Das Kleinhirn, ein Hirnareal mit einer komplexen Struktur und einer Vielzahl von Neuronen, spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewegungskoordination und adaptiven Steuerung kortikaler Prozesse. Insbesondere bei Ataxien, seltenen neurologischen Erkrankungen, die durch zerebelläre Atrophie gekennzeichnet sind, ist das Kleinhirn von besonderer Bedeutung. Die Magnetresonanztomographie (MRT) spielt eine wichtige Rolle bei der Diagnose und Untersuchung von Kleinhirn-Ataxien.
Die Herausforderung der Kleinhirn-Bildgebung
Die strukturelle Bildgebung des Kleinhirns stellt aufgrund seiner peripheren Lage eine Herausforderung dar, insbesondere bei der Verwendung von Ultrahochfeld-MRT (UHF-MRT). Die UHF-MRT bietet jedoch das Potenzial, strukturelle und chemische Veränderungen des Gehirns mit einem bisher unerreichten Detailgrad zu erkennen, was die Spezifität und Sensitivität bildgebender Biomarker erheblich verbessert.
Spinozerebelläre Ataxien (SCA)
Spinozerebelläre Ataxien (SCA) sind eine Gruppe genetisch heterogener, autosomal dominant vererbter Erkrankungen, die durch fortschreitende Gang-, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen gekennzeichnet sind. Die Neuropathologie der SCAs manifestiert sich hauptsächlich im Kleinhirn und Hirnstamm.
Bedeutung von Biomarkern in der Früherkennung
In klinischen Studien mit Gentherapien bei SCA gewinnen bildgebende Biomarker zunehmend an Bedeutung. Insbesondere bei erblichen Erkrankungen wie den autosomal-dominant vererbten SCA liegt das ideale Zeitfenster für eine gentherapeutische Behandlung vor dem klinischen Krankheitsbeginn. In dieser Phase sind klinische Skalen oft noch nicht ausreichend sensitiv, um Veränderungen zu erfassen. Die Identifizierung bildgebender Biomarker zur Quantifizierung der frühen Neurodegeneration ist daher von entscheidender Bedeutung für die Stratifizierung und die Überwachung des Krankheitsverlaufs.
Ultrahochfeld-MRT (UHF-MRT) in der SCA-Forschung
Die UHF-MRT verfügt über ein enormes Potenzial, um strukturelle und chemische Veränderungen des Gehirns in einem Detailgrad zu erkennen, der bisher nicht möglich war, und somit Spezifität und Sensitivität bildgebender Biomarker enorm zu verbessern. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der präsymptomatischen bis frühen Phase der Erkrankung, da diese Phase das ideale Zeitfenster für potenziell protektive Gentherapien darstellt.
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Back-Translation auf 3T MRT
Um eine breitere Anwendung zu ermöglichen, ist vorgesehen, die im Rahmen der UHF-MRT identifizierten sensitiven Sequenzen im Rahmen einer sogenannten Back-Translation auf Anwendbarkeit auch bei niedriger Feldstärke von 3T zu prüfen.
Studienprotokoll
Im Rahmen von Studien werden SCA1, 2, 3 oder 6 Mutationsträger sowie deren erstgradige Angehörige und gesunde Kontrollen untersucht. Die Untersuchung dauert etwa 120 Minuten, davon entfallen 60 Minuten auf die 7T MRT Untersuchung. Zudem werden die Teilnehmenden gebeten einen Fragebogen zum Verlauf auszufüllen.
Metabolische MR-Bildgebung bei hereditären Ataxien
Die metabolische MR-Bildgebung, wie die Magnetresonanzspektroskopie (MRS) oder die Natrium-MRT, kann zusätzliche metabolische und neurochemische Informationen liefern, die Hinweise auf eine Dysfunktion geben können, möglicherweise bevor Neurodegeneration auftritt.
MR-Spektroskopie (MRS)
Eine Meta-Analyse veröffentlichter MRS-Daten bei hereditären Ataxien zeigte, dass die MRS eine Unterscheidung zwischen Personen mit hereditärer Ataxie und Kontrollen ermöglicht, wobei verringertes N-Acetyl-Aspartat (NAA) der zuverlässigste Stoffwechselmarker für diese Unterscheidung zu sein scheint. Patientinnen und Patienten mit SCA2 wiesen im Vergleich zu anderen Ataxien die höchsten metabolischen Veränderungen auf. Außerdem konnten unterschiedliche neurochemische Profile zwischen SCA1 und SCA6 unterschieden werden.
Natrium-MRT
Eine Studie mit Natrium-MRT an Patientinnen und Patienten mit Friedreich-Ataxie (FRDA) zeigte im Vergleich zu Kontrollen eine erhöhte Gesamtnatriumkonzentration (TSC) und ein verringertes Hirnvolumen in den Schlüsselregionen der FRDA, dem Kleinhirn und dem Hirnstamm. Es zeigten sich signifikante Korrelationen zwischen erhöhten TSC-Werten und einem jüngeren Alter bei Krankheitsbeginn oder einer längeren Krankheitsdauer. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Natrium-MRT zur Erkennung quantitativer Stoffwechselveränderungen und neurochemischer Profile bei FRDA sowie als Indikator für das Fortschreiten der Krankheit als potentiell neue „Bioskala“ verwendet werden kann.
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Schlussfolgerung
Die metabolische Bildgebung, wie MRS und Natrium-MRT, stellt ein potenzielles Diagnoseinstrument dar, um hereditäre Ataxien voneinander und von Kontrollen zu unterscheiden und zusätzliche Erkenntnisse über die Pathophysiologie dieser seltenen Ataxien zu gewinnen.
Autosomal-rezessive cerebelläre Ataxien (ARCAs)
Autosomal-rezessive Ataxien mit Beteiligung des Kleinhirns (= autosomal-rezessive cerebelläre Ataxien, ARCAs) sind dadurch definiert, dass in einem Gen auf beiden Genkopien Genveränderungen (Mutationen) vorliegen. Meist beginnt eine ARCA im Kindes- oder jungen Erwachsenalter, seltener erst zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, und nur in Ausnahmefällen noch später.
Diagnostische Biomarker bei ARSACS
Bei ARSACS-Patienten zeigen sich im MRT typische Auffälligkeiten, wie z. B. eine Kleinhirn-Atrophie mit Wurm-Betonung, eine Brückenatrophie und eine Signalerhöhung im Marklager des Kleinhirns. Ein weiterer diagnostischer Biomarker ist eine Verdickung der Nervenfaserschicht in der Netzhaut (retinale Nervenfasern), die in einer augenärztlichen Schichtaufnahme (optische Kohärenztomographie, OCT) erkennbar ist.
Friedreich-Ataxie (FA)
Die Friedreich-Ataxie (FA) ist die häufigste ARCA. Sie betrifft zwar teilweise auch das Kleinhirn (hier vor allem die Kleinhirnkerne), vorrangig betrifft sie jedoch die Nervenzellen im Rückenmark, welche Lagesinn- und Vibrationsinformationen von den Beinen und Armen ans Gehirn weiterleiten (Spinalganglien).
POLG-assoziierte Ataxie
Charakteristisch für die POLG-assoziierte Ataxie ist eine Kombination aus einer gemischten Kleinhirn-plus- Hinterstrang-Ataxie, einer fortschreitenden Lähmung der Augenmuskeln (chronische externe Ophthalmoparese, cPEO) und einer Schädigung der Nerven an Armen und Beinen (sensible axonale Polyneuropathie).
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RFC1-Ataxie
Ähnlich der FA betrifft auch die RFC1-Ataxie neben dem Kleinhirn führend die langen Nervenbahnen, welche Lagesinn- und Vibrationsinformationen von den Beinen und Armen ans Gehirn weiterleiten.
SPG7-Ataxie
Inzwischen wird angenommen, dass SPG7-Ataxie sogar häufiger sein könnte als ARSACS. Zumeist ist bei der SPG7-assoziierten Ataxie neben dem Kleinhirn auch die zentrale motorische Bahn im Rückenmark (Pyramidenbahn) gestört, was sich mit Steifigkeit (Spastik) äußert; darum spricht man bei diesem Erscheinungsbild auch von einer „spastischen Ataxie“.
Bedeutung der MRT in der Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen
Die MRT-Bildgebung eröffnet vielfältige Möglichkeiten, das Prodromalstadium (Phase, in der uncharakteristische Frühsymptome auftreten) und die frühen manifesten Stadien neurodegenerativer Erkrankungen näher zu erforschen. Ziel ist es, krankheitsspezifische Bildgebungsmarker für neurodegenerative Erkrankungen zu identifizieren und deren Bewertung im Kontext klinischer und genetischer Parameter.
Multimodales Bildgebungssetting
Um metabolische Fehlfunktionen, insbesondere in frühen Erkrankungsstadien, besser zu verstehen, wird ein multimodales Bildgebungssetting angewandt, das verschiedene MRT-Techniken kombiniert.
Zerebelläre Ataxie bei Multisystematrophie (MSA-C)
Die zerebelläre Ataxie bei der MSA-C ist wie bei vielen anderen degenerativen Ataxie- Erkrankungen durch Symptome gekennzeichnet, die auf eine diffuse Schädigung des Kleinhirns hinweisen. Die zerebelläre Ataxie umfasst Gang- und Standataxie, Ataxie der Extremitäten, Aktionstremor, Sprechstörung und zerebelläre Störungen der Okulomotorik.
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