Kurzkettige Fettsäuren: Wirkung auf das Gehirn und die Darm-Hirn-Achse

Einleitung

Im Darm lebt ein komplexes Ökosystem aus Milliarden von Bakterien, das als Mikrobiom bezeichnet wird. Dieses Mikrobiom kommuniziert auf vielfältige Weise mit dem Gehirn und beeinflusst zunehmend die Entstehung und den Verlauf neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Die Gesamtheit der Bakterien im Darm spielt eine Schlüsselrolle bei vielen chronischen Krankheiten. Ein wichtiger Aspekt dieser Kommunikation sind die kurzkettigen Fettsäuren (SCFAs), die von Darmbakterien produziert werden und vielfältige Auswirkungen auf das Gehirn haben können.

Das Darm-Mikrobiom und seine Bedeutung

Jeder Mensch besitzt ein individuelles Mikrobiom, das ihn wie ein Fingerabdruck auszeichnet. Eine gestörte Darmflora, insbesondere eine reduzierte Vielfalt der Bakterienwelt, kann zu einer Vielzahl von Krankheiten führen. Die Bakterien im Darm schützen nicht nur vor krankheitserregenden Artgenossen, sondern aktivieren auch Immunzellen, die sich auf eine Reise durch den Körper begeben können. Bei MS-Patienten können bestimmte Immunzellen, die autoimmunen T-Zellen, aus dem Darm ins Gehirn einwandern und dort die schützende Myelinschicht der Nervenzellen angreifen.

Kurzkettige Fettsäuren: Schlüsselprodukte der Darmbakterien

Kurzkettige Fettsäuren sind Stoffwechselprodukte der Darmbakterien, die vor allem aus pflanzlichen und ballaststoffreichen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten hergestellt werden. Diese Fettsäuren, insbesondere Propionsäure, scheinen positiv auf die Immunzellen des zentralen Nervensystems, die Mikroglia, einzuwirken. Mikroglia sind sternförmige Zellen im Gehirn, die unter anderem als eine Art Müllabfuhr dienen.

Professor Aiden Haghikia, leitender Oberarzt an der Klinik für Neurologie der Ruhr-Universität Bochum im St. Josef-Hospital, beschäftigt sich intensiv mit dem Einfluss von kurzkettigen Fettsäuren auf den Verlauf der MS. Er konnte zeigen, dass langkettige Fettsäuren, wie sie zum Beispiel auch in Palmöl stecken, vermehrt entzündlich wirkende Immunzellen entstehen lassen, während kurzkettige Fettsäuren eher zur Bildung regulatorischer Immunzellen führen, die eine antientzündliche Wirkung haben.

Die Wirkung von kurzkettigen Fettsäuren auf das Gehirn

Einfluss auf Immunzellen

Bei Mäusen mit einer MS-ähnlichen Erkrankung wanderten nach der Gabe von Propionsäure vermehrt regulatorische T-Zellen ins Gehirn ein und verbesserten so die Symptome der Tiere. In einer ersten Studie am Menschen mit hundert MS-Patienten stieg durch eine 14-tägige Einnahme von Propionsäure - zusätzlich zur bestehenden Therapie - die Zahl der regulatorischen T-Zellen, die bei der MS in aller Regel reduziert ist, fast auf ein gesundes Maß an.

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Schutz der Mikroglia

Eine Studie des Universitätsklinikums Freiburg an Mäusen zeigte, dass die Funktion von Fresszellen des Gehirns, den Mikroglia, durch Abbauprodukte von Darmbakterien gesteuert wird. Insbesondere bei der Zersetzung von Ballaststoffen produzieren Bakterien kurzkettige Fettsäuren, die für die korrekte Funktion der Mikroglia benötigt werden. Mäuse, deren Darm keine Bakterien enthielt, entwickelten unreife und verkümmerte Mikroglia. Wurde später eine Darmflora etabliert, waren auch die Mikroglia-Zellen wieder gesünder.

Einfluss auf neurologische Erkrankungen

Die Darm-Hirn-Achse spielt im Zusammenhang mit unterschiedlichen Erkrankungen, darunter Alzheimer und Parkinson oder Multiple Sklerose eine zentrale Rolle. Eine weitere Studie zeigt, dass für ein gesundes Gehirn folglich die richtigen Bakterien im Darm genügend Ballaststoffe zugeführt bekommen müssen. Propionsäure beeinflusst die Darm-vermittelte Immunregulation aber auch bei Patienten, die unter Multipler Sklerose (MS) leiden. Wird zusätzlich zu MS Medikamenten auch Propionsäure eingenommen, kann sich die Rate an Schüben langfristig minimieren und das Risiko für eine zunehmende Einschränkung gesenkt werden.

Die Darm-Hirn-Achse: Ein bidirektionaler Kommunikationsweg

Die Darm-Hirn-Achse beschreibt die enge Verbindung und den intensiven Informationsaustausch zwischen Darm und Gehirn, und zwar in beiden Richtungen. Ein zentrales Element der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn ist das Nervensystem. Im Verdauungstrakt befinden sich ca. 100 Millionen Nervenzellen - rund vier- bis fünfmal so viele wie im Rückenmark - weswegen der Darm auch als unser zweites Gedächtnis bezeichnet wird. Auch Hormone, also Nervenbotenstoffe, spielen in der Darm-Hirn-Achse eine wichtige Rolle: Über 20 Hormone werden im Darm produziert, darunter auch der größte Teil von Serotonin - jenem Botenstoff, der für Glücksgefühle und gute Laune verantwortlich ist.

Einen zentralen Bestandteil dieser Achse bildet unsere Darmflora, genauer gesagt unterschiedliche Stoffwechselprodukte, die von unseren nützlichen Darmbakterien gebildet werden. Sie produzieren unter anderem wichtige Aminosäuren (wie Tryptophan, welches für die Bildung von Serotonin gebraucht wird) und kurzkettige Fettsäuren (z. B. Butyrat), die Emotionen, Konzentrationsfähigkeit und Stressresistenz beeinflussen. Gleichzeitig ist Butyrat auch ein wichtiger Energielieferant für bestimmte Zellen des Gehirns, nämlich für die Mikrogliazellen: Diese Aufräumtruppe verstoffwechselt unerwünschte Partikel und reinigt so das Gehirn.

Ernährung und Lebensstil zur Förderung einer gesunden Darmflora

Eine ausgewogene Ernährung mit vielen pflanzlichen Lebensmitteln liefert eine Vielfalt von Ballaststoffen, die von Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren verstoffwechselt werden. Es kann daher keinesfalls schaden, solche Lebensmittel nach und nach in größeren Mengen in den eigenen Speiseplan mitaufzunehmen. Umgekehrt reduziert eine ballaststoffarme Ernährung, die viel Zucker und tierische Fette enthält, die gesunde Artenvielfalt im Darm.

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Empfehlungen für eine darmgesunde Ernährung

  • Ballaststoffreiche Ernährung: Gemüse, insbesondere Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte sind gute Quellen dafür.
  • Vermeidung von stark verarbeiteten Lebensmitteln: Diese können die Darmflora negativ beeinflussen.
  • Fermentierte Lebensmittel: Essig, Sauerteig, Butter, Käse, Creme fraiche, Sauerkraut, Kimchi, Natto und Kombucha können die Darmflora positiv beeinflussen.

Weitere Faktoren für eine gesunde Darmflora

  • Stressmanagement: „Gute“ Darmbakterien reagieren auf starken Stress ungünstig. Ihre Zahl nimmt dann ab. Deshalb ist es ratsam, chronischen Stress - wenn möglich - zu vermindern oder zu lernen, damit besser umzugehen.
  • Vermeidung unnötiger Antibiotika: Da viele Patienten nach einem Schlaganfall Antibiotika einnehmen müssen, sind derartige Beobachtungen für uns natürlich relevant.

Probiotika, Präbiotika und Stuhltransplantationen

Wissenschaftlich weniger fundierte Experimente, um die Artenvielfalt im Darm aufzufrischen, gibt es bereits seit geraumer Zeit - sei es durch Probiotika, Präbiotika oder auch Stuhltransplantationen. Ob eine Einnahme von Probiotika die Artenvielfalt im Darm steigern kann, ist zwar möglich, ob das dann aber tatsächlich krankheitslindernd wirkt, weiß man bislang nicht. Schaden können die in vielen Supermärkten und Drogerien erhältlichen Produkte Schreiber zufolge kaum. Wer allerdings Medikamente einnimmt, die das Immunsystem unterdrücken, sollte Probiotika besser nicht auf eigene Faust ausprobieren. In Präbiotika stecken keine lebenden Bakterien, sondern Substanzen, die die Keime füttern und so zu ihrer Vermehrung beitragen sollen. Dringend abraten möchten alle Experten, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, von Stuhltransplantationen.

Kurzkettige Fettsäuren und psychische Erkrankungen

Ernährung ist eng mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen verknüpft und beeinflusst das Mikrobiom maßgeblich. Psychische Erkrankungen entstehen multifaktoriell und müssen auch multifaktoriell betrachtet und behandelt werden. Reduktionismus auf einzelne Neurotransmittersysteme sowie mechanistisches Denken scheinen uns in der Psychiatrie die letzten Jahrzehnte nicht weitergebracht zu haben. Eine moderne Psychiatrie wird das verfügbare Wissen um psychosoziale Faktoren, Ernährung, Mikrobiom, Nerven-, Hormon- und Immunsystem integrieren müssen, um bestmögliche Resultate in der Prävention und in der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erzielen.

In Placebo-kontrollierten Studien an der Medizinischen Universität Graz wurde bereits der positive Effekt eines speziell entwickelten, anti-entzündlich wirkenden Multispezies-Probiotikums sowohl bei gesunden als auch bei psychisch kranken Patienten nachgewiesen. Durch die Gabe von hochqualitativen Probiotika wird die bakterielle Besiedelung des Darms positiv beeinflusst, sodass sich die guten Bakterien vermehren und ihren Aufgaben wieder nachgehen können. Zudem ist auch ein Zusammenhang zwischen der Ernährung und der Stimmungslage nachweislich erkennbar. Aktuelle Studien zeigen, dass Jugendliche, die häufig zu Fastfood und Süßigkeiten greifen, häufiger an depressiven Verstimmungen leiden.

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