Das Buch "Lückenleben: Mein Mann, der Alzheimer, die Konventionen und ich" von Katrin Seyfert ist ein ehrlicher und emotionaler Erfahrungsbericht über die Alzheimer-Erkrankung ihres Mannes Marc und ihren Umgang damit. Es ist kein klassischer Ratgeber, bietet aber eine Fülle von Hilfestellungen. Seyfert schildert die Herausforderungen, Ängste und Belastungen, aber auch die Momente der Freude und des Zusammenhalts, die sie in dieser Zeit erlebt hat.
Die Diagnose und ihre Folgen
Katrin Seyferts Mann Marc war Anfang 50, als er an Alzheimer erkrankte. Die Diagnose stellte das Leben der Familie auf den Kopf. Katrin Seyfert musste sich nicht nur alleine um die drei gemeinsamen Kinder kümmern, sondern auch um ihren Mann. Bis zu seiner Erkrankung war Marc als Facharzt für Nierenleiden tätig gewesen. Zunächst häuften sich Momente der Vergesslichkeit, die theoretisch ebenso gut durch beruflichen Stress wie durch den lebhaften Alltag mit drei Kindern bedingt sein konnten. Doch verstärkt auftretende Aussetzer und die zunehmende Erschöpfung ihres Mannes bestärkten Katrin Seyfert in ihrer Ahnung, dass etwas nicht stimmte.
Als die Diagnose Alzheimer feststand, erhielt sie von dem Oberarzt zwei Hinweise: Zum einen brauche sie jetzt unbedingt ein Testament, zum anderen solle sie darauf gefasst sein, dass sich ihr Freundeskreis deutlich reduzieren werde. Glücklicherweise trat diese Prognose jedoch nicht ein. Im Gegenteil.
Der Alltag mit Alzheimer
Fünf Jahre lang begleitete Katrin Seyfert ihren Mann durch seine Alzheimer-Erkrankung. Sie organisierte den Familienalltag, die Finanzen, den Pflegedienst und schließlich die Beerdigung. Schonungslos offen und brutal ehrlich erzählt sie davon, wie es ist, wenn der Partner allmählich seine Sprache und damit seine Identität verliert. Wie sie mit der Rolle hadert, die ihr erst als pflegende Ehefrau, dann als Witwe zugeschrieben wird. Und wie sie ihren eigenen Weg findet, sich mit der Lücke, die ihr Mann hinterlassen hat, zu arrangieren.
Die Journalistin wehrt sich gegen Mitleid. Ohne etwas zu beschönigen, schildert sie in dem Buch „Lückenleben“ diese letzten gemeinsamen Jahre mit ihrem an Alzheimer erkrankten Mann. Ihre Wut richtet sich dabei zu keiner Zeit gegen ihren Mann und auch nicht gegen das Schicksal, das sie eh nicht ändern konnte.
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Unterstützung und Hilfsbereitschaft
Mit unendlich großer Dankbarkeit erinnert sich Seyfert an die Hilfsbereitschaft, die ihr damals zuteil wurde: „Der eine gab unserer Tochter kostenlose Klavierstunden, andere fuhren wortlos mein sehr dreckiges Auto durch die Waschstraße oder halfen mir beim Stellen eines Rentenantrages für meinen Mann.“ Ihre Patentante schickte ihr zehn Gramm Gold, versehen mit dem Hinweis, dies sei für den Fall, dass sie sich mal etwas kaufen möchte, das „unvernünftig“ sei. All das gab Katrin Seyfert Kraft und zeigte ihr überdeutlich, dass sie der Krankheit ihres Mannes zumindest nicht allein gegenüberstand.
Was sie und ihre Familie auf besondere Weise durch die folgenden, schweren Jahre trug, waren Musikabende. Zu diesen kamen einmal im Monat Freund*innen, Bekannte und Verwandte in dem Hamburger Haus der Familie zusammen, um gemeinsam gegen Wehmut und Angst anzusingen. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich dabei Schlager. Katrin Seyfert ist davon überzeugt, dass ihr Mann in diesen Momenten die Stimmung und die echte Freude der Anwesenden spürte. Denn bei den gesungenen Liedern ging es um alles Mögliche, nur nicht um Alzheimer.
Geldsorgen und gesellschaftliche Konventionen
Zunehmend bestimmten jedoch vor allem Geldsorgen den Alltag der Alleinverdienerin. Angesichts horrender Pflegekosten und ständig steigender Eigenanteile stehen fraglos viele Angehörige vor dem gleichen Problem. Allerdings reden längst nicht alle offen darüber. Es scheint so, als wolle niemand den Eindruck erwecken, man reduziere die Erkrankung eines nahestehenden Menschen auf eine finanzielle Belastung.
Überhaupt tut sich Katrin Seyfert mit gesellschaftlichen Konventionen schwer. Sich nach diesen zu richten, um nur nicht aus der Rolle zu fallen, strengt an und kostet unnötig Kraft. Sie sagt, es sei oftmals anerkannt, still oder tapfer zu trauern, während wütend zu sein noch immer ein Tabu darstelle. Doch auch dieses Gefühl sei nun einmal Teil ihres Alltags als pflegende Angehörige.
„Was mich wütend gemacht hat“, erklärt Seyfert, „war diese Rollenzuschreibung, wie man zu sein hat. Das machte mich wütend, weil das ähnlich wie bei dem Mitleid von oben nach unten verläuft. Das nimmt uns Angehörigen die Selbstwirksamkeit und lässt uns in einer Ohnmacht verharren. Und damit kommt man nicht weiter.“
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Der Umzug ins Heim
Diesen schweren und letztlich unausweichlichen Moment der Heimunterbringung zögerte die Ehefrau und Mutter so lange wie möglich hinaus. Als er dann da war, weil die Kraft einfach nicht mehr reichte, hatte Seyfert, wie sie sagt, „wahnsinniges Glück“ mit dem Pflegeheim. Eine Woche vor dem Umzug kam die Pflegedienstleitung zur Familie nach Hause. „Sie saß in unserem Wohnzimmer und hat geschaut, wie unser Ablauf ist, wie die Kinder reagieren, worauf mein Mann reagiert und worauf nicht. Ich fand das großartig.“
Anders als befürchtet ging Marc Seyfert dann tatsächlich gerne ins Heim. Wohl auch deshalb, weil man dort auf seine Bedürfnisse einging. Zu seinem Einzug, schildert Katrin Seyfert in ihrem Buch, standen auf einem Tisch fünf Puddings: „Ein Pudding zur Begrüßung hätte Marc traurig gemacht, weil er so schnell aufgegessen wäre. Fünf Puddings hieß: Hier passiert dir nichts, hier geht es nach deinen Wünschen, auch wenn du sie nicht mehr äußern kannst.“
Ehrlichkeit und Humor
Katrin Seyfert legt Wert auf Ehrlichkeit fernab von Sentimentalität. Sie schätzt diese auch an anderen, etwa an dem Arzt, der ihren Mann zu Beginn seiner Erkrankung behandelte. Der wandte sich damals direkt an seinen Patienten und sagte diesem, er müsse sich darauf einstellen, dass seine Frau ihn eines Tages in ein Heim bringen werde. Auf Katrin Seyferts Nachfrage, ob man das denn nicht auch zu Hause schaffen könne, entgegnete der Mediziner damals, sie solle lieber nicht damit rechnen, um sich durch diese Erwartung nicht unnötig selbst unter Druck zu setzen.
In ihrem Buch beweist Katrin Seyfert auch Humor. Sie erzählt von der „Schrott-Bingo-Liste“ mit gut gemeinten, aber hilflosen Ratschlägen, die sie und ihre Nachbarin führten. Auf sich wiederholende Einträge stießen sie und ihre Nachbarin mit einem Glas Sekt an - bevor sie dann gemeinsam die Küche putzten.
Erkenntnisse und Lehren
Katrin Seyfert hat durch die Erkrankung ihres Mannes viel gelernt. Sie hat Demut gelernt und geht mit einer anderen Wahrhaftigkeit durchs Leben. Sie hat gelernt, Widersprüche auszuhalten und das Gute im Schlechten zu finden.
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„Wenn man durch diese Zeit kommen will, dann nur mit Goldgräber-Ambitionen. Und das ist auch das Einzige, was einem diese Scheiß-Krankheit nicht nehmen kann, die atomkriegsichere Kraft, das eine Gute zu finden, während alles andere um einen herum gerade versinkt. Und man sein Selbst auch nicht mehr erkennt.“
Seyfert: Demut. Können Sie das konkretisieren? Seyfert: Früher bin ich manchmal vom Fitnessstudio nach Hause gekommen und habe Marc von den Gesprächen dort berichtet. „Kein Wunder, dass der krank geworden ist, bei dem Lebensstil…“ So und ähnlich redeten die Leute. Marc hat sowas immer direkt korrigiert. Ob man krank wird oder nicht, hat man nicht in der Hand, sagte er. Als er selbst erkrankte, ist mir das in Fleisch und Blut übergegangen. Man hört viel über die sogenannten Risikofaktoren für die Entstehung von Alzheimer. Marc hatte einen anspruchsvollen Beruf, war geistig gefordert. Er war tagtäglich in Bewegung, hatte kein Übergewicht, war familiär eingebunden, nahm keine Drogen…. Und er erkrankte. So einfach ist das. Und so schwer.
Das Ende und der Abschied
Ihr Mann ist nach nur sechs Wochen im Heim recht überraschend gestorben. Ein epileptischer Anfall, gepaart mit einer Herzattacke. Im Buch spricht sie von einer „Schlucht, die aufgerissen wurde“.
Seyfert: Es ging genau dort zu Ende, wo er mir bis zum Schluss tanzend entgegengekommen war. Wo er drei, vier, fünf Puddings bekam, wenn er das wollte. Wahrscheinlich gibt es keinen besseren Ort als diesen, um zu sterben.