Das Thema Organspende ist oft mit ethischen und persönlichen Überlegungen verbunden, die viele Menschen lieber vermeiden. Doch gerade die Hirnspende, ein spezieller Bereich der Organspende, ist von großer Bedeutung für die medizinische Forschung und kann zukünftigen Generationen helfen, neurologische Erkrankungen besser zu verstehen und zu behandeln.
Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine Organspende
Grundlegend für jede Organspende, einschließlich der Hirnspende, ist die Zustimmung der verstorbenen Person. Diese Zustimmung kann zu Lebzeiten auf verschiedene Weise dokumentiert werden:
- Organspendeausweis
- Eintrag im Organspende-Register
- Patientenverfügung
Liegt keine eindeutige Willenserklärung vor, werden die Angehörigen im Sinne des Verstorbenen befragt. Organe können nur von Verstorbenen gespendet werden, bei denen der Tod unter bestimmten Bedingungen eingetreten ist. Die Voraussetzung für eine Organspende ist der irreversible Ausfall der gesamten Hirnfunktionen, der sogenannte Hirntod. Dieser Zustand tritt als Folge schwerer Hirnschädigungen auf, beispielsweise durch Hirnblutungen oder Hirntumore.
Um die Organe für eine Transplantation zu erhalten, wird das Herz-Kreislauf-System des Verstorbenen mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen künstlich aufrechterhalten. So werden die Organe weiterhin durchblutet und können transplantiert werden.
Der Unterschied zwischen Organspende und Hirnspende
Viele Menschen gehen fälschlicherweise davon aus, dass eine allgemeine Organspende automatisch auch die Hirnspende einschließt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Während die Organspende dazu dient, anderen Menschen das Leben zu retten, indem Organe wie Nieren oder Herzen transplantiert werden, dient die Hirnspende ausschließlich der wissenschaftlichen Forschung.
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Motivationen für eine Hirnspende
Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen für eine Hirnspende entscheiden. Einige der häufigsten Motivationen sind:
- Beitrag zur Forschung: Die Hoffnung, dass die eigene Spende dazu beiträgt, neue Behandlungsmethoden und Präventionsmaßnahmen für neurologische Erkrankungen zu entwickeln.
- Gesellschaftlicher Einfluss: Der Wunsch, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und das Wohlbefinden zukünftiger Generationen zu verbessern.
- Gewissheit für Angehörige: In manchen Fällen kann die Hirnspende den Angehörigen Trost spenden und ihnen die Gewissheit geben, dass ihr geliebter Mensch an einer bestimmten Erkrankung gelitten hat.
- Trost und Sinnfindung: Hinterbliebene finden Trost in dem Wissen, dass die Spende einen weitreichenden, positiven Einfluss auf die öffentliche Gesundheit und Forschung haben kann.
Unabhängig von den individuellen Gründen ist die Hirnspende ein großzügiges Geschenk an die Wissenschaft und die zukünftige medizinische Versorgung.
Der Wert von Gehirnspenden für die Forschung
Unsere Gehirne sind komplexe Netzwerke, die für Denken, Fühlen und lebensnotwendige Funktionen wie die Atmung verantwortlich sind. Wenn das Gehirn nicht richtig funktioniert, können neurologische Störungen auftreten. Durch die Untersuchung von Gehirnen verstorbener Menschen können Forscher mehr über die Entstehung und Behandlung dieser Störungen erfahren.
Besonders wertvoll sind die Gehirne von Menschen, die zu Lebzeiten an Studien teilgenommen haben. Dadurch können Forscher Veränderungen im Gedächtnis, Denken, Sprache und Verhalten im Laufe der Zeit verfolgen und Informationen über umweltbedingte und biologische Faktoren sammeln. Je mehr Informationen über einen Gehirnspender vorliegen, desto besser können Forscher die Zusammenhänge zwischen kognitiven Testergebnissen, Biomarkern und den Veränderungen im Gehirngewebe verstehen.
Gespendete Gehirne ermöglichen es Forschern, die Ursachen von Krankheiten besser zu verstehen, den Krankheitsverlauf zu analysieren und neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Auch gesunde Gehirne sind für die Forschung von großer Bedeutung, da sie als Vergleichsmodelle dienen, um zu verstehen, was bei Krankheiten schief läuft. Sie liefern wichtige Erkenntnisse darüber, was als normale Alterung des Gehirns angesehen wird und welche Gehirnmechanismen vor Krankheiten schützen können.
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Wer kann spenden?
Grundsätzlich kann jeder Mensch über 18 Jahren entscheiden, sein Gehirn nach dem Tod zu spenden. Dies gilt sowohl für Menschen mit neurologischen Erkrankungen als auch für Menschen mit gesunden Gehirnen.
Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass Hirnbanken möglicherweise nicht jede Hirnspende annehmen können. Aufgrund der Ressourcen, die für die Entnahme, Beurteilung, Lagerung und Verteilung des Gewebes benötigt werden, müssen Forscher Prioritäten setzen und entscheiden, welche Gehirne für den Fortschritt der Wissenschaft am wertvollsten sind.
Der Ablauf einer Hirnspende
Wenn Sie eine Hirnspende in Erwägung ziehen, sollten Sie frühzeitig mit Ihrer Familie und Ihren Freunden darüber sprechen. Dies kann Stress und Missverständnisse im Falle einer Spende reduzieren.
Um sich über den genauen Ablauf einer Hirnspende zu informieren, wenden Sie sich am besten an Ihren Neurologen oder einen Spezialisten für Bewegungsstörungen in einem Krankenhaus. Der Arzt kann Ihnen den detaillierten Prozess erklären. In der Regel müssen Sie organisatorisch nicht viel tun, und die Entnahme erfolgt für die Hinterbliebenen unauffällig.
Die MS Brain Bank als Beispiel
Ein konkretes Beispiel für eine Einrichtung, die Hirnspenden entgegennimmt, ist die MS Brain Bank unter der Leitung von Dr. Erik Bahn. Diese Bank sammelt Gehirn- und Rückenmarkspenden von MS-Patienten, um die Erforschung der Krankheitsmechanismen voranzutreiben und neue Therapieansätze zu ermöglichen.
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Die MS Brain Bank entstand 2010 im Rahmen des krankheitsbezogenen Kompetenznetzwerkes Multiple Sklerose (KKNMS). Durch die Zusammenarbeit mehrerer universitärer Zentren können Patientendaten in großen MS-Kohortenstudien erfasst und betreut werden. Die MS Brain Bank verfügt über eine systematische Sammlung von zentralnervösem Gewebe verstorbener MS-Patienten. Das Institut für Neuropathologie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) bietet die notwendige Infrastruktur und Erfahrung in der Bearbeitung und Lagerung von ZNS-Gewebeproben.
Die Spender helfen dabei, die Erforschung der Krankheitsmechanismen weiter voranzutreiben und damit neue Therapieansätze zu ermöglichen. Um die pathophysiologischen Vorgänge der Multiplen Sklerose zu untersuchen, benötigt man neben den klinischen Daten und laborchemischen Parametern auch postmortales humanes Gewebe. So können Erkenntnisse aus z.B. tierexperimentellen Studien an humanen Gewebeproben validiert werden.
Bedeutung der Forschung auf zellulärer Ebene
Autopsien bieten die Möglichkeit, mit Gewebe zu arbeiten und dadurch auf zellulärer Ebene zu forschen. Man kann bestimmte histologische Strukturen oder Zellen markieren und pathologische oder regenerierende Prozesse unter dem Mikroskop beurteilen. Die feingeweblichen Veränderungen im Marklager oder in der Hirnrinde, die mit dem MRT nicht spezifisch erkannt werden können, lassen sich so sichtbar machen.
Gerade Läsionen in der Hirnrinde sind im MRT kaum zu beurteilen. Mit immunhistochemischen Färbungen lassen sich die physiologischerweise wenigen in der Rinde vorkommenden Myelinscheiden gut erkennen und letztendlich auch hier eine Entmarkung im Kortex nachweisen.
Auch die histologischen, immunhistologischen und molekulargenetischen Untersuchungen entwickeln sich weiter. Man kann auch Erreger, z.B. nachweisen.
Die Rolle klinischer Daten und Verlaufsbeobachtungen
Die klinischen Daten der verstorbenen Spender sind sehr wichtig für die Beurteilung der Befunde. Welche verschiedenen medikamentösen Therapien hatte der Verstorbene zu Lebzeiten? Gibt es weitere Erkrankungen? Der klinische Verlauf ist sehr wichtig. Sieht man andere Veränderungen bei bestimmten medikamentösen Therapien? Es entwickeln ja immer neue Behandlungskonzepte und Therapiestrategien. Sieht man pathologische Mechanismen, die zu dem Verlauf passen?
Die progrediente Krankheitsphase der MS, der sog. sekundär chronisch progredienter Krankheitsverlauf zeigt anders als bei der in den ersten Jahren der Erkrankung vorliegenden schubförmige Symptomatik eine langsame kontinuierliche Verschlechterung der Symptomatik.
Diese langsam progrediente Verschlechterung ist ein intrinsisch getriebene Entzündungsprozess, d.h. der Entzündungsprozess läuft überwiegend „von innen heraus“ ab. Die Entzündung läuft bei weitestgehend „geschlossener“ Blut-Hirn-Schranke innerhalb des ZNS ab. Es handelt sich eher um niedrigschwellige Entzündungsvorgänge, die schlechter medikamentös von außen zu beeinflussen sind und sprechen daher weniger auf medikamentöse Therapien an. Die Blut-Hirn-Schranke ist nicht so stark geschädigt, da eine geringere adaptive d.h. erworbene Entzündungsreaktion mit T- und B-Zellen vorliegt. Die an diesem Prozess beteiligten Entzündungszellen, die Mikroglia gehört zum angeborenen Immunsystem und befinden sich bereits hinter der Blut- Hirn-Schranke „im Inneren“ des ZNS. Die Läsionen können inaktiv aber auch chronisch aktiv sein. Bei chronisch aktiven Läsionen gibt es u.a. sogenannte „smoldering lesions“ und meint damit Läsionen mit schwelender Entzündung. Es kommt daher zu einer schleichenden Verschlechterung der Erkrankung.
Es zeigt sich eine weitere Progression der Krankheit: Es kommt zum weiteren Verlust von Hirngewebe (Atrophie), weiterer kortikaler Entmarkung (kognitiven Veränderungen, gerade die graue Substanz kortikal aber auch die tiefe graue Substanz sind im chronischen Stadium prozentual stärker betroffen), und zu weiteren Verlust von Axonen auch außerhalb der erkennbaren Läsionen, d.h. in der normal erscheinenden weißen Substanz.
Die Deutsche Hirnstiftung: Aufklärung und Unterstützung
Die Deutsche Hirnstiftung leistet wichtige Aufklärungsarbeit über neurologische Erkrankungen und unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen. Sie setzt sich für selbstbestimmte Therapien und mehr Vorsorge ein und trägt dazu bei, dass neurologische Erkrankungen nicht länger als unheilbar gelten.
Mit Spenden an die Hirnstiftung unterstützen Sie neue Forschungsansätze und regionale Selbsthilfegruppen und tragen dazu bei, dass neurologisch Erkrankte ein längeres und selbstbestimmtes Leben führen können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Deutsche Hirnstiftung zu unterstützen, beispielsweise durch Spenden anlässlich von Geburtstagen, Hochzeiten oder im Gedenken an Verstorbene. Auch Testamentsspenden sind von unschätzbarem Wert für die Zukunft der neurologischen Forschung.
Informationen und Kontaktstellen
Wenn Sie über eine Hirnspende nachdenken, können Sie sich an verschiedene Stellen wenden, um weitere Informationen zu erhalten:
- Ihr Neurologe oder Spezialist für Bewegungsstörungen
- Die MS Brain Bank in Göttingen
- Die Deutsche Hirnstiftung
- Alzheimer Forschung Initiative (bietet Informationen zum Thema Gewebespenden, nimmt aber selbst keine Gewebespenden entgegen).
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