Geistig fit bleiben, das wünschen wir uns alle, und zwar bis ins hohe Alter. Ähnlich wie beim körperlichen Training, bei dem wir Muskeln durch Übungen stärken, stellt sich die Frage: Kann man sein Gehirn trainieren, um die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern und geistig fit zu bleiben? Dieser Artikel untersucht die Möglichkeiten und Grenzen des Gehirntrainings, gibt praktische Tipps und beleuchtet wissenschaftliche Erkenntnisse.
Die Plastizität des Gehirns: Eine Grundlage für das Training
Unser Gehirn ist keine starre Struktur, sondern ein dynamisches Organ, das sich ständig anpasst und verändert. Diese Fähigkeit zur Anpassung wird als Neuroplastizität bezeichnet. Sie ermöglicht es dem Gehirn, neue Verbindungen zwischen Nervenzellen zu knüpfen, Netzwerke umzubauen, die Anzahl der Schnittstellen zwischen Nervenzellen anzupassen oder sogar neue Hirnzellen zu bilden.
„Letztlich formt alles, was wir tun, erleben und lernen unser Gehirn“, sagt der Hirnforscher Prof. Dr. Gerd Kempermann. Erfahrungen, Beziehungen, Lernen, Umweltfaktoren, Hobbys, Gewohnheiten, Schmerzen oder Verletzungen - alles wirkt sich auf unser Gehirn aus, weil es sich anpasst. Kein Wunder, dass unser Denkorgan komplett individuell unterschiedlich ist.
Wie funktioniert Gehirntraining?
Gehirntraining zielt darauf ab, die Neuroplastizität zu nutzen, um die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern. Dies geschieht durch gezielte Übungen und Aktivitäten, die das Gehirn herausfordern und neue Verbindungen zwischen Nervenzellen fördern.
Professor Emrah Düzel, Direktor am Institut für kognitive Neurologie und Demenzforschung, merkt an: „Wir verstehen nicht wirklich, was im Gehirn passiert, wenn wir eine bestimmte Gehirnleistung trainieren.“ Was aber in aller Regel funktioniert: eine bestimmte Fertigkeit zu trainieren, zum Beispiel, sich Telefonnummern zu merken. Wie sich das aber auf andere Prozesse oder Teile des Gehirns auswirkt, ist noch weitgehend unklar.
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Der Psychologe Peter Sturm ergänzt: „Alles, was neu ist, weckt das Gehirn auf.“ Versuchen Sie zum Beispiel einmal, einen Text zu lesen, wenn Sie ihn falsch herum halten. Oder eine Handvoll Zeilen darauf durchgehen, wie oft der Buchstabe „n“ auf ein „e“ folgt. „Das Gehirn mag keine Routine“, sagt Peter Sturm.
Möglichkeiten des Gehirntrainings
Es gibt vielfältige Möglichkeiten, das Gehirn zu trainieren, von denen viele leicht in den Alltag integriert werden können:
- Lesen: Die Dauerberieselung vor der Mattscheibe macht auch das Gehirn matt. Serien, Filme oder Shows fliegen an uns häufig nur vorbei. Besser ist es, für eigene Bilder im Kopf zu sorgen. Das gelingt zum Beispiel durch ein spannendes Buch. Wer sich in eine Geschichte hineinversetzt, beflügelt die eigene Fantasie und bringt die Denkmaschine so in Schwung. Denn Lesen ist eine komplizierte Tätigkeit, die das Gehirn stark beansprucht und die zu erlernen nicht umsonst einige Zeit in Anspruch nimmt.
- Kreativität: Nicht nur intensives Lernen stärkt die Gehirnleistung. Gerade die rechte Gehirnhälfte lässt sich sogar hauptsächlich durch kreative Prozesse aktivieren. So sind beim Basteln ähnliche Teile des Gehirns aktiv wie beim Sprechen. Wer ein Instrument spielt oder neu erlernt, bei dem bilden sich zudem neue Nervenverbindungen im Gehirn - dieser Effekt greift bis ins hohe Alter.
- Neues lernen: Wer rastet, der rostet. Um die grauen Zellen zu fordern, gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Einen Computerkurs an der Volkshochschule besuchen, eine Zeitung in einer vernachlässigten Fremdsprache lesen oder regelmäßig rätseln und knobeln.
- Entspannung: Stress ist Gift für den Kopf, denn die Stresshormone Adrenalin und vor allem Cortisol wirken sich negativ auf das Gedächtnis aus. Dies liegt daran, dass die Nervenzellen im Hippocampus (einem bestimmten Teil des Gehirns) auf Cortisol ansprechen. Der Hippocampus spielt unter anderem eine Rolle für die Gedächtnisfunktion. Ein chronisch hoher Cortisolspiegel kann dazu führen, dass im Hippocampus keine neuen Nervenzellen mehr gebildet werden, er verkleinert sich also. Wenn sich Stress nicht vermeiden lässt, sollte man also wenigstens versuchen, aktiv gegenzusteuern. Bei manchen wirkt bereits eine halbe Stunde Musik hören, andere gehen spazieren oder bevorzugen eine Entspannungsmethode wie Yoga oder Autogenes Training.
- Neugierde zulassen: Kleine Kinder stillen ihren Wissensdurst durch ständiges Nachfragen und Ausprobieren. Zu keiner Zeit lernt der Mensch so intensiv wie in den ersten Lebensjahren. Ein wenig gesunde Neugierde, vielfältige Interessen oder Forschungseifer halten auch bei Erwachsenen das Gehirn auf Trab - denn neue Eindrücke müssen verarbeitet werden.
- Soziale Kontakte: Soziale Kontakte halten geistig fit. Dabei muss es sich nicht einmal unbedingt um hochintellektuelle Themen handeln. Auch der Austausch von Neuigkeiten beim Kaffeeklatsch beschäftigt die grauen Zellen. Also: Verabreden Sie sich! Letztlich ist ein interessantes Gespräch das beste Gehirntraining. „Man hört hin und reagiert auf das Gesagte. Das erfordert Kreativität, Flexibilität, Merkfähigkeit“, sagt Peter Sturm. „Und das kann man auch mit Leuten machen, die stark eingeschränkt sind.“
- Eselsbrücken bilden: Jeder Mensch hat seine eigenen Hilfsmittel, um sich Dinge besser merken zu können. Können Sie sich noch an Eselsbrücken wie "he, she, it - ein ‚s‘ muss mit!" aus dem Englischunterricht erinnern? Dann helfen Ihnen vielleicht auch selbst gebastelte Reime im Alltag weiter.
- Routine durchbrechen: Einen neuen Weg zur Arbeit fahren, die Uhr am anderen Handgelenk tragen oder probeweise mit der falschen Hand schreiben - das scheint zunächst alles andere als sinnvoll.
- Gesunder Lebensstil: Ein gesunder Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung an der frischen Luft, einer ausgewogenen Ernährung und genügend Flüssigkeit stählen nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Zu den wichtigen Nährstoffen zählen neben bestimmten Eiweißbausteinen auch Fette und fettähnliche Substanzen wie Lecithin sowie Vitamine.
- Humor: Lachen ist befreiend, macht Spaß und verbindet die Menschen. Aber wussten Sie auch, dass es das Gehirn richtig fordern kann? Schon bevor sich der Körper vor Lachen biegt, hat das Gehirn die Pointe längst erfasst. Und dies ist gar nicht so einfach. Ein gehörter Witz landet beispielsweise zunächst im Sprachzentrum, wo er analysiert wird. Beim Transport von der linken in die rechte Hirnhälfte erfolgt der Abgleich, ob sich Emotion und Inhalt entsprechen. Ist dies nicht der Fall, findet das Gehirn dies witzig, das motorische Zentrum wird aktiviert und stimuliert das Gelächter.
- Bewegung: Körperliche Aktivität begünstigt ein gesundes Gehirn. Regelmäßige Bewegung und Sport kann die Hirngesundheit fördern - und den Alterungsprozess verlangsamen: Menschen, die regelmäßig Sport treiben, haben ein geringeres Risiko für kognitive Einbußen als ihre unsportlichen Altersgenossen. Dabei müssen es gar nicht Marathontraining oder andere Belastungen auf hohem Niveau sein. Selbst einfache Bewegung, zum Beispiel Spaziergänge, Treppensteigen statt Fahrstuhlfahren, Fahrradfahren oder Gartenarbeit können sich positiv auf das Gehirn auswirken. Da das Gehirn von vielfältiger und abwechslungsreicher Bewegung vermutlich am meisten profitiert, ist ein aktiver Lebensstil in Kombination mit Sporteinheiten empfehlenswert. Bereits drei Sporteinheiten von weniger als einer Stunde pro Woche können das Gehirn beflügeln. Forscher haben herausgefunden, dass Bewegung sich vor allem positiv im Hippocampus auswirkt. Hier kann der Körper noch im hohen Alter neue Nervenzellen bilden.
Gehirnjogging-Apps: Eine digitale Unterstützung?
Zahlreiche digitale Angebote in Form von Apps sollen das Gedächtnis trainieren. Diese Brain Fitness Tools versprechen Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration nachhaltig zu verbessern. Beispiele hierfür sind NeuroNation und Lumosity.
- NeuroNation: Diese App bietet intensives Gehirntraining und wurde vom Bundesministerium für Gesundheit ausgezeichnet. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern wurden 60 kognitive Übungen erarbeitet, die in der COGITO-Studie vom Max Planck Institut in Berlin evaluiert wurden. Die Studie hat gezeigt, dass durch intensives Gehirnjogging die generellen kognitiven Fähigkeiten und insbesondere die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis der Teilnehmer nachhaltig verbessert wurden und nicht nur die Fähigkeiten, die über die jeweilige Trainingsaufgabe geübt wurden. Was die App so besonders macht? Die Personalisierung auf den Nutzer, die dafür sorgt, dass die Übungen weder über- noch unterfordern. Das Gehirntraining NeuroNation ist sehr anspruchsvoll und hält abwechslungsreiche Übungen bereit. Gamification-Elemente bringen den nötigen Motivationsschub. Die App gibt direktes Feedback, woraus sich die persönliche Leistung ablesen lässt. Zudem sind Freunde und Familie über ein soziales Netzwerk integriert. So können sich die Nutzer unmittelbar vergleichen und herausfordern. Die App kommt sogar in medizinischen Projekten zum Einsatz, etwa als Gedächtnistraining für Senioren oder zur Rehabilitation von Schlaganfallpatienten.
- Lumosity: Mit etwa 70 Millionen Nutzern in 182 Ländern hat sich die App weltweit als Marktführer durchgesetzt. Zunächst bestimmt der User seinen Ausgangspunkt in drei Testdurchgängen und gibt an, was trainiert werden soll. Das könnte zum Beispiel sein: „effizient zwischen Aufgaben wechseln“ oder „mehrere Informationen im Kopf behalten“. Danach beginnt das Training, das aus täglichen Workouts besteht, die fünf kognitive Kernkompetenzen herausfordern. Auch Lumosity ist personalisiert und passt sich somit an die individuellen Fähigkeiten an. Der Trainingsverlauf ist einsehbar. Lumosity nimmt sich als Grundlage von Forschern entwickelte Tests zur Messung der kognitiven Fähigkeiten. Diese wurden überarbeitet und in Form von 25 Spielen für den User zum Gehirnjogging aufbereitet. Sie nennen sich beispielsweise Speed Match, Lost in Migration oder Pinball Recall. Der Nutzer muss dabei etwa bestimmen, in welche Richtung ein Vogel auf dem Bildschirm fliegt, Formen einander zuordnen oder schätzen, welche Richtung ein fliegender Ball nehmen wird. Die App wird laufend aktualisiert und dem Bedarf entsprechend optimiert.
Kritiker sagen, dass sich mit Gehirnjogging zwar die Gedächtnisleistung bzw. Aufmerksamkeit des Einzelnen verbessern ließe, aber das generelle Denkvermögen dagegen unverändert bliebe. Intelligenter würden Nutzer von Brain Training also nicht. Zusätzlich seien Aktivitäten, die sich im Alltag umsetzen ließen, wertvoller. Ein Tanzkurs zu besuchen oder eine neue Sprache zu lernen sei zum Beispiel ein besseres Gedächtnistraining, vor allem auch für Senioren.
Die Bedeutung eines aktiven Lebensstils
Neben gezieltem Gehirntraining spielt ein aktiver Lebensstil eine entscheidende Rolle für die geistige Fitness. Dazu gehören:
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- Körperliche Aktivität: Regelmäßige Bewegung und Sport können die Hirngesundheit fördern und den Alterungsprozess verlangsamen. Bereits drei Sporteinheiten von weniger als einer Stunde pro Woche können das Gehirn positiv beeinflussen. Am meisten profitiert das Gehirn von einer Kombination aus regelmäßigen Sporteinheiten und einem aktiven Lebensstil.
- Soziale Kontakte: In einer neuen Studie haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften herausgefunden, dass bei Menschen mit wenig sozialen Kontakten die Hirnsubstanz stärker abnimmt als bei Personen, die sozial weniger isoliert sind. Zudem wird die geistige Leistungsfähigkeit schwächer. Einsame Menschen verlieren schneller Kompetenzen für Kommunikation wie Zuhören, auf Argumente reagieren, eigene Sätze und Standpunkte zu formulieren etc. - kurz: Soziale Isolation lässt das Gehirn aller Wahrscheinlichkeit nach schneller altern.
- Gutes Hören: Eine internationale Studie konnte bereits vor einiger Zeit beweisen, dass Hörgeräte zur Vorbeugung von Demenz eingesetzt werden können. Denn je nach Grad der Schwerhörigkeit steigt die Wahrscheinlichkeit an Demenz zu erkranken um bis zu 50 Prozent, wenn Menschen nichts gegen ihren Hörverlust tun.
- Gesunder Schlaf: Im Schlaf werden die Energiereserven des Gehirns aufgeladen.
- Gehirngesundes Essen: 120 bis 140 Gramm Glukose pro Tag benötigt unser Gehirn, um ausreichend versorgt zu sein und fit zu bleiben. Alles, was die Gefäße elastisch hält und die Durchblutung fördert, erhält zugleich die körperliche sowie die mentale Leistungsfähigkeit. Eine abwechslungsreiche Ernährung mit viel Obst und Gemüse, hochwertigen pflanzlichen Ölen, Vollkorngetreide, Nüssen, Samen sowie hin und wieder Fisch oder Fleisch ist das beste „Brainfood“: Die Lebensmittel kurbeln das Gehirn an, sorgen für mehr Konzentration und unterstützen die Merkfähigkeit. Außerdem sind drei Mahlzeiten täglich zu empfehlen. Denn damit das Gehirn gut funktionieren kann, sollten Sie den Blutzuckerspiegel weitgehend auf einem konstanten Niveau halten. Fällt der Blutzuckerspiegel zu stark, sinkt auch die Konzentrationsfähigkeit. Essentiell ist ausreichendes Trinken: Mindestens zwei Wasser benötigt das Gehirn, um fit zu bleiben.
- Nahrungsergänzungsmittel: Einige Nahrungsergänzungsmittel können die Gehirnfunktion unterstützen. Gingko verbessert die Sauerstoffversorgung im Gehirn und steigert dadurch die Konzentrationsfähigkeit. Alpha-Liponsäure ist das einzige Antioxidans, das sowohl im wässrigen wie auch im fettlöslichen Bereich unsere Zellen schützen kann. Sie wirkt der sogenannten Eiweißverzuckerung entgegen. Magnesium wird für alle Muskel- und Nervenfunktionen gebraucht, es beugt Erschöpfung vor und wirkt stressmindernd. Vitamin-B-Komplex: Vitamin B1 steigert die Gedächtnisleistung, Vitamin B2 sorgt für die Energiegewinnung und schützt unsre Zellen, Vitamin B6 und B12 sind notwendig für die Entgiftung im Stoffwechsel, die Ausreifung neuer Zellen und den Aufbau der schützenden Myelinumantelung in den Nerven. Da alle B-Vitamine „Hand in Hand“ arbeiten, ist es sinnvoll einen Vitamin B Komplex einzunehmen.
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