Myasthenia gravis (MG) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Diese Schwäche kann verschiedene Muskelgruppen betreffen, darunter die Augen-, Gesichts- und Extremitätenmuskulatur, was zu Symptomen wie Doppelbildern, Sprechstörungen und Kurzatmigkeit führen kann. Da die Erkrankung durch eine gestörte Reizübertragung vom Nerv auf den Muskel verursacht wird, können bestimmte Medikamente diese Übertragung zusätzlich beeinträchtigen und somit die Symptome der Myasthenie verstärken. Es ist daher wichtig zu wissen, welche Medikamente potenziell problematisch sind und wie man mit ihnen umgeht.
Statine und Myasthenie
Statine sind Medikamente, die häufig zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen und zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden. Die britische Arzneimittelbehörde (MHRA) hat jedoch darauf hingewiesen, dass Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Rosuvastatin und Simvastatin eine Myasthenia gravis auslösen oder eine bestehende MG oder okuläre Myasthenie verschlimmern können.
Fallberichte und Empfehlungen
In Großbritannien gab es Fallberichte, in denen Patienten nach Beginn der Statintherapie Symptome einer Myasthenie entwickelten oder eine Verschlechterung ihrer bestehenden Myasthenie erlebten. In den meisten Fällen verbesserten sich die Symptome nach dem Absetzen des Statins, obwohl bei einigen Patienten die Beschwerden anhielten. Die Symptome traten typischerweise innerhalb von wenigen Tagen bis zu drei Monaten nach Beginn der Statinbehandlung auf.
Aufgrund dieser Erkenntnisse empfehlen die AkdÄ (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) und die MHRA, dass Personen mit bestehender MG bei der Anwendung von Statinen auf eine mögliche Verschlechterung ihrer Symptome achten sollten. Im Falle einer Verschlimmerung der Beschwerden wird empfohlen, die Einnahme des Statins zu beenden. Es ist bisher unklar, ob bestimmte Statine, die Anwendungsdauer oder unterschiedliche Dosierungen das Risiko beeinflussen.
Risiko-Nutzen-Abwägung bei Statinen
Es ist wichtig zu beachten, dass die Empfehlungen für den konsequenten Einsatz von Statinen auf den Daten großer, kontrollierter Studien und Langzeiterfahrungen basieren, die die Wirksamkeit der Statine mit der höchsten Evidenz festgestellt haben. Daher sollten Statine entsprechend den Leitlinien zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen und zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch bei Myasthenie-Patienten eingesetzt werden, wenn dies medizinisch notwendig ist.
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Wie in den meisten anderen Behandlungssituationen auch, muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall gemacht werden. Das sehr geringe Risiko einer zeitnahen Verschlechterung der Myasthenia gravis muss gegen das vergleichsweise hohe Risiko einer schweren Herz-Kreislauf-Erkrankung im Langzeitverlauf abgewogen werden. Soweit sich dies aus den vorliegenden Daten ableiten lässt, gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich die verschiedenen Vertreter der Statine hinsichtlich eines möglichen Myasthenie-Risikos unterscheiden.
Weitere Medikamente, die Myasthenie verschlechtern können
Neben Statinen gibt es eine Reihe weiterer Medikamente, die die Symptome einer Myasthenie verstärken können. Dazu gehören bestimmte:
- Antibiotika: Aminoglykoside (insbesondere Streptomycin, Neomycin, weniger Tobramycin), Makrolide (z. B. Azithromycin, Telithromycin, Erythromycin) und Tetrazykline. Cephalosporine gelten dagegen als sicher bei Myasthenie.
- Andere Medikamente: Es gibt Berichte darüber, dass auch andere Medikamente die Myasthenie verschlechtern können.
Es ist wichtig zu beachten, dass Infektionen an sich bereits häufig mit einer Myasthenie-Verschlechterung einhergehen. Daher ist besondere Vorsicht bei der Auswahl von Antibiotika geboten.
Wie Medikamente die neuromuskuläre Übertragung beeinflussen
Um zu verstehen, warum bestimmte Medikamente die Myasthenie verschlechtern können, ist es hilfreich, die Grundlagen der neuromuskulären Übertragung zu kennen.
Die Rolle von Acetylcholin
Die Nerv-Muskel-Kommunikation erfolgt über spezielle Botenstoffe, wie z. B. Acetylcholin (ACh). ACh wird von der Nervenzelle ausgeschüttet und bindet an Acetylcholinrezeptoren (AChR) auf der Muskeloberfläche. Diese Bindung löst eine Muskelkontraktion aus.
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Bei Myasthenie gravis werden Autoantikörper gegen AChR gebildet, die die Rezeptoren blockieren oder zerstören. Dadurch wird die Signalübertragung gestört und es kommt zu Muskelschwäche.
Medikamentöse Beeinflussung der Signalübertragung
Einige Medikamente können die neuromuskuläre Signalübertragung auf verschiedene Weise beeinflussen und somit die Symptome der Myasthenie verstärken:
- Hemmung der Acetylcholinesterase: Azetylcholin (ACh) wird durch das Enzym Azetylcholinesterase (AChE) abgebaut. Wird das Enzym medikamentös gehemmt, wird der Abbau des ACh vermindert und es steht mehr ACh zur Verfügung. Dadurch wird die Signalübertragung an der Schnittstelle zwischen Nervenfaser und Muskelzelle verbessert.
- Direkte Blockade der AChR: Einige Medikamente können direkt an die AChR binden und diese blockieren, wodurch die Wirkung von ACh verhindert wird.
- Beeinträchtigung der ACh-Freisetzung: Andere Medikamente können die Freisetzung von ACh aus den Nervenzellen beeinträchtigen.
Umgang mit Medikamenten bei Myasthenie
Für Patienten mit Myasthenie ist es wichtig, eng mit ihrem Arzt zusammenzuarbeiten, um die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten. Dies umfasst:
- Offene Kommunikation: Informieren Sie Ihren Arzt über alle Medikamente, die Sie einnehmen, einschließlich rezeptfreier Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel.
- Aufmerksame Beobachtung: Achten Sie auf mögliche Verschlechterungen Ihrer Myasthenie-Symptome nach Beginn einer neuen Medikation.
- Vermeidung problematischer Medikamente: Wenn möglich, sollten Medikamente vermieden werden, die bekanntermaßen die Myasthenie verschlechtern können. Wenn eine solche Medikation jedoch notwendig ist, sollte der Arzt die niedrigste wirksame Dosis verschreiben und den Patienten engmaschig überwachen.
- Frühzeitige Behandlung von Infektionen: Infektionen können die Myasthenie-Symptome verstärken. Daher sollten Infektionen frühzeitig behandelt werden.
- Regelmäßige Kontrollen: Patienten mit Myasthenie sollten sich unbedingt regelmäßig bei spezialisierten Neurologen vorstellen und Lebensereignisse wie Schwangerschaften oder anstehende Operationen stets mit ihrem Neurologen planen.
Therapie der Myasthenie
Die Myasthenie ist zwar nicht heilbar, aber gut einstellbar. Dank der vielseitigen und individuell abstimmbaren Therapiemöglichkeiten ist die Myasthenie unter fachärztlicher Kontrolle heute gut einstellbar. Zu den wichtigsten Therapieansätzen gehören:
- Acetylcholinesterasehemmer: Diese Medikamente (z. B. Pyridostigmin) verbessern die Signalübertragung an der neuromuskulären Endplatte, indem sie den Abbau von Acetylcholin verhindern.
- Immunsuppressiva: Kortikosteroide (z. B. Prednisolon) und andere Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil) dämpfen die Überaktivität des Immunsystems und reduzieren die Bildung von Autoantikörpern.
- Thymektomie: Die operative Entfernung der Thymusdrüse kann bei einigen Patienten mit Myasthenie hilfreich sein, insbesondere bei jüngeren Patienten mit Thymushyperplasie oder Thymom.
- Immuntherapien: In schweren Fällen können intravenöse Immunglobuline (IVIG) oder Plasmapherese eingesetzt werden, um die Autoantikörper aus dem Blut zu entfernen.
- Neuere Therapieansätze: In den letzten Jahren wurden neue Medikamente zur Behandlung der Myasthenie zugelassen, darunter Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren). Diese Therapien richten sich gegen die zugrunde liegende autoimmune Entzündung und wirken verlaufsmodifizierend.
Leben mit Myasthenie
Mit einer guten Medikamenteneinstellung ist die Prognose bei Myasthenie in der Regel positiv. Viele Patienten können mit geringen Beeinträchtigungen ein weitgehend normales Leben führen und einer Berufstätigkeit nachgehen. Es ist jedoch wichtig, den Alltag auf die Erkrankung abzustimmen und körperliche und psychische Belastungen weitgehend zu vermeiden. Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden.
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