Ein kleiner Schlaganfall, auch transitorische ischämische Attacke (TIA) genannt, wird oft als harmloser Vorbote eines Schlaganfalls abgetan. Neue Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass eine TIA langfristige Folgen haben kann, insbesondere für das Gedächtnis und die geistige Leistungsfähigkeit. Krankhafte Veränderungen in den kleinsten Blutgefäßen im Gehirn können Schlaganfälle und Demenz auslösen.
Was ist eine TIA?
Eine TIA verursacht vorübergehende Symptome, die meist nach wenigen Minuten bis Stunden von selbst verschwinden. Dennoch sollten Betroffene umgehend ärztlichen Rat einholen, denn eine TIA kann ein Warnsignal für einen schwereren Schlaganfall sein. Folgende Symptome sind möglich:
- Plötzliche Sprachprobleme: Schwierigkeiten, Worte zu finden oder sich verständlich auszudrücken
- Sehstörungen: Vorübergehende Erblindung auf einem Auge oder Doppeltsehen
- Taubheitsgefühle oder Lähmungen: Meist einseitig im Gesicht, Arm oder Bein
- Schwindel und Gleichgewichtsstörungen: Unsicherheit beim Gehen oder Stehen
- Starke Kopfschmerzen: Plötzlich auftretend, oft ohne erkennbare Ursache
Neue Studie zeigt: TIA erhöht Demenz-Risiko
Eine aktuelle Studie, die in der Fachzeitschrift JAMA veröffentlicht wurde, beobachtete über 14 Jahre hinweg die geistige Entwicklung von rund 16.000 Menschen. Darunter waren sowohl gesunde Personen als auch Betroffene von Schlaganfällen und TIA.
Das Ergebnis: Während Menschen mit einem Schlaganfall sofort eine spürbare Verschlechterung ihrer kognitiven Fähigkeiten erlebten, war dies bei TIA-Patienten zunächst nicht der Fall. Doch im Laufe der Jahre zeigte sich, dass ihr geistiger Abbau fast genauso schnell voranschritt wie bei Schlaganfallpatienten. Das bedeutet: Auch wenn eine TIA keine unmittelbaren Schäden hinterlässt, kann sie langfristig das Risiko für Demenz erhöhen.
Forscher der University of Alabama haben alarmierende Erkenntnisse über die möglichen Folgen einer TIA gewonnen. Diese könnte so gravierende Schäden im Gehirn verursachen, dass sie eine spätere Demenzerkrankung begünstigt. Ein Mini-Schlaganfall sei demnach „ein Risikofaktor für den kognitiven Verfall, unabhängig von vaskulären und demografischen Risikofaktoren“, fassen die Forschenden die Ergebnisse zusammen.
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Die Rolle von Kleinstgefäß-Erkrankungen
Ist die Durchblutung in den kleinsten Blutgefäßen des Gehirns gestört, können Schlaganfälle entstehen. Zudem sind diese „Kleinstgefäß-Erkrankungen“ im Gehirn für einen großen Anteil der durchblutungsbedingten Demenzfälle verantwortlich. Man nennt sie zerebrale Mikroangiopathien. Derzeit sind die Möglichkeiten der Therapie begrenzt. „Das liegt auch daran, dass wir die Entstehung der Erkrankungen bislang nur unzureichend verstehen“, sagt Professor Martin Dichgans. Er ist Direktor des Instituts für Schlaganfall-und Demenzforschung am Klinikum der Universität München und koordinierte das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im ERA-Net NEURON geförderte europäische Forschungsnetzwerk „MESCOG“.
Das Team um Dichgans untersuchte die kongnitive Leistungsfähigkeit und mögliche Veränderungen im Gehirn. Hierzu nutzen sie die Magnetresonanztomographie, kurz MRT, kombiniert mit innovativen mathematischen Auswertungsstrategien.
Paradigmenwechsel in der Interpretation von Veränderungen im Gehirn
„Tatsächlich haben unsere Ergebnisse zu einem Paradigmenwechsel in der Interpretation von Veränderungen in den tiefen Hirnregionen geführt“, so Dichgans. Ein Beispiel: Zu den typischen Veränderungen im Gehirn von Menschen mit Kleinstgefäß-Erkrankung zählen Lakunen und Hyperintensitäten. Lakunen sind Löcher im Gehirn. Das Hirngewebe geht an diesen Stellen vollständig verloren. Bei Hyperintensitäten geht kein Hirngewebe verloren, aber seine Zusammensetzung verändert sich. Das kann in den MRT-Bildern durch auffällige Strukturen erkannt werden. Bislang ging man davon aus, dass Lakunen und Hyperintensitäten durch unterschiedliche Mechanismen entstehen. Die Ursache für Lakunen sah die Wissenschaft in einer akuten Schädigung, beispielsweise einem Hirninfarkt. Hyperintensitäten hingegen wurden als das Ergebnis längerfristiger, jedoch weniger schwerer Schädigungen angesehen.
Diese Hypothese konnte das Forschungsteam um Dichgans widerlegen: „Unsere Studie zeigte erstmals, dass Lakunen und Hyperintensitäten am gleichen Ort im Gehirn entstehen, nämlich in den tiefer gelegenen Hirnregionen.“ Von dort breiten sich beide Veränderungen allmählich Richtung der oberflächlich gelegenen Hirnrinde, dem sogenannten Kortex, aus. Diese Beobachtung lässt für die Forscherinnen und Forscher den Schluss zu: Die Entstehung von Lakunen und Hyperintensitäten ist nicht grundsätzlich verschieden, sondern muss ähnlich und eng miteinander verbunden sein.
Nervenfaserbündel als Vermittler
Auch zum Verständnis von Gehirnatrophie, dem Verlust von Hirnvolumen, ausgelöst durch krankhafte Veränderungen in den kleinsten Blutgefäßen konnte das Forschungsteam beitragen. Insbesondere für Volumenverluste in der Hirnrinde war ungeklärt, wie diese entstehen. Denn die meisten durch Kleinstgefäß-Erkrankungen ausgelösten Veränderungen liegen in den tiefen Teilen des Gehirns, also weit entfernt von der äußeren Hirnrinde.
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„Wir konnten zeigen, dass die durch Mikroangiopathien entstandenen Veränderungen in den tiefen Hirnstrukturen erst sekundär zu einer Veränderung der Hirnrinde führen. Dieser Effekt wird durch die Nervenfaserbündel des Gehirns vermittelt“, erklärt Dichgans die Ergebnisse.
Warum kann eine TIA das Gehirn schädigen?
Die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig erforscht. Fachleute vermuten jedoch, dass selbst kurzfristige Durchblutungsstörungen im Gehirn Prozesse auslösen, die langfristig die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Eine große Übersichtsarbeit zu diesem Thema zeigte, dass TIA-Patienten ein um bis zu 68 Prozent höheres Risiko für leichte kognitive Einschränkungen und ein um bis zu 22 Prozent erhöhtes Demenzrisiko haben.
Vaskuläre Demenz: Eine häufige Folge von Schlaganfällen
Mit zunehmendem Schweregrad des Schlaganfalls steigt das Risiko, eine sogenannte vaskuläre Demenz zu entwickeln. Nach einem ersten Schlaganfall liegt das durchschnittliche Risiko bei etwa 10-20 Prozent, nach mehreren kann es bis auf 40 Prozent ansteigen. „Typisch für eine vaskuläre Demenz sind Aufmerksamkeitsdefizite, Gedächtnisstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten, die erstmals nach einem Schlaganfall auftreten. Je nach Lokalisation des Schlaganfalls können hierbei sogenannte ‚strategische Infarkt‘ die Gedächtnisfunktion direkt schädigen“, weiß Dr.
Die vaskuläre Demenz wird durch eine Schädigung der Blutgefäße im Gehirn verursacht. Die Gefäße können das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen, wodurch wichtige kognitive Funktionen eingeschränkt werden.
Ursachen der vaskulären Demenz
Zu den typischen Ursachen einer vaskulären Demenz gehören:
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- Schlaganfälle, die eine Hirnarterie verschließen, können eine ganze Reihe von Symptomen verursachen, zu denen auch eine vaskuläre Demenz gehören kann.
- Stille Schlaganfälle, die ohne spürbare Symptome verlaufen, erhöhen ebenfalls das Demenzrisiko.
- Sind Arterienverkalkung (Arteriosklerose) oder Bluthochdruck die Ursache, machen sich die Beschwerden meist eher schleichend bemerkbar.
Symptome und Verlauf der vaskulären Demenz
Bei der vaskulären Demenz ist es sehr unterschiedlich, welche Symptome im Vordergrund stehen oder auftreten. Dies hängt von der Art der Schädigung im Gehirn ab und davon, wo sie entstanden ist. Je nach Ursache können die Symptome plötzlich, schleichend oder schrittweise auftreten. Auch im weiteren Verlauf können sich die Symptome entweder schleichend oder plötzlich verschlechtern. Dazwischen kann es auch längere stabile Phasen geben.
Diagnose und Behandlung der vaskulären Demenz
Eine Demenzerkrankung kann nur durch eine Ärztin oder einen Arzt diagnostiziert werden. Für eine Diagnose werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Am Anfang der Diagnostik steht das ärztliche Gespräch über die persönliche Krankengeschichte. Besonders wichtig sind dabei frühere oder aktuelle Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen der Hirngefäße, Bluthochdruck und Diabetes.
Mit bildgebenden Verfahren wie CT (Computertomographie) oder MRT (Magnetresonanztomographie) können Veränderungen im Gehirn festgestellt werden. Bei einem Verdacht auf eine vaskuläre Demenz wird vor allem das Herz-Kreislauf-System untersucht, also Blutdruck, Herzgeräusche und Herzgröße. Ebenso wichtig ist der neurologische Status, der die Koordination, Motorik, den Tastsinn und den Gleichgewichtssinn umfasst.
Eine vaskuläre Demenz ist nicht heilbar. Die im Gehirn entstandenen Schäden können nicht rückgängig gemacht werden. Ziel der Therapie ist es, weiteren Schäden vorzubeugen und eine Verschlimmerung der Beschwerden aufzuhalten, beziehungsweise zu verlangsamen. Bei der vaskulären Demenz werden Durchblutungsstörungen im Gehirn mit blutverdünnenden Medikamenten behandelt. So kann weiteren Schlaganfällen vorgebeugt werden. Bluthochdruck, erhöhter Cholesterinspiegel und erhöhter Blutzucker können ebenfalls medikamentös behandelt werden.
Warum eine schnelle ärztliche Abklärung so wichtig ist
Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), betont: „Noch immer gehen zu viele Menschen nicht zum Arzt, wenn die neurologischen Beschwerden von selbst wieder nach ein paar Minuten verschwinden. Damit nehmen sie sich die Möglichkeit einer medikamentösen Schlaganfallprophylaxe.“ Eine frühe Diagnose und Behandlung können helfen, das Risiko eines schweren Schlaganfalls und langfristiger kognitiver Beeinträchtigungen zu reduzieren.
Die DGN schätzt, dass hierzulande pro Jahr rund 95.000 Menschen einen "Mini-Schlaganfall" erleiden. Auch wenn die Symptome innerhalb kürzester Zeit von allein wieder verschwinden, sollte Betroffenen klar sein, "dass eine TIA nicht 'nichts' ist", betont Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Wie kann man einer TIA und vaskulären Demenz vorbeugen?
Experten raten dazu, Risikofaktoren frühzeitig zu reduzieren. Ein wesentlicher Risikofaktor für einen Schlaganfall und damit auch für eine Demenz ist der Bluthochdruck. Nur die Hälfte aller Menschen, die einen zu hohen Blutdruck haben, wissen überhaupt davon. Von diesen sind wiederum nur die Hälfte in Behandlung und wiederum nur die Hälfte erhalten eine passende Therapie.
Einer vaskulären Demenz beugt man vor, indem man einem Schlaganfall vorbeugt. Wer sich regelmäßig bewegt, kann (weiteren) Schlaganfällen vorbeugen. Ein gesunder Lebensstil und ein normales Körpergewicht können helfen, Mini-Schlaganfällen vorzubeugen.
Dazu Dr. Karpf: „Im Hinblick auf unsere immer älter werdende Bevölkerung werden wir in Deutschland zukünftig häufiger Schlaganfall und Demenzerkrankungen sehen, mit allen Konsequenzen für die Betroffenen und Angehörigen. Am 10. Mai ist der Tag gegen den Schlaganfall.
Leben mit vaskulärer Demenz
Für die meisten Menschen ist die Demenz-Diagnose zunächst ein Schock, denn eine Demenz verändert das Leben grundlegend. Die Diagnose kann aber auch zuvor unerklärliche Veränderungen des Verhaltens oder der Persönlichkeit begreiflich machen.
Menschen mit vaskulärer Demenz erleben ihre Situation unterschiedlich und gehen auch unterschiedlich damit um. Manchen gelingt es, die Krankheit zu akzeptieren und trotz der Einschränkungen so lange wie möglich ein aktives und zufriedenes Leben zu führen. Anderen fällt dies schwer: Sie ziehen sich zurück, sind oft traurig oder werden depressiv. Wieder andere verdrängen ihre Erkrankung und deren Symptome. Viele Menschen, die nach Schlaganfällen eine Demenz entwickeln, haben zudem Angst vor weiteren Hirninfarkten.
Mit der Zeit kann es gelingen, mit den Einschränkungen und Ängsten umzugehen und die Krankheit anzunehmen. Dabei spielt die Unterstützung anderer Menschen, vor allem aber der Familie, eine wichtige Rolle.
Besonders in späteren Stadien sind Angehörige durch die Pflege und Betreuung meist stark belastet und benötigen dann selbst irgendwann Unterstützung. Für sie wie für Betroffene ist es wichtig, in die Behandlungspläne einbezogen zu werden und Angebote zu erhalten, die zur persönlichen Situation und den eigenen Bedürfnissen passen. Darunter fallen neben Schulungen auch praktische Hilfen, zum Beispiel Beratung zu finanzieller Unterstützung und Antragstellung.
Der Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen - etwa in Selbsthilfegruppen - wird von vielen als wertvoll erlebt. Zu erfahren, wie andere weiter aktiv bleiben und zum Beispiel Hobbys pflegen wie Singen, Wandern, Kochen oder Malen, macht Mut. Aktivitäten helfen auch, nicht immer an die Krankheit zu denken. Zufriedenheit und eine gute Lebensqualität sind trotz Demenz oft noch lange möglich.
Wenn eine Demenz-Erkrankung weit fortgeschritten ist und eine immer umfassendere Betreuung nötig macht, können Angehörige irgendwann an ihre Grenzen stoßen. Dann kann der Umzug in eine Einrichtung, in der Pflege, Betreuung und medizinische Versorgung durch Fachkräfte möglich sind, für alle Beteiligten die bessere Lösung sein. Die Entscheidung zum Umzug in ein Pflegeheim oder eine betreute Wohngemeinschaft fällt oft nicht leicht - zumal es eine Weile dauern kann, bis eine geeignete Einrichtung gefunden ist.
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