Kann ein Neurologe Physiotherapie verordnen? Ein umfassender Leitfaden

Die Physiotherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Rehabilitation und Behandlung verschiedener Erkrankungen. Aber wer kann Physiotherapie verordnen und wie oft kann man sie in Anspruch nehmen? Dieser Artikel gibt einen detaillierten Überblick über die Verordnung von Physiotherapie in Deutschland, insbesondere im Hinblick auf die Rolle von Neurologen.

Wer kann Physiotherapie verordnen?

Grundsätzlich kann fast jeder Arzt eine ärztliche Verordnung für Physiotherapie ausstellen. Der Hausarzt ist oft die erste Anlaufstelle, aber auch Fachärzte wie Orthopäden oder eben Neurologen können Physiotherapie verschreiben. Selbst Zahnärzte dürfen in bestimmten Fällen Physiotherapie verordnen, beispielsweise bei Kiefergelenksbehandlungen (CMD). Je nach Diagnose und Beschwerden kann es sinnvoll sein, die Verordnung von einem Facharzt ausstellen zu lassen. Auch im Rahmen des Entlassmanagements nach einem Krankenhausaufenthalt kann eine Verordnung für Physiotherapie ausgestellt werden.

Die Rolle des Neurologen

Ein Neurologe ist ein Spezialist für Erkrankungen des Nervensystems. Bei neurologischen Problemen oder Erkrankungen des zentralen Nervensystems kann der Neurologe die Notwendigkeit einer physiotherapeutischen Behandlung erkennen und eine Verordnung für neurologische Krankengymnastik ausstellen. Diese spezielle Form der Physiotherapie, auch KG-ZNS oder KG-N genannt, zielt darauf ab, die neurofunktionellen Systeme des Patienten zu untersuchen und Einschränkungen im Alltag zu erfassen. Hauptziel ist es, Sicherheit und Leistungsfähigkeit im Alltag wiederherzustellen, Schmerzen zu lindern und verlorene oder gestörte Bewegungsmuster neu zu erlernen.

Was steht auf einem Physiotherapie-Rezept?

Wenn Sie ein Rezept für Krankengymnastik oder andere physiotherapeutische Maßnahmen erhalten, finden Sie dort wichtige Angaben:

  • Ausstellungsdatum: Ab diesem Tag haben Sie 28 Tage Zeit, mit der Therapie zu beginnen. Bei Verordnungen der Berufsgenossenschaft (BG) sind es nur 14 Tage.
  • Anzahl der Behandlungseinheiten: In den meisten Fällen bekommen Patienten ein Rezept für 6 Behandlungseinheiten Physiotherapie. Diese Anzahl kann jedoch je nach Diagnose und individuellem Behandlungsbedarf variieren.
  • Art der Therapie: Das Rezept gibt an, welche Art von Therapie verordnet wurde (z. B. Krankengymnastik, Manuelle Therapie) und welche ergänzenden Heilmittel (z. B. Wärme, Elektrotherapie) zum Einsatz kommen sollen.

Die Menge der verordneten Heilmittel muss in der Theorie innerhalb von 6 Wochen durchführbar sein. Eine Unterbrechung von mehr als 14 Tagen führt automatisch zum Abbruch der Behandlung.

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Wie oft kann man Physiotherapie im Jahr in Anspruch nehmen?

Die Frage, wie oft Physiotherapie im Jahr oder wie oft ein Rezept für Physiotherapie ausgestellt werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Diagnose: Bestimmte Diagnosegruppen und ICD-10-Codes (internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) können die Häufigkeit der Verordnungen beeinflussen.
  • Individueller Bedarf: Der individuelle Behandlungsbedarf des Patienten spielt eine wichtige Rolle.
  • Heilmittelrichtlinie: Die Heilmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gibt orientierende Behandlungsmengen und Frequenzen vor, die berücksichtigt werden müssen.

Seit November 2024 gibt es eine besondere Regelung für Schulterdiagnosen: die sogenannte Blankoverordnung. Dabei gibt der Arzt keine spezifischen Heilmittel und Mengenangaben vor.

Bei Verordnungen durch die Berufsgenossenschaft (BG) gibt es keine festen Diagnosegruppen oder ICD-10-Codes. Der Heilmittelkatalog ist hier nicht maßgebend.

Langfristiger Heilmittelbedarf (LHM) und besonderer Verordnungsbedarf (BVB)

Wenn Sie Physiotherapie benötigen, stoßen Sie vielleicht auf die Begriffe langfristiger Heilmittelbedarf (LHM) und besonderer Verordnungsbedarf (BVB). Ein langfristiger Heilmittelbedarf kommt infrage, wenn Sie an einer schweren, dauerhaften Erkrankung leiden und ein Bedarf für Physiotherapie über mindestens 12 Monate festgestellt wird. Beispiele sind chronische Krankheiten wie Multiple Sklerose, Muskeldystrophie oder schwere Schädigungen nach Unfällen.

Seit 2021 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Regelungen vereinfacht: Liegt Ihre Diagnose auf der offiziellen Diagnoseliste (Anlage 2 der Heilmittel-Richtlinie), ist der LHM automatisch anerkannt. Ist Ihre Erkrankung nicht auf der Liste, kann Ihr Arzt den Bedarf begründen und Sie stellen einen Antrag bei der Krankenkasse.

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Der besondere Verordnungsbedarf greift, wenn die übliche orientierende Behandlungsmenge der Physiotherapie nicht ausreicht, um Ihr Therapieziel zu erreichen, etwa bei komplexen oder seltenen Erkrankungen. Steht Ihre Diagnose darauf und erfüllen Sie Zusatzbedingungen (z. B. ein bestimmter Schweregrad der Erkrankung), kann Ihr Arzt Physiotherapie ohne vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse verordnen. Andernfalls kann Ihr Arzt den Bedarf ärztlich begründen, und Sie beantragen die Genehmigung bei Ihrer Krankenkasse.

LHM und BVB machen Physiotherapie für Patienten mit schweren oder komplexen Erkrankungen zugänglicher. Informieren Sie sich bei Ihrem Arzt oder Ihrer Krankenkasse, ob Sie Anspruch haben, und nutzen Sie die vereinfachten Regelungen.

Therapieformen und Behandlungsmethoden

Die Vielfalt an Therapieformen, die ein Arzt im Rahmen einer Heilmittelverordnung verschreiben kann, ist groß. Die Wahl des geeigneten Heilmittels hängt von der Kombination aus Diagnosegruppe und ICD-10-Code sowie der individuellen Einschätzung des Arztes ab.

Zu den gängigen Therapieformen gehören:

  • Krankengymnastik: Klassische Bewegungstherapie, gerätegestützte Gymnastik oder Chirogymnastik (vor allem bei Problemen an der Wirbelsäule).
  • Manuelle Therapie: Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparates.
  • Klassische Massagetherapie: Behandlung von Schmerzen und Verspannungen.
  • Manuelle Lymphdrainage: Behandlung von Lymphödemen oder Schwellungen.
  • Physikalische Therapie: Ergänzende Heilmittel wie Wärme, Kälte, Elektrotherapie oder Ultraschall.

Ergänzend zu diesen primären Heilmitteln können auch ergänzende Heilmittel verordnet werden, z. B. Wärme oder Kältetherapie.

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Für Kinder werden spezielle Therapieformen angeboten, die auf den noch im Wachstum befindlichen Körper abgestimmt sind. Darüber hinaus werden auch Atemtherapien, Kohlensäurebäder und Inhalationstherapien als dauerhafte Behandlungen angeboten. Behandlungen, die die Atemwege unterstützen und vor Infektionen schützen sollen, können beispielsweise Patienten mit Long-Covid-Syndrom angeboten werden.

Neben der neurologischen Krankengymnastik gibt es verschiedene weitere Therapieansätze und Behandlungsmethoden für Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie beispielsweise die Bobath-Therapie, die propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF), die funktionelle Elektro-Stimulation (FES) und die Spiegeltherapie. Physiotherapie auf neurophysiologischer Grundlage bezieht sich auf Behandlungsansätze, die auf den Prinzipien der Neurophysiologie und Neuroplastizität beruhen. Im Vordergrund stehen die Stimulation des Nervensystems und die Förderung neuromotorischer Prozesse durch gezielte Übungen und Bewegungstherapie. Ziel ist es, gestörte Bewegungsmuster zu korrigieren, den Muskeltonus zu regulieren und motorische Funktionen wiederherzustellen oder zu verbessern.

Zuzahlungspflicht

Wenn Sie als gesetzlich Versicherter eine ärztliche Verordnung für Physiotherapie erhalten haben, besteht grundsätzlich eine Zuzahlungspflicht. Sie übernehmen 10 Prozent der Behandlungskosten plus 10 Euro je Rezept, zahlbar in der Praxis. Die Behandlungskosten sind vertraglich geregelt und variieren je nach Behandlungsart.

Sie können bei Ihrer Krankenkasse eine Zuzahlungsbefreiung beantragen, wenn die Zuzahlungskosten für Ihre Heilmittel (und andere Leistungen) im laufenden Jahr 2% Ihres Bruttoeinkommens überschreiten.

Privatpatienten haben in der Regel keine Zuzahlung direkt in der Praxis zu entrichten.

Dauerhafte Verordnung von Heilmitteln

Eine dauerhafte Behandlung kommt dann in Frage, wenn eine ebenfalls dauerhafte funktionelle oder strukturelle Schädigung vorliegt. Im Sozialgesetzbuch werden einige Fälle definiert, bei der eine solche Schädigung anzunehmen ist. Eine komplette Liste der Diagnosen stellt der Kassenärztliche Bundesverband bereit. Natürlich gibt es zu jeder Regel Ausnahmen, und so können auch Patienten, die ihre Krankheit nicht auf dieser Liste finden, für eine Langzeitverordnung in Frage kommen. Voraussetzung ist, dass die Diagnose in etwa einer der gelisteten Erkrankungen entspricht.

Ärzte können bloß Therapien dauerhaft verordnen, die in Deutschland anerkannt und erwiesenermaßen wirksam sind. Dazu zählen neben ergotherapeutischen und podologischen Maßnahmen auch die gesamte Bandbreite der Physiotherapie. Neben Bewegungstraining, bei dem der Patient selbst aktiv wird, sind auch Massage-, Hydro-, Elektro- und Thermotherapie verordnungsfähig. Schmerzen können beispielsweise mit einer klassischen Massagetherapie behandelt werden. Es sind aber auch spezielle Massagetechniken, die die Funktion der inneren Organe oder die Durchblutung verbessern sollen, verschreibungsfähig. Auch die manuelle Lymphdrainage, die bei Lymphödemen oder Schwellungen zum Einsatz kommt, kann ein Arzt dauerhaft verordnen. Die Krankengymnastik kann als klassische Bewegungstherapie, als gerätegestützte Gymnastik oder als Chirogymnastik verordnet werden. Letztere Form kommt vor allem bei Problemen an der Wirbelsäule zum Einsatz. Sie dient der Verbesserung der Muskelkraft, -ausdauer und -koordination.

Tipps für die Physiotherapie

  • Rezept rechtzeitig beginnen: Ein Kassenrezept muss innerhalb von 28 Tagen nach Ausstellung begonnen werden. Bei Privatrezepten gibt es keine Fristen.
  • Termine absagen: Wenn Sie einen Termin nicht wahrnehmen können, sagen Sie ihn rechtzeitig (mind. 24 Stunden vorher) ab, um eine Ausfallrechnung zu vermeiden.
  • Behandlungsdauer beachten: Die gesamte Behandlungsdauer für die Verordnung darf bestimmte Zeiträume nicht überschreiten. Bei zu langen Unterbrechungen oder Behandlungszeiträumen ist Ihre Verordnung nicht mehr gültig.
  • Therapeutenwechsel: Falls es aus zeitlichen Gründen nicht immer möglich sein sollte, weil der Therapeut z.B. Urlaub hat, krank ist oder es mit ihren Zeiten nicht immer passt, werden Sie vorher gefragt, ob ein Therapeutenwechsel für Sie in Ordnung ist.
  • Arztberichte mitbringen: Bringen Sie, falls vorhanden, relevante Arztberichte zum Ersttermin mit.
  • Offene Kommunikation: Sprechen Sie offen mit Ihrem behandelnden Arzt und Ihrem Therapeuten über Ihre Bedürfnisse und Ziele.

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