Polyneuropathie-Diagnose: Blutuntersuchung und neurologische Tests im Überblick

Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühle in den Füßen können Anzeichen für eine Neuropathie sein, eine Schädigung der peripheren Nerven. Besonders häufig sind Menschen mit Diabetes mellitus betroffen. Unbehandelt kann dies schwerwiegende Folgen wie einen diabetischen Fuß haben. Die Diagnose der Polyneuropathie umfasst verschiedene neurologische Tests und gegebenenfalls Blutuntersuchungen, um die Ursache der Nervenschädigung zu ermitteln.

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen oder Schädigungen des peripheren Nervensystems. Dieses System umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks, die für die Weiterleitung von Informationen zwischen dem Gehirn, dem Rückenmark und dem Rest des Körpers verantwortlich sind. Eine Schädigung dieser Nerven kann die Reizweiterleitung beeinträchtigen und zu Missempfindungen, Sensibilitätsstörungen, Schmerzen oder sogar Funktionsverlust führen.

Ursachen von Polyneuropathien

Die Ursachen von Polyneuropathien sind vielfältig. Zu den häufigsten gehören:

  • Diabetes mellitus: Etwa jeder dritte Diabetiker ist von einer Neuropathie betroffen. Hohe Blutzuckerwerte können die Nerven schädigen.
  • Vitamin-B1-Mangel: Ein Mangel an Vitamin B1 kann ebenfalls zu Nervenschäden führen. In Deutschland nehmen viele Menschen, insbesondere ältere, nicht ausreichend Vitamin B1 über die Nahrung auf.
  • Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann die Nerven schädigen und zu einer alkoholischen Polyneuropathie führen.
  • Entzündungen: Entzündliche Erkrankungen wie Borreliose oder Lepra können ebenfalls Neuropathien verursachen.
  • Autoimmunerkrankungen: Autoimmune Prozesse, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Nervenzellen angreift, können zu Polyneuropathien führen.
  • Toxische Substanzen: Der Kontakt mit bestimmten Giftstoffen, wie zum Beispiel Schwermetallen oder Lösungsmitteln, kann Nervenschäden verursachen.
  • Medikamente: Einige Medikamente, insbesondere Chemotherapeutika, können als Nebenwirkung eine Polyneuropathie auslösen.
  • Erbliche Faktoren: In manchen Fällen ist die Polyneuropathie erblich bedingt.
  • Weitere Erkrankungen: Leber-, Nieren- und Lungenerkrankungen, hämatologische und rheumatologische Erkrankungen, Tumorerkrankungen, bestimmte Medikamente, Langzeitbehandlung auf einer Intensivstation, Organtransplantationen

Formen von Polyneuropathie

Je nach Ausprägung und betroffenen Körperstellen werden verschiedene Formen von Polyneuropathie unterschieden:

  • Symmetrische Polyneuropathie: Betrifft beide Körperhälften und äußert sich meist in den Füßen und Beinen.
  • Asymmetrische Polyneuropathie: Betrifft nur eine Körperseite.
  • Distale Polyneuropathie: Betrifft hauptsächlich Körperregionen, die vom Rumpf entfernt liegen, wie Hände und Füße.
  • Proximale Polyneuropathie: Betrifft rumpfnahe Körperteile.

Diagnose von Polyneuropathie

Bei Verdacht auf Polyneuropathie ist eine frühzeitige Diagnose wichtig, um die Ursache zu behandeln und das Fortschreiten der Nervenschädigung zu verhindern. Die Diagnose umfasst in der Regel folgende Schritte:

Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?

Anamnese und neurologische Untersuchung

Zunächst wird der Arzt ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten führen, um die Krankengeschichte zu erheben (Anamnese). Dabei werden die Beschwerden genau erfragt, seit wann sie bestehen, welche Vorerkrankungen vorliegen und welche Medikamente eingenommen werden. Auch Fragen zu Drogen- und Alkoholkonsum sind wichtig.

Anschließend erfolgt eine gründliche neurologische Untersuchung, bei der der Arzt verschiedene Nervenfunktionen überprüft:

  • Berührungsempfinden: Mit einem Nylonfaden (Monofilament) wird geprüft, wie empfindlich der Patient auf Druck und Berührung am Fuß oder an der Hand reagiert.
  • Vibrationsempfinden: Mit einer Stimmgabel wird die Wahrnehmung von Vibrationen an den Fuß- oder Handknöcheln getestet.
  • Temperaturempfinden: Mit einem speziellen Instrument (Tip Therm®) wird die Empfindlichkeit auf Wärme und Kälte an den Füßen untersucht.
  • Muskelreflexe: Mit einem Reflexhammer werden die Muskelreflexe überprüft.
  • Durchblutung der Beine: Durch Inspektion der Haut und Tasten der Fußpulse wird die Durchblutung der Beine beurteilt.

Zusätzlich können weitere Tests durchgeführt werden, um die neurologische Funktion genauer zu beurteilen:

  • Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurografie, NLG): Hierbei wird die Geschwindigkeit gemessen, mit der elektrische Impulse durch die Nerven geleitet werden. Eine verringerte Nervenleitgeschwindigkeit deutet auf eine Nervenschädigung hin.
  • Elektromyografie (EMG): Diese Untersuchung misst die elektrische Aktivität der Muskeln. Veränderungen in der Muskelaktivität können auf geschädigte Nerven oder Muskeln hinweisen.
  • Quantitative sensorische Testung (QST): Hierbei wird die Reaktion der Nerven auf verschiedene Reize wie Druck, Temperatur und Vibration gemessen.
  • Elektrokardiogramm (EKG): Diese Untersuchung kann zeigen, ob das Herz von einer autonomen Neuropathie betroffen ist.
  • Ultraschall der Harnblase: Hiermit kann festgestellt werden, ob die Blase nach dem Wasserlassen vollständig entleert wird.

Blutuntersuchungen

Blutuntersuchungen spielen eine wichtige Rolle bei der Diagnose von Polyneuropathie, da sie helfen können, mögliche Ursachen der Nervenschädigung zu identifizieren. Polyneuropathie selbst ist nicht direkt im Blut nachweisbar, aber bestimmte Laborwerte können Hinweise auf zugrunde liegende Erkrankungen geben. Einige Beispiele für relevante Blutuntersuchungen sind:

  • Blutzuckerspiegel: Zur Diagnose oder Überwachung von Diabetes mellitus. Insbesondere der HbA1c-Wert gibt Auskunft über die Blutzuckereinstellung der letzten Monate.
  • Vitamin-B12-Spiegel: Zur Feststellung eines Vitamin-B12-Mangels.
  • Vitamin-B1-Spiegel: Zur Feststellung eines Vitamin-B1-Mangels.
  • Leber- und Nierenwerte: Zur Beurteilung der Leber- und Nierenfunktion.
  • Entzündungswerte (CRP, Leukozyten): Erhöhte Entzündungswerte können auf eine entzündliche Ursache der Polyneuropathie hindeuten.
  • Schilddrüsenwerte (TSH, fT3, fT4): Zur Überprüfung der Schilddrüsenfunktion.
  • Alkoholmarker (CDT): CDT (Carbodeficient Transferrin) kann bei chronischem Alkoholmissbrauch erhöht sein.
  • Borrelien-Serologie: Bei Verdacht auf Borreliose.
  • Autoantikörper (ANA, pANCA, cANCA, dsDNA, Autoantikörper gegen Gefäßendothel (AECA), SS-A (Ro), SS-B (La), snRNP, Kryoglobuline): Bei Verdacht auf Vaskulitis (Gefäßentzündung) oder andere Autoimmunerkrankungen.
  • PMP22-Gen: Bei positiver Familienanamnese für Neuropathien (Nervenerkrankungen) oder Verdacht auf hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I (HMSN I)
  • Weitere genetische Analysen: GJB1, MPZ, MFN2, ggf.

Nervenwasseruntersuchung (Liquoruntersuchung)

In einigen Fällen kann eine Nervenwasseruntersuchung (Lumbalpunktion) erforderlich sein, um Entzündungen oder andere Erkrankungen des Nervensystems auszuschließen. Dabei wird eine Probe des Nervenwassers entnommen und im Labor untersucht.

Lesen Sie auch: Sicher Autofahren mit Parkinson: Ein Leitfaden für Deutschland

Nerven- oder Hautbiopsie

In seltenen Fällen kann eine Nerven- oder Hautbiopsie durchgeführt werden, um die Ursache der Polyneuropathie genauer zu bestimmen. Dabei wird eine kleine Gewebeprobe entnommen und unter dem Mikroskop untersucht.

Bedeutung der Blutuntersuchung

Blutuntersuchungen sind ein wichtiger Bestandteil der Polyneuropathie-Diagnostik, da sie helfen können, behandelbare Ursachen der Nervenschädigung zu identifizieren. Durch die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Grunderkrankungen wie Diabetes, Vitaminmangel oder Entzündungen kann das Fortschreiten der Polyneuropathie verlangsamt oder sogar gestoppt werden.

Therapie der Polyneuropathie

Die Therapie der Polyneuropathie richtet sich nach der Ursache der Erkrankung. Ziel ist es, die Grunderkrankung zu behandeln und die Symptome zu lindern.

  • Behandlung der Grunderkrankung: Bei Diabetes mellitus ist eine gute Blutzuckereinstellung wichtig. Bei Vitaminmangel muss das fehlende Vitamin ersetzt werden. Bei Entzündungen werden entzündungshemmende Medikamente eingesetzt.
  • Schmerzlinderung: Gegen neuropathische Schmerzen können verschiedene Medikamente eingesetzt werden, wie zum Beispiel Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Opioide. Auch topische Behandlungen wie Capsaicin-Cremes oder -Pflaster können helfen.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft und Koordination zu verbessern.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und Hilfsmittel anzupassen.
  • Weitere Maßnahmen: Eine gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, der Verzicht auf Alkohol und Nikotin sowie eine gute Fußpflege sind wichtige Maßnahmen zur Unterstützung der Therapie.

Lesen Sie auch: Corona und das Gehirn: Was wir wissen

tags: #Polyneuropathie #Diagnose #Blutuntersuchung