Morbus Crohn und Multiple Sklerose (MS) sind zwei chronische Erkrankungen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben. Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED), während MS eine Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems ist. Trotz dieser Unterschiede gibt es interessante Parallelen und mögliche Zusammenhänge zwischen den beiden Erkrankungen, die in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt sind.
Was ist Morbus Crohn?
Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die den gesamten Verdauungstrakt vom Mund bis zum After befallen kann. Am häufigsten sind jedoch der untere Dünndarm (Ileum) und der Dickdarm betroffen. Die Entzündung kann alle Schichten der Darmwand betreffen und zu verschiedenen Symptomen führen, darunter Bauchschmerzen, Durchfall, Gewichtsverlust und Müdigkeit.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheide angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umgibt. Diese Schädigung der Myelinscheide führt zu einer gestörten Signalübertragung zwischen Gehirn und Körper, was eine Vielzahl neurologischer Symptome verursachen kann, wie z.B. Müdigkeit, Taubheit, Muskelschwäche, Koordinationsstörungen und Sehstörungen. Die Symptome und der Verlauf der MS können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein.
Parallelen zwischen Morbus Crohn und Multipler Sklerose
Obwohl Morbus Crohn und MS unterschiedliche Organsysteme betreffen, weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf:
- Autoimmunerkrankungen: Beide Erkrankungen sind Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem körpereigenes Gewebe angreift. Bei Morbus Crohn richtet sich das Immunsystem gegen den Verdauungstrakt, während es bei MS die Myelinscheide der Nervenfasern angreift.
- Chronischer Verlauf: Beide Erkrankungen haben einen chronischen Verlauf mit Phasen von Krankheitsaktivität (Schüben) und Phasen der Ruhe (Remission).
- Vielfältige Symptome: Sowohl Morbus Crohn als auch MS können eine Vielzahl von Symptomen verursachen, die von Person zu Person unterschiedlich sein können. Die Symptome können den Alltag der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
- Genetische und Umweltfaktoren: Bei beiden Erkrankungen spielen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle bei der Entstehung.
Mögliche Zusammenhänge zwischen Morbus Crohn und Multipler Sklerose
In den letzten Jahren haben Studien Hinweise auf mögliche Zusammenhänge zwischen Morbus Crohn und MS gefunden. Eine aktuelle Metaanalyse bestätigte die wechselseitige Beziehung zwischen Darm und Gehirn. Die Ergebnisse zeigten insbesondere bei Menschen mit CED ein erhöhtes Risiko für verschiedene neurodegenerative Erkrankungen.
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Einige Studien haben gezeigt, dass Menschen mit CED ein erhöhtes Risiko haben, an MS zu erkranken, und umgekehrt. So fanden zwei große Cross-sektionale Kohortenstudien eine relative Risikoerhöhung von 1,54-2,09 (Morbus Crohn) beziehungsweise 1,75-2,35 (Colitis ulcerosa) für die zusätzliche Diagnose einer MS. Bei Patientinnen und Patienten mit MS wurden vergleichbare Risikoerhöhungen für die Entwicklung einer Psoriasis oder RA beobachtet.
Die Mechanismen, die diesem Zusammenhang zugrunde liegen könnten, sind noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt verschiedene Theorien:
- Darm-Hirn-Achse: Die Darm-Hirn-Achse ist eine bidirektionale Kommunikationsverbindung zwischen dem Darm und dem Gehirn. Eine Entzündung im Darm kann die Darm-Hirn-Achse beeinflussen und Entzündungsreaktionen im Gehirn auslösen, die zur Neurodegeneration beitragen können.
- Darmmikrobiom: Das Darmmikrobiom, die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm, spielt eine wichtige Rolle für die Gesundheit. Eine Störung des Darmmikrobioms, wie sie bei CED-Patienten häufig vorkommt, kann zu einer Verringerung von entzündungshemmenden Stoffwechselprodukten und einem Anstieg von neurotoxischen Metaboliten führen. Diese Metaboliten können dann in den Blutkreislauf und das Zentralnervensystem gelangen und die Nervenzellen schädigen.
- Gemeinsame genetische Risikofaktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte genetische Varianten, die das Risiko für CED erhöhen, auch das Risiko für MS erhöhen können.
- Entzündungsmediatoren: Sowohl bei Morbus Crohn als auch bei MS spielen bestimmte Entzündungsmediatoren eine wichtige Rolle. Diese Mediatoren können sowohl im Darm als auch im Gehirn Entzündungen fördern und zur Krankheitsentstehung beitragen.
- Durchlässigkeit der Darmschleimhaut: Eine Darmentzündung kann die Darmschleimhautbarriere schädigen, wodurch Bakterien oder bakterielle Produkte in den Blutkreislauf gelangen und Immunzellen aktivieren können. Botenstoffe der Immunzellen können die Blut-Hirn-Schranke durchdringen und so eine Entzündungsreaktion des Zentralnervensystems auslösen, die zur Degeneration bestimmter Nervenzellen führen kann.
Diagnostik und Therapie
Die Diagnose von Morbus Crohn und MS erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus klinischer Untersuchung, Anamnese, bildgebenden Verfahren und Laboruntersuchungen.
Die Therapie von Morbus Crohn und MS zielt darauf ab, die Entzündung zu reduzieren, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen Medikamente, Ernährungstherapie und in einigen Fällen auch eine Operation.
Therapie bei komorbider Erkrankung
Bei Patientinnen und Patienten, die sowohl an MS als auch an einer weiteren chronisch-entzündlichen Erkrankung leiden, ist eine sorgfältige Therapieplanung erforderlich. Idealerweise sollten Medikamente eingesetzt werden, die gleichzeitig auf beide Erkrankungen positiv wirken. Bei Kombinationstherapien muss jedoch insbesondere eine Verstärkung von Nebenwirkungen berücksichtigt werden.
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Einige Medikamente, die bei MS eingesetzt werden, können auch bei CED wirksam sein, und umgekehrt. So kann beispielsweise Dimethylfumarat sowohl bei MS als auch bei Psoriasis eingesetzt werden. Auch Azathioprin und Methotrexat sind Therapieoptionen bei milder Krankheitsaktivität einer RA oder CED, bei denen begleitend ein geringer positiver Effekt auf eine MS zu erwarten ist.
In einigen Fällen kann auch eine Kombinationstherapie mit verschiedenen Medikamenten erforderlich sein, um beide Erkrankungen effektiv zu behandeln. So ist nach einer gleichzeitigen Behandlung mit Fumaraten bei bestehender, aktiver Psoriasis als nächsthöhere Stufe eine gleichzeitige Behandlung mit IL-17A-Antikörpern zu empfehlen. Sollten sowohl MS als auch Psoriasis jeweils einen hocheffektiven Therapieansatz erfordern, ist nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung eine Kombinationstherapie aus B-Zell-Depletion und Anti-IL-17A-Therapie möglich. Potenzielle Risiken, vor allem ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen, sind beim Einsatz zweier monoklonaler Antikörper zu berücksichtigen. Es sollte ein engmaschiges Monitoring erfolgen.
Es gibt auch Medikamente, die bei einer der beiden Erkrankungen vermieden werden sollten. So sollten TNFα-Antagonisten bei MS generell vermieden werden, da sie zu einer klinischen Erstmanifestation oder Exazerbation einer bestehenden MS führen können.
Screening-Strategien für CED-Patienten
Die Studienautoren halten Screening-Strategien für CED-Patienten für notwendig, um neurodegenerative Erkrankungen während der Langzeitbehandlung von CED früher erkennen und behandeln zu können. Da ein fortgeschrittenes Alter der Hauptrisikofaktor für neurodegenerative Erkrankungen ist, solle hierbei der Fokus auf älteren Menschen mit CED liegen. Die Wissenschaftler hoffen zudem, dass die effektive Behandlung von Darmentzündungen das Auftreten neurodegenerativer Erkrankungen langfristig senken könnte.
Aktuelle Forschung und Ausblick
Die Forschung zu den Zusammenhängen zwischen Morbus Crohn und MS ist noch nicht abgeschlossen. Zukünftige Studien müssen die zugrunde liegenden Mechanismen weiter aufklären und neue Therapieansätze entwickeln. Besonders interessant ist die Frage, ob eine gezielte Beeinflussung des Darmmikrobioms oder eine Modulation der Darm-Hirn-Achse einen positiven Einfluss auf den Verlauf von MS haben könnte.
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Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich ist die Entwicklung von Biomarkern, die eine frühzeitige Diagnose und eine bessere Vorhersage des Krankheitsverlaufs ermöglichen. So haben Forscher eine Genvariante gefunden, die auf einen schweren Verlauf hinweist. Ein Gentest böte vielleicht in Zukunft die Möglichkeit, die Prognose besser einzuschätzen und die Behandlung entsprechend anzupassen.