Tom Kitwood und der personenzentrierte Ansatz in der Demenzpflege

Kognitive Beeinträchtigungen wie Demenz und Altersverwirrtheit gehören zu den häufigsten Erkrankungen im Alter. Angesichts der wachsenden Zahl von Menschen mit Demenz ist es unerlässlich, effektive und würdevolle Betreuungsansätze zu entwickeln und zu implementieren. Tom Kitwood, ein britischer Psychogerontologe, hat mit seinem personenzentrierten Ansatz einen bedeutenden Beitrag zur Demenzpflege geleistet. Sein Ansatz stellt die Einzigartigkeit der Person in den Mittelpunkt und zielt darauf ab, das Personsein von Menschen mit Demenz zu erhalten und zu stärken.

Tom Kitwood: Ein Pionier der personenzentrierten Demenzpflege

Tom Kitwood (1937-1998) war ein britischer Psychogerontologe, der maßgeblich an der Entwicklung des "Dementia Care Mapping" beteiligt war. Sein Buch "Demenz: Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen" wurde weltweit begeistert aufgenommen und hat die Entwicklung des neuen DNQP-Expertenstandards "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz" maßgeblich geprägt.

Die Grundprinzipien des personenzentrierten Ansatzes

Der personenzentrierte Ansatz nach Tom Kitwood basiert auf der Annahme, dass jeder Mensch mit Demenz einzigartig ist und in seinem Erleben und seiner Realität ernst genommen werden muss. Oberstes Ziel ist der Erhalt und die Stärkung des Personseins in der Betreuung von Menschen mit Demenz.

Die zwölf positiven Interaktionen

Ein wichtiger Bestandteil des personenzentrierten Ansatzes sind die sogenannten "12 positiven Interaktionen" zwischen dem Menschen mit Demenz und seinem Begleiter:

  1. Anerkennung der Einzigartigkeit: Der Mensch mit Demenz wird als einzigartige Person mit einer individuellen Wahrnehmung und Realität anerkannt.
  2. Respektierung des Willens: Solange der Mensch mit Demenz seinen Willen äußern kann, wird dieser angenommen und respektiert.
  3. Zusammenarbeit: Es wird nicht "am" Bewohner gearbeitet, sondern "mit" dem Bewohner.
  4. Präsenz ohne Forderungen: Die Pflegekraft nimmt sich Zeit, einfach nur bei dem Bewohner zu sein, ohne etwas von ihm zu wollen.
  5. Timalation: Durch sensorische Reize wird kommuniziert und dem Erkrankten Wahrnehmungsreize geboten.
  6. Rücksichtnahme auf das Bedürfnis nach Alleinsein: Dem Menschen mit Demenz wird die Möglichkeit gegeben, sich zurückzuziehen.
  7. Empathie: Die Pflegekraft versetzt sich in den Menschen hinein, akzeptiert seine Wirklichkeit und ihn selbst als Person.
  8. Nähe und Distanz: Die Pflegekraft achtet auf das Bedürfnis des Menschen nach Nähe und Distanz und reagiert angemessen.
  9. Verlust von Fähigkeiten: Die Pflegekraft unterstützt den Menschen dabei, mit dem Verlust von Fähigkeiten umzugehen.
  10. Rituale: Ein stets wiederkehrender Tagesablauf bietet Sicherheit und Orientierung.
  11. Geben und Nehmen: Der Mensch mit Demenz möchte für seine Inanspruchnahme etwas geben oder sich revanchieren können.
  12. Akzeptanz der Person: Der Mensch mit Demenz soll sich akzeptiert und wohl fühlen.

Die fünf psychischen Grundbedürfnisse nach Kitwood

Tom Kitwood hat in seinen Untersuchungen festgestellt, dass jeder Mensch fünf zentrale psychische Grundbedürfnisse hat:

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  • Bindung: Das Streben nach Geborgenheit, Schutz, Nähe, Wärme und genährt werden.
  • Einbeziehung: Einen festen Platz in der Gruppe zu haben, sich in der Gemeinschaft zu Hause zu fühlen.
  • Beschäftigung: Eine Beschäftigung zu haben, die den eigenen Fähigkeiten und Kräften entspricht.
  • Identität: Die Möglichkeit, die eigene Identität aufrechtzuerhalten und die eigene Lebensgeschichte lebendig zu halten.
  • Trost: Empathische Wahrnehmung der Situation und Anerkennung der belastenden Emotionen des Menschen mit Demenz.

Diese Bedürfnisse sind unterschiedlich stark ausgeprägt, ihre Befriedigung ermöglicht es dem demenziell veränderten Menschen, sich als Person wahrzunehmen und positive Gefühle (sich wertvoll und geschätzt zu fühlen) zu erleben (Kitwood, T. 2000).

Die Bedeutung der Pflegebeziehung

Pflegequalität in der Betreuung von Menschen mit Demenz hängt primär von der Qualität der Pflegebeziehung und der Interaktionsfähigkeit des Pflegepersonals ab. Eine personenzentrierte Pflege ist nicht etwas, was erreicht und abgeschlossen werden kann, sondern ein kontinuierlicher Prozess der Beziehungsgestaltung. Es geht um die bewusste Ich-Du-Beziehung, bei der die Pflegekraft bewusst den Kontakt zur Person mit Demenz aufbaut, beispielsweise durch Lächeln, konzentriertes Anschauen oder Berührung.

Positive Interaktion in Gruppen

Auch in Gruppenangeboten können die Grundsätze der Positiven Interaktion nach Tom Kitwood umgesetzt werden:

  • Anerkennen: Jeder Gruppenteilnehmer wird mit vollem Namen, Blickkontakt und Händedruck begrüßt.
  • Verhandeln: Der Mensch mit Demenz wird nach seinen Wünschen gefragt, statt sich einem festen Programm anpassen zu müssen.
  • Zusammenarbeiten: Der alte Mensch soll aus seiner passiven Rolle herausgeholt werden und spüren, dass seine Mitarbeit erwünscht ist.
  • Spielen: Es geht nur um den Spaß am Spielen selbst - nicht ums Gewinnen oder Erfolge.
  • Feiern: Die Gruppenangebote können den Charakter einer familiären Feier haben.
  • Entspannen: Jeder demente Mensch sollte die Möglichkeit erhalten, nach seinem individuellen Bedarf zu entspannen.
  • Erleichtern: Durch gute Beobachtung und Sensibilität gegenüber den Betreuten erkennen wir die Intention, die hinter einer bruchstückhaften Äußerung, einer verhaltenen Geste oder einer ansatzweisen Handlung liegt, und unterstützen den dementen Menschen genau in dem Maße, das er braucht.
  • Schöpferisch sein (kreativ sein): Kompetenzen der Gruppenteilnehmer werden geweckt, z.B. beim Singen und Musizieren.
  • Geben: Die dementen Menschen geben uns immer wieder etwas, wenn wir es nur wahrnehmen.

Kritik und Weiterentwicklung des Ansatzes

Obwohl der personenzentrierte Ansatz von Tom Kitwood breite Anerkennung gefunden hat, gibt es auch kritische Stimmen. Einige Kritiker bemängeln, dass der Ansatz zu stark auf die individuellen Bedürfnisse des Menschen mit Demenz fokussiert und die Bedürfnisse der Angehörigen vernachlässigt. Andere weisen darauf hin, dass die Umsetzung des Ansatzes in der Praxis aufgrund von Zeitmangel und Personalengpässen schwierig sein kann.

Trotz dieser Kritik bleibt der personenzentrierte Ansatz von Tom Kitwood ein wichtiger Meilenstein in der Demenzpflege. Er hat dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz zu schärfen und die Qualität der Betreuung zu verbessern.

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Die Bedeutung des personenzentrierten Ansatzes für die Tagespflege

Das Pflegemodell der Tagespflege basiert auf dem von Tom Kitwood entwickelten Ansatz der personenzentrierten Pflege. In der Tagespflege können Menschen mit Demenz neue soziale Kontakte aufbauen, Geselligkeit erfahren und ihre sensomotorischen und kognitiven Fähigkeiten erhalten. Die Tagespflege bietet den Klienten die Möglichkeit, in einem Rahmen betreut zu werden, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist und dadurch Versagensängste weitgehend vermieden werden.

Der Expertenstandard "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz"

Der Expertenstandard "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz" des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) basiert auf dem personenzentrierten Ansatz von Tom Kitwood. Der Expertenstandard fordert, dass die Beziehungsgestaltung zwischen Pflegenden und den zu Pflegenden mit Demenz von Akzeptanz, Vertrauen und Respekt geprägt sein sollte. Menschen mit Demenz sollen sich akzeptiert und wohl fühlen.

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