Multiple Sklerose und Hitzewallungen: Ursachen und Behandlungsansätze

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die oft mit einer Vielzahl von Symptomen einhergeht. Ein besonderes Problem für viele MS-Patienten stellt die Hitzeempfindlichkeit dar, die zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Symptome führen kann. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Hitzewallungen bei MS, insbesondere im Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen und dem Uhthoff-Phänomen, und stellt verschiedene Behandlungsansätze vor.

Hormonelle Einflüsse bei MS-Patientinnen

Hormonelle Schwankungen, wie sie im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus oder den Wechseljahren auftreten, können bei Frauen mit MS eine spürbare Auswirkung auf die Symptome haben. Studien zeigen, dass das prämenstruelle Syndrom (PMS) bei MS-Betroffenen oft intensiver wahrgenommen wird, da hormonelle Reize auf ein ohnehin empfindlicheres Nervensystem treffen. In seltenen Fällen kann es auch zu zyklisch auftretenden neurologischen Verschlechterungen kommen, was auf die enge Verbindung zwischen PMS und MS-Verlauf hinweist.

Der Menstruationszyklus und seine Auswirkungen

Der Menstruationszyklus beeinflusst nicht nur Stimmung und Wohlbefinden, sondern auch MS-Symptome. Die Schwankungen der Hormone Östrogen und Progesteron wirken auf das Immunsystem und die Nervenfunktion.

  • Prämenstruell: In den Tagen vor der Menstruation sinken Östrogen- und Progesteronspiegel stark ab. Viele Frauen mit MS berichten dann über verstärkte Fatigue, Spastik, neuropathische Schmerzen oder emotionale Labilität. Auch Konzentration und geistige Leistungsfähigkeit können beeinträchtigt sein, da der entzündungshemmende Einfluss von Östrogen fehlt. Die erhöhte Schmerzempfindlichkeit verstärkt Symptome wie Kopf- oder Gliederschmerzen. Diese zyklisch wiederkehrende Verschlechterung kann leicht mit einem MS-Schub verwechselt werden. Ein Symptom-Tagebuch hilft, hormonelle Muster zu erkennen.
  • Eisprung: Um den 14. Zyklustag steigt der Östrogenspiegel (insbesondere Östradiol) deutlich an. In dieser Phase fühlen sich viele Frauen mit MS stabiler. Fatigue, Muskelschwäche und Stimmungsschwankungen sind oft weniger ausgeprägt. Östrogen wirkt entzündungshemmend und schützt die Nerven, das Immunsystem wird sanfter reguliert. Viele erleben diese Tage als „Erholungsfenster“.
  • Lutealphase: Nach dem Eisprung produziert der Körper mehr Progesteron, das beruhigend und entspannend wirkt. Zu Beginn der Lutealphase fühlen sich viele Frauen ruhiger. Gegen Ende - wenn Progesteron und Östrogen abfallen - verstärken sich MS-Symptome wie das Uhthoff-Phänomen, Stimmungsschwankungen, Muskelkrämpfe, erhöhte Schmerzsensitivität, Schlafprobleme und Verdauungsbeschwerden (z. B. Blähungen, Völlegefühl).

Die Wechseljahre und ihre Auswirkungen

Die Wechseljahre (Klimakterium) sind durch einen dauerhaften Abfall der Hormonspiegel geprägt - insbesondere von Östrogen und Progesteron. Die Symptome variieren je nach Phase:

  • Prämenopause: erste Zyklusunregelmäßigkeiten, Stimmungsschwankungen, Brustspannen
  • Perimenopause: häufig Hitzewallungen, Schlafprobleme, Gereiztheit
  • Postmenopause: kaum noch hormonelle Aktivität

Gerade in Bezug auf die Menopause gibt es bei MS-Patientinnen oft viele Fragen und auch Ängste. Die Menopause bedeutet zunächst veränderte Sexualhormonspiegel, also eine reproduktive Seneszenz - d.h. den Verlust der Gebärfähigkeit. Zusätzlich tritt eine Immunoseneszenz auf, die mit einer chronischen schwachen Entzündung (chronisches Inflammaging) einhergeht. Die proinflammatorischen Zytokine nehmen zu und die Lymphozytenzahlen ab. Es kommt zu Veränderungen der kortikalen Struktur im Gehirn. Kognitive Störungen können auftreten.

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Es ist wichtig, die Symptome der Menopause klar von den MS-Symptomen zu differenzieren, auch wenn sich viele Symptome überschneiden. Im Rahmen des Klimakteriums können sich sowohl die MS-Symptome als auch die MS-spezifische Behinderung verschlechtern.

Eine Hormonersatztherapie kann in Erwägung gezogen werden, da Patientinnen mit Hormonersatztherapie über eine Verbesserung der MS-bedingten Beschwerden aufgrund der mit denen der Menopause überlappenden Symptome berichten. MS-Patientinnen in der Menopause sollten unbedingt konkret nach ihren Symptomen gefragt werden. Regelmäßige körperliche Bewegung, Physiotherapie, Beckenbodentraining, moderater Ausdauersport und Entspannungsübungen wie Yoga sind empfehlenswert. Zusätzlich sollte man die Patientinnen zu regelmäßigen Gesundheitsschecks - insbesondere zu Knochendichtemessungen - motivieren und Komorbiditäten wie Kreislauferkrankungen beachten. Eine Hormonersatztherapie sollte in Abhängigkeit des Tumorrisikos und der Beschwerden erwogen und die Symptome der MS behandelt werden.

Das Uhthoff-Phänomen

Das Uhthoff-Phänomen ist eine vorübergehende Verschlechterung von MS-Beschwerden bei einer Erhöhung der Körpertemperatur, zum Beispiel bei Fieber oder erhöhter Umgebungstemperatur. Betroffen sind mehr als 80 Prozent der an MS-Erkrankten. Als Ursache wird eine temperaturbedingte Verschlechterung der Leitfähigkeit geschädigter Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark angenommen.

Die Experten aus dem Multiple Sklerose Zentrum am Zentrum für klinische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus weisen darauf hin, dass sich MS-Erkrankte bei steigenden Temperaturen schlapper, müder und benommener fühlen bzw. über eine Verstärkung ihrer Sehstörungen oder eine Verschlechterung ihrer motorischen Fähigkeiten klagen.

Ursachen des Uhthoff-Phänomens

Nach Abheilen der Entzündungsherde bilden sich Narben im Bereich der Nervenfasern, die bei Erhöhung der Körpertemperatur schlechter die Informationen weiterleiten können und somit zum Wiederauftreten von Beschwerden führen können. Daher reagiert der MS-Patient auf Hitze mit einer deutlichen Verstärkung schon vorhandener Beschwerden. Dies ist aber kein Krankheitsschub im eigentlichen Sinne, sondern ein sogenannter Pseudoschub.

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Umgang mit dem Uhthoff-Phänomen

Es gibt keine spezielle Behandlung des Uhthoff-Syndroms bei MS, aber es gibt Möglichkeiten, die Beschwerden zu lindern und der Symptomatik vorzubeugen.

Die Prophylaxe besteht in der Vermeidung erheblicher körperlicher Anstrengung sowie in der Vermeidung von Umständen, die die Körpertemperatur erhöhen. Die Beschwerden können auch durch das Tragen von Kühlkleidung, wie Kühlwesten, Kühlhauben und Kühlstrümpfen begrenzt werden. Die Alternative ist dann die einfache Schüssel mit kaltem Wasser, in die Füße und Arme getaucht werden können. Wichtig ist auch für MS-Patienten, dass sie möglichst viel trinken, um einem Flüssigkeitsverlust vorzubeugen, der zusätzlich die Beschwerden verschlimmern kann. Am besten geeignet ist hierzu Wasser.

Das MS-Zentrum am Uniklinikum Dresden hat sich speziell der Hitzeempfindlichkeit der MS-Patienten angenommen und sowohl das Infusionszentrum als auch Wartezimmer und Anmeldung klimatisiert, so dass die Patienten in angenehmer Atmosphäre bei Temperaturen von 20 Grad auf ihre Behandlung warten bzw. diese im Zentrum bekommen können.

Allgemeine Behandlungsansätze bei MS

Multiple Sklerose (MS) ist aktuell nicht heilbar. Die Therapieentscheidungen werden von Ärzten und Patienten gemeinsam getroffen und orientieren sich an der Schwere der Erkrankung und den Symptomen.

Schubtherapie

Bei akuten Schüben wird in der Regel hochdosiert Kortison gegeben, um die Entzündung zu bekämpfen und damit die Stärke und die Dauer der Beschwerden zu reduzieren. Der Standardwirkstoff zur Schubtherapie ist Methylprednisolon (MP), ein sog. Glukokortikosteroid (GKS). Methylprednisolon kann statt einer Infusion auch als Tablette eingenommen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Schub auch mit einer Blutwäsche (sog. Apherese) behandelt werden. Bei einer Blutwäsche werden Patienten an eine Maschine angeschlossen, die das Blut reinigt, bevor es wieder zurück in den Körper geleitet wird.

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Immuntherapie

Um die Schübe zu verringern und den Verlauf der MS zu verbessern, wird Betroffenen eine Immuntherapie empfohlen. Ärzte informieren vor der Behandlung über Vor- und Nachteile der Immuntherapie. Eine gute Aufklärung ist wichtig, da sowohl die Immuntherapie als auch der Verzicht darauf schwerwiegende Folgen haben können. Auf Wunsch des Patienten kann mit der Immuntherapie gewartet werden, wenn mit einem milden Verlauf der MS gerechnet wird.

Immuntherapeutika unterscheiden sich darin, wie stark sie auf Schübe, das Voranschreiten der MS und die im MRT gemessene Entzündungsaktivität wirken. Die Gefahr schwerer Nebenwirkungen ist bei Immuntherapeutika der Wirksamkeitskategorien 2 und 3 höher als bei Kategorie 1. Die Verträglichkeit im Alltag kann jedoch bei Immuntherapeutika der Kategorie 1 schlechter sein als bei den Kategorien 2 und 3. Welches Immuntherapeutikum eingesetzt wird, hängt z.B. von der individuellen Situation des Patienten ab.

Zur Behandlung der primär progredienten MS sollen nach der aktuellen Studienlage nur die CD20-Antikörper Ocrelizumab oder Rituximab eingesetzt werden. Mit zunehmendem Alter der Patienten ist der in Studien nachgewiesene Therapieerfolg rückläufig und der Einsatz nur nach strenger Indikation empfohlen. Andere Medikamente (z.B. Mitoxantron, Beta-Interferone) sollten nicht verwendet werden.

Bei einem radiologisch isolierten Syndrom (RIS) kann unter bestimmten Bedingungen eine Off-Label-Therapie mit Teriflunomid oder Dimethylfumarat in Betracht gezogen werden. Kontrastmittelaufnehmende Läsionen sind Bereiche im Gehirn oder Rückenmark, die nach der Gabe eines Kontrastmittels im MRT heller erscheinen, was oft ein Zeichen für eine gestörte Blut-Hirn-Schranke und eine aktive Entzündung ist. Off-label bedeutet, dass ein Medikament für eine andere Krankheit oder in einer anderen Dosierung verwendet wird, als es ursprünglich zugelassen wurde.

Wie lange die Immuntherapie empfohlen wird, hängt insbesondere von der Krankheitsaktivität ab, also wie schwer und wie oft Schübe auftreten und wie stark sich die MS verschlechtert. Eine mögliche Therapiepause wird i.d.R. mit dem behandelnden Arzt besprochen.

Symptombezogene Therapie

Symptombezogene Therapie ist medikamentöse und vor allem nicht medikamentöse Therapie, die nicht an den Ursachen, sondern an den Symptomen ansetzt. Einsatz von Hilfsmitteln ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Die Therapieziele sollen vor Beginn der Behandlung von Arzt und Patient gemeinsam festgelegt und auf die Bedürfnisse des Menschen mit MS abgestimmt werden.

Bei funktionell beeinträchtigender Spastik ist zusätzlich eine medikamentöse Therapie mit Antispastika (z.B. Baclofen) möglich; wenn diese nicht ausreichend wirksam ist, kann ggf. Botulinumtoxin eingesetzt werden. Zur Verbesserung der Mobilität helfen z.B. Gang- und Ausdauertraining (am Boden oder auf dem Laufband), gezieltes Muskeltraining und ggf. Gleichgewichtstraining (z.B. spezielle Trainingsformen oder Eisanwendungen und Gewichte). Bei starkem Tremor, der nicht medikamentös behandelt werden kann, ist auch eine tiefe Hirnstimulation möglich.

Fatigue wird in der Regel nicht-medikamentös behandelt, z.B. mit Energiemanagement-Programme, kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitstraining und Aufmerksamkeitstraining. Hilfreich sind auch körperliche Übungen (Ausdauertraining und Muskelaufbau) sowie kühlende Maßnahmen. In Einzelfällen kann eine medikamentöse Therapie erwögen werden.

Kognitive Einschränkungen können mit Informationen über kognitive Einschränkungen und ggf. Kompensationstraining behandelt werden. Auch achtsamkeitsbasierte Therapien können hilfreich sein.

Bei Blasenstörungen, sexuellen Funktionsstörungen, Schmerzen und Depressionen gibt es ebenfalls spezifische nicht-medikamentöse und medikamentöse Behandlungsansätze.

Stammzelltransplantation

Bei einer aHSCT werden zunächst Stammzellen aus dem Blut oder Knochenmark entnommen. Dann wird das Immunsystem durch Chemotherapie und Antikörper zerstört. In den aktuellen medizinischen Leitlinien zur Behandlung der MS heißt es dazu, die autologe Stammzelltransplantation habe das Potential, sich zu einer Therapieoption vor allem bei schubförmiger MS zu entwickeln, solle momentan aber im Rahmen von Studien durchgeführt werden.

Alternative Behandlungsmöglichkeiten

Da MS bisher nicht geheilt werden kann und Nebenwirkungen bei der "schulmedizinischen" Therapie auftreten können, ist das Interesse an alternativen Behandlungsmöglichkeiten groß. Das Spektrum alternativer Ansätze reicht von Homöopathie über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Diäten. Es werden auch unangenehme, sehr teure oder gefährliche alternative Behandlungen, z.B. mit Schlangentoxin, angeboten. Von solch riskanten Verfahren sollten Betroffene unbedingt Abstand nehmen.

Unterstützung und digitale Gesundheitsanwendungen

Menschen mit MS können durch einen schweren Verlauf und zunehmende Einschränkungen pflegebedürftig werden. Sie sind dann möglicherweise auf Leistungen der Pflegeversicherung oder Hilfe zur Pflege vom Sozialamt angewiesen.

Zur Unterstützung bei MS können Apps oder Webanwendungen bei der jeweiligen Krankenkasse angefragt werden. Eine ärztliche Verordnung und Kostenerstattung ist für alle im Verzeichnis des BfArM gelisteten digitalen Gesundheitsanwendungen möglich.

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