Jan Hempel: Missbrauchsvorwürfe und die Folgen für den deutschen Schwimmsport

Die deutsche Sportwelt wird erneut von schweren Vorwürfen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch erschüttert. Jan Hempel, einer der erfolgreichsten deutschen Wasserspringer der letzten Jahrzehnte, erhebt in der ARD-Dokumentation "Missbraucht - Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" schwere Anschuldigungen gegen seinen langjährigen Trainer Werner Langer. Hempel berichtet, dass er seit seiner Jugendzeit Opfer schwerster sexueller Übergriffe durch Langer geworden sei.

Die Enthüllungen von Jan Hempel

"Ich bin von meinem Trainer missbraucht worden. Er hat eigentlich keinen Zeitpunkt ausgelassen, um seinen Wünschen und Bedürfnissen freien Lauf zu lassen", so Hempel in der Dokumentation. Der ehemalige Profisportler, der 1996 in Atlanta Olympia-Silber und 2000 in Sydney Olympia-Bronze gewann, wurde bereits in seiner Jugend von Langer trainiert. Hempel gibt an, dass der Missbrauch begann, als er elf Jahre alt war und von 1982 bis 1996 andauerte. Er berichtet von regelmäßigen Vergewaltigungen, die unter anderem auch während der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona stattfanden, sogar am Wettkampfstätte unmittelbar vor dem Wettkampf.

Hempel schildert, wie er die Übergriffe letztendlich über sich ergehen ließ, da Langer ihm im Gegenzug "Freizeit" versprach. Werner Langer selbst kann sich zu den Vorwürfen nicht mehr äußern, da er sich im Jahr 2001 das Leben nahm. Hempel betont, dass es wichtig sei, über diese Erlebnisse zu sprechen, auch im Hinblick auf die Zukunft anderer Sportler.

Die Rolle des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV)

Die Missbrauchsvorwürfe, die Hempel erhebt, gehören zu den schwerwiegendsten, die je von einem deutschen Weltklassesportler öffentlich gemacht wurden. Hempel gibt an, die Spitze des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) bereits 1997 über die Vorfälle informiert zu haben, wirft dem Verband jedoch vor, sich nie wirklich mit den Vorwürfen auseinandergesetzt zu haben. Stattdessen habe sich der Verband unter einem Vorwand von Langer getrennt, wobei dessen Tätigkeit als Stasi-Mitarbeiter als Grund diente. "Alle haben geschwiegen, bis heute", kritisiert Hempel.

Ein zentraler Punkt der Kritik richtet sich gegen den langjährigen DSV-Funktionär und -Trainer Lutz Buschkow, der im Verband weiterhin eine Spitzenposition als Wassersprung-Bundestrainer innehat. Hempel wirft Buschkow vor, dazu beigetragen zu haben, dass sein Missbrauchsfall nie aufgearbeitet wurde und keine Lehren für die Zukunft gezogen wurden. Ein weiterer Zeuge bestätigt in der Dokumentation, dass Buschkow seinerzeit über Hempels Vorwürfe informiert gewesen sei.

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Der DSV reagierte auf die Vorwürfe, indem er Buschkow mit sofortiger Wirkung von seiner Tätigkeit als Bundestrainer freistellte, bis der Sachverhalt endgültig geklärt ist. Der Verband betonte jedoch, dass nach erster Akteneinsicht "keinerlei derartige Anhaltspunkte" für Hempels Vorwürfe vorlägen.

Weitere Fälle von sexualisierter Gewalt im deutschen Schwimmsport

Jan Hempels Schilderungen reihen sich ein in eine Reihe von Vorwürfen und bereits belegten Fällen von sexualisiertem Missbrauch im deutschen Schwimmen. Im Februar wurde der ehemalige Langstrecken-Bundestrainer Stefan Lurz vom Amtsgericht Würzburg wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Bereits 2010 hatte die Staatsanwaltschaft gegen Lurz ermittelt, den Verdacht jedoch nicht erhärten können, auch weil mehrere Personen aus seinem Umfeld falsch für ihn ausgesagt haben sollen.

Trotz der Bewährungsauflagen, die Lurz jegliche berufliche und ehrenamtliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Schwimmsport untersagen, zeigen Aufnahmen in der Dokumentation, wie er auf dem Gelände des Vereins SV Würzburg 05 tätig ist. Eine Person aus dem Vereinsumfeld bestätigte gegenüber der SZ, dass Lurz weiterhin in der Schwimmhalle anzutreffen sei. Zudem wird eine "Amigo-Kultur" im Verein kritisiert, in der die Familie Lurz eine zentrale Rolle spielt und über den Verein herrscht.

Auch bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio soll es zu Übergriffen gekommen sein. Zwei weibliche Mitglieder der DSV-Delegation erstatteten intern Anzeige, nachdem eine verbandszugehörige männliche Person ihnen gegenüber mehrfach verbal sexuell übergriffig geworden sei. Obwohl die DSV-Präventionsbeauftragte Konsequenzen gefordert habe, sei nach Eindruck der Betroffenen nichts passiert.

Jan Hempels Kampf gegen das Schweigen

Jan Hempel kehrt am Ende des Films als traumatisierter Mann nach Barcelona zurück, an den Schauplatz seines olympischen Wettkampfes von 1992. Der damals 20-Jährige lag auf Medaillenkurs vom Zehn-Meter-Turm, als ihm sein dreieinhalbfacher Auerbachsalto völlig misslang.

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Die Dokumentation zeichnet das Bild eines Systems, in dem Trainer wiederholt ihre Machtpositionen gegenüber Kindern und Jugendlichen ausnutzten. Mehrere Betroffene aus dem Schwimmsport kommen zu Wort, die von der Scham erzählen und von der Angst, nicht ernst genommen zu werden - nicht einmal von der eigenen Familie.

Hempel sagt, sein Trainer habe damals "keinen Zeitpunkt ausgelassen, um seinen Wünschen und Bedürfnissen freien Lauf zu lassen". Er sei elf Jahre alt gewesen, als er zum ersten Mal missbraucht worden sei. Langer selbst kann sich zu den Vorwürfen nicht äußern, er nahm sich 2001 das Leben.

"Er hat sich das systematisch aufgebaut", sagt Hempel, "und sich mein Vertrauen erschlichen. Das hat er dann für seine Zwecke ausgenutzt." Spuren davon finden sich auch in Stasi-Unterlagen, in denen "Übernachtungen beim Trainer" dokumentiert sind, wie die Doku zeigt. Langer selbst war inoffizieller Mitarbeiter.

Die Alzheimer-Erkrankung und das Bedürfnis nach Aufklärung

Auch, weil sie zu verschwinden drohen, brachte Hempel seine Erinnerungen jetzt zu Papier. Der frühere Spitzensportler ist, wie in der Dokumentation geschildert wird, seit Kurzem an Alzheimer erkrankt. Vor wenigen Wochen wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert und er merke, dass immer mehr aus seinem Kopf verschwinde. „Jetzt kann ich mich noch erinnern, aber ich weiß nicht, wie lange das noch der Fall ist.“

Die Diagnose Alzheimer unterstreicht die Dringlichkeit, mit der Hempel seine Geschichte öffentlich macht. Er möchte verhindern, dass die Erinnerungen an den Missbrauch und die damit verbundenen Traumata verloren gehen und dass andere Opfer ermutigt werden, ihr Schweigen zu brechen.

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