Ein weit verbreiteter Test zur Bestimmung der Augendominanz besteht darin, einen Punkt in der Ferne anzuvisieren und abwechselnd ein Auge zu schließen. Die Händigkeit, also die Präferenz für die linke oder rechte Hand, ist ein faszinierendes Merkmal, das seit langem Gegenstand von Forschung und Spekulationen ist. Während die meisten Menschen Rechtshänder sind, bevorzugt ein bedeutender Teil der Bevölkerung die linke Hand. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede im Gehirn von Linkshändern, räumt mit Mythen auf und präsentiert aktuelle Forschungsergebnisse.
Händigkeit im Tierreich
Die Präferenz für eine bestimmte Pfote oder Hand ist nicht nur beim Menschen zu finden. Viele Tiere, wie Katzen, Mäuse, Hunde und Ratten, zeigen ebenfalls eine solche Präferenz. Allerdings ist die Verteilung oft gleichmäßiger als beim Menschen. Während beim Menschen eine deutliche Dominanz der Rechtshändigkeit besteht, gibt es bei Tieren oft eine nahezu gleichmäßige Verteilung zwischen Links- und Rechtshändern. Selbst bei unseren nächsten Verwandten, den Affen, ist die Präferenz für eine bestimmte Hand, wenn überhaupt vorhanden, nur schwach ausgeprägt.
Die Evolution der Rechtshändigkeit beim Menschen
Die starke Ausprägung der Rechtshändigkeit beim Menschen ist ein auffälliges Merkmal. Archäologische Funde wie prähistorische Steinwerkzeuge, Zeichnungen, historische Gemälde und Schriften belegen, dass die Rechtshändigkeit beim Menschen schon immer stark verbreitet war. Dies hat zu der Annahme geführt, dass die Rechtshändigkeit im Zusammenhang mit der Evolution des Menschen steht.
Allerdings ist die Asymmetrie nicht auf den Menschen beschränkt. Im Tierreich ist sie weit verbreitet. Papageien sind oft starke Linksfüßer, und Zebrafische bevorzugen es, mit dem linken Auge zu schauen. Daher ist der Mensch mit seiner Neigung zur rechten Hand in dieser Hinsicht nicht einzigartig.
Mythen und Legenden rund um Linkshänder
Um Linkshänder ranken sich viele Mythen und Legenden. Einige davon sind hartnäckig, obwohl sie wissenschaftlich widerlegt sind.
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Mythos 1: Linkshänder sind intelligenter als Rechtshänder
Dieser Mythos hält sich hartnäckig, obwohl er wissenschaftlich nicht haltbar ist. Studien haben gezeigt, dass der durchschnittliche Intelligenzquotient (IQ) von Rechts- und Linkshändern nahezu identisch ist. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass unter Kindern mit großen Lernschwierigkeiten mehr Linkshänder vorkommen als unter normal begabten Kindern. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass auch unter besonders hochintelligenten Menschen mehr Linkshänder vorkommen als im Durchschnitt. Dieser Zusammenhang scheint jedoch weniger mit allgemeiner Intelligenz als mit speziellen Fähigkeiten zusammenzuhängen. In den USA beispielsweise werden Kinder regelmäßig in Mathematik getestet, und unter den besten 0,1 Prozent sind 25 Prozent Linkshänder.
Mythos 2: Linkshänder sterben früher als Rechtshänder
Dieser Mythos entstand durch eine Studie des kanadischen Psychologen Stan Coren, der 1988 einen Artikel veröffentlichte, in dem er behauptete, dass linkshändige Baseballspieler jünger sterben als rechtshändige. In einer späteren Studie untersuchte er Krankenhausakten und stellte fest, dass unter jungen Verstorbenen mehr Linkshänder waren als unter älteren. Coren schloss daraus, dass Linkshänder früher sterben.
Dieser Schlussfolgerung ist jedoch fehlerhaft, da Coren die Lebenden nicht berücksichtigte. Unter jungen Menschen gibt es mehr Linkshänder als unter älteren, da Linkshänder heutzutage nicht mehr umerzogen werden.
Mythos 3: Linkshänder sind anfälliger für Krankheiten
Dieser Mythos geht auf den Neurologen Norman Geschwind zurück, der 1982 eine auffällige Häufung bestimmter Krankheiten, insbesondere Allergien, unter Linkshändern festgestellt haben wollte. Dutzende von Studien versuchten, seine Ergebnisse zu bestätigen, aber keine einzige konnte dies tun. Geschwind hatte einen Fehler gemacht: Er hatte Kunden in einem Linkshänderladen nach ihren Krankheiten gefragt, was zu einer verzerrten Stichprobe führte.
Die Vererbung der Händigkeit
Es gibt Familien, in denen Linkshändigkeit gehäuft vorkommt, was die Vermutung nahelegt, dass Händigkeit vererbt wird. Die meisten Forscher sind sich einig, dass die Händigkeit vererbt wird, aber die Art und Weise der Vererbung ist komplex. Das Verhältnis von Rechts- zu Linkshändern beträgt etwa 9 zu 1, was sich nicht durch ein einfaches Genmodell erklären lässt. Sowohl linkshändige als auch rechtshändige Paare bekommen eher rechtshändige Kinder. Es gibt mehr linkshändige Männer als linkshändige Frauen. Und es gibt eineiige Zwillinge, bei denen der eine Zwilling Rechtshänder und der andere Linkshänder ist.
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Der Psychologe Chris McManus hat ein Modell entwickelt, das die meisten Besonderheiten der Händigkeit erklären kann. Er geht davon aus, dass es ein Gen mit zwei Allelen gibt, von denen eines (D) für Rechtshändigkeit und das andere (C) für Zufall steht. Jeder, der zwei Kopien des D-Allels hat, wird rechtshändig. Wer zwei Kopien des C-Allels hat, bei dem entscheidet der Zufall über die Händigkeit. Wer von beiden Allelen jeweils eins hat (DC), wird in der Hälfte der Fälle rechtshändig, in der anderen Hälfte entscheidet wieder der Zufall.
Onur Güntürkün, Professor für Biopsychologie, glaubt ebenfalls, dass die Händigkeit vererbt wird, aber nicht durch ein einzelnes Gen. Er vermutet, dass andere Mechanismen genetisch festgelegt sind, die ihrerseits die Händigkeit beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist die visuelle Asymmetrie bei Vögeln, die durch die Drehung des Embryos im Ei festgelegt wird.
Unterschiede im Gehirn von Linkshändern
Die linke Körperhälfte wird von der rechten Gehirnhälfte gesteuert und umgekehrt. Daher liegt es nahe, dass die Ursachen für Linkshändigkeit im Gehirn zu finden sind. Die Bereiche im Gehirn, die die Hände steuern, sind bei Linkshändern in der rechten Gehirnhälfte, bei Rechtshändern in der linken Gehirnhälfte stärker ausgeprägt.
Die Vorstellung, dass das Gehirn der Linkshänder gespiegelt ist zu dem der Rechtshänder, ist falsch. Bei Linkshändern zeigen sich die gleichen Asymmetrien wie bei Rechtshändern, sie sind jedoch etwas abgeschwächter. Linkshänder haben ihr Sprachzentrum nicht in dem Ausmaß in der linken Hirnhälfte wie Rechtshänder.
Die meisten Menschen haben ihr Sprachzentrum links. Bei den Rechtshändern sind es 95 Prozent, bei den Linkshändern immerhin noch etwa 70 Prozent. Es gibt eine Theorie, dass sich die Vorliebe für die rechte Hand zusammen mit der Sprache entwickelte, da Sprechen eine komplizierte Abfolge von Muskelbewegungen erfordert. Die Fähigkeit, komplexe Stimuli zu decodieren und schnelle Bewegungen zu erzeugen, geht mit Sprache einher und ist eine linkshemisphärische Leistung.
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Vor- und Nachteile der Linkshändigkeit
Es ist nicht unbedingt ein Vorteil, linkshändig oder rechtshändig zu sein. Solange Menschen mit einer Kombination von D- und C-Allel fitter sind und sich besser fortpflanzen, bleibt immer ein gewisser Anteil Linkshänder in der Population. In der Genetik nennt sich das ausgeglichener Polymorphismus.
Im Sport haben Linkshänder in Duellen, bei denen es um Schnelligkeit geht, einen Vorteil, da ihre Gegner auf die spiegelverkehrten Bewegungen nicht eingestellt sind.
Die Bedeutung der Akzeptanz von Linkshändigkeit
Früher wurden Linkshänder oft umerzogen, was zu Problemen führen konnte. Heutzutage ist es wichtig, Linkshänder zu akzeptieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre bevorzugte Hand zu benutzen. Linkshändigkeit ist eine normale Variante der biologischen Entwicklung, die im Alltag und Arbeitsleben zu berücksichtigen ist.
Aktuelle Forschung
Forscher suchen weiterhin nach den genetischen und neurologischen Ursachen für Linkshändigkeit. Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik verglich die Gehirne von über 30.000 Personen, darunter 3.000 Linkshänder, und fand heraus, dass Linkshänder in bestimmten Hirnregionen eine dickere Schicht grauer Substanz haben.
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