MS-Test beim Neurologen: Diagnostik und Früherkennung der Multiplen Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden, die Schutzschicht um die Nervenfasern, angreift. Dies führt zu vielfältigen neurologischen Symptomen und kann im Verlauf zu dauerhaften Behinderungen führen. In Deutschland erkranken jährlich etwa 2.500 Menschen, meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, an MS. Da ein frühzeitiger Therapiebeginn den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann, ist eine rasche und sichere Diagnose von großer Bedeutung.

Der Weg zur Diagnose: Ein Überblick

Die Diagnose von MS ist komplex und basiert auf verschiedenen Untersuchungen, da es keinen einzelnen Test gibt, der die Krankheit eindeutig nachweist. Ein Neurologe ist der richtige Ansprechpartner, um andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen und eine gesicherte Diagnose zu stellen. Die Diagnose einer Multiplen Sklerose und ihrer Symptome ist eine Ausschlussdiagnose und erfordert verschiedene Untersuchungen.

Anamnese: Die Grundlage der Diagnose

Am Anfang jeder Untersuchung steht die Anamnese, ein ausführliches Gespräch mit dem Arzt über die Krankengeschichte. Der Arzt erfragt die aktuellen Symptome und eventuelle Beschwerden in der Vergangenheit. Je genauer Sie frühere Symptome beschreiben können, desto besser kann der Arzt entscheiden, ob es sich dabei vielleicht schon um erste Anzeichen der Krankheit MS gehandelt hat. Bei einer Erstdiagnose der MS ist von besonderer Bedeutung, ob bei Ihnen bereits in der Vergangenheit Beschwerden vorlagen. Lagen in Ihrer Vergangenheit typische Symptome vor, richtet sich der Verdacht auf MS. Nach einem „wahrscheinlich" ersten MS-Schub wird dann zunächst von einer „möglichen MS" gesprochen. Es werden Ihnen viele Fragen gestellt, die Sie ehrlich beantworten sollten. Meist geht es dabei um frühere oder bestehende Erkrankungen bei Ihnen oder in Ihrer Familie. Oder darum, wie sich Ihre Beschwerden zeigen, was Sie dagegen unternehmen und ob dies Linderung bringt. Auch im Verlauf der Arztbesuche werden immer wieder - wenn auch verkürzte - Anamnesegespräche geführt. Ihr Arzt möchte dann wissen, ob sich Ihre Symptome verschlechtert haben oder neue Symptome hinzugekommen sind. Ziel des Gesprächs ist es, frühzeitig eine mögliche Verschlechterung zu erkennen, damit diese schnell behandelt werden kann. Ebenso wird während der MS-Untersuchung überprüft, ob eventuell eine Therapieoptimierung Sinn macht.

Neurologische Untersuchung

Nach der Anamnese folgt eine gründliche neurologische Untersuchung. Die Ärztin oder der Arzt kann anhand von verschiedenen neurologischen Untersuchungsmethoden erkennen, ob die Funktionen deines Nervensystems eingeschränkt sind - und dies auch dann, wenn die Krankheitsanzeichen der MS so gering sind, dass sie der Betroffene noch gar nicht wahrnimmt. Dabei spielt der Seitenvergleich eine besondere Rolle: Sind bestimmte Funktionen nur auf einer Körperseite eingeschränkt, können einige Erkrankungen ausgeschlossen werden. Der Neurologe prüft und erfasst bei der körperlichen neurologischen Untersuchung u. die Sensibilität der Haut mit einem Wattestäbchen und die Reaktion auf unterschiedliche Temperaturen sowie auf Vibration. die Reflexe auf Abschwächung bzw. die Beweglichkeit und Koordination verschiedener Muskeln, z. B. neuropsychologische Störungen, wie z. B. das Lhermitte-Zeichen, das häufig bei MS beobachtet wird. das Babinski-Zeichen, das auf eine Nervenschädigung hinweist.

Im Einzelnen werden folgende Funktionen überprüft:

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  • Kraft und Feinmotorik: Kannst du Ellenbogen und Knie beugen und strecken? Bestimmte Beuge- und Streckbewegungen zeigen, ob deine Muskelkraft vermindert ist oder eine Lähmung vorliegt. Manchmal weist auch eine gestörte Feinmotorik auf eine neurologisch bedingte Lähmung hin. Die Ärztin oder der Arzt prüft zudem Muskelumfang, Beweglichkeit und Muskelspannung.
  • Sensibilität: Wie nimmst du Berührungen wahr? Die Ärztin oder der Arzt prüft dein Druck-, Schmerz-, Temperatur- und Vibrationsempfinden. Er untersucht auch deine Tiefensensibilität: Kannst du Reize aus dem Körperinnern richtig wahrnehmen?
  • Weitere Sinneswahrnehmungen: Kannst du uneingeschränkt sehen, hören und riechen? Auch veränderte Augenbewegungen können auf MS hinweisen.
  • Muskelreflexe: Wie stark sind deine Muskelreflexe? Wie fallen deine Reflexe im Seitenvergleich aus? Bei der Untersuchung klopft die Ärztin oder Arzt mit einem Reflexhammer auf Arme und Beine. Verstärkte Muskelreflexe weisen auf eine MS hin. Das gilt auch für den sogenannten Babinski-Reflex. Dabei bewegt sich die große Zehe des Untersuchten nach oben, wenn die Ärztin oder der Arzt über die Außenkante des Fußes streicht. Zudem wird der der Kniesehnenreflex (Patellarsehnenreflex) geprüft.
  • Koordinationsfähigkeit: Wie gut kannst du Arme, Hände, Finger und Beine koordinieren?
  • Gleichgewicht: Bist du beim Gehen unsicher? Dein Gangbild wird auch bei geschlossenen Augen geprüft.
  • Sprechen: Hast du eine raue Stimme? Ist deine Aussprache undeutlich, zittrig oder nasal? Kannst du Tonhöhe und Lautstärke gut kontrollieren? Auch eine verlangsamte Sprechgeschwindigkeit kann auf MS hinweisen.
  • Schluckvermögen: Hast du eine Schluckstörung? Schlucken ist ein hochkomplexer Vorgang, an dem 25 Muskeln beteiligt sind. Dieser Ablauf kann bei MS gestört sein.

Die neurologische Untersuchung erlaubt mit Hilfe unterschiedlicher Techniken und der Untersuchung der unterschiedlichen neurologischen Funktionssysteme von Kraftprüfung über die Reflexauslösung bis hin zur Sensibilitätstestung einen umfassenden Überblick über die vorliegenden Defizite. Dies ist wichtig im Rahmen der Erstdiagnostik; aber auch in der Verlaufsuntersuchung spielt die neurologische Untersuchung eine wichtige Rolle. Mit der neurologischen Untersuchung ist man auch sehr nah an den Symptomen des Patienten. Somit kann nach der Identifikation von Störungen wie Spastik - das ist eine erhöhte Muskelspannung - direkt eine symptomatische Therapie begonnen werden. Die neurologische Untersuchung kann objektiv mit dem sog. EDSS (expanded disability status scale) quasi quantitativ beurteilt werden, wobei einzelne Funktionssysteme jeweils einen Subscore erhalten, aus dem dann der Gesamtscore zwischen 0 und 10 gebildet wird. 0 bedeutet keinerlei neurologische Störung, 10 bedeutet Tod durch MS.

Elektroenzephalografie (EEG) und evozierte Potentiale

Um die Leitfähigkeit der Nerven zu prüfen, führt die Fachärztin oder der Facharzt elektrische Tests der Nervenbahnen durch. Mit Hilfe von Reizen ruft er gezielt evozierte Potentiale hervor - das sind elektrische Spannungen, die in den Nerven- und Muskelzellen auftreten, wenn von außen ein Reiz einwirkt. Diese Spannungen werden mit der Elektroenzephalografie (EEG) gemessen. Der Neurologe reizt z. B. Je nach Reiz kann die Funktion dieser Nerven getestet werden:

  • Sehnerven
  • Hörnerven
  • sensible Nerven
  • motorische Nerven

Werden Reize verlangsamt weitergeleitet, ist dies ein Hinweis auf Multiple Sklerose.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Eine Magnetresonanztomografie (MRT), auch Kernspintomografie genannt, ist ein bildgebendes Verfahren, das die Gewebestrukturen von Gehirn und Rückenmark in Schichten abbildet. Das Verfahren kommt ohne Strahlenbelastung aus, da es Magnetfelder und Radiowellen einsetzt. Mit einer MRT-Untersuchung lässt sich mit sehr hoher Sicherheit eine Entzündung im Gehirn und Rückenmark nachweisen. Die entzündlichen Veränderungen bei der Multiplen Sklerose, die sog. Demyelinisierungsherde, können an den unterschiedlichsten Orten im Gehirn und Rückenmark auftreten. Diese Herde lassen sich auch dann erkennen, wenn sich die MS noch im Anfangsstadium befindet und der Betroffene selbst noch keine Krankheitsanzeichen hat. Eine MRT-Aufnahme macht neben den entzündlichen Veränderungen auch abgestorbene Nervenzellen bzw. Um die entzündlichen Herde sichtbar zu machen, kann es notwendig sein, ein Kontrastmittel (Gadolinium) zu verabreichen. Dieses reichert sich dann in den aktiven MS-Herden an.

Blutuntersuchungen

Bei Verdacht auf Multiple Sklerose ist der Nachweis bestimmter Blutwerte notwendig, um andere Krankheiten mit den gleichen Symptomen auszuschließen (Differenzialdiagnose). Den einen Blutwert oder den einen Test gibt es für die MS-Diagnose nicht. Gleichwohl können über Untersuchungen des Blutes andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Auch können Standardbluttests, beispielsweisedie Leber-, Nieren- oder Schilddrüsenwerte prüfen und Hinweise auf andere Erkrankung als MS geben. Bis heute steht Ärzten kein Bluttest zur Verfügung, der eine MS nachweisen kann. Forscher arbeiten jedoch an einem Bluttest, der die Diagnose schneller und einfacher macht. Sie haben im Blut von Betroffenen, die gerade einen MS-Schub erleiden, einen Biomarker für MS gefunden - sogenannte Autoantikörper. Dies sind Antikörper, die körpereigenes Gewebe angreifen. In diesem Bluttest sehen Mediziner einen besonderen Fortschritt bei der Diagnose von Multiple Sklerose. Konkret haben Forscher herausgefunden, dass Patienten, die mit einem MS-Schub in die Klinik kommen, vermehrt einen Autoantikörper gegen ein Protein namens alpha-Fodrin im Blut haben. Um einen funktionierenden Test herzustellen, mussten die Wissenschaftler zunächst herausfinden, gegen welchen Bereich des alpha-Fodrin-Proteins die Autoantikörper von MS-Patienten tatsächlich gerichtet sind. „Es gibt drei Bereiche im alpha-Fodrin, die nur von den Autoantikörpern im Blut von MS-Patienten während eines Krankheitsschubs erkannt werden. Nach einem MS-Schub sind diese spezifischen Autoantikörper aus dem Blut verschwunden“, erklärt Professor Witte. Derzeit können die Forscher in 80 Prozent der Fälle einen MS-Schub sicher durch ihren alpha-Fodrin-Bluttest erkennen. „Auch im Blut von vermeintlich symptomfreien Patienten haben wir zuweilen erhöhte Werte der Autoantikörper gefunden.“ Im Kernspin-Tomographen zeigte sich bei diesen Patienten tatsächlich ein unbemerktes Fortschreiten der Krankheit. Nach einem MS-Schub verschwinden allerdings diese spezifischen Autoantikörper meistens aus dem Blut, so dass die Erkrankung mit diesem Test nur während eines Schubes sicher diagnostiziert werden kann. Der Test befindet sich derzeit noch in der Entwicklung.

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Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion)

Für einen gesicherten Befund der Multiple Sklerose ist die Untersuchung des Liquors wichtig - also des Nervenwassers, das Gehirn und Rückenmark umfließt. Aktuell wird weiterhin empfohlen eine Lumbalpunktion bei Verdacht auf MS durchzuführen. Studien haben gezeigt, dass ohne eine Liquoruntersuchung falsche Diagnosen häufiger sind. Um Nervenwasser zu gewinnen, führt die Ärztin oder der Arzt eine sogenannte Lumbalpunktion durch. Der Liquor ist in ständigem Austausch mit der Flüssigkeit, die sich zwischen den Gehirnzellen im Gewebe befindet. Eine Untersuchung des Liquors kann daher Aufschluss über krankhafte Veränderungen im Gehirngewebe geben. So findet sich bei rund 90 Prozent der MS-Betroffenen ein ganz bestimmtes Muster an Antikörper und Eiweißen. Bei einer MS zeigen sich spezielle autoimmune Zellen, sogenannte oligoklonale Banden, die im Liquor nachgewiesen werden können. Einige Eiweiße können bei MS auf Entzündungsherde hinweisen. Neben bestimmten Antikörpern können bei Multiple Sklerose auch Zellen des Immunsystems vermehrt auftreten.

Vor der Untersuchung prüft die Ärztin oder der Arzt, ob die Blutgerinnung normal ist. Teile ihm unbedingt mit, wenn du Medikamente einnimmst, die die Blutgerinnung fördern oder hemmen. Nur so ist es möglich, Blutungen vorzubeugen, die die Nerven im Bereich der Einstichstelle schädigen könnten. Hattest du bereits eine Lumbalpunktion? Informiere deine Ärztin oder deinen Arzt, falls es bei der vorangegangenen Nervenwasserentnahme Besonderheiten gegeben hat. Teile deiner Ärztin oder deinem Arzt mit, wenn du eine Wirbelsäulenverletzung oder -operation hattest oder Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule vorliegen. Denn Verwachsungen und Vernarbungen können das Einführen der Nadel erschweren oder sogar unmöglich machen. Liegt ein Hirntumor vor? Hattest du bereits früher eine Erkrankung des Gehirns? Informiere Deinen Neurologen auch über vorliegende Erkrankungen, die mit einem erhöhten Hirndruck einhergehen.

Die Lumbalpunktion wird im Sitzen oder Liegen durchgeführt. Zunächst findet eine örtliche Betäubung statt, und die Einstichstelle wird desinfiziert. Anschließend sucht die Ärztin oder der Arzt eine Stelle zwischen zwei Wirbelkörpern der Lendenwirbelsäule. In Höhe des zweiten/dritten oder des dritten/vierten Lendenwirbels schiebt er eine spezielle Hohlnadel bis in den Wirbelkanal vor. Dann entnimmt er eine kleine Menge Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal. Mit dem Nervenwasser wird auch eine aktuelle Blutprobe ins Labor geschickt, da die Liquor-Werte nur in Zusammenhang mit den Blutwerten richtig beurteilt werden können. Die Lumbalpunktion ist ein Routine-Eingriff. Entgegen häufigen Ängsten kann es bei einer fachgerechten Durchführung nicht zu einer Verletzung des Rückenmarks kommen. Der Grund: Das Rückenmark endet bei Erwachsenen bereits in Höhe des ersten Lendenwirbelkörpers - also oberhalb der Stelle, an der die Nadel in den Wirbelkanal eingeführt wird.

Die Lumbalpunktion dauert nur wenige Minuten und ist oft nicht unangenehmer als eine Blutabnahme. Vereinzelt kommt es zu einem kurzen Schmerz, wenn die Nadel Nervenfasern streift. Im Anschluss an die Untersuchung kann das sogenannte postpunktionelle Syndrom auftreten. Dabei kommt es zu Kopfschmerzen und Übelkeit. Ursache ist der Verlust von Nervenwasser: Neben der entnommenen Menge Nervenwasser sickert durch die kleine Verletzung auch im Anschluss an die Lumbalpunktion noch ein wenig Liquor ins Gewebe nach, so dass ein vorübergehender "Mangel" entsteht. Du kannst das Risiko von Nebenwirkungen senken, indem du nach der Punktion für einige Stunden ruhig und möglichst flach auf dem Rücken liegen bleibst und ausreichend trinkst.

Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) und klinisch isoliertes Syndrom (KIS)

  • Das radiologisch isolierte Syndrom (RIS): Es sind in der MRT-Untersuchung Entzündungsherde sichtbar, die auch bei einer MS zu finden sind. Meist handelt es sich hierbei um einen Zufallsbefund.
  • Das klinisch isolierte Syndrom (KIS): Es tritt eine Episode von neurologischen Beschwerden auf, zum Beispiel eine Sehnervenentzündung, die mindestens 24 Stunden andauert.

Bei etwa 50-60% der Betroffenen geht das RIS oder KIS im Verlauf in eine MS über. Dies ist kein Grund zur Beunruhigung. Durch regelmäßige Verlaufskontrollen und eine engmaschige Beobachtung kann ein Fortschreiten oder der Übergang in eine MS frühzeitig entdeckt und entsprechend behandelt werden.

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