

Nicht-medikamentöse Therapie

  • Physiotherapie: Gleichgewichtstraining, um Gangunsicherheit entgegenzuwirken.
  • Ergotherapie: Unterstützung bei ungünstigen Bewegungsabläufen.
  • Neural-Akupunktur: Zur Behandlung von Missempfindungen und Schmerzen.
  • Capsaicin-Pflaster: Können die Neubildung kleiner Nervenfasern anregen.
  • Elektrotherapie (TENS): Stimulation der Nerven durch Impulse, um Schmerzen zu lindern.

Spezielle Formen der Polyneuropathie

Diabetische Polyneuropathie

Bei Diabetes mellitus schädigt ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel die Nerven. Eine optimale Blutzuckereinstellung ist entscheidend, um die Nervenschädigung zu stoppen. Eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte kann jedoch weitere Nervenschäden verursachen.

Chronisch inflammatorisch demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)

Die CIDP ist eine seltene, autoimmunologisch bedingte Erkrankung des peripheren Nervensystems. Sie führt zu einer Schwäche der Beine und Arme, sensiblen Störungen und Gangunsicherheit. Die Diagnose wird anhand klinischer, elektrophysiologischer und laborchemischer Befunde gestellt. Die Behandlung erfolgt mit Immunglobulinen, Glukokortikosteroiden oder Plasmaaustauschverfahren.

Multifokale motorische Neuropathie (MMN)

Die MMN ist eine erworbene Erkrankung mit langsamer Progredienz, die asymmetrisch ohne sensible Störungen auftritt. Sie wird durch elektrophysiologische Befunde und den Nachweis von Gangliosid-GM1-Antikörpern diagnostiziert.

Vaskulitische Neuropathien

Vaskulitische Neuropathien entstehen durch entzündliche Veränderungen der Blutgefäße, die zu einer Nervenschädigung führen. Die Diagnose erfolgt durch eine Nervenbiopsie.

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Small-Fiber-Neuropathie

Bei der Small-Fiber-Neuropathie sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist oft unauffällig. Die Diagnose erfolgt durch Quantitative Sensorische Testung und Hautbiopsie.

Psychosomatische Aspekte

Es ist wichtig zu betonen, dass eine Polyneuropathie nicht psychosomatisch verursacht werden kann. Allerdings können Symptome, die einer Polyneuropathie ähneln, vorgespiegelt werden. Eine psychiatrische Untersuchung kann zur Abgrenzung notwendig sein.

Tipps für die Vorsorge und mehr Lebensqualität

  • Blutzucker kontrollieren: Menschen mit Diabetes sollten regelmäßig ihren Blutzucker kontrollieren und ärztlich verordnete Medikamente einnehmen.
  • Füße kontrollieren: Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Wunden, um Fußgeschwüre zu vermeiden.
  • Bewegen: Aquagymnastik oder Gehtraining können bei Schmerzen und Missempfindungen helfen.

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