Die Suche nach wirksamen Mitteln gegen Demenz, insbesondere die Alzheimer-Krankheit, ist ein zentrales Anliegen der modernen medizinischen Forschung. Obwohl es bisher keine Heilung gibt, wurden in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt, die neue Therapieansätze eröffnen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen medikamentösen Behandlungen, neue Entwicklungen und zukünftige Perspektiven im Bereich der Demenztherapie.
Fortschritte und Rückschläge in der Alzheimer-Forschung
Die Alzheimer-Forschung hat in den letzten Jahrzehnten sowohl Erfolge als auch Misserfolge erlebt. Eine im Jahr 2014 veröffentlichte Studie zeigte, dass von 2002 bis 2012 die Misserfolgsquote bei der Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten in klinischen Studien bei 99,6 % lag. Im Vergleich dazu liegt die Erfolgsquote bei der Entwicklung von Medikamenten in anderen medizinischen Bereichen deutlich höher. Trotz dieser Herausforderungen wurden und werden weiterhin zahlreiche Medikamente entwickelt, viele davon unter Beteiligung deutscher Kliniken. Derzeit befinden sich etwa 60 weitere Medikamente für die Alzheimer-Therapie in der Phase II der klinischen Erprobung, nachdem sie bereits erfolgreiche Tests mit gesunden Probanden (Phase I) durchlaufen haben.
Neue Hoffnung: Antikörper-basierte Medikamente
Ein vielversprechender Ansatz in der Alzheimer-Therapie ist die Entwicklung von Antikörper-basierten Medikamenten, die auf die für die Krankheit typischen Amyloid-Plaques im Gehirn abzielen. Diese Plaques, die aus Beta-Amyloid-Protein bestehen, werden von vielen Wissenschaftlern als wesentliche Ursache für das Absterben von Nervenzellen angesehen.
Lecanemab (Leqembi)
Am 15. April 2025 erteilte die EU-Kommission die Zulassung für das Medikament Lecanemab (Handelsname Leqembi) für eine genau definierte Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium. Lecanemab ist ein Antikörper, der sich gezielt an Beta-Amyloid-Protein-Plaques im Gehirn bindet und so das Immunsystem aktiviert, um diese abzubauen oder die Neubildung zu verhindern. Studien haben gezeigt, dass Lecanemab bei frühzeitiger Anwendung das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann.
Die Zulassung von Lecanemab war jedoch ein komplexer Prozess. Zunächst hatte das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) keine Zulassungsempfehlung ausgesprochen. Die Zulassung erfolgte schließlich für eine enger gefasste Patientengruppe, und das CHMP musste sogar ein drittes Mal über das Medikament entscheiden, um weitere Daten zur Sicherheit zu berücksichtigen.
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Wirksamkeit und Nutzen von Lecanemab
Lecanemab ist das erste Medikament in Europa, das direkt in das Krankheitsgeschehen eingreift und nicht nur die Symptome behandelt. Es kann die Amyloid-Plaques im Gehirn deutlich reduzieren, was in Hirn-Scans sichtbar wird. Allerdings warnen Fachleute vor überzogenen Erwartungen, da die klinische Wirkung des Medikaments begrenzt ist. Studien haben gezeigt, dass Lecanemab den kognitiven Abbau innerhalb von 18 Monaten um etwa 27 Prozent verlangsamen kann, was für die Betroffenen kaum spürbar ist, da die Erkrankung dennoch fortschreitet.
Patientenauswahl und Anwendungsbeschränkungen
Die Zulassung von Lecanemab ist an strenge Auflagen geknüpft. Das Medikament ist nur für Patientinnen und Patienten mit Alzheimer in einem frühen Stadium geeignet, d.h. mit leichter kognitiver Störung oder leichter Demenz. Zudem muss ein Nachweis für die krankhaften Amyloid-Ablagerungen im Gehirn vorliegen, und ein Gentest muss ausschließen, dass die Betroffenen eine doppelte Kopie des ApoE4-Gens besitzen, da dies das Risiko für Hirnblutungen und Hirnschwellungen unter der Therapie erhöht. Lecanemab ist außerdem nicht für Personen geeignet, die Gerinnungshemmer einnehmen.
Nebenwirkungen und Kontrollmaßnahmen
Die Behandlung mit Lecanemab kann mit Nebenwirkungen verbunden sein, insbesondere mit sogenannten ARIA (Amyloid-related Imaging Abnormalities), die Hirnschwellungen oder Hirnblutungen umfassen können. Diese können symptomlos verlaufen oder mit Kopfschmerzen, Schwindel, Lähmungen und Krampfanfällen einhergehen. Während der Therapie sind daher regelmäßige MRT-Untersuchungen erforderlich, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.
Kosten und Verfügbarkeit
Die Behandlung mit Lecanemab ist aufwendig und teuer. In den USA kostet das Medikament jährlich etwa 25.000 Euro. In Europa könnten die jährlichen Kosten pro Patientin oder Patient auf etwa 30.000 Euro geschätzt werden. Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen wird erst nach einer Kosten-Nutzen-Abwägung entschieden. In Deutschland ist Lecanemab seit dem 1. September 2025 erhältlich. Vor der Behandlung müssen sich Patientinnen und Patienten sowie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte in ein EU-weites Register eintragen.
Donanemab (Kisunla)
Seit dem 25. September 2025 ist in der EU ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament zugelassen: Donanemab (Handelsname Kisunla). Donanemab erhielt im Juli 2025 eine Zulassungsempfehlung von der EMA, nachdem eine zuvor negative Entscheidung vom 28. März 2025 überprüft wurde. Auch Donanemab kann Studien zufolge bei frühzeitiger Anwendung das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen.
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Unterschiede zu Lecanemab
Donanemab unterscheidet sich von Lecanemab in einigen Punkten. Während Lecanemab alle zwei Wochen infundiert wird, erfolgt die Infusion bei Donanemab nur alle vier Wochen. Ein weiterer Unterschied betrifft die Therapiedauer: Laut Fachinformation soll die Behandlung mit Kisunla nur so lange fortgesetzt werden, bis die Amyloid-Plaques entfernt sind, maximal jedoch 18 Monate.
Anwendungsbeschränkungen
Wie Lecanemab darf auch Donanemab nicht bei Personen mit Blutungsstörungen oder bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien eingesetzt werden. Die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung mit Donanemab sollte in spezialisierten Zentren getroffen werden. Kisunla wurde zum 1. November 2025 auf dem deutschen Markt eingeführt.
Weitere Medikamentöse Behandlungsansätze
Neben den Antikörper-basierten Medikamenten gibt es weitere medikamentöse Behandlungsansätze, die bei Demenz eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern und den Krankheitsverlauf zu verlangsamen.
Acetylcholinesterase-Hemmer
Acetylcholinesterase-Hemmer erhöhen die Verfügbarkeit des Botenstoffs Acetylcholin im Gehirn und können so Gedächtnis, Konzentration, Aufmerksamkeit und Alltagsfunktionen verbessern. Zu diesen Medikamenten gehören Donepezil, Galantamin und Rivastigmin. Sie werden im frühen und mittleren Stadium der Alzheimer-Demenz eingesetzt, können aber auch bei anderen Demenzformen wie der vaskulären Demenz oder der Lewy-Körperchen-Demenz eingesetzt werden.
Die Medikamente sollten so hoch wie möglich dosiert werden, solange sie für den Patienten gut verträglich sind. Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwindel und Kopfschmerzen. Um diese zu minimieren, wird die Dosis zu Beginn der Behandlung langsam gesteigert.
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Memantin
Memantin wirkt gegen den Überschuss des Botenstoffs Glutamat im Gehirn und verhindert so eine Überreizung der Nervenzellen. Es wird im mittleren bis späten Stadium der Alzheimer-Demenz eingesetzt und kann hier die kognitiven Funktionen, die Alltagsfunktionen und das Befinden der Patienten verbessern. Memantin kann auch bei anderen Demenzformen wie der gemischten Demenz und der vaskulären Demenz eingesetzt werden. In manchen Fällen wird Memantin im mittleren bis späten Stadium der Alzheimer-Demenz auch mit einem Acetylcholinesterase-Hemmer kombiniert.
Zu Beginn der Behandlung kann es zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Verstopfung, Schläfrigkeit und erhöhtem Blutdruck kommen, die aber meist nach einiger Zeit wieder zurückgehen.
Ginkgo Biloba
Ginkgo Biloba ist ein pflanzliches Präparat, das aus den Blättern des Ginkgo-Baums gewonnen wird. Es wird zur Verbesserung der Durchblutung und zum Schutz der Nervenzellen eingesetzt. Einzelne Studien deuten darauf hin, dass Ginkgo in hoher Dosierung (240 mg pro Tag) bei leichter oder mittelschwerer Alzheimer-Demenz die Gedächtnisleistung verbessern und psychische Beschwerden lindern könnte. Allerdings ist die Studienlage hierzu nicht eindeutig.
Ginkgo ist insgesamt recht gut verträglich, kann aber Magenbeschwerden oder Kopfschmerzen verursachen. Zudem sollte es nicht zusammen mit Gerinnungshemmern eingenommen werden, da es die Blutgerinnung beeinflussen kann.
Weitere Forschungsansätze und zukünftige Perspektiven
Die Alzheimer-Forschung ist weiterhin sehr aktiv, und es werden zahlreiche weitere Ansätze verfolgt, um die Krankheit besser zu verstehen und wirksame Therapien zu entwickeln.
Gamma-Sekretase-Modulatoren (GSMs)
Ein vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung von Gamma-Sekretase-Modulatoren (GSMs). Diese Substanzen beeinflussen die Aktivität der Gamma-Sekretase, eines körpereigenen Proteins, das eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Amyloid-Plaques spielt. Zwei Forscherteams des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen (KNDD) haben das Zielprotein einiger neuer, von den NSAIDs abgeleiteten GSMs identifiziert, was einen wichtigen Schritt für die Entwicklung neuer Medikamente darstellt.
Prävention
Da die Alzheimer-Demenz bereits irreversible Schäden verursacht, wenn sie klinisch diagnostiziert wird, wird der Ansatz der Krankheitsprävention von vielen Fachleuten als erfolgversprechender angesehen. Hierbei wird versucht, bereits das Auftreten von Symptomen zu verhindern, z. B. durch Medikamente. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußern die Hoffnung, dass Gamma-Sekretase-Modulatoren in einigen Jahren eine wichtige Rolle bei der Prävention der Alzheimer-Demenz spielen könnten.
Biomarker
Die Entwicklung von Biomarkern, die eine frühe Diagnose der Alzheimer-Demenz ermöglichen, ist ein weiteres wichtiges Forschungsgebiet. Durch den Nachweis von Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen im Gehirn mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren kann die Behandlung möglicherweise sehr frühzeitig begonnen werden, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen kann.