Kann das Gehirn voll werden? Fakten und Einblicke in die Speicherkapazität unseres Denkorgans

Die Frage, ob unser Gehirn irgendwann "voll" sein kann, beschäftigt viele Menschen. Im Gegensatz zu einer Festplatte, die eine begrenzte Speicherkapazität hat, ist das Gehirn ein dynamisches Organ, das sich ständig verändert und anpasst. Dieser Artikel beleuchtet die Funktionsweise des Gehirns, seine Fähigkeit, Informationen zu speichern und zu verarbeiten, und räumt mit einigen gängigen Irrtümern auf.

Die unendliche Lernfähigkeit des Gehirns

Im Laufe des Lebens kann das Gehirn immer weiter neue Eindrücke und neues Wissen aufnehmen, solange diese Fähigkeit nicht beispielsweise durch eine Erkrankung beeinträchtigt wird. Wenn ältere Menschen Schwierigkeiten haben, neue Fähigkeiten zu erlernen, liegt das nicht daran, dass ihr Gehirn voll ist, sondern daran, dass es mit Neuem nicht mehr so schnell zurechtkommt.

Strukturen und Strategien für das Lernen

Beim Erwerb von Wissen werden nicht einfach Fakten angehäuft. Vielmehr bildet das Gehirn im Laufe des Lebens und Lernens Strukturen und Strategien aus, die beim Weiterlernen helfen. Menschen, die bereits eine Fremdsprache gelernt haben, fällt der Erwerb der nächsten meist leichter. Eine umfassende Bildung verstopft das Gehirn also nicht, sondern hilft, neues Wissen einzuordnen und zu bewerten.

Erfahrungen und Bewertungsstrukturen

Ein älteres Gehirn kann bei komplexen Aufgaben sehr gut abschneiden, da es viel Zeit hatte, Erfahrungen zu speichern und differenzierte Gedächtnis- und Bewertungsstrukturen auszubilden.

Wissen ist nicht gleich Wissen: Die Schwierigkeit der Messung

Wie viel Wissen ein Gehirn aufnehmen kann, lässt sich nicht konkret sagen. Es ist unklar, wie man Wissen messen oder zählen könnte. Hat eine Wissenschaftlerin mit einem Doktor in Physik und einem in Philosophie mehr Wissen als eine, die nur einen Doktor in Physik hat? Hat ein Mensch ohne eine formale Schulbildung weniger Wissen oder anderes Wissen? Und was ist überhaupt die Grundeinheit des Wissens: ein Satz, eine Theorie?

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Das Gehirn als dynamisches System

Das Gehirn ist keine Festplatte, sondern ein dynamisches System. Wenn wir etwas Neues lernen, verändert sich unser Gehirn: In bestimmten Regionen entstehen neue Nervenzellen und neue Verbindungen zwischen den Zellen. Dadurch verändert sich auch die Kapazität unseres Gehirns. Das Gehirn zu fordern, etwa beim allseits bekannten "Gehirnjogging", hat tatsächlich Auswirkungen.

Erinnerungen im Wandel der Zeit

Erinnerungen werden nicht unverändert gespeichert, sondern immer wieder im Lichte neuer Erfahrungen und neuen Wissens modifiziert.

Grenzen der Informationsaufnahme

Es gibt jedoch auch Grenzen:

  • Arbeitsgedächtnis: Wir können uns nicht mehr als etwa vier bis sieben Elemente gleichzeitig merken und mit ihnen im Kopf jonglieren.
  • Informationsüberflutung: Der Mensch ist nicht in der Lage, beliebig viel Wissen in beliebig kurzer Zeit aufzunehmen. Wenn zu viel auf einen Menschen einstürzt, kommt es zu einer Informationsüberflutung.

Gedächtnisbereiche und ihre Funktionen

Unser Gedächtnis ist in verschiedene Bereiche unterteilt, die unterschiedliche Funktionen haben:

  • Sensorisches Gedächtnis: Es stellt die Verbindung zwischen Wahrnehmung und Gedächtnis dar und filtert die einfließende Information vor dem Bewusstwerden.
  • Kurzzeitgedächtnis: Es ist ein Zwischenspeicher für Informationen, die nachfolgend aufrechterhalten, manipuliert oder weiterverarbeitet werden.
  • Arbeitsgedächtnis: Es dient der Aufrechterhaltung und Manipulation von Informationen im Kurzzeitgedächtnis.
  • Langzeitgedächtnis: Es ist unser Speicher für alles, was wir bisher erlebt und gelernt haben. Es wird unterteilt in das deklarative (bewusst zugängliche Erinnerungen) und das non-deklarative Gedächtnis.

Die Rolle der Aufmerksamkeit

Eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung von Informationen im Kurzzeitgedächtnis spielt die Aufmerksamkeit. Das Kurzzeitgedächtnis reagiert empfindlich auf Störungen wie Geräusche.

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Faktoren, die das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen

Stress, Angst, Überlastung, Alkohol und bestimmte Krankheiten können das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen.

Das Langzeitgedächtnis: Ein unendlicher Speicher?

Das Langzeitgedächtnis ist unser Speicher für alles, was wir bisher erlebt haben und alles, was wir im bisherigen Leben gelernt haben. Es bildet das Tor zu unseren Erlebnissen, dem Wissen, das man im Laufe des Lebens erwirbt, und zu den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man lernt.

Deklaratives vs. non-deklaratives Gedächtnis

Das Langzeitgedächtnis wird in das deklarative (explizite oder bewusste Gedächtnis) und das non-deklarative (implizite oder unbewusste Gedächtnis) unterteilt. Im deklarativen Gedächtnis werden Erinnerungen gespeichert, die bewusst zugänglich sind und mit Worten beschrieben werden können, wie selbsterlebte Ereignisse und Faktenwissen. Das deklarative Gedächtnis wird unterteilt in das episodische und das semantische Gedächtnis.

Enkodierung und Konsolidierung

Die Enkodierung ist die Übersetzung der Informationen aus der Außenwelt in einen neuronalen Code, so dass das Gehirn diese Informationen lesen kann. Unter Konsolidierung versteht man Prozesse im Gehirn, die zu einer dauerhaften Speicherung von Informationen führen.

Der Abruf von Informationen

Der Abruf von gespeicherten Informationen aus dem Gedächtnis kann bewusst oder unbewusst geschehen.

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Fertigkeiten, Habituation und Priming

Neben dem deklarativen und non-deklarativen Gedächtnis gibt es weitere Formen des Lernens und der Speicherung:

  • Fertigkeiten: Handlungskompetenzen, die durch Üben verbessert werden können.
  • Habituation: Ein Gewöhnungsprozess, bei dem die Reaktion auf einen wiederholten Reiz abnimmt.
  • Priming: Eine vorangehende Reizdarbietung verbessert die Fähigkeit, diesen Reiz wiederzuerkennen.

Die evolutionäre Bedeutung des Vergessens

Dass wir uns nicht perfekt und bis ins Kleinste an alles erinnern können, was wir erleben, ergibt aus evolutionärer Sicht durchaus Sinn. Eine perfekte Erinnerung wäre eine evolutionäre Katastrophe, da sie die Motivation nehmen würde, Dinge erneut zu erleben.

Vergessen als Schutzmechanismus

Es ist auch gut, dass man sich erinnert, dass etwas schmerzhaft und unangenehm war, aber eben nicht erinnert, wie schlimm es genau war. Sich zu 100 Prozent an eine Schmerzsituation zu erinnern, die Schmerzen also immer wieder in gleicher Intensität zu durchleben, das möchte niemand.

Mythen und Fakten rund um das Gehirn

Es gibt viele Irrtümer rund um das Gehirn. Hier einige Fakten im Überblick:

  • Nutzen wir nur 10 Prozent unseres Gehirns? Falsch! Wir nutzen unser ganzes Gehirn.
  • Sind Kopfschmerzen Gehirnschmerzen? Nein, das Gehirn selbst kann keine Schmerzen empfinden.
  • Können wir nur begrenzt Informationen speichern? Nein, unser Langzeitgedächtnis kann unbegrenzt Informationen aufnehmen.
  • Erinnerungen trügen nicht? Doch, Erinnerungen werden oft verschönert und variiert.
  • Lässt sich unser Gehirn dopen? Nein, Medikamente, die die Konzentrationsfähigkeit erhöhen, verbessern die geistige Leistung gesunder Menschen nicht.
  • Kann das Hirn Hunger haben? Ja, das Gehirn verbraucht etwa ein Fünftel von dem, was wir essen und einatmen.
  • Helfen Kreuzworträtsel und Sudokus, geistig fit zu bleiben? Kaum, Denkarbeit sollte anstrengen und Routinen sprengen.
  • Senkt die richtige Ernährung das Risiko für Demenz? Ja, eine ausgewogene Ernährung ist enorm wichtig fürs Gehirn.
  • Wird die Alzheimer-Demenz vererbt? Keineswegs, nur etwa ein Prozent aller Alzheimer-Fälle ist eindeutig erblich bedingt.

Die Speicherkapazität des Gehirns: Eine Schätzung

Die Speicherkapazität des Gehirns lässt sich kaum abschätzen. Man kann allenfalls eine untere Grenze angeben, die sich vielleicht bei 1.000 Gigabyte bewegt. Aber auch diese Angabe ist im Grunde eine ziemlich willkürliche Schätzung. Das Problem ist, dass das Gehirn Information deutlich anders verarbeitet als ein Computer.

Unterschiede zwischen Gehirn und Computer

  • Organisches Wachstum vs. Bauplan: Computer werden von Menschen gebaut, die einen Plan haben. Gehirne dagegen wachsen organisch.
  • Binäres System vs. Abgestufte Aktivität: Computer funktionieren streng digital. Beim Gehirn ist die Aktivität abgestuft; die Nervenzellen können in verschiedenen Intensitäten feuern.
  • Filterung und Verarbeitung: Nicht jede Aktivität im Gehirn bedeutet, dass Information gespeichert wird. Ein Großteil der Aktivität dient ja einfach nur dazu, Reize zu filtern und zu verarbeiten.

Die Komplexität der Informationsspeicherung

Die Hirnforscher können immer noch nicht sagen, wie das Gedächtnis genau arbeitet, was genau im Gehirn passiert, wenn ich ein Gesicht erkenne oder mir wieder einfällt, wie die Hauptstadt von Botswana heißt. Werden da einfach eine bestimmte Menge an Synapsen aktiv oder liegen Gedächtnisinhalte auch in Form chemischer Verbindungen vor?

Wie Informationen zu Wissen werden

Informationen bestehen aus Daten, die sich wiederum aus Zeichen zusammensetzen. Ordnet man diese an, entstehen Daten. Setzt man diese in einen Kontext, erhalten sie eine Bedeutung und werden zu Informationen. Diese ergeben mit unseren Erfahrungen, Wertvorstellungen und Fachkenntnissen verknüpft dann unser Wissen.

Die Verarbeitung von Wissen im Gehirn

Unser Gehirn ist ein sehr faszinierendes und komplexes Organ. Durchschnittlich kann es bis zu 100 Billionen Informationsbestandteile speichern. Das Beeindruckende dabei ist noch nicht mal unbedingt die große Datenmenge, die gespeichert werden kann, sondern dass die Informationen auch wiedergefunden werden, und das mitunter in recht kurzer Zeit. Unser Gedächtnis wird gebildet, indem unser Gehirn Lernerfahrungen und Erlebnisse verarbeitet. Die aufgenommenen Informationen werden in verschiedene Anteile aufgespalten und in den dafür zuständigen Bereichen des Gehirns gespeichert. Durch zahlreiche Nervenzellen, die Netzwerke bilden, bleiben die Informationsanteile miteinander verknüpft.

Die Rolle verschiedener Gehirnbereiche

Es gibt nicht den einen Bereich im Gehirn, der unser Wissen speichert. Unser Gehirn lässt sich in unterschiedliche Bereiche einteilen, die für verschiedene Gedächtnisarten zuständig sind. Gedächtnisbildung ist ein sehr komplexer Vorgang.

Weisheit: Die höchste Stufe des Wissens

Wissen ist das, was ich bewusst lernen und mir aneignen kann. Weisheit geht tatsächlich noch eine Stufe weiter und über das reine Lernen hinaus. Hierbei geht es um ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen und die Fähigkeit, bei Problemen eine schlüssige und sinnvolle Lösung zu finden. Dafür nutzen wir Wissen und Erfahrungen, aber zum Beispiel auch Kreativität und Intuition.

Kann künstliche Intelligenz Weisheit erlangen?

Meines Wissens kann künstliche Intelligenz aktuell keine Weisheit erzielen. KI imitiert menschliche kognitive Fähigkeiten, indem sie Informationen aus Eingabedaten erkennt und sortiert. Das basiert jedoch auf programmierten Abläufen. Vernunft, Emotionalität, Empathie und Kreativität sind entscheidende Eigenschaften, die der künstlichen Intelligenz bisher fehlen. Daher hat die KI kein Verständnis für Zusammenhänge, die nicht programmiert wurden - sie hat kein Bewusstsein.

Strategien für effektives Lernen und Gedächtnistraining

  • Regelmäßiges Üben: Nur durch ständiges Üben bleiben die Nervenverbindungen in unserem Gehirn dauerhaft bestehen.
  • Wiederholung: An Gedächtnisinhalte erinnern wir uns umso leichter, je öfter wir sie wiederholen.
  • Verknüpfung mit neuen Kontexten: Wenn wir Inhalte immer wieder mit neuen Umgebungsbedingungen oder in einem anderen Kontext verknüpfen, bleiben sie uns ebenfalls besser im Gedächtnis.
  • Regelmäßige Pausen: Es ist sehr wichtig, dem Gehirn regelmäßige Pausen zu gönnen.
  • Ausgewogene Ernährung: Sauerstoff- und Wasserzufuhr spielen eine große Rolle, genauso wie eine ausgewogene Ernährung zum Beispiel zur ausreichenden Versorgung mit Omega-3 -Fettsäuren und B-Vitaminen.
  • Einbeziehung mehrerer Sinne: Wir lernen besonders effektiv, wenn wir möglichst viele Sinne miteinbeziehen.

Synaptic Tagging: Wie das Gehirn wichtige Informationen markiert

Unser Gehirn speichert täglich unzählige Informationen. Die Speichereinheiten für diese Informationen finden sich in den Synapsen. Wenn bestimmte Informationen nun in das Langzeitgedächtnis überschrieben werden sollen, bedeutet das, dass sich die entsprechenden Synapsen dauerhaft verändern müssen. Zu diesem Zweck produzieren die betroffenen Bereiche der Synapsen einen Marker ("tag"), der dafür sorgt, dass die notwendigen Proteine nur an eben diesen markierten Synapsen wirksam sind.

NogoA: Ein Protein, das Erinnerungen stabilisiert

NogoA ist ein Protein, das das Wachstum von Nervenzellen hemmt. Es stabilisiert die Funktion und Struktur von Nervennetzen und hilft auf diese Weise, Erinnerungen zu speichern. Es schreibt also in bestimmten Stellen des Gehirns die Funktionalität von neuronalen Netzen fest und schützt sie vor weiteren Änderungen.

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