Die Lehre des Gehirns: Grundlagen und Erkenntnisse der Hirnforschung

Einführung

Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes und komplexes Organ, dessen Funktionsweise die Wissenschaft seit Jahrhunderten beschäftigt. Lange bevor ein Mensch geboren wird, beginnt sein Gehirn bereits zu lernen. Es verarbeitet sensorische Informationen und formt neuronale Netze, in denen diese Informationen und ihre Bedeutungen gespeichert werden. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen der Lehre des Gehirns, von den frühesten Lernprozessen im Mutterleib bis hin zu den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung.

Lernen vor der Geburt

Bereits im Mutterleib beginnt das Gehirn des Kindes, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Es hört die Stimmen von Mutter und Vater, die es nach der Geburt wiedererkennt. Die Aromen, die die Mutter während der Schwangerschaft zu sich nimmt, prägen die geschmacklichen Vorlieben des Kindes. Sogar die Stimmungen der Mutter, ob Glück oder Stress, wirken sich auf das ungeborene Kind aus.

Diese frühen Erfahrungen führen zum Aufbau neuronaler Netze und zur Speicherung von Informationen im Langzeitgedächtnis. Dadurch werden bereits im Mutterleib entscheidende Gehirnfunktionen angelegt, auf die wir ein Leben lang zurückgreifen können.

Natürliches Lernen: Der Prototyp des Lernens

Lernen im neurowissenschaftlichen Sinne ist ein aktiver, autonomer Prozess im Gehirn. Er kann angestoßen, unterstützt oder gestört werden, aber auf den Prozess selbst haben wir von außen keinen direkten Einfluss. Dies zeigt sich darin, dass gleiche Lernanstöße zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.

Der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) unterschied drei Dimensionen der "Selbstwerdung des Menschen": Natur, Gesellschaft und Selbst. Das natürliche Lernen bildet die Grundlage für die Überlebensfähigkeit nach der Geburt. Das Gehirn verknüpft neue Informationen mit vorhandenen. Wenn dies nicht gelingt, wendet sich die Aufmerksamkeit einem anderen Gegenstand zu oder es entsteht Neugier.

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In den ersten Lebensjahren durchläuft ein Kind ein rasantes Lernprogramm und erwirbt Grundfertigkeiten in Bewegung, Sprache, Kognition, sozialer und emotionaler Entwicklung, Ich-Entwicklung und Selbstständigkeit. Es sammelt Erfahrungen, lernt durch Abschauen und Nachahmen, und später vor allem durch Spielen. Misserfolge und Fehler werden durch Üben ausgeglichen. So entstehen "Module" für einzelne Aspekte der Lebensbewältigung.

Gelernt wird vor allem, wenn das Ergebnis einer Anstrengung "besser als erwartet" ausfällt. Lernprozesse vollziehen sich durch lebensweltliche Umstände wie eine anregende oder langweilige Umgebung, Ermutigung oder Entmutigung. Dieser Vorgang wird Sozialisation genannt. Wir eignen uns Einstellungen, Haltungen, Qualifikationen und Kompetenzen an, ohne genau angeben zu können, wie dies vor sich gegangen ist.

Der Mensch ist nicht nur das Werk von "Natur" und "Umständen", sondern auch das Werk "seiner selbst". Er muss lernen, sein Leben aktiv zu gestalten. Ich- und Selbstständigkeitsentwicklung sind daher wichtige Dimensionen des natürlichen Lernens. Jeder Mensch braucht Unterstützung dabei, sich selbst zu verstehen und sich über sein Denken und Handeln klar zu werden. Aufklärung und Selbstständigkeit sind an die Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung gebunden, weshalb Sprachförderung in der frühen Kindheit so grundlegend ist.

Das natürliche Lernen - Lernen ohne Lehrer - ist der Prototyp des Lernens überhaupt. Das Gehirn lernt immer auf die gleiche Weise: mit seinen individuellen Prozessen der Informationsverarbeitung und Bedeutungskonstruktion.

Historische Perspektiven der Hirnforschung

Die Geschichte der Hirnforschung ist geprägt von der Suche nach dem Sitz psychischer Qualitäten im Gehirn. Im 19. Jahrhundert entstanden die Lokalisationslehre und die Neuronenlehre. Vor dem 19. Jahrhundert galt das Gehirn als Sitz der Seele.

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Die Lokalisationslehre versuchte, bestimmte Funktionen bestimmten Hirnregionen zuzuordnen. So entdeckte Paul Broca die Bedeutung des Broca-Zentrums für die Sprachproduktion. Carl Wernicke lokalisierte das Sprachverständnis in einem anderen Areal. Diese Erkenntnisse trugen zur Erforschung zerebral bedingter Sprachstörungen (Aphasie) bei.

Die Neuronenlehre, die sich nach 1880 entwickelte, besagt, dass das Nervensystem aus einzelnen Zellen (Neuronen) besteht, die über Synapsen miteinander kommunizieren. Diese Theorie widerlegte die Vorstellung eines kontinuierlichen Nervennetzes.

Obwohl die Lokalisationslehre und die Neuronenlehre zunächst spekulativ waren, erlangten sie durch die experimentelle Physiologie und die Entwicklung neuer Forschungsmethoden an Bedeutung.

Die Rolle der Hemmung im Gehirn

Ein wichtiger Aspekt der Hirnfunktion ist die hemmende Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Weiqi Zhang von der Universität Münster hat die molekularen Grundlagen dieser hemmenden Signalübertragung entschlüsselt.

Die Wissenschaftler entdeckten, dass das Protein Neuroligin-2 bei der Entstehung hemmender Synapsen eine entscheidende Rolle spielt. Neuroligin-2 ermöglicht den Kontakt zwischen dem sendenden und dem empfangenden Teil der Synapse und bindet sich an die Gerüstproteine Collybistin und Gephyrin, die die Verankerung von GABA- und Glycin-Rezeptoren übernehmen.

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Eine Störung dieses Proteinnetzwerks kann zu Epilepsie, Angststörungen, Schizophrenie und anderen neuropsychiatrischen Krankheiten führen. Die Erkenntnisse der Forscher könnten daher neue Möglichkeiten für die Therapie dieser Erkrankungen eröffnen.

Rhythmen des Lebens: Die innere Uhr

Das Nervensystem und die Organe des Körpers bestimmen die Rhythmen unseres Lebens. Oberste Instanz der inneren Uhr ist der Nucleus suprachiasmaticus (SCN), ein paariger Hirnkern mit etwa 50.000 Nervenzellen. In den meisten Zellen des Körpers läuft ein 24-Stunden-Rhythmus, der unabhängig vom SCN von einem Uhren-Gen und dem zugehörigen Genprodukt „per“ angetrieben wird.

Die innere Uhr beeinflusst nicht nur den Schlaf-Wach-Rhythmus und die Anpassungen an die Jahreszeit, sondern auch Lernen und Gedächtnis, sowie fast alle physiologischen Tagesrhythmen wie die Schwankungen des Blutdrucks, des Herzschlages, von Hormonspiegeln, der Atemfrequenz und sogar der Blutgerinnung.

Die Forschung hat gezeigt, dass eine Angleichung der Medikation an die innere Uhr in einigen Fällen positive Auswirkungen haben kann, beispielsweise bei Patienten mit extremen Blutdruckschwankungen.

Lernen und Gedächtnis: Wie das Gehirn Informationen speichert

Das Gehirn speichert täglich unzählige Informationen in den Synapsen, den feinen Verästelungen, über die sich die Nervenzellen miteinander vernetzen. Wenn Informationen in das Langzeitgedächtnis überschrieben werden sollen, müssen sich die entsprechenden Synapsen dauerhaft verändern.

Martin Korte und Shreedharan Salikumar von der TU Braunschweig haben beobachtet, wie die betroffenen Bereiche der Synapsen zu diesem Zweck einen Marker (engl. „tag“) produzieren, der dafür sorgt, dass die notwendigen Proteine nur an eben diesen markierten Synapsen wirksam sind. Durch das „synaptic tagging“ müssen Proteine aus dem Zellkern nicht mehr gezielt an die richtige Stelle transportiert werden, sondern sie können in eine größere Funktionseinheit „geschickt“ werden.

Eine weitere Entdeckung der Forscher ist die Rolle des Proteins NogoA bei der Stabilisierung von Nervennetzen und der Speicherung von Erinnerungen. NogoA kommt im Körper nur im Zentralen Nervensystem vor und hemmt das Wachstum von Nervenzellen. Es stabilisiert die Funktion und Struktur von Nervennetzen und schützt sie vor weiteren Änderungen.

NeuroCure: Exzellenzcluster für Neurowissenschaften in Berlin

Der Exzellenzcluster „NeuroCure“ in Berlin verbindet Grundlagenforschung und klinische Praxis, um wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in Therapien umzusetzen. Beteiligt sind neben der Charité - Universitätsmedizin Berlin, der gemeinsamen medizinischen Fakultät von FU und HU Berlin, vier weitere außeruniversitäre Forschungsinstitute.

Ein Schwerpunkt der „NeuroCure“-Forschung liegt auf Therapieansätzen mit vielversprechenden Perspektiven, wie beispielsweise die adaptive tiefe Hirnstimulation (aDBS) zur Behandlung von Parkinson-Symptomen. Die aDBS kann die Hirnaktivität dynamisch beeinflussen, um Symptome wie Zittern oder Bewegungsverlangsamung zu lindern.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erforschung von Autoimmunerkrankungen, die Demenz, Psychosen oder Wahnvorstellungen auslösen können. Hier setzt die Forschung auf Gen- und Zelltherapie, um krankmachende Immunreaktionen zu stoppen und schädliche Antikörper zu eliminieren.

Tipps für effektives Lehren und Lernen

Die Erkenntnisse der Hirnforschung können auch für die Gestaltung von Lehrveranstaltungen und Lernprozessen genutzt werden. Hier sind einige Tipps für effektives Lehren und Lernen:

  1. Aufwärmen: Aktivieren Sie das Vorwissen der Studierenden, um einenAnschluss an das Thema zu ermöglichen.
  2. Aufmerksamkeit: Gestalten Sie den Unterricht interessant und relevant, um dieAufmerksamkeit der Studierenden zu gewinnen.
  3. Arbeitsgedächtnis: Berücksichtigen Sie die begrenzte Kapazität desArbeitsgedächtnisses und präsentieren Sie Informationen in„Chunks“.
  4. Wissensstrukturen: Helfen Sie den Studierenden, neues Wissen inbestehende Wissensstrukturen einzubinden.
  5. Üben und Wiederholen: Ermöglichen Sie den Studierenden, das Gelernte zuüben und zu wiederholen, um es im Langzeitgedächtnis zu verankern.
  6. Pausen: Bauen Sie regelmäßige Pausen ein, um die Verarbeitung vonInformationen zu ermöglichen.
  7. Aktive Beteiligung: Fördern Sie die aktive Beteiligung der Studierenden, umdas Lernen zu aktivieren.

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