Kann ein durchtrennter Nerv wieder zusammenwachsen? Heilung, Behandlung und Forschung

Verletzungen peripherer Nerven erfahren oft wenig Beachtung, obwohl sie besonders häufig bei Verletzungen der oberen Extremitäten auftreten, insbesondere der Hand. Der Nervus ulnaris ist in etwa 30 % dieser Fälle betroffen. Diese traumatischen peripheren Nervenläsionen können durch Sportverletzungen, Verkehrsunfälle, iatrogene Verletzungen, Arbeitsunfälle oder Explosionen entstehen. Stumpfe oder scharfe Gewalteinwirkungen können zu peripheren Nervenverletzungen führen.

Grundlagen der Nervenregeneration

Nerven sind verletzlich und ihre Funktion kann durch verschiedene Einwirkungen wie Schnitt-, Stichverletzungen oder Quetschungen beeinträchtigt werden. Die Heilungsprognose hängt dabei vom Ausmaß und der Art der Läsion ab: Eine teilweise Durchtrennung hat eine deutlich bessere Prognose als eine vollständige. Nervenverletzungen kommen vergleichsweise selten vor. Eine Studie an Erdbebenopfern zeigte, dass etwa 5,8 Prozent der Teilnehmer Nervenverletzungen erlitten. In der Allgemeinbevölkerung ist der Anteil statistisch noch geringer.

Der Kern von Nerven besteht aus Nervenzellfortsätzen (Axonen), die elektrische Impulse weiterleiten. Sie sind von einer isolierenden Schicht, der Myelinscheide, umhüllt, die im peripheren Nervensystem von Schwann-Zellen gebildet wird. Die Myelinscheide ist nicht durchgängig, sondern weist kleine Zwischenräume auf, die als Ranviersche Schnürringe bezeichnet werden. Der gesamte Nerv wird von einer Bindegewebsschicht, dem Epineurium, umschlossen.

Je nach Art der Verletzung sind verschiedene Auswirkungen möglich:

  • Neurapraxie: Eine leichte Schädigung, beispielsweise durch langes Liegen auf einer Stelle, kann die Funktion kurzzeitig einschränken.
  • Axonotmesis: Bei Quetschungen oder Überdehnungen kann das Axon unterbrochen sein, während die äußerste Gewebeschicht (Epineurium) intakt bleibt.
  • Neurotmesis: Eine komplette Durchtrennung des Nervs, sowohl der Nervenfasern als auch der Hüllenstruktur, führt in der Regel zu einer Funktionseinschränkung.

Nervenverletzungen im Rückenmark oder Gehirn haben meist schwerwiegende Folgen und sind schwer zu heilen. Periphere Nerven hingegen, beispielsweise in Armen und Beinen, können Beschädigungen deutlich besser überwinden und sich in vielen Fällen so weit erholen, dass sie wieder voll funktionsfähig sind.

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Diagnose und erste Maßnahmen

Die Diagnose einer Nervenbeteiligung im Rahmen einer Schnittverletzung kann meist schon durch die körperliche Untersuchung im Rahmen der Erstversorgung gestellt werden. Die Lokalisation der Verletzung gibt Hinweise auf eine mögliche Beteiligung bestimmter Nerven. Bei Verdacht auf eine Nervenbeteiligung nach einer offenen Verletzung sollte diese im Rahmen der chirurgischen Versorgung nach Möglichkeit auch definitiv versorgt werden.

Chirurgische Behandlung

Voraussetzung für eine adäquate Behandlung solcher Verletzungen ist die Anwendung mikrochirurgischer OP-Techniken und die Logistik für die primäre und sekundäre Versorgung schwer verletzter Patienten. Neben diesen verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten ist vor allem auch die Erfahrung des Operateurs, die Kenntnisse über mögliche Nervenläsionsgrade und Fibrosierungsstadien von großer Bedeutung sowie die Wahl des geeigneten Zeitpunktes der operativen Versorgung und die gewählte operative Methode der Nervenregeneration ausschlaggebend.

Nach einer frischen offenen Nervenläsion durch Schnitt- oder Stichverletzungen erfolgt - wenn immer möglich - die sofortige primäre Nervennaht. Diese ist -wenn möglich- immer anzustreben, da die funktionellen Ergebnisse nach einer Nervenverletzung mit zunehmender Zeitdauer schlechter werden. Geschlossene Nervenverletzungen (stumpfes Trauma) mit kompletten oder schweren neurologischen Defiziten ohne Nachweis einer spontanen Reinnervation (klinisch und elektrophysiologisch) im Zeitraum von 3 Monaten nach der Verletzung stellen ebenso eine OP-Indikation dar.

Eine erfolgreiche Nervennaht setzt die Möglichkeit zu mikrochirurgischem Operieren voraus: Das Vorhandensein eines Operationsmikroskops, entsprechende Instrumente und Nahtmaterialien sowie nicht zuletzt eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung des Chirurgen. Ob eine vollständige Nervendurchtrennung, eine teilweise Nervendurchtrennung oder nur eine Nervenquetschung ohne Kontinuitätsdurchtrennung vorliegt, wird im Rahmen der operativen Versorgung definitiv festgestellt. Während der operativen Versorgung wird entschieden, ob die Nervenenden gleich genäht werden können, oder ob Gründe dagegensprechen, wie dies bei schweren Verletzungsformen möglich ist.

Nervennaht und Nerventransplantation

Wird ein Nerv in seiner Kontinuität getrennt, können die Enden durch eine Naht einander angenähert werden. Eine offene Verletzung an Hand oder Unterarm mit scharfem Gerät führt nicht selten zur Beschädigung von Sehnen, Blutgefäßen und Nerven. Wird ein Nerv oder ein Nervenast vollständig durchtrennt, ziehen sich die Nervenenden durch die Gewebeelastizität zurück und es kommt zu einer Distanzierung der Nervenstümpfe. In dem Nervenstumpf, der zur Körperperipherie führt, bilden sich die Einzelfasern (Axone) zurück. Lediglich das Hüllgewebe um die Einzelfasern bleibt erhalten. Aus dem vom Körperzentrum kommenden Nervenstumpf treten die Nervenfasern aus und wachsen in die Körperperipherie vor. Finden Sie das korrespondierende Nervenende, können Sie an den Hüllstrukturen entlang in Richtung auf die Körperperipherie vorwachsen und ganz allmählich regenerieren. Nach vielen Tagen können Sie das ursprüngliche Erfolgsorgan wieder erreichen. Der Vorgang ist langwierig - eine Wachstumsgeschwindigkeit der Fasern von etwa ca.

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Die auswachsenden Fasern erreichen nur dann das korrespondierende Nervenende, wenn der Abstand zwischen den Stümpfen nicht zu groß und der Zwischenraum nicht von Gewebe ausgefüllt ist. Die zur Regeneration notwendige Gegenüberstellung der Nervenenden ist spontan nicht möglich. Dies kann durch eine Nervennaht erreicht werden, die die Nervenstümpfe gegenüberstellt. Unter optimalen Bedingungen findet dann ein mehr oder weniger großer Anteil der auswachsenden Fasern ihr Ziel. Selbst in dieser Situation erreichen jedoch nicht alle auswachsenden Fasern den korrespondierenden Nervenstumpf. Der Anteil der Fasern, die diesen erreichen, ist von vielen Faktoren abhängig. Nervenfasern, die das periphere Nervenende nicht erreichen, wachsen in das Gewebe und bilden hier einen Nervenknoten (sogenanntes „Neurom“).

Wenn die Nervendurchtrennung nicht direkt versorgt wurde, ziehen sich die beiden Enden des verletzten Nerven von der Verletzungsstelle zurück. Schon nach wenigen Wochen ist der Abstand so groß, dass eine direkte Naht nicht mehr möglich ist. Es bildet sich zwischen den beiden Enden ein Nervenknoten (Neurom), welcher sehr schmerzhaft sein kann. Jetzt ist zur Nervenrekonstruktion die Durchführung einer Nerventransplantation erforderlich. Hierbei muss zunächst das Neurom entfernt werden. Der dabei entstehende Nervendefekt wird durch einen Spendernerven überbrückt. Hierbei wird Nervengewebe vom Verletzten selbst entnommen. Meist ist der Querschnitt des verletzten Nerven größer als der des Spendernerven, so daß mehrere Spendernerven-Anteile zur Abdeckung des Querschnittes erforderlich sind. Das Einnähen der Nerventransplantate zur Überbrückung des Defektes erfolgt unter dem Mikroskop mit Hilfe feinster, mit bloßem Auge kaum sichtbarer Nähte.

Als Nerventransplantat wird am häufigsten der N. suralis eingesetzt. Dieser wird in typischer Weise über multiple Querinzisionen am seitlichen Unterschenkel entnommen. Aber auch der N. auricularis magnus, sowie der N. transversus colli und der N. Bei einer End-zu-End-Naht versucht man die durchtrennten Nervenenden wieder so zu orientieren, daß die gebündelten Nervenfasern (Faszikel) genau aufeinanderpassen.

Besondere Aspekte bei komplexen Verletzungen

Wenn eine längerstreckige Verletzung des Nerven durch ein erhebliches Gewebetrauma vorliegt, ist eine direkte Nervennaht im Rahmen der Erstversorgung nicht möglich. Ist die Defektstrecke zwischen den Nervenstümpfen nicht zu lang, kann er bei der Erstversorgung mit einem Nervenröhrchen überbrückt werden. Ist die Defektstrecke über mehrere Millimeter lang, wartet man zunächst die Heilung ab. In einem zweiten Eingriff wird der Defekt durch Nervenäste überbrückt, die von anderer Stelle entnommen werden.

Risiken und Komplikationen

Ist ein Nerv durchtrennt, liegen die Risiken nicht darin, eine operative Wiederherstellung durchzuführen, sondern eher darin, auf eine primäre definitive Operation zu verzichten. Die Komplikationen und Risiken liegen in den Folgen einer unvollständigen Regeneration. Auch unter technisch optimaler technischer Operation ist die Wiederherstellung immer nur partiell. Diejenigen Nervenfasern, die sich nicht regenerieren, führen zu einer Überempfindlichkeit im Narbenbereich. Nach der direkten Naht eines durchtrennten Nerven ist es immer nur ein Teil der Nervenfasern, der sich entlang des ursprünglichen Faserverlaufs regenerieren kann. Das funktionelle Resultat ist zusätzlich von mehreren anderen Faktoren abhängig. Dazu gehört die Art der Verletzung: bei einer glatten Schnittverletzung mit direkter Naht bei der Erstversorgung wird ein besseres Ergebnis erwartet, als nach einer Quetschung und Nerventransplantation. Auch das Alter bei der Verletzung spielt eine ganz wesentliche Rolle. Neben der Wiederherstellung funktioneller Qualitäten kommt es immer auch zu unangenehmen mit Empfindungen, verursacht durch diejenigen Fasern, die nicht zur Regeneration führen.

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Behandlung von Fingernerven

In der Handchirurgie spielt die Behandlung von durchtrennten Fingernerven eine entscheidende Rolle. Durchtrennte Fingernerven können aufgrund verschiedener Faktoren auftreten, darunter Traumata, Unfälle oder repetitive Belastungen. Die Diagnose von durchtrennten Fingernerven erfordert in der Regel eine gründliche klinische Untersuchung. Es ist entscheidend, frühzeitig eine genaue Diagnose zu stellen, um die bestmögliche Behandlung für durchtrennte Fingernerven zu gewährleisten.

Die Wahl zwischen konservativen Behandlungsmöglichkeiten und chirurgischen Eingriffen hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Schwere der Verletzung und die individuellen Bedürfnisse des Patienten.

Konservative Behandlungsmöglichkeiten

In den Fällen, in denen ein Fingernerv durchtrennt ist, spielen konservative Behandlungsmöglichkeiten eine entscheidende Rolle bei der Genesung. Nach einer durchtrennten Fingernerv Verletzung ist es wichtig, dem betroffenen Finger ausreichend Ruhe zu gönnen. Durch das Vermeiden von Belastung und Bewegung wird die Heilung gefördert und das Risiko für weitere Komplikationen minimiert. Physiotherapie spielt eine essentielle Rolle im Prozess der Heilung nach einer Fingernerv Verletzung. Durch gezielte Übungen und Techniken werden die Muskeln gestärkt, die Beweglichkeit verbessert und die sensorische Wahrnehmung im betroffenen Bereich wiederhergestellt.

Chirurgische Techniken bei Fingernervenverletzungen

Die Entscheidung für einen chirurgischen Eingriff bei einem durchtrennten Fingernerv hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine Operation zur Behandlung eines durchtrennten Fingernervs kann in Betracht gezogen werden, wenn konservative Behandlungsmethoden nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen oder wenn bestimmte Symptome oder Umstände vorliegen, die eine chirurgische Korrektur erfordern.

Bei der Operation eines durchtrennten Fingernervs stehen unterschiedliche chirurgische Techniken zur Verfügung, die je nach Art und Schwere der Verletzung angewendet werden.

  • Nerventransplantation: Falls ein längerer Nervendefekt vorliegt, kann eine Nerventransplantation erforderlich sein.
  • Nervenrekonstruktion: Bei komplexen Nervenverletzungen kann eine umfassendere Rekonstruktion erforderlich sein, um die Funktion des Nervs wiederherzustellen.

Die Wahl der geeigneten chirurgischen Technik richtet sich nach verschiedenen Faktoren wie der Lokalisation der Verletzung, dem Ausmaß des Nervenschadens und den individuellen Bedürfnissen des Patienten.

Heilungsprozess und Rehabilitation nach Fingernervenbehandlung

Der Heilungsprozess nach einer Nervendurchtrennung im Finger ist individuell und kann je nach Schwere der Verletzung variieren. In der Regel kann es mehrere Wochen bis Monate dauern, bis die Nervenfasern wieder zusammenwachsen und die Funktion des Nervs teilweise oder vollständig wiederhergestellt ist.

Die Rehabilitationsmaßnahmen nach einer Fingernervenbehandlung sind entscheidend für eine erfolgreiche Genesung. Dazu gehören gezielte physiotherapeutische Übungen, die darauf abzielen, die Beweglichkeit des betroffenen Fingers zu verbessern und die Kraft in der Hand wiederherzustellen. Die regelmäßige Nachsorge und Kontrolluntersuchungen beim Handchirurgen sind ebenfalls wichtig, um den Fortschritt der Heilung zu überwachen und potenzielle Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Durch die konsequente Einhaltung der Rehabilitationsmaßnahmen und der empfohlenen Nachsorge können Patienten mit einem durchtrennten Fingernerv optimale Bedingungen für eine erfolgreiche Genesung schaffen.

Mögliche Komplikationen und Risiken

Nach einer Fingernerv Behandlung können bestimmte Komplikationen auftreten, die den Heilungsprozess beeinflussen können. Bei der Behandlung von durchtrennten Fingernerven können verschiedene Komplikationen auftreten, die den Genesungsprozess verlängern oder beeinträchtigen können. Um diese Komplikationen zu minimieren, ist eine sorgfältige Nachsorge und regelmäßige Kontrolle der Heilung essenziell. Bei starken Schmerzen oder anderen ungewöhnlichen Symptomen sollten Betroffene umgehend ihren Arzt konsultieren. Chirurgische Eingriffe zur Behandlung von durchtrennten Fingernerven sind nicht frei von Risiken. Es ist wichtig, dass Patienten sich über potenzielle Risiken im Klaren sind, bevor sie sich für eine Operation entscheiden. Vor einer Operation sollten Patienten mit ihrem Chirurgen ausführlich über mögliche Risiken und Nebenwirkungen sprechen. Ein fundiertes Verständnis der Risiken kann dazu beitragen, informierte Entscheidungen zu treffen und den Erfolg des Eingriffs zu optimieren.

Nachbehandlung und Rehabilitation

Man kann keine sofortige Beseitigung der Funktionsstörungen erwarten. Die Symptome der Nervenverletzung können sich nach einer Nerventransplantation z.B. erst nach vielen Monaten wieder zurückbilden. Der Nerv wächst von der Verletzungsstelle zum anderen durchtrennten Ende ca. Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt in Hinsicht auf den Behandlungserfolg stellt die Motivation der Patienten bei der oft sehr langwierigen Nachbehandlung dar.

Zum Schutz vor Muskelüberdehnung wird präoperativ ( z.B. Die wesentliche Nachbehandlung besteht in der Durchführung einer intensiven Physiotherapie mit aktiven und passiven Bewegungsübungen und ergotherapeutische Maßnahmen, sowie einer Reizstrombehandlung (Exponentialstrom) der denervierten Muskulatur. Im Intervall von ca. Wiederherstellungs- oder Ersatzoperationen (z.B.

Forschung und neue Therapieansätze

Nervenschäden sind notorisch schwer zu heilen. Durchtrennte Fasern jenseits von Gehirn und Rückenmark lassen sich zwar heutzutage flicken, ihre Funktion kann aber nicht vollständig wiederhergestellt werden.

Förderung des Nervenwachstums durch maßgeschneiderte Materialien

Am MPI für Polymerforschung wird geforscht, ob sich Nervenzellen nicht mittels maßgeschneiderter Materialien zum Wachstum stimulieren lassen. Dies würde den Zellen helfen, eine Lücke im Nerv wieder zu schließen.

Die Forschung versucht, geschädigte Nerven durch ein entwickeltes Material aus körpereigenen Bausteinen zum Wachsen zu bewegen. Denn: Nerven sind durchaus in der Lage, eine durchtrennte Stelle wieder selbst zu überbrücken. Bei Verletzungen wird jedoch neben der Nervenbahn selbst auch oft das Gerüst, welches diese Bahnen trägt, zerstört. Diese sogenannte extrazelluläre Matrix bildet den Haftgrund für Nervenbahnen - ähnlich wie Tomatenpflanzen ein Rankgitter benötigen, benötigen Nervenzellen diese Matrix, um daran entlangzuwachsen.

Chemisch gesehen besteht die Matrix aus speziellen Arten von Proteinen, langen Molekülketten, die wie ein Wollknäuel zusammengefaltet sind. Viele dieser winzig kleinen Wollknäuel lagern sich nebeneinander an und formen lange Fasern. Damit sich solche Fasern bilden, finden im Körper viele komplexe biomolekulare Prozesse statt. Um diese künstlich im Reagenzglas nachzubilden, sind sie jedoch zu komplex. Daher wird in der Forschung ein etwas anderer Weg beschritten: Es werden die gleichen Grundmaterialien verwendet, setzt sie jedoch anders zusammen. Hierbei werden kurze Molekülketten, sogenannte Peptide, die aus den gleichen körpereigenen Bausteinen wie Proteine bestehen, genutzt. Diese Peptide werden chemisch gezielt hergestellt, sodass sich die Position jedes einzelnen Bausteins genau festgelegen lässt. Im übertragenen Sinne erzeugen wir auf diese Weise an den Molekülen etwas Analoges wie die Noppen und zugehörigen Löcher, die wir von Legosteinen kennen: Ein so synthetisiertes Peptid-Molekül lagert sich am liebsten so mit anderen Peptiden zusammen, dass Noppen und Löcher aufeinandertreffen; nur dann entsteht eine neue stabile Struktur.

Es wurde untersucht, wie sich Nervenzellen verhalten, wenn sie auf dieser künstlich erzeugten extrazellulären Matrix wachsen sollen und wie sich diese Wachstumseigenschaften verändern, wenn die ursprünglich zur Herstellung der Matrix verwendeten Peptide chemisch verändert werden. Hierzu wurden viele verschiedene Peptid-Strukturen hergestellt, auf Glassubstrate aufgebracht und hierauf Nervenzellen kultiviert. Diejenige Faserstruktur, die sich hierbei als am effizientesten erwies, wurde in eine chirurgisch erzeugte Nervenlücke an einem Gesichtsnerv einer Maus injiziert, der für die Bewegung der Schnurrhaare verantwortlich ist. Die verwendeten Peptide sind chemisch den natürlichen Proteinen, welche die extrazelluläre Matrix der Zelle bilden, sehr ähnlich.

Bisher lassen sich mit dieser künstlichen Matrix bereits erste Schädigungen an Nervenbahnen reparieren, wie das Laborexperiment mit einer Maus gezeigt hat. Bis zum Einsatz am Menschen werden noch weitere Optimierungen nötig sein, um das Nervenbahnwachstum noch effizienter zu gestalten. So wachsen Nervenzellen auf diesem Material noch nicht so gut wie in der natürlichen Matrix und zudem recht ungeordnet in alle Richtungen. Ziel für die Zukunft ist daher, in die künstliche Matrix noch sogenannte Wachstumsfaktoren einzubetten, um die Heilung weiter zu beschleunigen.

Chemischer Cocktail zur Förderung der Nervenregeneration

Neurowissenschaftler George Bittner von der Universität von Texas in Austin hat eine neue Behandlungsmethode entwickelt. "Wenn ein Patient einen peripheren Nerv verletzt hat, dann nähen Chirurgen die beiden Nervenenden mit einem ganz feinen Faden wieder zusammen. Das ist heute Standard. Der Nerv bekommt dadurch aber nur 15 bis 25 Prozent seiner ursprünglichen Funktionsfähigkeit zurück. Bei den Ratten haben wir jetzt zusätzlich eine Reihe von Substanzen auf die verletzte Stelle gegeben. Die Nervenzellen haben sich schneller und besser erholt - und zwar bis zu 80 Prozent."

Die Substanzen helfen dem Nerv dabei, wieder richtig zusammenzuwachsen. Wenn ein Nerv durchtrennt ist, dann werden die beiden Enden ziemlich schnell versiegelt, so dass sie sich nicht mehr richtig miteinander verbinden können. Nervensignale werden kaum noch weitergeleitet - auch dann nicht, wenn der Nerv zusammengeflickt worden ist. Genau das soll der Chemikaliencocktail aus Austin offenbar verhindern. Das Geheimnis liege in der richtigen Reihenfolge, sagt George Bittner. "Zuerst tragen wir eine salzhaltige Lösung auf die Nervenenden auf. Sie verhindert, dass sich die Enden verschließen. Danach nähen wir die Enden zusammen und spülen die Stelle ein paar Minuten mit einer Substanz namens Polyethylenglycol - sie sorgt dafür, dass die beiden Stücke wieder zu einem durchgängigen Strang zusammenschmelzen."

Stammzellen zur Überbrückung von Nervenenden

Giorgio Terenghi von der Universität von Manchester überbrückt die Nervenenden mit einem Röhrchen. Das Röhrchen ist mit körpereigenen Stammzellen ausgekleidet. Mit Hilfe der Stammzellen sollen die Nervenenden viel schneller wieder zusammenwachsen.

Regeneration von Nervenfasern im Rückenmark

Schweizer und amerikanische Wissenschaftler haben in Tierversuchen eine dreistufige Methode zur Regeneration elektrophysiologisch aktiver Nervenfasern bei kompletter Rückenmarksläsionen von Nagern entwickelt. Ihre Methode besteht aus drei Komponenten, die das Wachstum der Nervenfasern ermöglichen sollen. Fehlt eine dieser Komponenten, gelingt es nicht, neue Axone im Rückenmark zu regenerieren.

Fehlverschaltungen von Schmerzrezeptoren

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Pharmakologischen Instituts und des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Sie treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf.

Die neuen Ergebnisse zeigen, dass die chronischen Schmerzen nicht etwa durch die eigentliche Verletzung entstehen, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung, der sogenannten Reinnervation, beruhen. Während sich die taktilen Nervenfasern, die Berührungsreize an Rückenmark und Gehirn weiterleiten, nach der Verletzung nicht oder nur langsam regenerieren - daher das anfängliche Taubheitsgefühl -, sind die schmerzleitenden Fasern dazu schneller in der Lage. Sie nehmen statt der sensorischen Fasern den Platz der gekappten Berührungssensoren in der Haut ein. Die Folge: Jeder taktile Reiz wirkt nun wie ein Schmerzreiz - selbst ein sanftes Streicheln oder das Gefühl von Kleidung auf der Haut kann dann Schmerzen verursachen.

Unterstützung der Nervenregeneration durch Nährstoffe

Verletzte oder geschädigte Nerven können sich regenerieren. Während im Gehirn und Rückenmark die Nervenfasern nach einer Verletzung in der Regel nicht nachwachsen können, zeigen die Nervenzellen im peripheren Nervensystem bei einer Nervenschädigung erstaunliche Regenerationsfähigkeiten. Allerdings sind dafür Geduld und eine gute Versorgung der Nervenzelle mit den richtigen Nährstoffen gefragt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass sich ein Nerv des peripheren Nervensystems unter bestimmten Voraussetzungen von selbst regenerieren kann. Dies hängt insbesondere von der Art der Schädigung und dem Überleben des Zellkörpers ab. Eine Nervenschädigung im zentralen Nervensystem ist für den Körper in der Regel permanent. Hier können Nervenzellen nicht ohne weiteres regenerieren. Die Nervenregeneration ist ein wichtiger Reparaturprozess des peripheren Nervensystems, der zur Wiederherstellung der Struktur und Funktion der Nervenzelle führt.

Damit die Regeneration einer Nervenzelle im peripheren Nervensystem gelingen kann, müssen allerdings zunächst die Ursachen der Nervenschäden beseitigt werden und im Körper alle für den Wiederaufbau benötigten Baumaterialen zur Verfügung stehen.

  • Uridinmonophosphat (UMP) und Cytidinmonophosphat (CMP): Sie gehören zu den Nukleotiden, den Grundbausteinen unserer Erbsubstanz und sind an der Herstellung von Nervenzellproteinen und Membranlipiden, die für die Nervenregeneration unverzichtbar sind, in entscheidendem Maße beteiligt.
  • B-Vitamine: Verschiedene Vitamine des B-Komplexes spielen für unsere Nerven eine entscheidende Rolle, da sie zur normalen Funktion des Nervensystems beitragen.

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