Multiple Sklerose und Rückenschmerzen: Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

Chronische Schmerzen sind ein weit verbreitetes Problem, von dem viele Menschen betroffen sind. Auch bei Multipler Sklerose (MS) spielen chronische Schmerzen eine erhebliche Rolle und können die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Rückenschmerzen bei MS und stellt verschiedene Behandlungsansätze vor.

Schmerz und seine Funktion

Akute Schmerzen haben eine wichtige Schutzfunktion, da sie auf eine unmittelbare Gefahr hinweisen, wie beispielsweise einen Dorn im Finger oder eine heiße Herdplatte. Sie machen uns auch darauf aufmerksam, dass etwas im Körper nicht in Ordnung ist, wie Reizungen, Wunden oder Entzündungen. Chronische Schmerzen hingegen haben diese Funktion verloren und sich "verselbstständigt". Sie schützen den Körper nicht mehr, sondern können ihn im Gegenteil stark belasten und zu Schlafstörungen, Depressionen und anderen psychischen Leiden führen. In der Regel spricht man von chronischen Schmerzen, wenn sie länger als drei bis sechs Monate andauern. Jedes Jahr im Juni findet der Aktionstag gegen den Schmerz statt, um das Bewusstsein für Schmerzen und ihre Auswirkungen zu schärfen und zu vermitteln, dass Schmerzen nicht einfach hingenommen werden müssen. Dieses Jahr findet der 12. Aktionstag gegen den Schmerz am 6. Juni statt.

Ursachen von Rückenschmerzen bei MS

Rückenschmerzen bei MS können verschiedene Ursachen haben, die sich grob in zwei Kategorien einteilen lassen: direkte und indirekte Folgen der Erkrankung.

Direkte Folgen der MS

Chronische Schmerzen bei MS entstehen durch eine Schädigung der Nerven im zentralen Nervensystem, verursacht durch Entzündungen im Gehirn und Rückenmark. Die Myelinscheiden, welche die Nerven schützen, nehmen dadurch Schaden. Die Nerven können Signale nicht mehr effektiv übertragen. Dies kann dazu führen, dass das Gehirn Schmerzsignale falsch interpretiert oder ohne klare Ursache empfängt.

  • Neuropathische Schmerzen (Nervenschmerzen): Sie werden durch die geschädigten Nervenfasern oder -zellen im Rückenmark oder Gehirn verursacht. Es kommt zu Brennen, Kribbeln oder nadelstichartigen Empfindungen. Neuropathische Schmerzen sind eine direkte Folge der MS. Sie treten aufgrund einer fehlerhaften Übermittlung der Nervensignale vom und zum Gehirn und Rückenmark auf. Diese Art von Schmerzen sind nicht auf eine augenscheinliche Verletzung des Körpers zurückzuführen, sondern sind die Folge einer Schädigung auf neuronaler Ebene durch MS und des allmählichen Abbaus der Myelinscheide.
  • Dysästhetische Schmerzen: Sie sind eines der häufigsten Schmerzsyndrome bei MS und werden als konstante, brennende Schmerzen beschrieben, die ohne externe Reize auftreten. Davon sind besonders die Beine und Füße betroffen.
  • Trigeminusneuralgie: Der Trigeminusnerv versorgt weite Bereiche des Kopfes. Eine Schädigung des Nervs durch MS führt zu intensiven Schmerzen in Augen, dem Kiefer, der Stirn, an der Kopfhaut, den Lippen, der Nase und an beiden Seiten des Gesichts. Sie treten unvermittelt auf und werden oft durch ganz normale Alltagstätigkeiten ausgelöst.
  • Lhermitte-Zeichen: Dies ist ein schmerzhaftes Zeichen, welches häufig bei MS auftritt.
  • Schmerzen im Zusammenhang mit Optikusneuritis: Optikusneuritis, die mit MS in Verbindung gebracht wird, wird durch eine Entzündung des Sehnervs ausgelöst und führt zu Sehstörungen (verschwommene Sicht, Doppeltsehen etc.).
  • Schmerzen im Schub: Nervenentzündung ist eine direkte Folge der MS.

Indirekte Folgen der MS

Neben den direkt durch die MS bedingten Schmerzen können auch indirekte Folgen der Erkrankung dauerhafte Beschwerden auslösen. Häufig werden zum Ausgleich andere Muskeln auf eine Weise benutzt, die dann Schmerzen verursachen. Oft sind das Rücken- oder Gelenkschmerzen. Schmerzen können als indirekte Folge von MS-Symptomen auftreten.

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  • Schmerzen im Zusammenhang mit Spastizität: Spastiken sind eine häufige Form der Steifheit bei Menschen mit MS, die durch eine Schädigung der motorischen Nervenfasern verursacht wird. Es kann zu Muskelkrämpfen, Krämpfen und einem allgemeinen Schmerz- und Spannungsgefühl in den betroffenen Körperteilen kommen.
  • Nozizeptive Schmerzen (Gewebeschmerzen): Diese Schmerzen werden durch spezielle Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) verursacht, die unter anderem in Muskeln, Haut, Gelenken oder inneren Organen liegen. Sie entstehen durch eine Reizung der Schmerzrezeptoren, welche in unserem gesamten Körper verteilt sind.
  • Muskelschmerzen: Sind die Folge von Veränderungen des Bewegungsapparates. Durch das Einnehmen von unangenehmen Körperpositionen, aufgrund von Gleichgewichtsstörungen, Muskelsteifheit, fehlender Koordination in Armen und Beinen oder anderen Veränderungen, kann es zu einer Überlastung der Bein- oder Rückenmuskeln und somit Schmerzen kommen.
  • Schmerzhafte tonische Krämpfe: Eine der häufigsten Beschwerden unter denen MS-Patientinnen und Patienten leiden sind Krämpfe infolge von Spastik. Tonische Krämpfe, welche unerwartet auftreten, sind charakteristischen Spasmen dieser Erkrankung.
  • Rückenschmerzen durch schlecht angepasste Rollstühle: Oft wird nicht genügend Zeit aufgewendet, um den Rollstuhl sorgfältig anzupassen. Manchmal hängen nach längerem Gebrauch die Rückenlehne und die Sitzfläche durch. Dadurch und auch weil die Rückenmuskulatur durch die Erkrankung geschwächt ist, beugt sich der Oberkörper nach vorne. Als Ausgleichsversuch werden Hals und Nacken gestreckt, was zu einer ungünstigen Belastung der Wirbelsäule und damit zu vorzeitigen Abnutzungserscheinungen der Wirbelgelenke führt. Die nicht immer behindertengerecht gestaltete Umwelt fördert zusätzlich diese schmerzerzeugende Haltung.
  • Schmerzen unter medikamentöser Therapie: Auch Schmerzen unter medikamentöser Therapie können auftreten.
  • MS-unabhängige Schmerzen: Es gibt auch MS-unabhängige Schmerzen.

Diagnose und Therapie

Um chronische Schmerzen effektiv behandeln zu können, ist es für den Therapeuten oder die Therapeutin sehr wichtig, so viele Informationen wie möglich zu erhalten. Wichtige Informationen sind unter anderem wie, wo, wann und wie lange Sie die Schmerzen genau empfunden haben. Wenden Sie sich im Fall von Schmerzen in jedem Fall an Ihre behandelnde Neurologin/Ihren behandelnden Neurologen. Diese/Dieser wird die Art, Intensität und Ursache der Schmerzen erörtern und bewerten.

Die Behandlung von chronischen Schmerzen bei MS hängt von der Art des Schmerzes ab. Die Therapie von Schmerzen bei MS sollte möglichst frühzeitig beginnen und multimodal sein. Es gibt bisher keinen sogenannten Goldstandard, es gibt keine kontrolliert randomisierten Studien, die explizit die Behandlung von Schmerz bei einer MS untersuchen. Es gelten daher die allgemeinen Therapieprinzipien wie bei anderen chronischen Schmerzen.

Medikamentöse Therapie

  • Antikonvulsiva oder Antidepressiva (in niedriger Dosis): Diese können zur Behandlung von neuropathischem Schmerz eingesetzt werden. Die Präparate wie z.B. Laroxyl oder Tegretol werden jedoch eingesetzt, weil sie auf die beteiligten Substanzen und Wirkmechanismen des Schmerzgeschehens Einfluss nehmen.
  • Botox-Injektionen oder spezielle Medikamenten-Pumpen: Auch diese können zum Einsatz kommen.
  • Stark wirksame Opioide: In manchen Fällen werden stark wirksame Opioide wie Oxycodon in retardierter Form eingesetzt, um die Schmerzen zu lindern. Dabei werden prophylaktisch Laxantia und Antiemetika verabreicht.
  • Carbamazepin, Phenytoin oder Clonazepam: Für die Behandlung der Trigeminusneuralgie werden Medikamente wie Carbamazepin, Phenytoin oder Clonazepam eingesetzt, welche die elektrische Übererregbarkeit der Nerven herabsetzt.

Nicht-medikamentöse Therapie

  • Entspannungstechniken: Bei chronischen Schmerzen können Entspannungstechniken helfen, die Schmerzen zu verringern.
  • Bewegungstherapie: Auch sanfte Bewegungsübungen wie Yoga oder Tai-Chi können helfen. Gerade bei Schmerzen, trauen sich viele nicht, sich zu bewegen aus Angst vor weiteren Schmerzen. Doch Bewegung ist bei chronischen Schmerzen ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Durch Bewegung werden körpereigene Stoffe freigesetzt, die eine schmerzlindernde Wirkung haben. Gezielte sportliche Betätigung und Physiotherapie helfen, möglichen Schädigungen der Wirbelsäule durch Fehlhaltungen oder Bewegungsmangel vorzubeugen.
  • Physiotherapie: Krankengymnastik oder Kälte-/Wärmebehandlungen sowie moderate Sportübungen etc. können dazu beitragen, Muskelprobleme zu verbessern.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann ebenfalls hilfreich sein.
  • Verhaltenstherapie: Verhaltenstherapie zur Behandlung von Schmerzen bei MS kann eine geeignete Alternative für MS-Patienten darstellen. Die Therapien zielen darauf ab, die psychologischen Veränderungen der Multiplen Sklerose zu behandeln, welche nachweislich ebenso eine große Rolle spielen wie die körperlichen Veränderungen.
  • Psychotherapie: Auch die Psyche spielt eine wichtige Rolle bei chronischen Erkrankungen und Schmerzen. Ängste und Depressionen sind keine Seltenheit. Eine Psychotherapie bei ausgebildeten Psychotherapeutinnen oder -therapeuten kann Ihnen helfen, einen neuen Umgang mit der MS zu finden. Stellen Sie Symptome wie Traurigkeit oder Hoffnungslosigkeit an sich fest, ist eine Psychotherapie ratsam. Psychische Probleme können auch von Medikamenten ausgelöst werden. In diesem Fall sollte eine Umstellung auf eine andere medikamentöse Therapie in Betracht gezogen werden.
  • Anpassung von Hilfsmitteln: Es ist besonders wichtig, dafür zu sorgen, dass Hilfsmittel wie Rollstühle regelmäßig von Fachleuten kontrolliert und immer wieder neu angepasst werden.

Weitere Maßnahmen

  • Schmerztagebuch: Um die Übersicht über Verlauf, Häufigkeit, Intensität und Dauer Ihrer Schmerzen zu behalten, kann es für Sie hilfreich sein, wenn Sie ein Schmerztagebuch führen.
  • Behandlung von Begleiterscheinungen: Achten Sie auf eine angemessene Behandlung der Schmerzen: Je nach den Schmerzen können Medikamente, Physio- oder Ergotherapie eingesetzt werden.
  • Information und Aufklärung: Es ist wichtig, dass Sie sich gut über Ihre Erkrankung und die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten informieren. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Ihre Zweifel und Ängste. Sagen Sie ihm, ob Sie eine zusätzliche Meinung hören wollen.
  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann bei MS hilfreich sein.
  • Achtsamkeit: Achten Sie auf Veränderungen im Laufe der Erkrankung können sich Ihre Symptome verändern. Sowohl in ihrer Ausprägung als auch in der Häufigkeit. Achten Sie auf Veränderungen und sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie dies bemerken.

Leben mit MS und Schmerzen

Ein selbstbestimmtes Leben mit MS ist möglich. Die MS ist nicht zwangsläufig schwer verlaufen muss. Im Gegenteil, gerade zu Beginn der Erkrankung kann es zu einer weitgehenden Abheilung der entzündlichen Herde und damit zur Rückbildung der auftretenden Krankheitszeichen kommen. Nur in wenigen Fällen (unter 5%) führt die Krankheit innerhalb weniger Jahre zu schwerer Behinderung. Schmerzen können bei MS immer wieder auftreten. Sie gelten inzwischen als häufiges Symptom bei MS. Es ist wichtig, die Ursache und damit die Art des Schmerzes zu finden, damit die geeignete Schmerztherapie bei MS beginnen kann. Wenn Sie unter Missempfindungen oder Schmerzen leiden, wenden Sie sich bitte zügig an Ihr Behandlungsteam. Auch kann es sein, dass sich der Schmerz im Verlauf der Erkrankung verändert - und das vielleicht, weil sich die Quelle des Schmerzes verändert hat. Achten Sie auf eine angemessene Behandlung der Schmerzen.

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