Multiple Sklerose: Auswirkungen auf das Gehirn und moderne Therapieansätze

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche, nicht ansteckende Erkrankung des Gehirns und Rückenmarks, die sich in unterschiedlichen Verlaufsformen manifestiert. Die Symptome sind vielfältig und können von Patient zu Patient stark variieren.

Was ist Multiple Sklerose?

Bei MS kommt es zu überschießenden Reaktionen des Immunsystems. Das Immunsystem, das den Körper normalerweise schützt, löst bei MS Entzündungen an verschiedenen Stellen im Körper aus. Diese autoimmune Reaktion führt zu langsam fortschreitenden und langanhaltenden Entzündungen. Entscheidend ist, dass bei MS die Nerven und besonders ihre Ummantelung, das Myelin, geschädigt werden. Der Myelinmantel sorgt für eine schnelle Weiterleitung von Informationen entlang der Nervenfasern.

Entzündungsherde und ihre Ursachen

Die bei MS auftretenden Entzündungsherde, auch Plaques genannt, werden von Entzündungszellen verursacht, die sich fälschlicherweise gegen den eigenen Körper richten und daher als "autoaggressiv" bezeichnet werden. Diese Zellen, die zu den weißen Blutkörperchen gehören, sind in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren und so ins Gehirn zu gelangen.

Die Entstehung von MS ist nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Vielmehr spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Es wird vermutet, dass neben genetischen Faktoren auch Umweltfaktoren eine entscheidende Rolle spielen. Schätzungen zufolge sind etwa ein Viertel der Ursachen genetisch bedingt, während drei Viertel auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Mit "Umwelt" sind die Lebensbedingungen eines Menschen gemeint.

Auswirkungen der MS auf das Gehirn

MS betrifft das gesamte Gehirn und Rückenmark. Die Erkrankung manifestiert sich durch multiple Entzündungsherde an unterschiedlichen Stellen im Gehirn und Rückenmark. Dies führt zu Funktionsstörungen der betroffenen Nerven, wodurch Nervenimpulse nicht mehr oder nur verlangsamt weitergeleitet werden können. Die Folge sind verschiedene neurologische Symptome wie Sehstörungen oder Taubheitsgefühle.

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Schädigung der grauen und weißen Hirnsubstanz

Lange Zeit wurde MS als eine Erkrankung der weißen Hirnsubstanz angesehen. Allerdings lassen sich viele Krankheitssymptome nicht allein durch eine Schädigung der weißen Hirnsubstanz erklären. Symptome wie chronische Fatigue, Gedächtnisstörungen und sogar epileptische Anfälle weisen auf eine Schädigung der grauen Hirnsubstanz hin.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Immunzellen die graue Hirnsubstanz, die Schaltzentrale des Gehirns, angreifen und zerstören können. Immunzellen, die gegen das in Nervenzellen vorkommende Eiweiß Beta-Synuclein gerichtet sind, dringen gezielt in das Steuerzentrum des Gehirns ein und lösen dort eine Entzündungsreaktion aus. Dies schädigt die hochspezialisierten Nervengeflechte, was zu einem Schrumpfen des Gehirns und nicht reparierbaren neurologischen Ausfällen führen kann.

Hirnatrophie und kognitive Reserve

Bei MS kommt es zu einem erhöhten Rückgang des Hirngewebes (Hirnatrophie), der oft nicht sofort bemerkt wird. Dies liegt an der sogenannten kognitiven Reserve des Gehirns. Die kognitive Reserve beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, Nervenschäden bis zu einem gewissen Grad auszugleichen. Wenn in einem Hirnareal Schäden auftreten, können andere Hirnbereiche die Funktion von geschädigten Nerven vorübergehend vollständig oder teilweise übernehmen. Ist die kognitive Reserve jedoch erschöpft, kann sich der Verlust von Hirngewebe in dauerhaften Beeinträchtigungen bemerkbar machen.

Symptome der Multiplen Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine Erkrankung mit tausend Gesichtern. Die Beschwerden treten, je nach MS-Form, schubartig oder langsam fortschreitend auf. Die Symptome hängen davon ab, an welchen Stellen im Körper die Ursachen der MS auftreten.

Häufige Symptome sind:

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  • Muskelschwäche und verlangsamte Bewegungsabläufe
  • Erhöhte Muskelspannung, Verkrampfung und Steifigkeit der Muskeln (Spastik)
  • Missempfindungen auf der Haut (Ameisenkribbeln) oder Taubheitsgefühle
  • Körperliche oder psychische Erschöpfung, extreme Abgeschlagenheit und Müdigkeit (Fatigue-Syndrom)
  • Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis), die sich durch Schmerzen beim Bewegen der Augen und eine Sehverschlechterung bemerkbar macht
  • Unkontrollierte Augenbewegungen (Nystagmus)

Diagnose der Multiplen Sklerose

Eine MS-Diagnose zu stellen, ist nicht einfach, da es nicht den einen "MS-Test" gibt, der zweifelsfrei beweist, dass eine MS vorliegt. Die MS ist daher eine sogenannte Ausschlussdiagnose. Entscheidend ist, dass sich Entzündungsherde an mehreren Stellen im Gehirn oder Rückenmark nachweisen lassen. Hierzu wird eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes durchgeführt. Weitere wichtige Untersuchungen zur Bestätigung einer MS-Diagnose sind die Untersuchung des Nervenwassers mittels einer Lumbalpunktion sowie Messungen von Sehnerven (VEP) und Nervenbahnen (SEP).

Behandlung der Multiplen Sklerose

Heutzutage ist MS sehr gut zu behandeln. Ziel der MS-Therapie ist es, die Anzahl, Schwere und Folgen von Schüben zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.

Es gibt unterschiedliche Therapieansätze:

  • Krankheitsmodifizierende Therapie: Diese Therapie zielt darauf ab, das Immunsystem so zu beeinflussen, dass es zu weniger MS-typischen Entzündungen kommt. Dadurch wird das Fortschreiten der MS verlangsamt und die Häufigkeit der Schübe reduziert.
  • Symptomatische Therapie: Hier steht die Linderung von Symptomen im Zentrum der Behandlung.

Zur Behandlung eines akuten Schubes wird häufig Cortison als Infusion oder Tablette eingesetzt. Im langfristigen Verlauf der MS kommt eine Immuntherapie zum Einsatz, die das fehlgesteuerte Immunsystem beeinflusst, indem sie es verändert (immunmodulierend) oder dämpft (immunsuppressiv).

Moderne Immuntherapien

In den vergangenen Jahren hat es große Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten für die Immuntherapie gegeben. Am wirksamsten sind speziell entwickelte Antikörper, die das Eindringen von bestimmten Immunzellen ins Gehirn verhindern oder ihre Konzentration im Blut reduzieren. Dadurch können diese Zellen keine Entzündungen mehr auslösen. Mittlerweile gibt es gut 20 Immuntherapie-Mittel, einige davon auch für die sekundär oder primär progrediente MS. Dies ermöglicht weitgehend individuell zugeschnittene Behandlungspläne.

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Weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Therapie

Neben der medikamentösen Therapie gibt es weitere Maßnahmen, die den Verlauf der MS günstig beeinflussen können:

  • Regelmäßige körperliche Aktivität: Ein Spaziergang, eine Wanderung, eine Fahrradtour oder ähnliche Aktivitäten im Freien haben positive Effekte. Auch gezieltes Training ist wichtig.
  • Gesunde Ernährung: Eine selbst zubereitete Mischkost mit viel Obst und Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten, aber wenig Zucker und Salz, tierischen Fetten und Zusatzstoffen hat positive Effekte.
  • Nichtrauchen: Rauchen ist ein Risikofaktor für MS.
  • Brain Health: Die Gesunderhaltung des Gehirns spielt eine wichtige Rolle bei MS. Regelmäßige körperliche Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und geistige Aktivität können das Gehirn schützen.

Leben mit Multipler Sklerose

MS ist eine chronische Erkrankung, die das Leben der Betroffenen beeinflussen kann. Mit einer frühzeitigen Diagnose, einer abgestimmten medikamentösen Therapie und einem gesunden Lebensstil lässt sich die Erkrankung heute gut kontrollieren. Die allermeisten Menschen mit MS können ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen und lange Zeit mobil bleiben. MS steht grundsätzlich weder einer Ausbildung noch der Berufsausübung, Freundschaften, Sport, sozialen Kontakten oder der Gründung einer Familie im Wege.

Schwangerschaft und MS

Während der Schwangerschaft nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen Schub ab. In den ersten drei Monaten nach der Geburt nimmt sie zu. Stillen scheint vor Schüben zu schützen. MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken, weswegen besondere Vorsicht geboten ist. Eine Schwangerschaft sollte daher möglichst in einer stabilen Phase der Erkrankung geplant und Medikamente eher abgesetzt werden.

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