Polyneuropathien sind Erkrankungen, bei denen gleichzeitig mehrere periphere Nerven geschädigt werden. Diese Nervenbahnen durchziehen den ganzen Körper und verbinden das Rückenmark mit Muskeln, Haut und inneren Organen. Sie steuern Muskeln als motorische Nerven, vermitteln Empfindungen wie Schmerz, Berührung und Temperatur als sensible Nerven und beeinflussen innere Organe wie Herz, Darm und Blase als autonome Nerven. Einige Formen sind angeboren, entstehen aber meist als Folge anderer Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Vitaminmangel, chronischer Alkoholmissbrauch, Vergiftungen oder Infektionskrankheiten. Oft bleibt die Ursache jedoch unklar.
Abhängig von der Art der Nervenschädigung treten unterschiedliche Beschwerden auf, darunter Taubheitsgefühl, Schmerzen, Temperaturmissempfindungen, Kraftlosigkeit, Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Kreislaufstörungen oder Blasenentleerungsstörungen. Aufgrund der Vielfalt an Ursachen und Beschwerden erfordern Polyneuropathien eine sorgfältige Diagnostik und individuell abgestimmte Therapie.
Ursachen und Formen der Polyneuropathie
Die Polyneuropathie ist keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Überbegriff für verschiedene Syndrome, die mit einer Schädigung von Nerven einhergehen. Die Einteilung erfolgt häufig nach der Ursache der Nervenschädigung.
Hereditäre Polyneuropathien
Hereditäre Erkrankungen sind vererbbar und meist angeboren. Bei hereditären Neuropathien kann entweder die Nervenschädigung selbst erblich bedingt sein oder eine Grunderkrankung, die eine Polyneuropathie verursacht. Beispiele hierfür sind Amyloidose oder Porphyrie, bei denen Nerven durch die Ablagerung von Stoffen geschädigt werden.
Metabolische Polyneuropathien
Diese entstehen durch Stoffwechselstörungen. Die diabetische Polyneuropathie macht etwa 15-30% aller Polyneuropathien in den Industrienationen aus. Auch eine mangelhafte Aufnahme von Vitaminen, insbesondere Vitamin B12, kann zu Nervenschäden führen. Hormonelle Störungen, Schwangerschaften und Schilddrüsenerkrankungen können ebenfalls metabolische Polyneuropathien verursachen.
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Entzündliche Polyneuropathien
Bei dieser Form werden Nerven durch Entzündungen geschädigt. Auslöser können Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren sein, aber auch Fehlregulationen des Immunsystems, die körpereigenes Gewebe angreifen. Zu den wichtigsten Ursachen gehören rheumatische Erkrankungen oder das Guillain-Barré-Syndrom, das typischerweise zu aufsteigenden, symmetrischen, schlaffen Muskellähmungen führt. Autoimmun entzündliche Polyneuropathie (CIDP) ist häufiger bei Diabetikern anzutreffen als bei „Nicht-Diabetikern“, insbesondere in der Altersgruppe über 50 Jahre.
Toxische Polyneuropathien
Verschiedene Giftstoffe können periphere Nerven schädigen und eine Polyneuropathie auslösen. Zu den wichtigsten Ursachen gehören Alkohol, bestimmte Medikamente wie Chemotherapeutika oder Schwermetalle wie Blei. Die Alkohol-Polyneuropathie gehört mit einem Anteil von etwa 15% zu den häufigsten Formen. Eine Vielzahl von Medikamenten und weiteren Substanzen kann eine „exotoxische“ Polyneuropathie verursachen. Dazu gehören u.a. verschiedene Chemotherapeutika, Antibiotika, Immun-Checkpoint-Inhibitoren.
Symptome der Polyneuropathie
Die Symptome hängen von den betroffenen Nerven ab. Häufig sind sensible Nerven betroffen, was zu Missempfindungen und Schmerzen führt. Patienten beschreiben dies oft als "Ameisenlaufen" oder Kribbeln. Neuropathische Schmerzen haben oft einen brennenden Charakter. Im Anfangsstadium einer diabetischen Polyneuropathie zeigt sich die sensible Nervenschädigung oft in einer Störung des Vibrations- und Temperaturempfindens. Andere Formen können mit dem "Burning Feet Syndrom" einhergehen, das Missempfindungen und brennende Schmerzen im Bereich der Fußsohlen verursacht.
Schädigungen motorischer Nerven können sich in Form von Muskellähmungen, Krämpfen oder einem schlaffen Muskeltonus äußern. Auch vegetative Funktionen können betroffen sein, was zu Störungen der Schweißproduktion, des Kreislaufs oder der Blasenfunktion führen kann. Durch Lähmungserscheinungen in Verbindung mit Störungen der Sensibilität klagen die Patienten häufig über Gang- und Gleichgewichtsprobleme. Häufige Stürze und eine eingeschränkte Mobilität sind die Folge. Sind Arme und Hände betroffen, resultieren Kraftlosigkeit und Ungeschicklichkeit. Die sensiblen Reizerscheinungen können zu Schlafstörungen und einer allgemeinen Einschränkung der Lebensqualität führen. Bei Mitbeteiligung des autonomen Nervensystems klagen die Betroffenen über Schwindelsymptome, Kreislaufprobleme, Verstopfung, Durchfälle oder Sexualstörungen.
Diagnostik der Polyneuropathie
Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie erfolgen verschiedene Untersuchungen. Zunächst findet eine ausführliche körperliche Untersuchung statt, bei der Sensibilität und Funktionalität der peripheren Nerven im Fokus stehen. Es werden patientenbezogene Daten erhoben, um mögliche Ursachen herauszufinden.
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Das Blut wird auf auslösende Faktoren wie Giftstoffe oder Diabetes untersucht. Anschließend kann die elektrische Leitfähigkeit der Nerven oder Muskeln über eine Elektroneurographie (ENG) oder Elektromyographie (EMG) überprüft werden. Bei der neurophysiologischen Untersuchung mit Elektroneurographie (ENG) werden mit Stromimpulsen periphere Nerven stimuliert und Antworten von Muskeln oder sensiblen Fasern abgeleitet. Damit lässt sich die Art der Nervenschädigung feststellen. Die Elektromyographie (EMG) untersucht Muskeln mit Nadeln und stellt so das Ausmaß der Schädigung fest.
In seltenen Fällen kann eine Nerven-Muskel-Biopsie oder Hautbiopsie erforderlich sein. Die Lumbalpunktion ist immer dann angemessen, wenn eine entzündliche Ursache vermutet wird.
Therapie der Polyneuropathie
Die Behandlung richtet sich nach der Ursache. Bei Diabetes mellitus steht die Korrektur und Stabilisierung des Blutzuckerspiegels im Vordergrund, bei übermäßigem Alkoholkonsum wird eine Alkohol-Abstinenz angestrebt. Leichte Formen bessern sich nach Behandlung der Grunderkrankung meist von selbst.
Um die Symptome zu mildern, gibt es verschiedene medikamentöse Ansätze, die individuell angepasst werden. Bei schweren Verläufen kann eine dauerhafte medikamentöse Therapie notwendig sein. Wichtig ist eine adäquate und konsequente Schmerztherapie, um der Entwicklung von chronischen Schmerzen entgegenzuwirken. Bei schweren Verläufen kann auch eine Blutwäsche durchgeführt werden.
Bei motorischen Beeinträchtigungen ist Bewegungstherapie wichtig, um die Muskelfunktion zu erhalten oder wiederherzustellen. Viele Patienten erhalten regelmäßige physiotherapeutische Anwendungen. Gangtraining im Rahmen einer intensivierten Physiotherapie und durch Eigenübungen ist ebenfalls sinnvoll, um Stürzen und der en Folgen vorzubeugen. Zur Verbesserung der Alltagsaktivitäten wird in Abhängigkeit vom Schweregrad die Versorgung mit Hilfsmitteln empfohlen.
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Medikamentöse Therapie
Allerdings sind die üblichen Schmerzmittel bei der Behandlung von Missempfindungen und Schmerzen meist wenig wirksam. Es hat sich aber herausgestellt, dass einige Medikamente, die ursprünglich gegen Depression bzw. gegen epileptische Anfälle entwickelt wurden, sehr wirksam sind. Bei autoimmunvermittelten, entzündlichen Polyneuropathien gibt es verschiedene gegen die Entzündung wirkende Medikamente (Immunglobuline, Kortikoide, Immunsuppressiva). Hier werden neben üblicher Schmerzmittel meist Medikamente gegen neuropathische Schmerzen verwandt, die in andere Dosierungen eingesetzt werden, um Epilepsien oder Depressionen zu behandeln.
Physikalische Therapie
Auch die physikalische Therapie hilft bei der Schmerzbekämpfung. Dabei kommen verschiedene Verfahren zum Einsatz. In der physikalischen Therapie können wir vor allem sensible und motorische Symptome lindern. Dazu nutzen wir Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen In der Krankengymnastik, der Sporttherapie und der medizinischen Trainingstherapie (spezielles Krafttraining) lernen Sie spezielle Übungen und stärken Ihre geschwächte Muskulatur.
Prävention und Vorbeugung
Um der Entstehung einer Polyneuropathie entgegenzuwirken, sollten die auslösenden Grunderkrankungen vermieden oder so gut wie möglich behandelt werden. Patienten mit Diabetes können in ein Disease-Management-Programm (DMP) eingebunden werden, das regelmäßige Kontrolluntersuchungen beinhaltet, um eine Polyneuropathie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Für alle Polyneuropathien gilt: regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen, Tragen von bequemem Schuhwerk, Meidung von Druck, Nutzung professioneller Fußpflege, Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (150 min Ausdauersport/Woche z. B.
Eine ausgewogene Ernährung ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Sie unterstützt die Nervengesundheit. Besonders wichtig sind B-Vitamine, wie B1, B6 und B12, die Sie durch den täglichen Verzehr von Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen, Milchprodukten oder Fleisch aufnehmen können. Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die Durchblutung und kann das Risiko einer Polyneuropathie verringern.
Wann ist ein Krankenhausaufenthalt notwendig?
Ein Krankenhausaufenthalt bei Polyneuropathie ist dann erforderlich, wenn:
- Akute Verschlechterung: Plötzliche Zunahme der Symptome, wie rasche Lähmungserscheinungen oder starke Schmerzen, die ambulant nicht beherrschbar sind.
- Diagnostische Abklärung: Wenn die Ursache der Polyneuropathie unklar ist und eine umfassende Diagnostik erforderlich ist, die nicht ambulant durchgeführt werden kann (z.B. Nervenbiopsie, Liquoruntersuchung).
- Komplexe Therapie: Wenn eine intensive Therapie notwendig ist, die eine stationäre Überwachung erfordert (z.B. intravenöse Immunglobuline, Plasmapherese).
- Schwere Verläufe: Bei schweren Verläufen mit erheblichen motorischen Ausfällen, die eine intensive Rehabilitation erfordern.
- Komplikationen: Wenn Komplikationen auftreten, wie z.B. neuropathische Ulzera (Geschwüre) oder schwere autonome Störungen (z.B. Herzrhythmusstörungen, Kreislaufinstabilität).
- Guillain-Barré-Syndrom: Bei Verdacht auf ein Guillain-Barré-Syndrom ist eine sofortige Krankenhauseinweisung erforderlich, da die Erkrankung rasch fortschreiten und lebensbedrohliche Komplikationen verursachen kann.
- Autoimmun entzündliche Polyneuropathien: Bei autoimmun entzündlichen Polyneuropathien, steht die Behandlung des Immunsystems im Vordergrund, u.a. mit intravenösem Kortison oder intravenösem Immunglobulin (IVIG). Für die Infusion der Immunglobuline steht die Infusionsambulanz der Klinik für Neurologie zur Verfügung sowie für Beratung die Spezialsprechstunde.
Reha bei Polyneuropathie
Der multimodale Behandlungsansatz von Polyneuropathien in den neurologischen Rehabilitationskliniken zielt einerseits, soweit möglich, auf die optimale Behandlung der zugrunde liegenden Ursache der Erkrankung ab. So erfolgen z. B. bei Diabetes-Patienten eine intensive Schulung zu Ursachen, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung, eine individuelle Ernährungsberatung und bei Bedarf weitere Maßnahmen zur Modifikation von Lebensumständen, die die Erkrankung ungünstig beeinflussen können. Andererseits erfolgen eine engmaschige Kontrolle und gegebenenfalls die Optimierung der medikamentösen und nichtmedikamentösen Behandlung des Diabetes. Ähnliches gilt für den chronischen Alkoholmissbrauch, die Erkrankungen von Niere, Leber oder Schilddrüse sowie Vitaminmangelzustände.
Spezifische Symptome der Polyneuropathie wie Lähmungserscheinungen sowie Gang- und Gleichgewichtsstörungen werden entsprechend individuell behandelt. Hier greifen Anwendungen aus Physiotherapie und Ergotherapie sinnvoll ineinander. Sensible Symptome erfordern Therapien aus den Bereichen Ergotherapie und physikalische Therapie, gegebenenfalls flankiert durch eine spezielle medikamentöse Schmerzbehandlung zur Linderung von quälenden sensiblen Reizerscheinungen. Bestehen aufgrund einer Mitbeteiligung von Hirnnerven Sprech- und/oder Schluckstörungen werden diese logopädisch therapiert. Depressionen in der Folge der Erkrankung werden bei Bedarf sowohl durch eine psychologische Betreuung als auch medikamentös mitbehandelt.
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