Das menschliche Gehirn ist ein komplexes Netzwerk von Nervenbahnen, die für die Steuerung verschiedener Körperfunktionen verantwortlich sind. Eine wichtige Struktur in diesem Netzwerk ist die Pyramidenbahn, die eine entscheidende Rolle bei der willkürlichen Motorik spielt. Darüber hinaus kreuzen sich auch die Sehnerven auf ihrem Weg zum Gehirn, was für die Verarbeitung visueller Informationen von Bedeutung ist. Dieser Artikel beleuchtet die Anatomie und Funktion dieser Nervenbahnen und geht auf die Ursachen und Auswirkungen ihrer Kreuzung ein.
Die Pyramidenbahn: Eine zentrale motorische Bahn
Die Pyramidenbahn (Tractus pyramidalis) ist die größte absteigende Faserbahn des Körpers und leitet Impulse vom Gehirn über das Rückenmark zu den peripheren Muskeln, um willentliche Bewegungen zu ermöglichen. Sie ist essenziell für die Willkürmotorik, insbesondere für feinmotorische Bewegungen.
Ursprung und Verlauf
Rund zwei Drittel der Fasern der Pyramidenbahn entspringen dem Gyrus praecentralis des motorischen Kortex, wobei fast alle von sogenannten Pyramidenzellen stammen. Alle Fasern aus dem Großhirn vereinen sich oberhalb des Thalamus zu einem Bündel und durchziehen die Capsula interna. Im Mesencephalon (Mittelhirn) verläuft der Tractus pyramidalis weiter in den Hirnschenkeln (Crura cerebri).
Aufteilung im Hirnstamm
Vom Mittelhirn aus gelangen die Fasern in den Hirnstamm. Hier verlassen die Fibrae corticonucleares die Bahn und ziehen weiter zu den motorischen Hirnnervenkernen, welche die Muskeln an Kopf und Hals steuern. Die übrigen Fasern erreichen über den Pons (die Brücke) die Medulla oblongata (das verlängerte Mark). Innerhalb der Brücke verläuft die Pyramidenbahn - die Verbindung zwischen dem motorischen Kortex und dem Rückenmark, die für willkürlich-motorische Signale (also willkürliche Bewegungen) wichtig ist. Über den Pons werden diese Signale, die von der Großhirnrinde kommen, ins Kleinhirn weitergeleitet.
Die Pyramidenkreuzung
Am unteren Ende der Medulla oblongata befindet sich die Pyramidenkreuzung (Decussatio pyramidum). Hier kreuzen zwischen 75 und 90 Prozent der Pyramidenbahnfasern auf die Gegenseite. Der ungekreuzte Faseranteil verläuft als "Tractus corticospinalis anterior" im Vorderseitenstrang weiter und wechselt erst auf Zielhöhe auf die andere Seite. Die Fasern beider Tractus enden an Moto- und Interneuronen des Rückenmarks.
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Funktion und klinische Bedeutung
Die Pyramidenbahn ist für die Vermittlung der Willkürmotorik unerlässlich. Schädigungen der Pyramidenbahn, beispielsweise durch Schlaganfälle, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Querschnittsläsionen, können zu Lähmungen führen. In klinischer Hinsicht zeichnen sich Unterbrechungen des Tractus pyramidalis zunächst durch eine schlaffe Lähmung im Gebiet unterhalb der Läsion aus. Als "Pyramidenbahnzeichen" werden neurologische Symptome bezeichnet, die bei einer Schädigung der Pyramidenbahn auftreten. Beispielsweise können Primitivreflexe wieder auftreten, die normalerweise beim Erwachsenen von der Pyramidenbahn unterdrückt werden.
Der Hirnstamm: Schaltzentrale lebenswichtiger Funktionen
Der Hirnstamm ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns und bildet die Verbindung zwischen dem übrigen Gehirn und dem Rückenmark. Er besteht aus dem Mittelhirn (Mesencephalon), der Brücke (Pons) und dem verlängerten Mark (Medulla oblongata). Der Hirnstamm ist für die Steuerung essenzieller Lebensfunktionen wie Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung zuständig. Zudem ist er für wichtige Reflexe wie den Lidschluss-, Schluck- und Husten-Reflex verantwortlich. Auch der Schlaf und die verschiedenen Schlaf- und Traumphasen werden hier kontrolliert.
Lage und Aufbau
Der Hirnstamm befindet sich im unteren Schädelbereich an der Schädelbasis, verdeckt von Groß- und Kleinhirn. Nach unten geht er mit einer nicht genau definierten Grenze in das Rückenmark über - dieser Bereich wird Medulla oblongata (verlängertes Mark) genannt. In diesem Bereich, der Pyramidenkreuzung, kreuzen die vom Gehirn kommenden Nervenbahnen auf die Gegenseite. Die Kerngebiete der Hirnnerven III bis XII verlaufen durch den Hirnstamm.
Funktionelle Bedeutung
Der Hirnstamm ist nicht nur für die Weiterleitung von Informationen zwischen Gehirn und Rückenmark zuständig, sondern auch für die Integration verschiedener sensorischer und motorischer Funktionen. Die Formatio reticularis, eine netzartige Struktur aus Nervenzellen und ihren Fortsätzen, durchzieht den Hirnstamm und ist an der Steuerung der Aufmerksamkeit, des Wachheitszustandes, des Kreislaufs, der Atmung und des Erbrechens beteiligt.
Klinische Relevanz
Schädigungen des Hirnstamms können zu schwerwiegenden neurologischen Ausfällen führen, die als Hirnstamm-Syndrome bezeichnet werden. Diese sind meist durch den Ausfall von Hirnnerven gekennzeichnet. Je nach Höhe der Läsion (Mittelhirn, Pons oder verlängertes Mark) fallen die Funktionen verschiedener Nerven aus. Bei unvollständigen Hirnstamm-Läsionen können die Symptome auf der gleichen oder auf der gegenüberliegenden Körperseite auftreten. Ein Hirnstamm-Infarkt kann lebensbedrohlich sein, wenn er Areale betrifft, die für das Bewusstsein oder die Atmung von Bedeutung sind.
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Die Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum)
Die Umwandlung eines Bildes auf der Netzhaut in elektrische Nervensignale ist nur der Beginn des Sehens. Die Sehbahn leitet visuelle Signale blitzschnell an das Gehirn weiter. Die Sehnerven beider Augen überkreuzen sich am Chiasma opticum.
Anatomie und Funktion
Der Sehnerv (Nervus opticus) besteht aus rund einer Million Axonen der Ganglienzellen der Netzhaut. Die Sehnerven von rechtem und linkem Auge treffen sich nach rund 4,5 Zentimetern am Chiasma opticum, der Sehnervenkreuzung. Beim Menschen wechselt hier rund die Hälfte der Fasern aus den beiden Nervensträngen die Richtung, die anderen fünfzig Prozent verlaufen weiter auf der Seite des Auges, dem sie entspringen. An der Sehnervkreuzung wechseln die nasalen Fasern die Seite - sie werden also kontralateral verschaltet, während die temporalen Fasern auf der ursprünglichen, ipsilateralen Seite verbleiben. Ein Effekt dieser komplizierten Verschaltung ist, dass jede Hälfte des visuellen Cortex nur Informationen über eine Seite des Gesichtsfeldes erhält - aber von beiden Augen. Jenseits dieser Kreuzung ändert sich die Bezeichnung des Sehnervs: Als Tractus opticus oder Sehtrakt ziehen die meisten Nervenfasern Richtung Hinterkopf. Der Großteil der Fasern jedoch erreicht mit dem seitlichen Kniehöcker die einzige Umschaltstation zwischen Netzhaut und primärer Sehrinde.
Klinische Bedeutung
Störungen auf der visuellen Hochgeschwindigkeitsstrecke haben gravierende Konsequenzen. Beeinträchtigt beispielsweise ein Tumor, eine Entzündung oder eine Blutung den rechten oder linken Sehnerv zwischen Netzhaut und Sehnervenkreuzung, fehlt die gesamte Information aus dem jeweiligen Auge. Geschieht der Schaden an oder nach der Sehnervenkreuzung, treten besondere Ausfallmuster auf: Etwa die "Scheuklappenblindheit", also ein Ausfall des äußeren Gesichtsfeldes, wenn die sich überkreuzenden Bahnen im Chiasma opticum betroffen sind.
Evolutionäre Aspekte der Nervenkreuzung
Die Gründe für die Kreuzung der Nervenbahnen im Gehirn sind nicht vollständig geklärt. Eine Hypothese besagt, dass die kontralaterale Anordnung im Vorderhirn entstanden ist, weil sie die Sinneswahrnehmung verbessert. Eine andere Erklärung führt uns in eine Zeit lange vor der unseren zurück. In dieser Zeit lebten Wirbeltiere im Wasser, besaßen einen wurmförmigen Körper und ihr Gehirn bestand aus nicht viel mehr als aus einem Rückgrat und dem Hirnstamm. Ein solches Tier verfügte wahrscheinlich auch gar nicht über die komplexen Linsenaugen, wie wir sie heute haben. Es hatte primitive Augen, mit denen es vermutlich nichts anderes als Licht und Schatten wahrnehmen konnte. Wenn ein Feind auf das Tier zugeschwommen kam, bedeutete das für unser Tier, dass ein Schatten größer wurde. Um sich von seinem Feind abzuwenden, musste es auf der gegenüberliegenden Seite der stimulierten „Augen“ den Körper verkürzen. Wenn also der visuelle Reiz von der rechten Seite kam, musste es so schnell wie möglich auf der linken Gegenseite die Muskeln zusammenziehen, um die Fluchtbewegung einzuleiten. Zu diesem Zweck musste es eine Sehnervenkreuzung geben. In diesem Fall von dem rechten rudimentären Auge zu Muskelgruppen der linken Seite.
Das Großhirn: Sitz höherer kognitiver Funktionen
Das Großhirn ist der größte Teil des Gehirns und besteht aus zwei Hemisphären, die durch den Balken (Corpus callosum) miteinander verbunden sind. Es lässt sich in Kortex (Hirnrinde), Medulla (subkortikales Marklager) und nukleäre Abschnitte (Kerngebiete) unterteilen. Der Kortex ist der Sitz höherer kognitiver Funktionen wie Sprache, Gedächtnis, Denken und Bewusstsein. Die Gyrierung der Hirnrinde führt zu einer starken Oberflächenvergrößerung. Das Großhirn wird in vier Lappen gegliedert: Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitallappen.
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Funktionelle Spezialisierung der Hemisphären
Die beiden Gehirnhälften haben zum Teil unterschiedliche Funktionen: Während die linke Hälfte bei den meisten Menschen auf Sprache und abstraktes Denken spezialisiert ist, kommt die rechte in der Regel dann zum Einsatz, wenn es um räumliches Denken oder bildhafte Zusammenhänge geht. Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Körperseite, die linke Hälfte ist für die rechte Seite zuständig.
Die Hirnrinde: Schaltzentrale der Informationsverarbeitung
Die Großhirnrinde lässt sich in den jüngeren, 6-schichtigen Isokortex und den älteren, 3- bis 5-schichtigen Allokortex unterteilen. Der Isokortex macht mit 92 % den größten Anteil aus. Zum Allokortex werden vereinfacht die Riechrinde und der Hippocampus gezählt. Die Hirnrinde lässt sich in 44 Areale nach Brodmann einteilen, die sich in ihrer zytoarchitektonischen Struktur und Funktion unterscheiden. Primäre Rindenfelder sind Gebiete mit strenger somatotoper Gliederung, die motorische Efferenzen oder sensorische Afferenzen für verschiedene Körperteile nicht proportional auf dem Kortex abbilden. Sekundäre Rindenfelder sind den primären unmittelbar benachbarte, unimodale Assoziationsareale mit gnostischen Funktionen (Erkennen). Tertiäre Rindenfelder dagegen ermöglichen höhere integrative Leistungen durch Projektionen aus verschiedenen Rindenfeldern.
Das limbische System: Zentrum für Emotion und Gedächtnis
Das limbische System ist ein Netzwerk von Hirnstrukturen, das eine wichtige Rolle bei der Steuerung des affektiven Verhaltens, der Emotionen, des Lernens und des Gedächtnisses spielt. Es beeinflusst darüber hinaus kortikale Aktivitäten und vegetative Funktionen. Die zugehörigen kortikalen und subkortikalen Strukturen verteilen sich gürtelförmig um den Balken und das Diencephalon (Zwischenhirn) an den medialen Seiten der Hemisphären. Zu den wichtigsten Strukturen des limbischen Systems gehören der Hippocampus, die Amygdala, der Gyrus cinguli und die Corpora mamillaria.
Funktionelle Bedeutung
Die Amygdala ordnet den sensiblen Impulsen eine positive oder eine negative Bewertung zu. Sie bildet die Basis des emotionalen Gedächtnisses und dient als übergeordnete Kontrollinstanz für das vegetative System. Für die längerfristige Speicherung bewusster Gedächtnisinhalte sind intakte Strukturen des Papez-Neuronenkreises Voraussetzung. Eine Schädigung von Strukturen des Papez-Neuronenkreises führt zu einem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses.
Das motorische System: Steuerung von Bewegung
Das motorische System ermöglicht es uns, über Bewegungen mit der Außenwelt zu interagieren. Die Anteile des motorischen Systems sind hierarchisch organisiert. Um eine willentliche Bewegung einzuleiten, werden multiple Areale im frontalen und parietalen Kortex bis zu 2 Sekunden vor der Ausführung aktiviert. In den Assoziationsarealen wird die Notwendigkeit einer Bewegung festgestellt. Der prämotorische Kortex entwickelt einen Plan, der an den primär-motorischen Kortex weitergegeben wird. Neben der Pyramidenbahn als wichtigste Efferenz werden Fasern zu Assoziationskortex, Basalganglien, Kleinhirn und Hirnstammkernen als modulierende Feedback-Systeme entsandt. Die absteigenden motorischen Bahnen, welche die Aktivität von α- und γ-Motoneuronen beeinflussen, gehen vom Kortex (Pyramidenbahn) und vom Hirnstamm (extrapyramidalmotorische Bahnen) aus.
Die Basalganglien
Die Basalganglien sind subkortikale Kerngebiete, die als Teil des motorischen Systems an der Initiation und Modulation von Bewegungen sowie der Regulation des Muskeltonus beteiligt sind. Sie werden zum extrapyramidal- motorischen System (EPMS) gerechnet und bilden komplexe Schleifen zur Beeinflussung des motorischen Kortex. Das Striatum, zu dem der Ncl. caudatus, das Putamen und der Ncl. accumbens gezählt werden, ist Eingang der Basalganglien. Ausfälle in den einzelnen Kerngebieten führen zu einer Verschiebung im Regelkreis und einer gesteigerten oder verminderten Erregung des motorischen Kortex.
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