Ginkgo Biloba und das Schlaganfallrisiko: Eine differenzierte Betrachtung

Extrakte aus den Blättern des Ginkgobaums, bekannt für ihre potenzielle Förderung der Gedächtnisleistung, werden seit langem in der traditionellen Medizin eingesetzt. Die Bandbreite des medizinischen Einsatzes umfasst verschiedenste Krankheiten. Trotzdem mangelt es nicht an Studien, in denen einmal die Wirksamkeit, ein andermal wieder die Wirkungslosigkeit des Pflanzenextrakts gegen Gedächtnisprobleme festgestellt wurde. Doch birgt die Einnahme von Ginkgo Biloba auch Risiken, insbesondere im Hinblick auf Schlaganfälle? Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage und gibt einen Überblick über die potenziellen Vor- und Nachteile der Einnahme von Ginkgo Biloba.

Ginkgo Biloba: Ein Überblick

Ginkgo biloba, auch bekannt als Ginkgo, ist ein Baum, der ursprünglich aus China stammt und für seine potenziellen medizinischen Eigenschaften bekannt ist. In Ostasien gilt er nicht nur als Heilmittel, sondern auch als Tempelpflanze. Die Pflanze hat eine lange Tradition als Heilmittel, insbesondere in der traditionellen chinesischen Medizin. Dort wird Ginkgo biloba auch oft als Heilpflanze eingesetzt - unter anderem wird er zur Behandlung von Durchblutungsstörungen, Schwindel oder Tinnitus verwendet. Besonders wirksam soll er jedoch bei Konzentrationsschwäche und Gedächtnisstörungen sein.

Die Blätter des Ginkgobaums enthalten wertvolle Inhaltsstoffe, insbesondere Flavonoide und Terpenoide, die als Ginkgolide und Bilobalide nur im Ginkgo vorkommen. Diese Stoffe sollen verschiedene positive Auswirkungen auf den Körper haben, insbesondere auf die Durchblutung und die Gehirnfunktion. Arzneimittel aus Ginkgo enthalten deshalb einen Extrakt, dem die erwünschten Inhaltsstoffe zugefügt und aus dem die unerwünschten Substanzen entfernt wurden.

Mögliche Anwendungsbereiche von Ginkgo Biloba

Ginkgo soll verschiedene Wirkmechanismen haben, die jedoch noch nicht vollständig erforscht sind. Aus diesen Wirkmechanismen ergeben sich die verschiedene Verwendungen des Ginkgos. Das sind vor allem Krankheiten, die mit der Störung der Durchblutung und der Leistungsfähigkeit des Gehirns zusammenhängen und die mit zunehmendem Alter häufiger auftreten. So soll Ginkgo unter anderem:

  • die geistige Leistungsfähigkeit verbessern
  • die Konzentration steigern und bei Gedächtnisproblemen helfen
  • einer altersbedingten Demenz vorbeugen oder den bereits eingetretenen Prozess verbessern beziehungsweise verlangsamen
  • die Blutzufuhr in den Beinen verbessern und etwa bei der Schaufensterkrankheit (pAVK) schmerzfreieres Gehen ermöglichen
  • bei Tinnitus oder einem Hörsturz helfen
  • der Entstehung von Blutgerinnseln vorbeugen
  • bei Schwindel helfen
  • Migräne vorbeugen
  • kognitive Einschränkungen durch eine Multiple Sklerose positiv beeinflussen
  • prämenstruelle Beschwerden (PMS) bei Frauen lindern
  • der Höhenkrankheit vorbeugen
  • die Seheinschränkungen beim Glaukom (grüner Star) vermindern
  • Bluthochdruck senken

Auch wenn nicht alle diese Effekte wissenschaftlich belegt sind, gibt es in Deutschland zugelassene Arzneimittel mit Ginkgo-Extrakt zur Behandlung bestimmter Formen der Demenz oder Hirnleistungsstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, Durchblutungsstörungen sowie zur unterstützenden Behandlung von Tinnitus oder Schwindel.

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Studienlage zur Wirksamkeit von Ginkgo Biloba

In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche Studien zur Wirksamkeit von Ginkgo durchgeführt. Diese konnten die gesunde Wirkung der Pflanze nicht immer bestätigen. Eine Meta-Analyse mehrerer klinische Studien aus dem Jahr 2009 kam aufgrund mangelnder Belege zu dem Schluss, dass die bis dahin immer wieder nachgewiesenen positiven Effekte auf Demenz und Gedächtnisstörung in Zweifel zu ziehen seien. Dennoch gibt es auch neuere Bewertungen, die ein positiveres Bild zeichnen, wobei unter anderem die richtige Dosierung sowie die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe eine Rolle zu spielen scheinen.

So spricht die 2016 veröffentlichte Leitlinie "Demenzen" dem Spezialextrakt EGb 761® (Tebonin®) eine mögliche Wirkung zu. Bei bestimmten Formen der Demenz könne eine Behandlung mit einer Dosis von 240 Milligramm täglich deshalb erwogen werden, während eine Dosis von 120 Milligramm wohl nicht ausreicht. Ein vorbeugender Effekt in Bezug auf Demenzerkrankungen wird nicht als belegt erachtet. Viele der anderen propagierten Wirkungen sind wissenschaftlich ebenfalls umstritten - etwa in Bezug auf Schwindel oder Tinnitus.

Ginkgo Biloba und das Schlaganfallrisiko: Was sagen die Studien?

Mindestens ebenso interessant wie das Hauptergebnis der Studie ist ein Nebenergebnis das den verbreiteten Mythos, "Naturheilpräparate" hätten keine Nebenwirkungen etwas korrigiert: Bei den Auswertungen stellte sich heraus, dass die Teilnehmer der Ginkgo-Biloba-Gruppe ein beträchtlich erhöhtes Risiko aufwiesen, einen Schlaganfall oder eine Transitorische ischämische Attacke (TIA) zu erleiden. Insgesamt hatten sieben Personen aus der Ginkgo-Gruppe Schlaganfälle - und kein einziger aus der Vergleichsgruppe. Auf das schon vorher bekannte erhöhte Blutungsrisiko bei Einnahme von Ginkgo Biloba konnten die Schlaganfälle nicht zurückgeführt werden - alle sieben resultierten aus Blutverklumpung.

Eine Studie, die im Fachblatt Journal of the American Medical Association veröffentlicht wurde, untersuchte mehr als 3000 freiwillige Probanden jenseits der 75 und beobachtete sie im Mittel sechs Jahre lang. Die Hälfte von ihnen bekam zweimal täglich ein verbreitetes Ginkgo-Präparat des deutschen Herstellers Schwabe, die anderen Teilnehmer schluckten ein Scheinmedikament. Nach Ende der Behandlung waren in beiden Gruppen ähnlich viele Senioren dement geworden. Unter denjenigen, die Ginkgo bekamen, waren es sogar etwas mehr. Andere Erkrankungen wie Herz-Kreislaufleiden kamen ebenfalls ähnlich oft vor wie in der Placebo-Gruppe. Schlaganfälle, die auf eine Blutung zurückgingen, gab es bei Probanden, die Ginkgo nahmen, sogar doppelt so häufig. Allerdings war die Zahl der Zwischenfälle so gering, dass die Forscher daraus keine Schlüsse zogen.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass Ginkgo-Substanzen eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten mit sich bringen könnte. Weitere Studien werden benötigt, um diese Effekte weiter zu unter­suchen.

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Weitere Risiken und Nebenwirkungen von Ginkgo Biloba

Bereits länger bekannt ist das erhöhte Blutungsrisiko, vor allem wenn Ginkgo zusammen mit Blutverdünnern (wie niedrig dosierter Acetylsalicylsäure) oder NSAR (wie Ibuprofen oder Diclofenac) eingenommen wird. Zu kann es als Nebenwirkung beispielsweise zu Netzhautblutungen in den Augen kommen. Auch vor einer Operation oder für Menschen mit Krampfanfällen (Epilepsie) ist Ginkgo nicht geeignet.

Folgende Nebenwirkungen können in seltenen Fällen auftreten, vor allem bei einem zu hohen Anteil an Ginkgolsäuren:

  • Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall
  • allergische Hautreaktionen wie Jucken und Rötungen
  • Kopfschmerzen
  • Herz-Rhythmus-Störungen

Zu hohe Dosen an Ginkgolsäuren können nicht nur Allergien und Magenschleimhautentzündungen auslösen, sie gelten auch als möglicherweise zellschädigend und erbgutverändernd. In Arzneimitteln mit Ginkgo ist der Gehalt an diesen Säuren deshalb auf 5 ppm (parts per million, entspricht 1 Mikrogramm pro Gramm) beziehungsweise 0,6 bis 1,2 Mikrogramm Ginkgolsäure täglich beschränkt. Für Nahrungsergänzungsmittel gibt es keine vergleichbare Vorgabe, das Herstellungsverfahren ist nicht standardisiert.

Ginkgo Biloba nach einem Schlaganfall

Patienten, die einen ischämischen Schlaganfall erlitten haben, sind einem erhöhten Risiko für kognitive Beeinträchtigungen ausgesetzt. In einer randomisierten, offenen Studie, die an sieben Krankenhäusern in China durchgeführt wurde, untersuchten Ärzte die Auswirkungen des Ginkgo biloba-Extrakts EGb 761® auf die kognitive Funktion bei Patienten nach einem akuten ischämischen Schlaganfall. Im Durchschnitt verbesserte sich in der EGb 761®-Gruppe die allgemeine Gehirnleistung signifikant stärker als in der Kontrollgruppe. Besonders positiv wirkte sich EGb 761® auf die Bereiche verbales Lernen und räumliche Aufmerksamkeit aus. Die Autoren sehen bei EGb 761® ein Potential zur Linderung kognitiver Symptome und zur Verbesserung der Lebensqualität bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall.

Worauf Sie bei der Einnahme von Ginkgo Biloba achten sollten

Ginkgo-Präparate sind rezeptfrei in der Apotheke erhältlich oder lassen sich im Internet kaufen. Bestimmte Produkte können jedoch auch auf Rezept verordnet werden. Zur Anwendung kommen Fertigpräparate aus Ginkgo-Extrakt. Darreichungsformen sind unter anderem Tabletten, Kapseln, Dragees, Säfte und Tropfen. Hinsichtlich Wirkstoffkonzentration und -zusammensetzung können die Mittel sich unterscheiden. Auf der sicheren Seite ist man daher mit zugelassenen Arzneimitteln aus der Apotheke. Von der Verwendung von Ginkgo-Tees wird abgeraten, da die wirksamen Substanzen nicht in ausreichender Menge enthalten sind und die bedenklichen Ginkgolsäuren enthalten sein können. Bezüglich der geeigneten Dosis empfiehlt es sich, ärztliche Rücksprache zu halten. Ginkgo entfaltet seine Wirkung erst mit der Zeit.

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Deshalb sollten Sie Ginkgo-Präparate nie ohne ärztliche Rücksprache einnehmen. In der Schwangerschaft und Stillzeit wird von der Anwendung abgeraten.

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