Das menschliche Gehirn, das äußerlich aus zwei fast spiegelgleichen Hälften besteht, ist asymmetrisch organisiert. Diese Spezialisierung des Gehirns mit einer bevorzugten Hand konnte ansatzweise auch bei Primaten festgestellt werden. Eine der bemerkenswertesten Manifestationen dieser Asymmetrie ist die Händigkeit, die bevorzugte Nutzung einer Hand gegenüber der anderen. Während Rechtshänder die Mehrheit der Weltbevölkerung ausmachen, stellen Linkshänder eine bemerkenswerte Minderheit dar, deren Gehirnorganisation und Sprachverarbeitung interessante Unterschiede aufweisen. Dieser Artikel befasst sich mit der komplexen Beziehung zwischen dem Sprachzentrum im Gehirn und der Linkshändigkeit und beleuchtet die neuronalen Grundlagen der Sprachverarbeitung bei Linkshändern und die Faktoren, die zu ihrer einzigartigen Gehirnorganisation beitragen.
Gehirnasymmetrie und Händigkeit
Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Hälften: der rechten und der linken Hemisphäre. Wie bei allen Säugetieren ist auch beim Menschen eine Arbeitsteilung zwischen diesen beiden Seiten gegeben. Während das linke Gehirn in Worten „denkt“, „denkt“ das rechte unmittelbar in sensorischen Bildern. Bei jedem Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsvorgang sind beide Hemisphären tätig, denn jede Handlung beinhaltet sowohl sprachliche, als auch nichtsprachliche Komponenten. Jede zerebrale Hemisphäre ist mit einer bestimmten Körperseite verbunden und zwar über Kreuz mit der ihr gegenüberliegenden. Das bedeutet, dass die linke Gehirnhälfte die Bewegungen und Sinne der rechten Körperseite beeinflusst und die rechte Gehirnhälfte entsprechend die linke Seite kontrolliert. Bei einem Rechtshänder besteht eine Dominanz der linken Hemisphäre, während bei einem Linkshänder die rechte Seite des Gehirns dominiert. Die sensorischen und motorischen Nervenbahnen verlaufen zwischen dem Gehirn und den übrigen Körperteilen über Kreuz.
Als Händigkeit bezeichnet man bei Menschen und Tieren die bevorzugte Verwendung einer bestimmten Hand insbesondere für anspruchsvolle und feinmotorische Tätigkeiten. Je nachdem, welche Hand die dominante Hand ist, spricht man von Linkshändern bzw. Der Grad der Händigkeit kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Außerdem kann sich die Händigkeit im Laufe des Lebens verändern, bei Kindern z. B. durch Erziehung oder unbewusstes Abschauen und bei Erwachsenen durch bewusstes Lernen. Menschen, die eigentlich Linkshänder sind bzw. Menschen mit keiner oder nur schwach ausgeprägter Dominanz einer Hand werden häufig als Beidhänder bezeichnet. Eine klare Überrepräsentation der Rechtshändigkeit findet sich in allen gut untersuchbaren menschlichen Kulturen. Der Anteil von Linkshändern in der europäischen Bevölkerung wird von der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin mit 10 bis 15 % angegeben. Eine neuere Meta-Analyse schätzt den weltweiten Anteil der Linkshänder auf 10,6 %, wobei Männer (11,62 %) häufiger linkshändig sind als Frauen (9,53 %). Auch historische Unterschiede lassen sich nicht feststellen.
Das Sprachzentrum im Gehirn: Eine Übersicht
Mit Sprachzentrum (eigentlich: Sprachzentren, u. a.: Broca-Areal, Wernicke-Zentrum) werden die Areale im Gehirn bezeichnet, denen eine besondere Funktion bei der Sprachverarbeitung und -produktion zukommt. Im Text genannte Gehirnbereiche:5. Gyrus frontalis inferior5a/b Broca-Areal10. Gyrus temporalis superior11. Folgende Teile dieses Artikels scheinen seit 2005 nicht mehr aktuell zu sein:aus dem Text ist nicht erkennbar, wann die Erforschung des Sprachzentrums durch bildgebende Verfahren revolutioniert wurde und welchen zeitlichen Bezug der 'Gegenwärtige Forschungsstand' hat. 2005, 2010, 2020? Mit neuen funktionellen Bildgebungsverfahren wie PET und fMRT kann man Bilder erzeugen, die Gebiete und deren Aktivierungszustand im lebenden Gehirn zeigen. Zuvor stützte sich die Forschung vor allem auf Ausfallerscheinungen bei Schädigungen der Großhirnrinde. Damit hat die Erforschung der Gebiete der Sprachverarbeitung eine radikale Wende erfahren. Mittlerweile ist bekannt, dass eine ganze Reihe relativ breit verteilter Areale an der Sprachverarbeitung beteiligt sind. In neueren Forschungsarbeiten wird auch subkortikalen, also unterhalb der Großhirnrinde im Kerngebiet liegenden Gebieten wie Putamen und Nucleus caudatus, sowie prämotorischen (BA 6) Regionen zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sind bei Rechtshändern hauptsächlich die Areale der linken Großhirnhemisphäre involviert, wobei bilaterale Aktivierungen gerade im Bereich syntaktischer Verarbeitung nicht selten sind. Die meisten Sprachverarbeitungsareale bilden sich im zweiten Lebensjahr in der sprachdominanten Hirnhälfte aus. Die vor dem Aufkommen funktioneller Bildgebungsverfahren lange Zeit angenommene Differenzierung in nur zwei großflächige Sprachverarbeitungsareale (Broca- bzw. Wernicke-Areal) gilt als überholt. Dem Broca-Areal wurde erstmals 1861 von dem französischen Neurologen und Anthropologen Paul Broca eine Rolle bei sprachlichen Funktionen zugeschrieben. Grundlage dieser Entdeckung war die Erforschung von Sprachproblemen nach Schädigungen in dieser Hirnregion, die in der unteren Stirnhirnwindung angesiedelt ist. Läsionen des Broca-Areals resultieren vor allem in Störungen der Sprachproduktion. Schädigungen des Wernicke-Areals, das sich im oberen Anteil des Schläfenlappens befindet, führen dagegen hauptsächlich zu Störungen der Sprachrezeption.
Sprachdominanz bei Links- und Rechtshändern
Als „dominante“ Hirnhälfte wird diejenige bezeichnet, die vorrangig für die Verarbeitung von Sprache zuständig ist. Bei 95 % der Rechtshänder befindet sie sich links, bei 2 % rechts. Bei 3 % ist das Sprachzentrum auf beide Hirnhälften aufgeteilt. Auch bei der Mehrzahl der Linkshänder liegt das Sprachzentrum links, nämlich bei 70 %, bei 15 % ist es auf beide Hemisphären verteilt, bei weiteren 15 % liegt es rechts. Es gibt also eine gewisse Korrelation zwischen der „dominanten“ Gehirnhälfte und derjenigen Gehirnhälfte, die die starke Hand steuert. Dennoch liegt das Sprachzentrum bei der Mehrzahl der Linkshänder auf der linken Seite, welche für die „schwache“ rechte Hand zuständig ist. Es liegt also keine eindeutige Gesetzmäßigkeit vor in der Verbindung von Händigkeit und Lateralisation des Gehirns.
Lesen Sie auch: Leben mit Aphasie nach einem Schlaganfall
Untersuchungen zeigen, dass sich die Gehirne von Links- und Rechtshändern in ihrer Organisation unterscheiden. Bei etwa 90% der Rechtshänder, aber nur rund 60% der Linkshänder liegt das Sprachzentrum eindeutig in der linken Hemisphäre. Das bedeutet, dass die Linkshändigkeit in Bezug auf die Gehirnorganisation nicht einfach eine Umkehrung der Rechtshändigkeit darstellt.
Theorien zur Entstehung von Händigkeit
So ging z. B. Aristoteles davon aus, dass die Händigkeit angeboren ist. Platon dagegen nahm an, dass bei Geburt beide Hände noch vollkommen gleich sind und die Händigkeit eine Folge der Erziehung ist. Die Beobachtung, dass linkshändige Eltern häufiger linkshändige Kinder haben als rechtshändige Eltern, kann mit dem Einfluss der Gene oder der Umwelt erklärt werden. Studien mit Zwillingen zeigen allerdings, dass sowohl die Gene als auch die Umwelt die Händigkeit beeinflussen. Die zwei bekanntesten Modelle zur genetischen Ursache der Händigkeit sind die „Right-Shift“-Theorie von M. Annett und die „Dextral/Chance“-Theorie von McManus. Beide Modelle nehmen an, dass nur ein einzelnes Gen für die Händigkeit verantwortlich ist und beiden liegt die Idee zu Grunde, dass es nicht eine Genvariante für links und eine Genvariante für rechts gibt, sondern nur eine für rechts (R) und eine neutrale (N). Da Menschen zwei Chromosomensätze haben (Diploidie), ergeben sich vier mögliche Kombinationen. Ob die Händigkeit tatsächlich durch ein einzelnes Gen bestimmt wird und welches dies ist, bleibt bis heute ungeklärt.
Das Geschwind-Behan-Galaburda-Modell geht davon aus, dass ein erhöhter Testosteronspiegel während der embryonalen Entwicklung das Wachstum der linken Gehirnhälfte hemmt, was zu einer Dominanz der rechten Gehirnhälfte und somit zu Linkshändigkeit führt. Eine weitere Theorie, die die Händigkeit mit den Bedingungen während der Entwicklung erklärt, wurde von F.H. Previc vorgeschlagen. Im letzten Drittel der Schwangerschaft liegen die meisten Kinder mit dem rechten Ohr nach vorne (aus Sicht der Mutter). Welchen Einfluss die Erziehung, und damit auch die Kultur, auf die Händigkeit haben, lässt sich an der zeitlichen Veränderung des Anteils der Linkshänder beobachten, der während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spürbar gestiegen ist.
Lateralisation über die Händigkeit hinaus
Weitere Lateralisationen neben der Händigkeit sind Äugigkeit, Ohrigkeit und Füßigkeit. Diese Lateralisationen werden in der Regel über Fragebögen festgestellt („Mit welchem Auge schauen Sie durch ein Fernrohr?“). Im Sport spricht man von Rechtsfüßigkeit und Linksfüßigkeit, bisweilen auch von Rechts- und Linksbeinigkeit, oder man trifft disziplinabhängige Unterscheidungen, im Fußball z. B. zwischen Spiel- und Standbein, in der Leichtathletik zwischen Sprung- und Schwungbein. Beim Skateboard und Snowboard unterscheidet man zwischen regular (Rechtsfüßigkeit) und goofy (Linksfüßigkeit). Die Füßigkeit ist gleichmäßiger ausgeprägt als die Händigkeit.
Mythen und Fakten über Linkshänder
Es existieren zahlreiche Mythen und Legenden über Linkshänder, von denen viele unbegründet sind.
Lesen Sie auch: Therapie bei Sprachstörungen nach Schlaganfall
Mythos: Linkshänder sind intelligenter als Rechtshänder.
Fakt: Studien haben gezeigt, dass der durchschnittliche IQ von Rechts- und Linkshändern fast identisch ist. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass unter hochintelligenten Menschen mehr Linkshänder vorkommen als im Durchschnitt.
Mythos: Linkshänder sterben früher als Rechtshänder.
Fakt: Dieser Mythos entstand aus einer fehlerhaften Studie, die die Lebenden nicht berücksichtigte. Unter jungen Menschen gibt es mehr Linkshänder als unter alten, da Menschen heutzutage nicht mehr umerzogen werden.
Mythos: Das Gehirn eines Linkshänders ist spiegelbildlich zu dem eines Rechtshänders.
Lesen Sie auch: Aphasie: Symptome erkennen
Fakt: Diese Vorstellung ist schlichtweg falsch. Bei den Linkshändern zeigen sich die gleichen Asymmetrien wie bei den Rechtshändern, sie sind ein wenig abgeschwächter, das ist eigentlich alles. Linkshänder haben zum Beispiel ihr Sprachzentrum nicht in dem Ausmaß in der linken Hirnhälfte wie Rechtshänder.
Umschulung von Linkshändern
Etwa jeder zehnte Mensch ist Schätzungen zufolge Linkshänder. Lange Zeit wurden linkshändige Kinder beim Schreibenlernen in der Schule umgeschult auf die rechte Hand. Bei Rechtshändern ist die linke Hirnhälfte für das Schreiben verantwortlich, bei Linkshändern ist die rechte Hirnhälfte dominant. Grund sind die überkreuz verlaufenden Nervenbahnen. Eine Hirnhälfte steuert also die gegenüberliegende Körperseite. Die Umschulung der Händigkeit führt zum Teil auch zur Umschulung der Gehirns: Die Bewegungssteuerung wird von der rechten in die linke Hirnhälfte verlagert. Die Planung und Koordination hingegen erfolgt bei den umgeschulten Linkshändern nach wie vor in der rechten Hirnhälfte - so wie bei normalen Linkshändern.
Evolutionäre und funktionelle Vorteile der Einhändigkeit
In der Evolution hat sich die hemisphärische Spezialisierung des Gehirns vermutlich durchgesetzt, weil so die beiden Hirnhemisphären nicht in Konkurrenz zueinander treten konnten. Vorteile der Einhändigkeit gegenüber der Beidhändigkeit werden in größerer Präzision der Handarbeit durch spezifisches Training gesehen. Unklar sind die Vorteile mehrheitlicher Rechtshändigkeit. Das Anziehen von Schrauben und Muttern erfordert mehr Kraft als das Lösen. Manche Werkzeuge sind der rechten Hand angepasst, so der Korkenzieher mit Rechtsgewinde. Ein Daumenkino wird rechts an der Bindung gehalten und dort durch Biegen angespannt, der linke Daumen bietet Gegenhalt und dosiert das Blättern - ein Buch wird genau andersherum gehalten, gegenläufig durchgeblättert und man betrachtet dabei die Vorderseiten der Blätter. Die Schneiden einer Schere schneiden besser, wenn sie die durch Daumen und Finger der rechten Hand üblicherweise ausgeübten Drehmomente aneinandergepresst werden. Schwere Schneiderscheren, aber auch manche Haushaltsscheren mit Kunststoffgriffen (Augen), haben insbesondere für den Daumen einen schräg zur Querrichtung orientierten Tunnel, sodass der linke Daumen beim Ergreifen nicht durchpasst.
tags: #sprachzentrum #gehirn #linkshänder