Die Frage, warum manche Menschen langsamer sind als andere, ist vielschichtig und betrifft sowohl körperliche als auch kognitive Aspekte. Es gibt keine einfache Antwort, da zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen können. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Perspektiven, von wissenschaftlichen Studien über persönliche Erfahrungen bis hin zu psychologischen Erklärungsansätzen, um ein umfassendes Bild zu vermitteln.
Der Zusammenhang zwischen Gehgeschwindigkeit, Alterung und Intelligenz
Eine Studie der US-amerikanischen Duke University untersuchte über 40 Jahre hinweg eine Gruppe von mehr als 900 Neuseeländern. Dabei wurde die Gehgeschwindigkeit in Relation zur Intelligenz sowie zum kognitiven und körperlichen Alterungsprozess gesetzt. Die Ergebnisse zeigten, dass langsam gehende Menschen geistig schneller altern, schlechtere kognitive Fähigkeiten aufweisen und im Durchschnitt einen niedrigeren IQ haben. MRTs ihrer Gehirne bestätigten diese Ergebnisse.
Terrie E. Moffitt, eine der Autorinnen des Projekts, zeigte sich überrascht: "Ärzt:innen wissen, das langsam gehende Menschen in ihren 70ern und 80ern oft früher sterben als schneller gehende Personen im selben Alter." Die Studie deutet darauf hin, dass schnelles Gehen ein Zeichen für ein jüngeres Gehirn und einen gesünderen Körper sein kann.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Erkenntnisse nicht zu Ungeduld und Geringschätzung gegenüber langsameren Menschen führen sollten. Langsam denkende Personen benötigen möglicherweise einfach etwas mehr Zeit, um Informationen zu verarbeiten.
Langsames und schnelles Denken: Zwei kognitive Strategien
Bevor wir uns langsam und schnell denkenden Menschen widmen, starten wir einmal mit vier Fragen, die sicherlich die meisten von uns mit Leichtigkeit beantworten können. Wenn du an einem Rennen teilnimmst und die Person überholst, die an zweiter Stelle ist, auf welchem Platz bist du dann? Ein Schäfer hatte 15 Schafe, doch alle außer acht starben. Wie viele hat er jetzt noch? Emilys Vater hat drei Töchter. Die ersten beiden heißen April und May, wie heißt die dritte Tochter? Wie viele Kubikmeter Erde sind in einem Loch, das drei Meter tief, drei Meter breit und drei Meter lang ist?
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Es gibt eine Anekdote über Albert Einstein, die ihn gut beschreibt: Ein Handwerker, der bei ihm zu Hause etwas reparieren sollte, war beeindruckt von Einsteins Bibliothek. Er vermutete, dass der Physiker sehr lange gebraucht habe, um all diese Bücher zu lesen. Einstein soll geantwortet haben, dass er die meisten dieser Bücher nicht einmal geöffnet habe, da er sehr langsam lese und sichergehen wolle, dass er alles vollkommen verstehe.
Langsames Denken beinhaltet, dass neue Informationen und Erfahrungen zunächst Fragen aufwerfen oder Denkprozesse anstoßen. Eindrücke werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, verschiedene Interpretationen ausprobiert und in Bezug zu bereits gespeicherten Informationen gesetzt. Dies kann zeitaufwendig sein.
Schnell denkende Menschen hingegen können neue Informationen und Erfahrungen routiniert und schnell einordnen, ohne viele Fragen stellen zu müssen. Sie nutzen vor allem ihre Intuition, die sich aus Erfahrungsmustern, Gewohnheiten und Instinkten speist.
Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann bezeichnet diese beiden Strategien als zwei unterschiedliche kognitive Systeme: langsames Denken (analytisch, reflektierend) und schnelles Denken (intuitiv, impulsiv).
Vor- und Nachteile von langsamem Denken
Die Vorteile des schnellen Denkens liegen auf der Hand: Es spart Zeit und Energie. Es ermöglicht uns, die Welt schnell zu ordnen und Dinge zu erledigen. Langsames Denken kann hingegen zu längeren Diskussionen, offenen Fragen und einem höheren Energieaufwand führen.
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Allerdings hat langsames Denken auch Vorteile:
- Weniger Vorurteile: Langsam denkende Menschen nehmen Vorurteile nicht so leicht an, da sie sich mehr Zeit nehmen, um sich ein Urteil zu bilden und sich intensiver mit den Dingen auseinandersetzen.
- Tiefere Beziehungen: Sie knüpfen oft tiefere und zuverlässigere Verbindungen und haben diversere Freundeskreise, da sie offen für unterschiedliche Menschentypen sind und sich bemühen, andere wirklich zu verstehen.
- Vielfältigere Welt: Langsam denkende Menschen erleben die Welt oft als komplexer und bunter, da sie nach Zusammenhängen und Besonderheiten suchen, anstatt neue Erfahrungen in bekannte Kategorien einzuordnen.
Langsames und schnelles Denken ergänzen sich und sind in den meisten Menschen vorhanden. Wir brauchen beide Strategien, je nach Situation. Manche Menschen neigen jedoch eher zu schnellem oder langsamem Denken.
Selbstanalyse: Neige ich eher zum schnellen oder langsamen Denken?
Wer wissen möchte, zu welcher Strategie er:sie selbst möglicherweise mehr tendiert, erinnert sich vielleicht an die Fragen, die wir uns am Anfang gestellt haben.
- Frage 1: Wenn du an einem Rennen teilnimmst und die Person überholst, die an zweiter Stelle ist, auf welchem Platz bist du dann? Schnell denkend: auf dem ersten Platz; langsam denkend: auf dem zweiten.
- Frage 2: Ein Schäfer hatte 15 Schafe, doch alle außer acht starben. Wie viele hat er jetzt noch? Schnell denkend: sieben; langsam denkend: acht.
- Frage 3: Emilys Vater hat drei Töchter. Die ersten beiden heißen April und May, wie heißt die dritte Tochter? Schnell denkend: June; langsam denkend: Emily.
- Frage 4: Wie viele Kubikmeter Erde sind in einem Loch, das drei Meter tief, drei Meter breit und drei Meter lang ist? Schnell denkend: 27; langsam denkend: 0.
Wer mehrheitlich auf die erstgenannte Antwortvariante gekommen ist, scheint eher dem intuitiven Denkstil zugeneigt zu sein, wer bei Antwortvariante zwei landete, womöglich auch noch schnell, ist offenbar eher gewohnt, gründlich zu überlegen. Beides ist okay, solange wir die jeweils andere Strategie nicht verlernen.
Persönlichkeit und Gehgeschwindigkeit
Psychologen um Yannick Stephan von der französischen Universität Montpellier haben untersucht, wie die Persönlichkeit eines Menschen mit dessen Gehgeschwindigkeit zusammenhängt. Sie werteten Daten von mehr als 15.000 Amerikanern aus Langzeitstudien aus, die Persönlichkeitstests ("Big Five": Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus) beinhalteten.
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Die Ergebnisse zeigten, dass neurotische Teilnehmer im Alter etwas langsamer liefen, während Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Extraversion mit einer flotteren Gangart korrelierten. Obwohl der Effekt gering ist, deutet er darauf hin, dass die individuelle Gehgeschwindigkeit als Ausdruck des Charakters verstanden werden kann.
Gesundheitliche Aspekte der Gehgeschwindigkeit
Ein reduziertes Lauftempo geht mit einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen und verminderte kognitive Fähigkeiten einher, unabhängig von körperlichen Alterserscheinungen.
Forscher der Duke University in North Carolina (USA) interessierten sich in diesem Zusammenhang für einen bestimmten Unterpunkt von Bewegung bei Menschen mittleren Alters, dessen Überprüfung bisher nur bei sehr alten Menschen zur routinemäßigen Untersuchung dazugehört: die Gehgeschwindigkeit. „Menschen, die langsam gehen, weisen mehrere Indikatoren für beschleunigtes Altern und einen kognitiven Rückgang auf“, erklärt Studienleiterin Line Rasmussen gegenüber FITBOOK.
Dazu baten Rasmussen und ihr Team knapp 1000 Menschen, die zwischen 1972 und 73 geboren und deren umfangreiche Gesundheitsdaten bis zum Alter von 45 Jahren regelmäßig erhoben worden waren, aufs Laufband und maßen ihre Ganggeschwindigkeit. Ergebnis: Die Teilnehmer mit dem langsamsten Gang waren in den letzten 20 Jahren im Schnitt um fünf Jahre schneller gealtert als die Teilnehmer mit dem schnellsten Gehtempo.
Die aktuellen Hirnscans offenbarten: Das kleinste Hirnvolumen, eine geringe Dicke der Hirnrinde und mehr Schädigungen in der weißen Hirnsubstanz - alles Merkmale, die mit der kognitiven Leistung verknüpft sind - hatten die Langsam-Geher unter den Mittvierzigern.
Da die Ergebnisse gezeigt hätten, dass es hier bereits in der Lebensmitte (und eben nicht erst bei Geriatrie-Patienten) erhebliche Schwankungen gebe, könnte sich die Überprüfung des Gehtempos laut Rasmussen als nützliche Maßnahme zur Verhinderung des Ausbruchs altersbedingter Krankheiten herausstellen.
Persönliche Erfahrungen mit Langsamkeit
Viele Menschen berichten von Erfahrungen, in denen sie aufgrund ihrer Langsamkeit gehänselt oder kritisiert wurden. Dies betrifft verschiedene Bereiche des Lebens, wie Schule, Beruf und Alltag.
Eine 27-jährige Person beschreibt, dass sie in allem, was sie tut, langsam ist und sich wie in Zeitlupe anfühlt. Dies betrifft das Abschreiben von der Tafel, Klassenarbeiten, das Einpacken nach dem Unterricht, Putzarbeiten, das Erfassen am PC und sogar das Essen. Auch im Denken ist sie langsam und benötigt oft lange, um etwas zu verstehen oder verbale Anweisungen umzusetzen.
Dieses Beispiel zeigt, dass Langsamkeit nicht nur ein Charakterzug, sondern auch eine Quelle von Frustration und sozialem Druck sein kann.
Mögliche Ursachen für Langsamkeit
Die Ursachen für Langsamkeit können vielfältig sein. In einigen Fällen können neurologische Ursachen oder Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADS) eine Rolle spielen. Eine Untersuchung mittels EEG brachte bei der oben genannten Person Unregelmäßigkeiten hervor, die jedoch nicht eindeutig erklärt werden konnten.
Andere mögliche Ursachen sind Perfektionismus, Überforderung oder Schwierigkeiten, Informationen zu verarbeiten. Es ist wichtig, die individuellen Umstände zu berücksichtigen und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Ursachen zu ergründen und geeignete Strategien zu entwickeln.
Intelligenz und Denkgeschwindigkeit
Eine hohe Intelligenz wird oft mit schnellem Denken assoziiert. Eine Studie aus Berlin und Barcelona hat jedoch gezeigt, dass besonders intelligente Gehirne bei komplexen Problemen langsamer arbeiten.
Die Forscher erstellten virtuelle "Avatare" von 650 menschlichen Gehirnen und simulierten deren Aktivität. Dabei stellten sie fest, dass Menschen mit einem hohen IQ einfache Probleme schneller lösen, bei komplexen Problemen jedoch langsamer sind. Dies liegt daran, dass ihre Gehirne besser synchronisiert sind und sie auf die Verarbeitungsschritte der vorgeschalteten Gehirnregionen warten, anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen.
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass langsames Denken in komplexen Situationen von Vorteil sein kann, da es zu besseren Ergebnissen führt.
Strategien für ein gesünderes Leben
Unabhängig von der individuellen Denk- und Gehgeschwindigkeit gibt es verschiedene Strategien, die zu einem gesünderen und erfüllteren Leben beitragen können:
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung, wie Gehen, kann das Wohlbefinden steigern und das Risiko für altersbedingte Krankheiten reduzieren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt mindestens 10.000 Schritte pro Tag.
- Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig für die körperliche und geistige Gesundheit.
- Soziale Interaktion: Gute soziale Beziehungen tragen zum Wohlbefinden bei und können Stress reduzieren.
- Stressmanagement: Stress kann negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Entspannungstechniken und Stressmanagement-Strategien können helfen, Stress abzubauen.
- Konzentrationstraining: Übungen zur Konzentrationssteigerung können helfen, verbale Anweisungen besser zu verstehen und Aufgaben effizienter zu erledigen.